Urteil des VG Aachen vom 06.12.2005
VG Aachen: aufschiebende wirkung, eisbahn, überwiegendes interesse, wohnhaus, wahrscheinlichkeit, vollziehung, aussetzung, installation, ruhe, musik
Verwaltungsgericht Aachen, 3 L 799/05
Datum:
06.12.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
3 L 799/05
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als
Gesamtschuldner; die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen
werden nicht erstattet.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,- EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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Der Antrag,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die der
Beigeladenen erteilten Baugenehmigung vom 4. November 2005 für die Eisbahn eines
Hotelbetriebs auf dem Grundstück Gemarkung N. , Flur 1, Flurstück 549, anzuordnen,
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ist nach § 212 a Abs. 1 des Baugesetzbuches (BauGB) i. V. m. §§ 80 Abs. 2 Nr. 3, 80 a
Abs. 3, Abs. 1 Nr. 2 und 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig,
aber unbegründet.
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Im Falle der fehlenden aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs nach § 80 Abs. 2 Nr.
3 VwGO kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Halbsatz VwGO die
aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anordnen, wenn das Interesse des
Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung gegenüber dem öffentlichen Interesse
an der sofortigen Vollziehung vorrangig ist. Ein überwiegendes Vollziehungsinteresse
ist dann anzunehmen, wenn der eingelegte Rechtsbehelf mit erheblicher
Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird. Dagegen ist ein überwiegendes Interesse des
antragstellenden Nachbarn an der Aussetzung gegeben, wenn der Rechtsbehelf mit
erheblicher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird, das heißt, die angefochtene
Verfügung aufgrund eines Verstoßes gegen nachbarschützende Vorschriften
offensichtlich rechtswidrig ist.
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Die erste Voraussetzung ist vorliegend erfüllt.
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Nach Auffassung der Kammer wird der von den Antragstellern gegen die der
Beigeladenen erteilten Baugenehmigung eingelegte Widerspruch mit erheblicher
Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben. Es sprechen gewichtige Anhaltspunkte dafür,
dass diese Baugenehmigung die Antragsteller nicht in nachbarschützenden Rechten
verletzt. Soweit das Ausmaß einzelner Beeinträchtigungen auf der Grundlage des
aktenkundigen Sachverhalts derzeit nicht abschließend erfasst werden kann, sind
Beeinträchtigungen allenfalls in einem solchen Ausmaß wahrscheinlich, dass sie den
Antragstellern für die Dauer des Hauptsacheverfahrens zugemutet werden können.
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Die Zulässigkeit der hier fraglichen Eisbahn richtet sich - unstreitig - nach § 34 Abs. 1
BauGB, da sie innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortsteils von N. liegt. Der
Antragsgegner hat rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass die Anlage der Beigeladenen unter
Berücksichtigung des Gebietscharakters als Mischgebiet nicht gegen das aus § 34 Abs.
1 BauGB, hier nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme verstößt. Welche
Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme stellt, hängt wesentlich von den
konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Danach kann umso mehr an Rücksichtnahme
verlangt werden, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die
Rücksichtnahme in diesem Zusammenhang zu Gute kommt; umgekehrt braucht
derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, umso weniger Rücksicht zu nehmen, je
verständlicher und unabweisbarer die von ihm mit seinem Vorhaben verfolgten
Interessen sind. Ein Verstoß gegen das so umschriebene objektiv-rechtliche Gebot der
Rücksichtnahme begründet erst dann eine Verletzung des subjektiv-rechtlichen Gebots
der Rücksichtnahme und damit eines nachbarrechtlichen Abwehrrechts, wenn in
qualifizierter und damit zugleich individualisierter Weise auf schützwürdige Interessen
eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Ein qualifizierter
Verstoß gegen schutzwürdige Interessen Dritter ist erst anzunehmen, wenn sich
unzumutbare Beeinträchtigungen ergeben,
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vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss
vom 7. Juni 1994 - 10 B 2923/94 -, Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter (NWVBl.)
1994, 421 m.w.N..
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Im Hinblick auf Immissionen kann insoweit auf die Bestimmungen des
Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) zurückgegriffen werden. Immissionen,
die das nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG zulässige Maß überschreiten, sind nicht
zumutbar und begründen unter dem Gesichtspunkt des Gebots der Rücksichtnahme ein
Abwehrrecht,
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vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteile vom 27. August 1998 - 4 C 5.98 -
Baurechtssammlung (BRS) 60 Nr. 83, vom 23. September 1999 - 4 C 6.98 -, BRS 62 Nr.
86 und vom 30. September 1983 - 4 C 74.78 -, BRS 40 Nr. 206; OVG NRW, Beschluss
vom 26. Februar 2003 - 7 B 2434/02 -, BRS 66 Nr. 176 = Baurecht (BauR) 2003, 1361 =
NWVBl. 2003, 343.
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Für die rechtliche Beurteilung des Nutzungskonflikts zwischen der Eisanlage des
Hotelbetriebs und dem Wohnhaus der Antragsteller enthält die aufgrund von § 23 Abs. 1
BImSchG erlassene Sportanlagenlärmschutzverordnung - 18. BImSchV - konkrete
normative Vorgaben, die jedenfalls grundsätzlich geeignet sind, das baurechtliche
Rücksichtnahmegebot zu konkretisieren. Allerdings ist fraglich, ob die 18. BImSchV
unmittelbar anwendbar ist. Gemäß § 1 Abs. 1 der 18. BImSchV gilt die
Sportanlagenlärmschutzverordnung für die Errichtung, die Beschaffenheit und den
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Betrieb von Sportanlagen, soweit sie zum Zwecke der Sportausübung betrieben werden
und einer Genehmigung nach § 4 BImSchG nicht bedürfen. Sportanlagen sind gemäß §
1 Abs. 2 der 18. BImSchV ortsfeste Einrichtungen im Sinne des § 3 Abs. 5 Nr. 1
BImSchG, die zur Sportausübung bestimmt sind. Der Vorschrift ist aber nicht zu
entnehmen, dass die Sportanlagenlärmschutzverordnung sämtliche
Erscheinungsformen körperlich-spielerischer Aktivität vom kindlichen Spielen bis zum
berufsmäßig betriebenen Leistungssport erfassen will. Kleinräumige Anlagen, wie hier
eine Eisbahn mit den Ausmaßen von nur 5,70 m x 25 m, die für die körperliche
Freizeitbetätigung eines kleinen Personenkreises, überwiegend von Kindern, bestimmt
sein dürfte, können möglicherweise bei wörtlicher, systematischer und historischer
Auslegung nicht als Sportanlagen im Sinne der Sportanlagenlärmschutzverordnung
angesehen werden,
vgl. hierzu: BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 2003 - 7 B 88.02 -, BRS 66 Nr. 171 =
BauR 2004, 471 = Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2003, 751; Bayerischer
Verwaltungsgerichtshof (BayVGH), Urteil vom 25. November 2002 - 1 B 97.1352 -, BRS
65 Nr. 185 = NVwZ-RR 2004, 20 zu Bolzplätzen.
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Der Ausschluss einer ummittelbaren Anwendung der
Sportanlagenlärmschutzverordnung auf kleinräumige Sportfreizeitanlagen - wie hier
einer kleinflächigen Eisbahn - steht einer Heranziehung im vorliegenden Fall jedoch
nicht entgegen. Es bietet sich nämlich an, die von solchen Anlagen ausgehenden
Geräuschemissionen mangels geeigneterer Vorschriften nach dem in der
Sportanlagenlärm-schutzverordnung festgelegten Ermittlungs- und Messverfahren zu
bestimmen, das der Besonderheit der bei Sport und Spiel auftretenden Geräusche
Rechnung trägt,
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vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 2003 - 7 B 88.02 - a.a.O.; BayVGH, Urteil vom
25. November 2002 - 1 B 97.1352 -, a.a.O.; Verwaltungsgericht Minden, Urteil vom 12.
Juni 2003 - 9 K 2082/02 - in: juris.
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Die Antragsteller werden im vorliegenden Fall durch die für ein Mischgebiet
vorgesehenen Immissionsrichtwerte der Sportanlagenlärmschutzverordnung, die als
Auflage Gegenstand der streitigen Baugenehmigung geworden sind, ausreichend
gegen die Eisbahn der Beigeladenen in ihren Rechten geschützt. Dies gilt
insbesondere auch deshalb, weil die Sportanlagenlärmschutzverordnung besondere
Ruhezeiten mit niedrigeren Immissionsrichtwerten, nämlich werktags von 20:00 Uhr bis
22:00 Uhr sowie sonn- und feiertags von 13:00 Uhr bis 15:00 Uhr und von 20:00 Uhr bis
22:00 Uhr mit Höchstwerten von 55 dB(A) gegenüber von 60 dB(A) außerhalb der
Ruhezeiten vorsieht.
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Anhaltspunkte dafür, dass die Richtwerte der Sportanlagenlärmschutzverordnung nicht
eingehalten werden könnten, sind weder konkret vorgetragen noch ersichtlich. Zum
Vorteil der Beigeladenen fällt ins Gewicht, dass das mittig in einem Reihenhauskomplex
gelegene Wohnhaus der Antragsteller auf der anderen Straßenseite der Laufenstraße in
einer Entfernung von ca. 37 m bis 50 m zu der streitigen Eisbahn liegt und zur Straße
hin und somit auch zur Eisbahn hin nur eine Gebäudefront von ca. 5 m aufweist, so dass
das Wohnhaus der Antragsteller nur zu einem geringen Teil den von der Eisbahn
ausgehenden Geräuschen ausgesetzt ist. Sollte sich herausstellen, dass die Richtwerte
der Sportanlagenlärmschutzverordnung nicht eingehalten werden, kann dies durch
Auflagen oder durch Aufhebung der Baugenehmigung im Hauptsacheverfahren
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korrigiert werden. Unzumutbare Belästigungen, die bis zum Ablauf der
Baugenehmigung am 4. März 2006 oder bis zum Abschluss des Hauptverfahrens nicht
hingenommen werden könnten, sind nicht erkennbar.
Soweit die Antragsteller befürchten, durch die Installation einer Musik- oder
Lautsprecheranlage in ihrer Ruhe unzumutbar beeinträchtigt zu werden, muss ihnen
entgegengehalten werden, dass solche Anlagen nicht Gegenstand der streitigen
Baugenehmigung sind und sie hiergegen ordnungsrechtliche Maßnahmen nach dem
Landesimmissionsschutzgesetz verlangen können.
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Es kann im hier vorliegenden summarischen Verfahren dahingestellt bleiben, ob das
Bauvorhaben der Beigeladenen nach den maßgeblichen, aber nicht
nachbarschützenden Vorschriften über eine ausreichende Anzahl von Stellplätzen
verfügt. Zwar kann ein Mangel an Stellplätzen eines Bauvorhabens unter besonderen
Umständen gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstoßen, wenn mit dem Vorhaben
eine Verschärfung der Verkehrssituation für Nachbargrundstücke, die durch Straßen-
und Parksuchverkehr situationsvorbelastet sind, verbunden ist und die sich hieraus
ergebende Gesamtbelastung die Eigentümer der Nachbargrundstücke bei Abwägung
aller Belange unzumutbar trifft. Eine solche unzumutbare Belastung ist hier angesichts
des geringen Umfanges der Eisbahn jedoch nicht erkennbar. Hinzu kommt, dass die
Anlage an der Stelle eines Biergartens betrieben wird, der in der Winterzeit keinen
Kraftfahrzeugverkehr durch Besucher verursacht. Da die streitige Eisbahn nur im Winter
bis zum 4. März 2006 betrieben werden kann, ist fraglich, ob durch ihren Betrieb
überhaupt ein zusätzlicher Kraftfahrzeugverkehr zu erwarten ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3, § 162 Abs. 3, § 159 VwGO. Es
entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht den
unterlegenen Antragstellern aufzuerlegen, da sich die Beigeladene nicht durch die
Stellung eines Sachantrages einem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat.
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Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 des Gerichts-
kostengesetzes (GKG) und orientiert sich an der sich für die Antragsteller ergebenden
Bedeutung der Sache.
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