Urteil des VG Aachen vom 03.01.2007
VG Aachen: vorbehalt des gesetzes, abgabenordnung, vorauszahlung, erlass, öffentlich, vollstreckung, gesetzesentwurf, drucksache, lfg, auflage
Verwaltungsgericht Aachen, 7 K 1359/06
Datum:
03.01.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 K 1359/06
Tenor:
Der Bescheid des M. Nordrhein-Westfalen vom 21. September 2005 in
Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 14. August 2006 wird
aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die
Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von
120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden,
wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120
% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d :
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Mit Vorauszahlungsbescheid vom 11. Mai 2005 zog der Funktionsvorgänger der
Beklagten, das M. Nordrhein-Westfalen, den Kläger für das Veranlagungsjahr 2005 zu
einer Vorauszahlung auf die Entnahme von Wasser in Höhe von 187.912,65 EUR
heran. Dieser veranlasste die Zahlung des zum 1. Juli 2005 fällig gewesenen Betrages
am selben Tag im Wege des Internetbankings.
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Mit Schreiben der Landeskasse Düsseldorf vom 8. Juli 2005 wurde der Kläger darauf
hingewiesen, dass der entsprechende Betrag erst am 5. Juli 2005 beim M. Nordrhein-
Westfalen gutgeschrieben worden sei, und dass deshalb ein Säumniszuschlag in Höhe
von 1.879,00 EUR innerhalb einer Woche nach Erhalt des Schreibens zu zahlen sei.
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Unter dem 12. Juli 2005 wies der Kläger darauf hin, dass er das
Wasserentnahmeentgelt bis zum Fälligkeitstermin am 1. Juli 2005 gezahlt habe und die
Anforderung des Säumniszuschlags wegen verspäteter Zahlung damit als erledigt
ansehe. Da das Wassserentnahmeentgelt keine Steuer sei und § 240 AO deshalb nicht
einschlägig sei, bat er des Weiteren um Erlass des Säumniszuschlags.
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Mit Bescheid des M. Nordrhein-Westfalen vom 21. September 2005 wurde mitgeteilt,
dass der Erlass der Säumniszuschläge nicht möglich sei. Die Voraussetzungen des § 5
Abs. 2 WasEG lägen nicht vor, weil Billigkeitsgründe nicht ersichtlich seien. Eine
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rechtzeitige Zahlung sei nicht erfolgt, weil insoweit der Tag der Gutschrift des Betrages
auf dem Konto der zuständigen Kasse maßgeblich sei. Diese Gutschrift sei am 5. Juli
2005 erfolgt. Die Schonfrist des § 240 Abs. 3 Satz 1 AO habe am 4. Juli 2005 geendet.
Schließlich heißt es im letzten Absatz vor der Rechtsbehelfsbelehrung, dass, soweit
bisher keine Zahlung erfolgt sei, die Säumniszuschläge in Höhe von 1.879,00 EUR
innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung beziehungsweise Bekanntgabe dieses
Bescheides an die Landeskasse Düsseldorf zu überweisen seien.
Den unter dem 5. Oktober 2005 eingelegten Widerspruch des Klägers wies das M.
Nordrhein-Westfalen mit Widerspruchsbescheid vom 14. August 2006 zurück.
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Der Kläger hat am 5. September 2006 Klage erhoben. Er trägt zur Begründung im
Wesentlichen vor, er habe pünktlich geleistet, indem er die Zahlung am 1. Juli 2005 im
Wege des Internetbankings veranlasst habe. Eine abweichende Regelung der Fälligkeit
sei nicht vereinbart worden und ergebe sich auch nicht aus dem entsprechenden
Vorauszahlungsbescheid. Da der in Rede stehende Betrag zwischenzeitlich gezahlt
und die Erhebung eines Säumniszuschlags als Druckmittel nicht mehr erforderlich sei,
sei der Säumniszuschlag jedenfalls auf die Hälfte zu reduzieren.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des M. Nordrhein-Westfalen vom 21. September 2005 in Gestalt seines
Widerspruchsbescheides vom 14. August 2006 aufzuheben,
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hilfsweise, den Säumniszuschlag auf die Hälfte zu reduzieren.
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Die Beklagte bzw. das M. Nordrhein-Westfalen beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, weder das
Wasserentnahmeentgeltgesetz noch die Abgabenordnung würden Regelungen über
den Zahlungsverkehr enthalten, so dass die Vorschriften der Landeshaushaltsordnung
heranzuziehen seien. In der Verwaltungsvorschrift zu § 70 LHO, 5. Abschnitt, 1.
Unterabschnitt, unter "Einzahlungen", seien unter anderem der Leistungsort, die
Zuständigkeit der Kasse sowie Einzelheiten betreffend die Annahme der Einzahlungen
und den Einzahlungstag geregelt. Nach Nr. 40.1 dieser Verwaltungsvorschrift gelte als
"Einzahlungstag" der "Tag der Gutschrift auf dem Girokonto der zuständigen Kasse". Da
vorliegend die Gutschrift des in Rede stehenden Betrages auf dem Konto der
Landeskasse Düsseldorf erst am 5. Juli 2005 erfolgt sei, sei von einer verspäteten
Zahlung der zum 1. Juli 2005 fällig gewesenen Vorauszahlung auszugehen.
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Die Kammer hat den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes mit
Beschluss vom 21. November 2006 - 7 L 516/06 - stattgegeben. Hinsichtlich der
weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
dieses und des Verfahrens 7 L 516/06 sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage, über die der Berichterstatter im Einverständnis der Beteiligten ohne
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mündliche Verhandlung entscheidet (vgl. §§ 87 a Abs. 2 und 3, 101 Abs. 2 VwGO), ist
begründet.
Das im Bescheid des - als Funktionsvorgänger der Beklagten zuständig gewesenen
(vgl. Art. 1 § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in
Nordrhein-Westfalen vom 12. Dezember 2006) - M. Nordrhein-Westfalen vom 21.
September 2005 in Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 14. August 2006
enthaltene Leistungsgebot ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten
(vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Der Hauptantrag des Klägers wird dahingehend ausgelegt, dass dieser auf die
Aufhebung des in dem vorgenannten Bescheid enthaltenen Leistungsgebotes gerichtet
ist. Insoweit ist die Klage statthaft, weil, wie im einstweiligen Rechtsschutzverfahren
bereits ausgeführt, die streitbefangenen Säumniszuschläge mittels eines
Leistungsgebotes in Gestalt eines belastenden Verwaltungsaktes geltend gemacht
worden sind. Ungeachtet der rechtlichen Einordnung des Schreibens der Landeskasse
Düsseldorf vom 8. Juli 2005 enthält jedenfalls der Bescheid des Landesumweltamtes
Nordrhein-Westfalen vom 21. September 2005 nicht nur die Ablehnung eines
gegebenenfalls mit einer Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO zu
erstreitenden Erlasses von Säumniszuschlägen gemäß § 5 Abs. 2 WasEG, sondern mit
Blick auf den letzten Absatz vor der Rechtsbehelfsbelehrung zugleich ein angreifbares
Leistungsgebot, welches auch zum Gegenstand einer Anfechtungsklage gemäß § 42
Abs. 1 Alt. 1 VwGO gemacht werden kann.
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Vgl. in diesem Zusammenhang: Loose, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 240 Tz. 51
und 52, Lfg. 103 (März 2004); Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, 9. Auflage 2006, §
240 Rdnr. 43; speziell zu diesem Rechtsstreit: Beschluss der Kammer vom 21.
November 2006 - 7 L 516/06 -, mit weiteren Gesichtspunkten.
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Die Klage ist begründet. Die Erhebung von Säumniszuschlägen ist rechtswidrig, weil
die Vorauszahlung auf Wasserentnahmeentgelte entgegen der Voraussetzung des §
240 Abs. 1 Satz 1 AO in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Buchstabe l WasEG bis zum Ablauf
des Fälligkeitstages und somit nicht verspätet entrichtet worden ist.
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Hierzu hat die Kammer in ihrem Beschluss vom 21. November 2006 - 7 L 516/06 -
Folgendes ausgeführt:
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"Ausweislich des Vorausleistungsbescheides des Antragsgegners vom 11. Mai 2005
war der zu entrichtende Betrag zum 1. Juli 2005 fällig. Der Antragsteller hat insoweit
pünktlich gezahlt, indem er die entsprechende Zahlung im Wege des Onlinebankings
am 1. Juli 2005 veranlasst hat (vgl. Blatt 85 des Verwaltungsvorgangs I).
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Unbeachtlich ist hingegen, dass der zu zahlende Betrag erst am 5. Juli 2005 beim
Antragsgegner gutgeschrieben worden ist. Die Annahme einer rechtzeitigen Zahlung
folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 269 Abs. 1 BGB, der gemäß § 270 Abs.
4 BGB auch für Geldschulden unberührt bleibt. Danach hat die Leistung - vorbehaltlich
einer sich insbesondere aus der Natur des Schuldverhältnisses ergebenden
Abweichung, für die hier nichts ersichtlich ist - am Wohnsitz des Schuldners zu erfolgen;
im Fall des Internetbankings reicht mithin die Veranlassung der Zahlung, vorausgesetzt,
dass der Leistungserfolg beim Gläubiger auch tatsächlich eintritt.
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Die vornehmlich dem Schuldnerschutz dienende Grundregelung des § 269 Abs. 1 BGB
kann als Ausdruck allgemeiner Rechtsüberzeugungen auch auf öffentlich-rechtliche
Rechtsbeziehungen entsprechend angewendet werden, wenn und soweit nicht eine
(gesetzliche) Vorschrift den Leistungsort abweichend regelt.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1999 - 5 C 22.98 -, zitiert nach juris, danach auch
veröffentlich etwa in NVwZ 2000, 79 f.; vorgehend (in gleichem Sinne) OVG NRW, Urteil
vom 7. August 1998 - 16 A 1007/98 -, zitiert nach juris, danach auch veröffentlicht in WM
1999, 904 ff.
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Die einen derartigen Regelungsgehalt enthaltende Bestimmung des § 224 AO findet
keine Anwendung. Gemäß Abs. 2 Nr. 2 dieser Vorschrift gilt eine wirksam geleistete
Zahlung bei Überweisung - auch im Wege des Internetbankings - (erst) an dem Tag als
entrichtet, an dem der Betrag der Finanzbehörde gutgeschrieben wird. Unmittelbar gilt
diese Regelung indes nur für Finanzbehörden, und das M. ist keine Finanzbehörde im
Sinne dieser Bestimmung. Eine entsprechende Anwendung kommt nicht in Betracht. §
10 WasEG führt die Bestimmung des § 224 AO nicht als entsprechend anzuwendende
Vorschrift an.
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Es ist insoweit nicht davon auszugehen, dass § 224 AO vom Gesetzgeber versehentlich
nicht aufgenommen worden ist. Gegen eine entsprechende Planwidrigkeit dieser
Regelungslücke spricht, dass der Gesetzgeber in § 10 WasEG die jeweils
anzuwendenden Vorschriften der Abgabenordnung im Einzelnen aufgelistet und dabei
nicht nur nach Paragraphen, sondern zum Teil auch nach Absätzen und Sätzen
differenziert hat. So wird zudem in der Begründung zum Gesetzesentwurf der
Landesregierung (LT-Drucksache 13/4528, Seite 32 zu § 10) ausdrücklich darauf
hingewiesen, dass die anzuwendenden Rechtsvorschriften "enumerativ" benannt
worden seien. Da die Sonderregelung des § 224 AO auch keinen
verallgemeinerungsfähigen, für öffentlich-rechtliche Geldschulden generell geltenden
und insoweit gegenüber den §§ 269, 270 BGB "sachnäheren" Rechtsgedanken enthält,
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vgl. erneut BVerwG, Urteil vom 24. Juni 1999 - 5 C 22.98 -, ebd.
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verbleibt es bei der sich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch ergebenden Regelung,
wonach die Leistung am Wohnsitz des Schuldners zu erfolgen hat.
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Vor diesem Hintergrund kann die vom Antragsgegner im zugehörigen Klageverfahren
angeführte Regelung der Nr. 40 der Verwaltungsvorschrift zu § 70 LHO, die § 224 AO
entsprechen soll, nicht zur Anwendung kommen. In Anbetracht der in Art. 20 Abs. 2 Satz
2 GG verankerten Gewaltenteilung darf sich die Verwaltung durch die Anwendung einer
(der Exekutive zuzurechnenden) Verwaltungsvorschrift nicht über den Willen des
Gesetzgebers hinwegsetzen.
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Abgesehen davon wäre anderenfalls von einem Verstoß gegen den Vorbehalt des
Gesetzes auszugehen. Wie auch der vorliegende Rechtsstreit zeigt, kann eine vom
Rechtsgedanken der §§ 269, 270 BGB abweichende Regelung eine (nicht geringe)
Belastung für den Betroffenen nach sich ziehen. Mit derartigen zusätzlichen
Verpflichtungen darf dieser somit nur aufgrund einer - hier fehlenden - abweichenden
gesetzlichen Regelung belastet werden."
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Greifbare Anhaltspunkte für eine andere Beurteilung sind weder vorgetragen noch
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ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11,
711 ZPO.
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