Urteil des VG Aachen vom 07.04.2004
VG Aachen: wohnung, unterkunftskosten, sozialhilfe, kündigung, ermessensfehlgebrauch, ermessensausübung, ermessensüberschreitung, einzug, zukunft, kontrolle
Verwaltungsgericht Aachen, 2 L 276/04
Datum:
07.04.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 L 276/04
Tenor:
Soweit der Antrag auf regelsatzmäßige Hilfe zum Lebensunterhalt
zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird
der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
Gründe:
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Streitig zu entscheiden ist im vorliegenden Verfahren - ausweislich der Erklärung des
Antragstellers gegenüber der Urkundsbeamtin der Geschäftstelle vom 29. März 2004 -
lediglich noch über die offen stehenden Unterkunftskosten. Soweit der Antragsteller
unpräzise bei der Rechtsantragsstelle vorgetragen hat , er wolle die Verfahren lediglich
hinsichtlich der Miete weiterführen, entnimmt die Kammer diesem Begehren den
sinngemäßen Antrag,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu
verpflichten, die gesamten Unterkunftskostenrückstände des Antragstellers für die
Wohnung im Hause U-straße 2 in B. in Höhe von 3.025,27 EUR aus Mitteln der
Sozialhilfe zu übernehmen,
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hilfsweise den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO
zu verpflichten, die für die Monate März 2004 (Zeitpunkt der Antragstellung) und April
2004 (Ende des Monats, in dem die gerichtliche Entscheidung ergeht) offen stehenden
Unterkunftskosten aus Mitteln der Sozialhilfe zu übernehmen,
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der keinen Erfolg hat.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO- kann das Gericht
eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf
ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der jeweilige Antragsteller muss glaubhaft
machen, dass ihm ein Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht
(Anordnungsanspruch) und dass das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in
einem Hauptsacheverfahren für ihn mit schlechthin unzumutbaren Nachteilen
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verbunden wäre (Anordnungsgrund), vgl. § 123 Abs. 1 und 3 VwGO in Verbindung mit §
920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung -ZPO-.
Nach diesen Maßstäben fehlt es im vorliegenden Fall zumindest an der
Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs.
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Nach der hier allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 15 a Abs. 1
Sätze 1 und 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) hat der Antragsteller keinen
Anspruch auf die begehrte Hilfeleistung. Nach dieser Vorschrift kann Hilfe zum
Lebensunterhalt in Fällen, in denen nach den vorstehenden Bestimmungen des
Gesetzes die Gewährung von Hilfe nicht möglich ist, gewährt werden, wenn dies zur
Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt
ist. Sie soll gewährt werden, wenn ohne sie Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Nach
der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
(OVG NRW) reicht die Gefahr des Verlustes der gegenwärtigen Wohnung nicht aus, um
drohende Wohnungslosigkeit annehmen zu können. Dies ist erst dann der Fall, wenn
damit zu rechnen ist, dass der Hilfesuchende nicht rechtzeitig zumutbaren Ersatz für die
bisherige Wohnung finden wird,
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Februar 1997 - 24 B 186/97 - und Beschluss vom
17. Juli 1998 - 24 B 370/98 - mit weiteren Nachweisen.
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Einen Verlust der Wohnung hat der Antragsteller bislang nicht glaubhaft gemacht. Nach
seinen eigenen Angaben gegenüber der Rechtsantragsstelle des Gerichts hat der
Vermieter seinen Mietrückstand bislang hingenommen, ohne eine Kündigung
auszusprechen. Im Übrigen sind selbst bei Ausspruch einer solchen Kündigung zurzeit
keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Antragsteller vor einem etwaigen endgültigen
Verlust seiner gegenwärtigen Wohnung nicht rechtzeitig eine andere sozialhilferechtlich
angemessene Wohnung finden könnte. Dies gilt nach den ständigen
Marktbeobachtungen der Kammer gerade auch angesichts der Marktsituation des
örtlichen Wohnungsmarktes bei Ein- und Zweiraumwohnungen, die für alleinstehende
Hilfeempfänger in Betracht kommen. Bis zum Abschluss eines eventuellen
Klageverfahrens des Vermieters auf Räumung der Wohnung verbliebe dem
Antragsteller hinreichend Zeit, eine sozialhilferechtlich angemessene Wohnung zu
suchen und zu finden.
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Soweit die Übernahme der rückständigen Unterkunftskosten nach § 15a Satz 1 BSHG
im freien Ermessen des Antragsgegners steht, lassen sich Fehler bei der nach § 114
VwGO nur eingeschänkten Kontrolle von Ermessensentscheidungen nicht feststellen.
Es unterliegt nach § 114 Satz 2 BSHG auch keinen rechtlichen Bedenken, dass der
Antragsgegner die maßgeblichen Ermessenserwägungen erst im gerichtlichen
Verfahren dargetan hat. Gesichtspunkte, welche eine Ermessensreduzierung auf Null
zugunsten des Antragstellers im vorliegenden Fall rechtfertigen könnten, sind weder
ersichtlich noch vorgetragen.
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Die Kammer, die die Auffassung vertritt, dass im einstweiligen Anordungsverfahren bei
fehlerhafter Ermessensausübung auch eine Verpflichtung des zuständigen
Sozialhilfeträgers zur Neubescheidung erstritten werden kann, vermag aber hier in der
streitbefangenen Versagung des Antragsgegners weder einen Ermessensfehlgebrauch
noch eine Ermessensüberschreitung zu erkennen. Es ist insbesondere nicht
rechtsfehlerhaft, dass die Ausrichtung der Ermessensentscheidung daran anknüpft,
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dass der Antragsteller zum 1. Oktober 2001 die Wohnung im Hause U-straße 2
angemietet und bezogen hat, obwohl der Antragsgegner der Anmietung ausweislich
eines Aktenvermerks vom 19. September 2001 seine Zustimmung wegen
Unangemessenheit der Miethöhe ausdrücklich versagte und dem Antragsteller die
Konsequenzen - Übernahme nur der angemessenen Unterkunftskosten, keine Kaution,
keine Renovierungskosten und keine Nebenkostennachzahlungen - ausdrücklich
ankündigte. Dies hatte den Antragsteller nach Aktenlage zunächst veranlasst, nochmals
zu überdenken, ob er die Wohnung U-straße 2 wirklich beziehen will. Nach dem Einzug
des Antragstellers wurde dann eine entsprechende Regelung des Hilfebezugs mit
Bescheid vom 5. Oktober 2001 umgesetzt, der vom Antragsteller nicht mit einem
Rechtsmittel angegriffen wurde und somit bestandskräftig ist. Deshalb ist es dem
Antragsgegner rechtsfehlerfrei möglich, an diese getroffene Entscheidung anzuknüpfen.
Dies gilt auch schon deshalb, weil keine schwer wiegenden Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 5. Oktober 2001 bestehen
Nichts anders gilt für den Hilfsantrag. Auch die bei der Hilfegewährung
unberücksichtigten Unterkunftskostenanteile für die Monate März und April 2004 können
hier nicht erstritten werden, da der Antragsgegner zu Recht mit Bescheid vom 5. Oktober
2001 bestimmt hat, in Zukunft lediglich die angemessenen Unterkunftskosten für diese
Wohnung zu übernehmen. Bei dieser Sachlage hat der Antragsteller keine Änderung
der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse glaubhaft gemacht, die ein Abweichen
von diesem Bescheid rechtfertigen.
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Soweit der Antragsteller bei seiner Vorsprache bei der Rechtsantragstelle des Gerichts
erklärte, lediglich noch bezüglich der Miete das Verfahren weiter zu führen, sieht die
Kammer darin eine Antragsrücknahme bezüglich des Begehrens auf Bewilligung
regelsatzmäßiger Hilfe. Das Verfahren war deshalb diesbezüglich nach § 92 Abs. 3
VwGO in entsprechender Anwendung einzustellen. Die Kostenentscheidung beruht -
soweit streitig zu entscheiden war - auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO, soweit der
Antrag zurückgenommen wurde, auf den §§ 155 Abs. 2, 188 Satz 2 VwGO.
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