Urteil des VG Aachen vom 11.04.2008

VG Aachen: sierra leone, guinea, bundesamt für migration, auskunft, persönliche freiheit, staatliche verfolgung, amnesty international, security council, politische verfolgung, gefahr

Verwaltungsgericht Aachen, 9 K 1627/05.A
Datum:
11.04.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 1627/05.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht
erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger ist seinen Angaben zufolge sierra-leonischer Staatsangehöriger.
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Er beantragte am 00.00.2004 seine Anerkennung als Asylberechtigter. Im Rahmen der
Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab er unter
anderem an, sein Vater sei von der Regierung Kabbah getötet worden, weil sie ihn
verdächtigt hätten, Rebellen zu unterstützen. Wie die hießen und wer der Anführer
gewesen sei, wisse er nicht. Sein Bruder sei von der Bevölkerung getötet worden. Nach
dem Tod des Vaters seien er und seine Mutter nach Guinea gegangen. Sie seien dort
ungefähr sieben Jahre gewesen und hätten in D. im Stadtteil I. gelebt. Seine Mutter
habe er vor einem Jahr aus den Augen verloren, weil man ihn der Teilnahme an einem
Raubüberfall bezichtigt und in das Gefängnis T. gesperrt habe. Von dort sei er geflohen,
als er den Müll habe entleeren sollen. Zwischen ihm und den Mülltonnen habe es einen
LKW gegeben. Jemand habe den Wachmann gerufen. Dann sei er rausgegangen und
geflüchtet. Er sei ins Haus einer ihm unbekannten Frau eingedrungen, die ihn nach
einer Woche auf ein Schiff gebracht habe.
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Das Bundesamt lehnte den Asylantrag durch Bescheid vom 00.00.2005 , zugestellt am
00.00.2005 , ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des
Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7
AufenthG nicht vorlägen. Gleichzeitig forderte es den Kläger auf, die Bundesrepublik
Deutschland innerhalb eines Monats, im Falle einer Klageerhebung innerhalb eines
Monats nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen und drohte
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ihm für den Fall der Nichtbeachtung der Ausreisefrist die Abschiebung nach Sierra
Leone an verbunden mit dem Zusatz, dass der Kläger auch in einen anderen Staat, in
den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, abgeschoben
werden könne. Zur Begründung wurde unter anderem ausgeführt, das Vorbringen
hinsichtlich des Aufenthaltes in Guinea sei völlig unglaubhaft und führe nicht zu einer
Anerkennung als Asylberechtigter beziehungsweise zur Annahme eines
Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 1 AufenthG. Hinsichtlich Sierra Leone seien
keine Anhaltspunkte ersichtlich oder glaubhaft vorgetragen, dass dem Kläger
asylerhebliche Verfolgungsmaßnahmen drohen beziehungsweise die Voraussetzungen
des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen könnten. Ein Abschiebungsverbot im Sinne des §
60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sei aufgrund der aktuellen Entwicklung in Sierra Leone nicht
gegeben. Auch hinsichtlich Guinea ergäben sich keine Abschiebungshindernisse.
Der Kläger hat am 13. Juli 2005 Klage erhoben.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 00.00.2005 zu
verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen sowie ihm die
Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen,
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hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach §
60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
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Sie nimmt auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes Bezug.
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Die Kammer hat nach mündlicher Verhandlung am 28. September 2007 diese wieder
eröffnet und eine Auskunft des Auswärtigen Amtes eingeholt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere der Sitzungsprotokolle vom 28.
September 2007 und 11. April 2008, sowie des Verwaltungsvorganges der Beklagten.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -).
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Der Kläger hat zunächst weder einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter
gemäß Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) noch auf Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 AufenthG in der nach § 77 Abs. 1 Satz 1 des
Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) maßgeblichen Fassung des Art. 1 Nr. 48 des
Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen
Union vom 19. August 2007 (Bundesgesetzblatt I S. 1969).
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Nach Art. 16 a Abs. 1 GG genießen politisch Verfolgte Asylrecht. Verfolgt im Sinne
dieser Vorschrift ist derjenige, dessen Leib, Leben oder persönliche Freiheit in
Anknüpfung an seine politische Überzeugung, an seine religiöse Grundentscheidung
oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägen (asylerhebliche
Merkmale), gefährdet oder verletzt werden. Es muss sich um gezielte staatliche oder
jedenfalls dem Staat zuzurechnende Rechtsverletzungen handeln, die den Einzelnen
ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit
ausgrenzen. Die Gefahr eigener politischer Verfolgung kann sich dann aus gegen Dritte
gerichteten Maßnahmen ergeben, wenn letztere wegen eines asylerheblichen Merkmals
verfolgt werden, das der Antragsteller mit ihnen teilt, und er sich mit ihnen in einer nach
Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet. Die
Verfolgungshandlungen müssen nach ihrer Art jedem einzelnen Mitglied der Gruppe
das Gefühl geben, es werde allein wegen seiner Gruppenzugehörigkeit politisch verfolgt
und sei bisher eher zufällig von konkreten Maßnahmen verschont geblieben. In einer
solchen Lage kann die Gefahr eigener politischer Verfolgung auch aus fremdem
Schicksal abgeleitet werden.
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Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben
werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder
wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Gemäß Satz 4 kann eine Verfolgung
im Sinne des Satzes 1 ausgehen von dem Staat (Buchstabe a), Parteien oder
Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatgebietes beherrschen
(Buchstabe b), oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter Buchstaben a und b
genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen
nicht in der Lage oder willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies
unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder
nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.
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Zwar ist aufgrund seines Vorbringens davon auszugehen, dass der Kläger sierra-
leonischer Staatsangehöriger ist. Er hat nämlich durchgängig angegeben, aus Sierra
Leone zu stammen, und im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung zudem erklärt,
dass seines Wissens auch seine Eltern diese Staatsangehörigkeit hatten bzw. haben.
Auch seine Ausführungen aus dem zweiten Verhandlungstermin gehen dahin, aus
Sierra Leone zu stammen.
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Die Voraussetzungen für eine Asylanerkennung sowie eine Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft liegen jedoch nicht vor, weil sich das auf Sierra Leone bezogene
Vorbringen des Klägers ansonsten als unglaubhaft erweist.
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Einen zentralen Widerspruch beinhaltet sein Vorbringen zu der behaupteten Tötung
seines Vaters. Der Kläger hatte sich in der Anhörung vor dem Bundesamt dahingehend
eingelassen, sein Vater sei von der Regierung Kabbah getötet worden, weil man
gedacht habe, er habe Kontakt zu den Rebellen und unterstütze diese. Demgegenüber
hat er in der Klageschrift unter anderem ausführen lassen, sein Vater und sein Bruder
hätten einer Rebellengruppe angehört; er - der Kläger - sei der Sohn eines ehemaligen
Angehörigen der Rebellengruppe RUF. In der mündlichen Verhandlung ist er dann zu
der Version zurückgekehrt, die Regierung habe gemeint, sein Vater finanziere die
Rebellen, es sei aber nicht so gewesen; welche Rebellen das gewesen seien, wisse er
nicht.
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Gegen einen realen Erlebnishintergrund spricht des Weiteren, dass der Kläger zum
einen vorgibt, keine näheren Angaben zur Lage des elterlichen Hauses in T1. , das er
als die große Stadt bezeichnet, machen zu können, und zum anderen seine zeitlichen
Angaben zu dem Fortgang zusammen mit seiner Mutter nach Guinea widersprüchlich
sind. Rechnet man ausgehend von der Bundesamtsanhörung im Dezember 2004 und
seiner dortigen Einlassung, "sieben Jahre und etwas" in D. gewesen zu sein, zurück,
dürfte er etwa zehn Jahre alt gewesen sein. In der mündlichen Verhandlung hat er aber
angegeben, ungefähr acht Jahre alt gewesen zu sein. Später hat er erklärt, sechs bis
sieben Jahre in Guinea gewesen zu sein, was sogar für einen späteren Weggang aus
Sierra Leone im Alter zwischen zehn und elf Jahren sprechen kann.
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Dessen ungeachtet würden die geltend gemachten Ansprüche daran scheitern, dass die
Situation in Sierra Leone heute als allgemein ruhig und stabil zu beurteilen und eine
politische Verfolgung praktisch auszuschließen ist.
24
Vgl. United Nations, Security Council, "Twenty-fourth report of the Secretary-General on
the United Nations Mission in Sierra Leone" vom 10. Dezember 2004; U.S. Departement
of State (USDS), "Sierra Leone, Country Reports on Human Rights Practices - 2004"
vom 28. Februar 2005; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht vom 17. Januar 2007.
25
Zwischenzeitlich wurde das nationale Programm zur Entwaffnung, Demobilisierung und
Reintegration von Ex-Kombattanten abgeschlossen.
26
Vgl. Auswärtiges Amt (AA), Auskunft an das Schleswig- Holsteinische
Oberverwaltungsgericht vom 18. Mai 2004; amnesty international, Auskunft an das VG
Gera vom 20. Dezember 2004.
27
Auch eine frühere Einbindung in eine Rebellenorganisation bewirkt keine staatliche
Verfolgung; dies gilt selbst dann, wenn Zugehörigkeit zu einer kämpfenden Fraktion
gegeben war. Zwar war eine Gefährdung in Einzelfällen, das Begleichen "offener
Rechnungen", nicht auszuschließen.
28
Vgl. AA, Auskunft an das VG Wiesbaden vom 31. März 2003; Auskunft vom 18. Mai
2004, a.a.O.; Institut für Afrika-Kunde, Auskunft an das VG Gera vom 19. Oktober 2004.
29
Gezielte Übergriffe auf Personen, die den Rebellen angehört haben sollen, sind dem
Auswärtigen Amt seit Übergabe der Verantwortung für die Sicherheit in Freetown und
der Western Area durch die UNAMSIL an die sierra-leonischen Sicherheitskräfte im
September 2004 nicht bekannt geworden.
30
Vgl. AA, Auskunft an das VG Gera vom 13. Januar 2005.
31
Ferner ist in den Blick zu nehmen, dass bereits seit 2004 eine Anzahl einheimischer und
internationaler Menschenrechtsgruppen im allgemeinen mit wenigen Beschränkungen
seitens der Regierung operierte. Regierungsvertreter waren allgemein kooperativ und
gingen auf deren Ansichten ein. Menschenrechtsbeobachter reisten ungehindert durch
das Land. Sie waren in der Lage, Gerichtsverfahren zu beobachten, Gefängnisse und
Vormundschaftseinrichtungen zu besuchen.
32
Vgl. für den Berichtszeitraum 2004 USDS, a.a.O.; für den Berichtszeitraum 2007 USDS,
"Sierra Leone, Country Reports on Human Rights Practices - 2007" vom 11. März 2008,
33
www.state.gov/g/dre/ rls/hrrpt/2007/100503/htm.95k.
Zudem hat in Sierra Leone ein Regierungswechsel stattgefunden. Die Wahl wurde von
der Oppositionspartei gewonnen. Der bisherige Präsident Ahmad Tejan Kabbah war
nicht mehr zur Wahl angetreten.
34
Vgl. Neue Zürcher Zeitung, "Oppositionschef in Sierra Leone gewinnt Stichwahl";
Süddeutsche Zeitung vom 18. September 2007, "Machtwechsel in Sierra Leone";
http://de.wikipedia.org/wiki/ Solomon_Berewa.
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Ausgehend von der sierra-leonischen Staatsangehörigkeit des Klägers beschränkt sich
die Prüfung eines Anspruches auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf eine
Bedrohung in diesem Staat. Zwar hat das Bundesamt in seinem Bescheid zu § 60 Abs.
1 AufenthG auch Ausführungen zu Guinea gemacht. Abschiebungsschutz nach dieser
Bestimmung kann aber grundsätzlich nur bei einer Verfolgung durch den Staat der
Staatsangehörigkeit oder bei Staatenlosen durch den Staat des gewöhnlichen
Aufenthaltes zugesprochen werden.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 12. April 2005 - 1 C 3/04 -, Neue
Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2005, 1328.
37
Dagegen ist im Bereich sonstiger Abschiebungsverbote eine gerichtliche Überprüfung
eröffnet, wenn das Bundesamt von sich aus insoweit Feststellungen auch bezüglich
anderer für die Abschiebung in Betracht kommender Zielstaaten trifft.
38
Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2001 - 1 C 11/01 -, Amtliche
Entscheidungssammlung des BVerwG (BVerwGE) 115, 267 (zum früheren § 53 AuslG);
Urteil vom 2. August 2007 - 10 C 13/07 -, Deutsches Verwaltungsblatt 2007, 1568.
39
Ein Anspruch auf Feststellung von sonstigen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2
bis 7 AufenthG scheidet aber aus.
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Bereits mit Blick auf die Unglaubhaftigkeit des klägerischen Vorbringens ist zunächst
nicht davon auszugehen, dass ihm in Sierra Leone die konkrete Gefahr der Folter oder
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung (§ 60 Abs. 2
AufenthG), die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 60 Abs. 3
AufenthG) oder einer gegen die Menschenrechtskonvention verstoßenden Behandlung
(§ 60 Abs. 5 AufenthG) drohen könnte. Für das Vorliegen eines förmlichen
Auslieferungsersuchens oder eines mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens
verbundenen Festnahmeersuchens eines anderen Staates (§ 60 Abs. 4 AufenthG) ist
nichts ersichtlich. § 60 Abs. 6 AufenthG stellt lediglich klar, dass die allgemeine Gefahr
der Strafverfolgung und Bestrafung und, soweit sich nicht aus den Absätzen 2 bis 5 nicht
etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen
Staates gesetzmäßigen Bestrafung der Abschiebung nicht entgegenstehen.
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Des Weiteren kommt eine Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines
Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG wegen der schlechten
Existenzbedingungen der Bevölkerung im Zielstaat nicht in Betracht. In Sierra Leone
bestehen nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
Wegen des Fehlens staatlicher oder nichtstaatlicher finanzieller Förderungen sind
Erwerbslose, Kranke, Behinderte und ältere Menschen ganz besonders auf die
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Unterstützung der traditionellen Großfamilie angewiesen; Sozial- oder Arbeitslosenhilfe
werden nicht gewährt. Auch nichtstaatliche oder internationale Hilfsorganisationen
geben in der Regel keine konkrete Hilfe zum Lebensunterhalt. Viele erwerbslose
Jugendliche ohne Familienverband gehen in die größeren Städte, vor allem nach
Freetown, und führen dort mit Hilfsjobs, Betteln oder sonstigen Geschäften eine
ärmliche Existenz.
Vgl. AA, Auskunft vom 14. November 2005 an das erkennende Gericht.
43
Dies führt jedoch noch nicht auf ein Abschiebungsverbot, weil sich daraus ergebende
Gefahren die dortige Bevölkerung insgesamt oder die benannten Gruppen treffen und
diese Gefahren nach der von den Verwaltungsgerichten zu respektierenden
Entscheidung des Gesetzgebers gemäß § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG Bedeutung
ausschließlich für eine nach § 60 a Abs. 1 AufenthG im Ermessen der obersten
Landesbehörde stehenden Entscheidung haben könnten. Dass die sich aus einer
schlechten Versorgungslage ergebenden Gefahren einem Ausländer im Zielstaat
konkret und individuell drohen, ändert hieran nichts. Dies entspricht auch der Erwägung
26 der vorgenannten Richtlinie, wonach Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine
Bevölkerungsgruppe eines Landes allgemein ausgesetzt sind, für sich genommen
normalerweise keine individuelle Bedrohung darstellen, die als ernsthafter Schaden zu
beurteilen wäre. In diesem Zusammenhang kommt es im Übrigen nicht darauf an, ob die
individuelle Gefährdung, die aber eine typische Auswirkung der allgemeinen
Gefahrenlage ist, durch Umstände in der Person oder in den Lebensumständen des
Ausländers verstärkt wird.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4/98 -, BVerwGE 108, 77.
45
Dementsprechend kann sich beispielsweise auch die Situation als Rückkehrer, der sich
nach einem Auslandsaufenthalt dort neu orientieren muss, nicht auswirken.
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Schließlich ist nicht dennoch ausnahmsweise Abschiebungsschutz zu gewähren, weil
im Einzelfall einer Abschiebung wegen des nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 1 Abs. 1
GG verfassungsrechtlich unerlässlichen Schutzes des Lebens und der körperlichen
Unversehrtheit entgegengewirkt werden müsste. Dies setzt voraus, dass praktisch jeder,
der in den Zielstaat abgeschoben wird, dem sicheren Tod oder schwersten
Verletzungen ausgeliefert ist.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. November 1996 - 1 C 6/95 -, BVerwGE 102, 249;
Beschluss vom 26. Januar 1999 - 9 B 617/98 -, Informationsbrief Ausländerrecht 1999,
265; Urteil vom 12. Juli 2001 - 1 C 5/01 -, BVerwGE 115, 1.
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Sehr eingeschränkte Möglichkeiten zur Existenzsicherung bzw. eine nur ärmliche
Existenz entsprechen aber nicht dem hohen Maßstab einer extremen Gefährdungslage
dergestalt, dass jeder nach Sierra Leone Abgeschobene dort mangels jeglicher
Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgesetzt wäre. Anhaltspunkte
dafür, dass es dem 20 Jahre alten Kläger wegen besonderer Umstände nicht wie der
übrigen Bevölkerung oder seiner Altersgruppe zuzumuten ist, dort seine Existenz zu
sichern, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Das Vorbringen des Klägers führt ferner nicht auf ein Abschiebungsverbot nach § 60
Abs. 2 bis 7 AufenthG hinsichtlich Guinea, weil es sich hinsichtlich dieses Staates
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insgesamt als unglaubhaft erweist.
Dies gilt insbesondere mit Blick auf seine Einlassung, nicht zu wissen, was seine Mutter
in Guinea gemacht hat beziehungsweise ob sie einen Beruf gehabt hat. Immerhin gibt
der Kläger vor, mit ihr sechs bis sieben Jahre dort gelebt zu haben und dass sie für ihn
gesorgt habe.
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Des Weiteren spricht gegen wirklich erlebte Geschehnisse, dass der Kläger trotz des
angeblich mehrjährigen Aufenthaltes in D. bis zu einem Alter von in etwa siebzehn
Jahren keine näheren Angaben machen kann, wo sich dort das Gefängnis T. befindet.
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Dasselbe gilt, soweit er nicht einmal den Stadtteil D. angeben kann, in dem das Haus
der Frau, die ihm angeblich bei seiner Flucht geholfen hat, gelegen haben soll.
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Was im Übrigen den angeblichen Gefängnisaufenthalt anbetrifft, spricht bereits gegen
ein reales Erleben, dass die Angaben zur Zeitdauer eines derart einschneidenden
Erlebnisses und damit im Kernbereich des Vorbringens widersprüchlich sind. Während
er im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt angegeben hat, er habe ein Jahr und
etwas dort verbracht, hat er sich in der mündlichen Verhandlung dahingehend
eingelassen, es habe so etwa ein Monat an einem Jahr gefehlt. Darüber hinaus findet
sich ein wesentlicher Widerspruch auch in der Schilderung seiner angeblichen Flucht
aus dem Gefängnis. Ausweislich seines Vorbringens in der Anhörung vor dem
Bundesamt soll die Position eines LKW seine Flucht begünstigt haben, laut Darstellung
in der mündlichen Verhandlung war es ein kleines Auto, ein PKW.
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Mithin erscheinen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 5 AufenthG nicht
beachtlich wahrscheinlich. Nach der eingeholten Auskunft ist insbesondere nicht davon
auszugehen, dass dem Kläger bei einer Abschiebung nach Guinea wegen der
Asylantragstellung beziehungsweise des mehrjährigen Auslandsaufenthaltes
Repressalien der dortigen Sicherheitskräfte drohen. Dass bei künftigen Verfahren
anlässlich einer Rückführungsmaßnahme bekannt gewordene Informationen nach
Aussage von Menschenrechtsorganisationen auch gegen Verdächtige verwendet
werden, führt hier zu keiner anderen Beurteilung. Angesichts der Unglaubhaftigkeit des
auf Guinea bezogenen Vorbringens fehlt es an der beachtlichen Wahrscheinlichkeit
eines weiteren Verfahrens.
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Ausgehend von den bezüglich Sierra Leone dargestellten Grundsätzen zu § 60 Abs. 7
Satz 1 AufenthG ist ein derartiges Abschiebungsverbot ebenso für Guinea nicht
beachtlich wahrscheinlich. Auch vor dem Hintergrund der allgemeinen
Lebensbedingungen in diesem Land,
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vgl. Human Rights Watch, January 2007, Country Summary Guinea,
www.hrw.org/englishwr2k7/docs/2007/01/11/guinea14693.htm, International
Organization for Migration, Informationen über die Rückkehr und die
Wiedereingliederung in die Herkunftsländer,
http://irrico.bbconsult.co.uk/Factsheets/Microsoft%20Word%20-%
20IRRICO_CS_GUINEA_Lay-out_revised%20by_MRF_BRUS SELS_DE.pdf,
57
sind beispielsweise dem täglich aktualisierten ReliefWeb des United Nations Office for
Coordination of Humanitarian Affairs keine Anhaltspunkte für Lebensumstände zu
entnehmen, die den Schluss nahe legen, dass jeder nach Guinea Zurückkehrende dort
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einer Gefahrenlage für Leib oder Leben entsprechend dem Maßstab einer extremen
Gefährdungslage ausgesetzt ist.
Die Abschiebungsandrohung begegnet mit Blick auf §§ 34 AsylVfG, 59 AufenthG keinen
Bedenken.
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b des
Asylverfahrensgesetzes. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt
sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11 und 711 der
Zivilprozessordnung.
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