Urteil des VG Aachen vom 23.04.2007
VG Aachen: aufschiebende wirkung, tötung von tieren, öffentliches interesse, vollziehung, verfügung, verordnung, umwelt, behörde, naturschutz, landwirtschaft
Verwaltungsgericht Aachen, 7 L 144/07
Datum:
23.04.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
7 L 144/07
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der - im Erörterungstermin vom 20. April 2007 erweiterte - Antrag des Antragstellers,
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die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 11. bzw. 20. April 2007 gegen die
Tierseuchenverfügung des Antragsgegners vom 21. März 2007 in Gestalt der
Abänderung vom 20. April 2007 wiederherzustellen bzw. anzuordnen, soweit es um die
Regelungen unter Ziffer 1 und Ziffer 6 Buchstabe a geht,
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hat keinen Erfolg.
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Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage
grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt unter
anderem nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO in den Fällen, in denen die sofortige
Vollziehung im öffentlichen Interesse von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen
hat, besonders angeordnet wird, sowie gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO in Verbindung
mit § 8 AG VwGO (NRW) bei Rechtsbehelfen, die sich gegen Maßnahmen der
Vollstreckungsbehörden richten.
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Die sich auf Ziffer 1 des streitbefangenen Bescheides beziehende (in seiner Ziffer 5
enthaltene) Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt den an sie zu stellenden
formellen Anforderungen im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO. Das besondere Interesse an
der sofortigen Vollziehung ist mit dem Hinweis auf eine schnellstmögliche Eliminierung
des Schweinepesterregers aus der Wildtierpopulation durch eine Reduzierung der
Bestandsdichte insbesondere im Frühjahr hinreichend schriftlich begründet.
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Auch in materieller Hinsicht kann dem Aussetzungsbegehren nicht entsprochen werden.
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht in den Fällen des § 80
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Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die durch die Anordnung entfallene aufschiebende Wirkung
des Widerspruchs wiederherstellen und im Falle der fehlenden aufschiebenden
Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO anordnen, wenn die vorzunehmende
Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Antragstellers an der
Verschonung von Vollzugsmaßnahmen vorrangig ist. Bei der Abwägung sind die
Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in die Beurteilung einzubeziehen. An der
Vollziehung einer offensichtlich rechtswidrigen Maßnahme kann kein öffentliches
Interesse bestehen. Ist hingegen die zu vollziehende Maßnahme offensichtlich
rechtmäßig, überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse, und das private Interesse am
Aufschub der Vollziehung kann im Regelfall als gering veranschlagt werden. Ist
hingegen bei der im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen
summarischen Überprüfung der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, kommt es
entscheidend auf eine Abwägung zwischen den für eine sofortige Vollziehung
sprechenden öffentlichen Interessen einerseits und dem Interesse des Betroffenen an
einer Aussetzung der Vollziehung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im
Hauptsacheverfahren andererseits an.
Nach diesen Maßstäben fällt die Interessensabwägung zu Lasten des Antragstellers
aus. Nach summarischer Überprüfung spricht überwiegendes dafür, dass die
angefochtenen Verwaltungsakte des Antragsgegners vom 21. März 2007 in Gestalt der
Abänderung vom 20. April 2007 rechtmäßig sind.
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Rechtsgrundlage für die Anordnung des Antragsgegners, in der Zeit vom 1. April bis 31.
Juli 2007 im vom Antragsteller gepachteten Revier monatlich 4 Wildschweine - unter
Anrechnung von verendeten bzw. aus welchen Gründen auch immer getöteten Tieren -
zu erlegen, ist § 14a Abs. 8 Nr. 1 der Verordnung zum Schutz gegen die Schweinepest
und die Afrikanische Schweinepest (SchwPestV). Danach kann die zuständige Behörde
für den gefährdeten Bezirk unter Berücksichtigung epidemiologischer Erkenntnisse
Maßnahmen in Bezug auf die Tötung von Wildschweinen einschließlich der
Verpflichtung der Jagdausübungsberechtigten zur Mitwirkung anordnen (vgl. auch § 24
Abs. 4 Satz 5 TierSG, wonach dem Jagdausübungsberechtigten unter bestimmten
Voraussetzungen aufgegeben werden kann, die im Zusammenhang mit der Tötung von
Tieren angeordneten Maßnahmen durchzuführen).
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Der Antragsgegner ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für
eine Anordnung der in Rede stehenden Art vorliegen.
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Es ist zunächst grundsätzlich rechtlich nicht zu beanstanden, den Antragssteller als
Jagdausübungsberechtigten des streitbefangenen Gebietes gemäß § 14a Abs. 8 Nr. 1
SchwPestV zu verpflichten, dort den Frühjahrsbestand an Wildschweinen um 4 Tiere je
Monat zu reduzieren, um einem seuchenmäßig unbedenklichen Bestand von 2 Sauen
pro 100 ha Waldgebiet näher zu kommen und damit ein weiteres Verbreiten der im Kreis
F. ausgebrochenen klassischen Schweinepest zu verhindern.
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Darüber hinaus dient diese Maßnahme (in Verbindung mit Nr. 2 der streitbefangenen
Verfügung, wonach die verendet aufgefundenen Wildschweine unter Angabe des
Fundortes dem Veterinäramt anzuzeigen und der zuständigen Untersuchseinrichtung
zur virologischen und serologischen Untersuchung auf Schweinepest zuzuleiten sind),
wie im Erörterungstermin vom 20. April 2007 betont worden ist, einem umfassenden
Monitoring zwecks wirksamer Bekämpfung der Schweinpest, die nach den Angaben
von Herrn Dr. K. vom Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und
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Verbraucherschutz des Landes Nordrhein- Westfalen und Herrn Dr. Q. , Leiter der
Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung des Landes Nordrhein-
Westfalen in dem hier interessierenden Gebiet innerhalb der letzten 6 Jahre bislang 3
Mal aufgetreten ist. Nach den glaubhaften Angaben ist das gewünschte Monitoring auch
deshalb erforderlich, weil in der Vergangenheit in der jagdfreien Zeit mangels erlegtem
Wild keine Schweinepestfälle verzeichnet worden sind, während dies außerhalb der
Schonzeit der Fall gewesen ist. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass sich
unter anderem dem in einem weiteren Verfahren, welches ebenfalls am 20. April 2007
erörtert wurde, vorgelegten Verwaltungsvorgang entnehmen lässt, dass die
Schweinepest in anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft Schäden in Höhe
von mehreren hundert Millionen Euro verursacht hat.
Des Weiteren dürfte es sich bei der im Rahmen eines einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein möglichen summarischen
Prüfung als nicht unverhältnismäßig darstellen, die Anzahl von monatlich 4 zu
erlegenden Wildschweinen (einschließlich verendeter und verunfallter Tiere) im
Zeitraum vom 1. April bis 31. Juli 2007 vorzugeben.
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Die Kammer geht davon aus, dass diese Zahl für die zu tötenden Wildschweine erzielt
werden kann und die in die Rede stehende Maßnahme somit nicht unmöglich bzw.
ungeeignet ist. Aufgrund der schlüssigen Angaben des Herrn Dr. Q. im
Erörterungstermin am 20. April 2007 dürfte entgegen dem Vorbringen des Antragstellers
davon auszugehen sein, dass in seinem Revier so viele Tiere erfolgreich gejagt werden
können. Danach sei nach wissenschaftlichen Erkenntnissen grundsätzlich davon
auszugehen, dass sich der Schwarzwildgrundbestand in den betroffenen Revieren auf
2/3 der Strecke des vergangenen Jahres belaufe, wobei die natürliche Zuwachsrate bei
Schwarzwild zwischen 150 bis 300 % liege. Während diese Rate für das Jagdjahr
2006/2007 wegen eines Wintereinbruchs bei etwa 150 % gelegen haben dürfte, könne
für das nunmehr anstehende Jagdjahr von einem Zuwachs von rund 300 %
ausgerechnet werden. Bezogen auf das streitbefangene Revier könne man von einem
Grundbestand an Wildschweinen von 10, unter Berücksichtigung der Strecken der 3
vorhergehenden Jagdjahre von 11 Tieren ausgehen. Ausgehend von einer
wahrscheinlichen Zuwachsrate von 300 % sei daher mit einem Gesamtbestand von
etwa 40 Tieren zu rechnen. Auf den Einwand des Prozessbevollmächtigten des
Antragstellers, die Schweinepest habe zu einer erhöhten Sterblichkeit geführt, hat Herr
Dr. Q. darauf hingewiesen, dass die hohe Strecke des letzten Jahres trotz der
Schweinepest erzielt worden wäre und die von ihm referierten Zahlen daher gleichwohl
Geltung beanspruchen würden.
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Der Antragsgegner hat den Bedenken des Antragstellers, die entsprechende Anzahl
von Tieren nicht erlegen zu können, dadurch Rechnung getragen, dass, wie im
Erörterungstermin betont, die Jagdmethode nicht vorgeschrieben wird; zudem hat er, der
Antragsgegner, erklärt, auf die Zahl der monatlich zu erlegenden Tiere könnten auch
verunfallte oder sonst verendete Tiere angerechnet werden. In diesem Zusammenhang
ist zudem zu berücksichtigen, dass zur Verwirklichung des vorgegeben Ziels teilweise
auch Fallen zum Einsatz gebracht werden können. So hat Herr Dr. K. vom Ministerium
für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes
Nordrhein-Westfalen in dem Erörterungstermin ausgeführt, die nachgeordneten
Behörden - soweit erforderlich - anzuweisen, auf einen entsprechenden Antrag hin das
Fangen und Erlegen von Wildschweinen (Frischlingen) unter Einsatz von Lebendfallen
für den Zeitraum bis zum 31. Juli 2007 kurzfristig zu erlauben, sofern die waidgerechte
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Durchführung der Maßnahme gewährleistet sei (vgl. § 19 BJG, § 19 LJG-NRW,
Verordnung über die Verwendung von Fanggeräten und die Voraussetzungen und
Methoden der Fallenjagd [Fallenjagdverordnung]). Mit Erfolg kann sich der Antragsteller
in diesem Zusammenhang nicht darauf berufen, Ablenkungsfütterungen würden den
Jagderfolg beeinträchtigen. Entsprechende Erlaubnisse für zwei Ablenkungsfütterungen
sind unter Anordnung der sofortigen Vollziehung widerrufen worden.
Dem Antragsteller wird auch nichts rechtlich Unmögliches abverlangt, weil die Bejagung
von Frischlingen außerhalb der Schonzeit zulässig ist, und die Schonzeit für Überläufer
hinsichtlich der gefährdeten Bezirke gemäß Verfügung des Landesbetriebes Wald und
Holz Nordrhein-Westfalen vom 28. Februar 2007 aufgehoben worden ist (vgl. § 2 Abs. 2
Nr. 4 der Verordnung über die Jagdzeiten vom 9. September 2002, § 24 Abs. 2 LJG-
NRW).
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Des Weiteren dürfte die in Rede stehende Maßnahme zur Bekämpfung der
Schweinepest zur Reduzierung des Frühjahrsbestandes und Durchführung eines
umfassenden Monitorings auch erforderlich sein.
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Zudem dürfte gegen die Angemessenheit der Maßnahme nichts einzuwenden sein.
Lediglich ergänzend sei in diesem Zusammenhang angemerkt, dass bei der Erlegung
von Wildschweinen nach den Angaben von Herrn Dr. Q. auch mobile Ansitzböcke
verwandt werden können; es bedürfe keiner Hochsitze mit einer geschlossenen Kanzel.
Überdies hat der Antragsgegner, wie zuvor erwähnt, dem Antragsteller eingeräumt,
Frischlinge mittels Fallen einzufangen.
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Schließlich sind im Hinblick auf die dem streitbefangenen Bescheid beigefügte
Begründung in Verbindung mit den mündlichen Ausführungen seitens des
Antragsgegners im Erörterungstermin Ermessensfehler nicht ersichtlich. In Anbetracht
der durch die Schweinpest drohenden Schäden vermögen entgegenstehenden Belange
des Antragstellers einen Ermessensfehler nicht zu begründen.
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Die Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 500,00 EUR für jedes nicht im Sinne
der Ziffer 1 der streitbefangenen Verfügung erlegte (bzw. getötete) Wildschwein findet
ihre Grundlage in §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60 und 63 VwVG NRW. Die Höhe des
jeweiligen Zwangsgeldes steht in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck,
den Antragsteller zur Reduzierung des Wildschweinbestandes in dem streitbefangenen
Gebiet zu bewegen (vgl. § 58 VwVG NRW).
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Rein vorsorglich weist die Kammer darauf hin, dass der Antragsgegner im Fall einer
beabsichtigten Festsetzung des Zwangsgeldes gegebenenfalls zu berücksichtigen
haben wird, dass die Umstände des Einzelfalls die Erreichung des in der
streitbefangenen Verfügung vorgegeben Ziels verhindern können.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.
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