Urteil des VG Aachen vom 25.11.2004
VG Aachen: taxi, berufsverbot, unschuldsvermutung, gewinnstreben, gewerbe, verordnung, gefahr, prostitution, abhängigkeit, anforderung
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Aachen, 2 L 914/04
25.11.2004
Verwaltungsgericht Aachen
2. Kammer
Beschluss
2 L 914/04
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
Der Antrag,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem
Antragsteller einen Personenbeförderungsschein zu erteilen,
hat keinen Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht eine
einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein
streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile nötig erscheint. Der jeweilige Antragsteller muss glaubhaft machen, dass ihm der
geltend gemachte Anspruch zusteht (Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer
gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn mit schlechthin
unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund), vgl. § 123 Abs. 1 und 3
VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Vorliegend fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches. Ein Anspruch
des Antragstellers auf Erteilung einer Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung ist derzeit
nicht ersichtlich.
Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in Verbindung mit § 48 Abs. 4
Nr. 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 18.
August 1998 (Fahrerlaubnis-Verordnung, FeV, BGBl I 2214), zuletzt geändert am 11.
September 2002 (BGBl I 3574), ist die Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung zu erteilen,
wenn der Bewerber das 21. Lebensjahr vollendet hat und die Gewähr dafür bietet, dass er
der besonderen Verantwortung bei der Beförderung von Fahrgästen gerecht wird (=
persönliche Zuverlässigkeit).
Diese persönliche Zuverlässigkeit ist beim Antragsteller nach der in einem einstweiligen
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Rechtsschutzverfahren notwendig summarischen Prüfung nicht gegeben.
In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die genannte Vorschrift als subjektive
Zulassungsvoraussetzung für die Berufsausübung unter dem Blickwinkel des Art. 12 Abs. 1
des Grundgesetzes zum Schutze wichtiger Gemeinschaftsgüter Bestand hat.
Vgl. Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 9. Oktober 1998 - 12 M 4206/98 -,
zitiert nach JURIS.
Der Begriff der Zuverlässigkeit, der auch in anderen verkehrs- und gewerberechtlichen
Vorschriften mit gleichem Sinngehalt vorkommt, bezeichnet, wie im Gewerberecht
allgemein, ein Instrument sicherheits- und ordnungsrechtlicher Gefahrenabwehr.
Zuverlässig ist danach derjenige, der die Erwartung rechtfertigt, dass er den Anforderungen
an eine ordnungsgemäße Ausübung der jeweiligen erlaubnispflichtigen Tätigkeit gerecht
werden wird. Diesem Erfordernis genügt, wer keinen Anlass zu der Befürchtung bietet,
dass er sich im Rahmen der von ihm angestrebten Betätigung über die zum Schutze der
Allgemeinheit oder einzelner vor Schäden und Gefahren erlassenen Vorschriften
hinwegsetzen wird. Ob er bei einer Würdigung seiner Gesamtpersönlichkeit in diesem
Sinne vertrauenswürdig ist, hat die Behörde ebenso wie in anderen Fällen der
Gefahrenprävention prognostisch zu beurteilen. Dabei ist es ihr nicht verwehrt, aus seinem
bisherigen Verhalten nachteilige Folgerungen für die Zukunft zu ziehen. Insbesondere
strafrechtliche Verfehlungen lassen sich gegebenenfalls als Indiz dafür werten, dass es der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung abträglich ist, den Bewerber zur Fahrgastbeförderung
zuzulassen. Auch Straftaten nichtverkehrsrechtlicher Art können in diesem Zusammenhang
bedeutsam sein. Zwar muss die Zuverlässigkeit jeweils in bezug auf die Tätigkeit gesehen
werden, für die die Erlaubnis begehrt wird. Jedoch ist es nicht erforderlich, dass der
Bewerber die ihm vorgehaltenen Zuwiderhandlungen in Ausübung dieser Tätigkeit
begangen hat. Es reicht aus, wenn die Art und Weise der Tatausführung
Charaktereigenschaften erkennen lässt, die sich im Falle der Personenbeförderung mit
Kraftfahrzeugen zum Schaden der Allgemeinheit oder der Fahrgäste auswirken können. In
diesem Sinne unzuverlässig ist, wer durch wiederholte Straffälligkeit einen Hang zur
Missachtung der Rechtsordnung dokumentiert. Aber auch ein einmaliges Fehlverhalten
kann die Unzuverlässigkeit begründen, wenn es schwer wiegt und ein sicheres Symptom
für eine Gesinnung oder Lebenseinstellung ist, die - wie etwa die Neigung zur Brutalitäten,
zu ungezügeltem Alkoholgenuss oder zu rücksichtslosem Gewinnstreben - eine
ordnungsgemäße Betätigung als Taxi- und Mietwagenfahrer nicht erwarten lässt.
Vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 17. April 1989 - 10 S
750/89 -, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht, Rechtsprechungsreport (NVwZ-RR) 1990,
164 m.w.N.
Dem folgend erweist sich der Antragsteller aufgrund der Taten, die der Verurteilung durch
das Landgericht Aachen vom 24. September 2003 (91 KLs 99 Js 239/01 30/01) zugrunde
liegen, als unzuverlässig (I). Dieser Wertung steht weder entgegen, dass das Urteil des
Landgerichts Aachen mittlerweile durch den Bundesgerichtshof (BGH) aufgehoben (II)
noch, dass in dem Urteil kein Berufsverbot ausgesprochen worden ist (III).
(I) Aus den unzweifelhaft durch den Antragsteller begangenen Taten lassen sich
ausreichende Anhaltspunkte für eine Gesinnung entnehmen, die auf die Missachtung von
Frauen und ein rücksichtsloses Gewinnstreben gerichtet ist. Eine solche Gesinnung bei
einem Taxi- oder Mietwagenfahrer stellt jedoch eine Gefahr für die Allgemeinheit dar. Die
Situation der Fahrgäste ist nämlich geprägt von einer gewissen Abhängigkeit aufgrund
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Ortsunkenntnis, körperlicher Konstitution, Tageszeit etc., die bei entsprechender
Gesinnung zur Ausnutzung verleiten kann.
Dem kann der Antragsteller nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass er nicht beabsichtige,
Fahrgäste der Prostitution zuzuführen. Für die vom Antragsgegner zu treffende
Prognoseentscheidung kommt es nicht darauf an, ob der entsprechende Antragsteller die
gleiche Straftat nochmals in Ausübung seines Gewerbes verüben werde, sondern, ob er
aufgrund der sich aus den Taten ergebenden Gesinnung Gewähr für eine
ordnungsgemäße Betätigung als Taxi- und Mietwagenfahrer bieten werde. Dies ist im
vorliegenden Fall angesichts der in den Taten des Antragstellers zum Ausdruck
gekommenen Gesinnung zu Recht verneint worden.
(II) Unbeachtlich ist, dass das Urteil des Landgerichts vom BGH aufgehoben wurde.
Entgegen der Annahme des Antragstellers gilt nämlich derzeit nicht zu seinen Gunsten die
gesetzliche Unschuldsvermutung. Ausweislich des von ihm auf mehrfache Anforderung
vorgelegten Urteils des BGH vom 17. März 2004 (2 StR 474/03) ist er nicht freigesprochen,
sondern der Schuldspruch mit Abänderung aufrecht erhalten und zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung über den Strafausspruch an das Landgericht
zurückverwiesen worden. Angesichts dieses Tenors, der das Landgericht gemäß §§ 354,
358 der Strafprozessordnung bindet,
vgl. zu dieser Teilrechtskraft: BGH, Beschluss vom 16. Februar 2000 - 3 StR 24/00 -, zitiert
nach JURIS,
kommt ein Eingreifen der gesetzlichen Unschuldsvermutung nicht mehr in Betracht.
(III) Schließlich ist auch das Absehen von einem Berufsverbot im strafgerichtlichen
Verfahren für das hiesige Verfahren ohne Belang. Im Rahmen des nach § 70 des
Strafgesetzbuches zu erlassenden Berufsverbotes kommt es maßgeblich auf die Prognose
an, ob der Betreffende in Ausübung seines Berufes oder Gewerbes nochmals straffällig
wird. Im hiesigen Verfahren ist dagegen eine Prognose über ein zukünftiges Gewerbe und
die persönliche Zuverlässigkeit im Hinblick auf dieses Gewerbe zu überprüfen.
Dementsprechend war der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes in
der Fassung des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004. Hierbei beziffert
die Kammer in Anlehnung an den Streitwertkatalog 2004 das wirtschaftliche Interesse des
Antragstellers an dem Erhalt eines Personenbeförderungsscheines mit dem zweifachen
Auffangwert, d.h. 10.000,00 EUR (für ein Hauptsacheverfahren),
vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 07./08. Juli
2004 in Leipzig beschlossenen Änderungen, Ziffer 46.12,
wovon im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Hälfte, also 5.000,00 EUR,
anzusetzen ist.