Urteil des VG Aachen vom 15.07.2002

VG Aachen: gerichtshof der europäischen gemeinschaften, schutz der gesundheit, aufschiebende wirkung, eugh, kreis, behörde, gemeinschaftsrecht, vollziehung, öffentlich, kontrolle

Verwaltungsgericht Aachen, 6 L 116/02
Datum:
15.07.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 L 116/02
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000,-- EUR festgesetzt.
G r ü n d e:
1
I. Der antragstellende Kreis wendet sich gegen eine dem beigeladenen
Entsorgungsunternehmen erteilte Zustimmung zur Verbringung von Abfällen in die
Niederlande.
2
Mit Antrag vom 10. Juli 2001, eingegangen am 19. Juli 2001, notifizierte die
Beigeladene der Antragsgegnerin das Vorhaben, Abfälle zum Zwecke der Verwertung
in die Niederlande zu verbringen. Im Notifizierungsbogen (Nr. 0000/000000) erläuterte
sie:
3
Bei dem Abfall handele es sich um gebrauchte Inkontinenzwäsche (Windeln) mit einer
chemischen Zusammensetzung aus 24 % Zellstoff, 8-10% Kunststoff, 3-5 % SAP
(Polymer) und 61-65 % Fäkalien. Die Windeln seien nach der OECD-Einstufung der
gelben Liste (Nr. AD 160: Kommunale Abfälle oder Hausmüll) zuzuordnen. Der
Empfänger des Abfalls, die niederländische Firma L. B.V. in B. (NL), werde das
beschriebene Stoffgemisch in einem "Trenn-Wasch-Verfahren" verwerten. Die
beabsichtigte Verwertungsmaßnahme entspreche der Code-Nr. R3, sei also eine
"Verwertung/Rückgewinnung organischer Stoffe, die nicht als Lösemittel verwendet
werden."
4
Als Abfallerzeuger gab die Beigeladene Gesundheitseinrichtungen (Krankenhäuser
bzw. Alten- und Pflegeheime) an, darunter auch solche, die im Kreisgebiet des
Antragstellers ansässig sind. Geplant seien 110 Abfallverbringungen in der Zeit vom 16.
August 2001 bis zum 15. August 2002. Die Gesamtmenge des zu verbringenden Abfalls
betrage 1.000 Tonnen.
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Die Antragsgegnerin notifizierte das Vorhaben den niederländischen Behörden und
erhob mit Schreiben vom 16. August 2000 zunächst Einwände gegen die geplante
Abfallverbringung. Die Beigeladene benannte daraufhin die Firmen, welche die bei der
Abfallbehandlung in den Niederlanden zurückgewonnenen Kunststoff- und
Zellfraktionen abnehmen.
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In ihrem Beschluss ("Besluit") vom 12. November 2001 entschied die zuständige Stelle
des niederländischen Umweltministeriums (Directoraat-Generaal Milieubeheer) keine
Einwände gegen die grenzüberschreitende Abfallverbringung zu erheben.
7
Mit einem an die Beigeladene gerichteten Bescheid vom 10. September 2001 stimmte
die Antragsgegnerin der notifizierten Abfallverbringung unter Anordnung von Auflagen
zu. Am 22. November 2001 erhob der Antragsteller Widerspruch. Auf den Antrag der
Beigeladenen ordnete die Antragsgegnerin am 19. Dezember 2001 die sofortige
Vollziehung des Zustimmungsbescheides an.
8
Dagegen hat der Antragsteller am 7. Februar 2002 um einstweiligen Rechtsschutz
nachgesucht und trägt vor: Er sei durch die Zustimmung zur grenzüberschreitenden
Abfallverbringung in seiner Rechtsposition als öffentlich- rechtlicher Entsorgungsträger
betroffen. Die in Rede stehenden Inkontinenzmaterialien stammten unter anderem von
auf seinem Kreisgebiet ansässigen Gesundheitseinrichtungen in den Städten B. , F. und
X. . Es handele sich um Abfall zur Beseitigung, der nach Maßgabe des einschlägigen
Satzungsrechts entweder ihm oder der jeweiligen kreisangehörigen Kommune
anzudienen sei. Die Einstufung als (nicht andienungspflichtiger) Abfall zur Verwertung,
wie sie die Antragsgegnerin vornehme, stehe im Widerspruch zu abfallrechtlichen
Vorschriften. So sei die geplante Aufbereitung des Abfalls in den Niederlanden keine
Abfallverwertung im Sinne des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes und damit keine
gegenüber der Verbrennung in der ortsnahen Müllverbrennungsanlage in X.
vorzugswürdige Art der Abfallbehandlung. Diese ergebe sich aus der gutachterlichen
Stellungnahme von Prof. Dr.-Ing. Thomas Pretz (RWTH B1. ) vom 22. Februar 2000. Der
Antragsteller legt seine Ansicht im einzelnen dar und führt zusammenfassend aus: Er
habe als örtlich zuständige untere Abfallwirtschaftsbehörde die Einhaltung der
gesetzlich vorgesehenen Entsorgungsstruktur sicherzustellen. Mit der angegriffenen
Zustimmmung zur Abfallverbringung werde Abfall unter dem Deckmantel der
Verwertung der kommunalen Abfallentsorgung entzogen.
9
Der Antragsteller beantragt,
10
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der
Antragsgegnerin vom 10. September 2001 über die der Beigeladenen erteilte
Zustimmung zur grenzüberschreitenden Abfallverbringung wiederher-zustellen.
11
Die Antragsgegnerin beantragt,
12
den Antrag abzulehnen.
13
Zur Begründung stützt sie sich auf die angegriffene Entscheidung und hält an der
Anordnung der sofortigen Vollziehung fest. Der Antrag sei bereits mangels
Rechtsbetroffenheit des Antragstellers unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Die
beabsichtigte Verwertung der Inkontinenzmaterialien erfolge ordnungsgemäß und
schadlos. Dies folge aus einem fachtechnischen Gutachten des Fraunhofer-Instituts für
14
Materialfluss und Logistik vom Dezember 2000 ("Ökologische Bilanz der Entsorgung
von Inkontinenz-System-Abfall aus öffentlichen Einrichtungen"). Darin kämen die
Gutachter zu dem Ergebnis, dass Inkontinenz-System-Abfall als Abfall zur Verwertung
einzustufen sei, soweit er nach dem hier in Rede stehenden L. -Verfahren aufbereitet
und verwertet werde.
Die Beigeladene beantragt,
15
den Antrag abzulehnen.
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Sie tritt der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin bei und trägt vorsorglich zur weiteren
Verwertung der Stoffe (Zellstoff, Kunststoff, Schlammprodukte) vor, die von der Firma L.
B.V. bei der Aufarbeitung des Inkontinenzmaterials zurückgewonnen werden. Auch sei
zu berücksichtigen, dass die vom Antragsteller für berechtigt gehaltenen Einwände
gegen die abfallrechtliche Notifizierung nicht fristgerecht erhoben und schon deswegen
nach den Vorgaben der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen
Gemeinschaften vom 27. Februar 2002, Rs. C 6/00, "ASA ./. BMU", ausgeschlossen
seien. Die Präklusion nicht fristgerecht erhobener Einwände bei der Anwendung der
EG-AbfallverbringungsVO sei ein wesentliches Indiz gegen den vom Antragsteller
geltend gemachten drittschützenden Charakter der im Notifizierungsverfahren zu
beachtenden Normen.
17
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten und der umfangreichen gutachterlichen
Stellungnahmen sowie der sonstigen Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und auf die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.
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II.
19
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 80a Abs. 1 und 3 i.V.m. § 80 Abs. 5
VwGO) ist unzulässig.
20
Der Antragsteller ist mangels Rechtsbetroffenheit nicht antragsbefugt.
21
Er kann nicht geltend machen, durch die der Beigeladenen erteilte Zustimmung zur
grenzüberschreitenden Abfallverbringung in eigenen Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs.
2 VwGO). Diese in Bezug auf die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ausdrücklich
geregelte Zulässigkeitsvoraussetzung der Klagebefugnis gilt sinngemäß für den auf
diese Verfahren bezogenen Eilrechtsschutz, mithin auch für den -hier gegebenen-
Antrag auf Aussetzung der Vollziehung nach §§ 80, 80a VwGO,
22
vgl. Funke-Kaiser in: Bader/Funke- Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO 1999, § 80 Rn.
70.
23
Der Zweck des § 42 Abs. 2 VwGO, Popularverfahren auszuschließen, ist auch bei
Rechtsschutzersuchen von kommunalen Gebietskörperschaften, zu denen der
antragstellende Kreis als Gemeindeverband zählt, zu beachten. Diesen steht es nicht
zu, als eine Art "Sachwalter des öffentlichen Interesses" eine gerichtliche Überprüfung
zu beanspruchen, die als objektives Kontroll- oder Beanstandungsverfahren auf eine
allgemeine Einhaltung des öffentlichen Rechts abzielt.
24
Der Auffassung des Antragstellers, er sei als untere Abfallwirtschaftsbehörde ermächtigt,
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im Wege der Anrufung des Verwaltungsgerichts zu kontrollieren, ob die
Antragsgegnerin abfallrechtliche Vorschriften beim Erlass des streitbefangenen
Zustimmungsbescheides eingehalten habe, ist daher schon im Ansatz nicht zu folgen.
Behördliche Zuständigkeiten vermitteln kein Recht auf gerichtliche Kontrolle.
Andernfalls käme es zu Überschreitungen der zum Vollzug des Abfallrechts gesetzlich
bestimmten Behördenzuständigkeit.
So führt die Antragsgegnerin als Bezirksregierung und übergeordnete obere
Abfallwirtschaftsbehörde die Aufsicht über den antragstellenden Kreis als untere
Abfallwirtschaftsbehörde, vgl. §§ 34 Abs. 1, 37 des Abfallgesetzes für das Land
Nordrhein-Westfalen (Landesabfallgesetz -LAbfG-), nicht aber umgekehrt. Auch besitzt
der Antragsteller als untere Abfallwirtschaftsbehörde gemäß § 34 Abs. 1 LAbfG eine klar
begrenzte Aufgabenzuständigkeit. Nicht dazu zählt die -hier in Rede stehende-
Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 vom 1. Februar 1993 zur Überwachung
und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen
Gemeinschaft, Abl. Nr. L 30 vom 6. Februar 1993, S. 1 (künftig: EG-
AbfallverbringungsVO), die -im Wesentlichen- der Vollzugskompetenz der
Antragsgegnerin als der örtlich zuständigen Bezirksregierung unterfällt, vgl. dazu
Gliederungsnummer 30.2 ff. der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten auf dem
Gebiet des technischen Umweltschutzes vom 14. Juni 1994.
26
Ist die behördliche Zuständigkeit zur Wahrnehmung abfallwirtschaftlicher Aufgaben
demnach erkennbar nicht geeignet, die Befugnis begründen, ein
verwaltungsgerichtliches Verfahren einzuleiten, kommt es darauf an, ob aus anderen
Gesichtspunkten eine Verletzung des Antragstellers in eigenen Rechten bei unterstellter
Rechtswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme zumindest als möglich angenommen
werden muss,
27
vgl. insoweit: BVerwG , Urteil vom 30. April 1980 - 7 C 91/79 -, NJW 1980, 2268.
28
Auch daran fehlt es hier. Eine Verletzung des Antragstellers in seinem
verfassungsrechtlich gewährleisteten und damit rechtsschutzfähigen
Selbstverwaltungsrecht scheidet aus, weil die streitbefangene Entscheidung diese
Rechtsstellung unangetastet lässt. Vielmehr ist es dem Antragsteller unbenommen, von
seinem Recht auf Selbstverwaltung Gebrauch zu machen und die ihm eingeräumten
abfallrechtlichen Befugnisse auszuüben, um die kommunalen
Abfallentsorgungsinteressen zu wahren, deren Beeinträchtigung er vorliegend geltend
macht.
29
Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes gewährleistet ebenso wie Art. 78 Abs. 1 der
Landesverfassung NRW den Kreisen als Gemeindeverbänden das Recht der
Selbstverwaltung. Dieses Recht umfasst die Befugnis zur grundsätzlich
eigenverantwortlichen Führung der Geschäfte, bei den Gemeinden in grundsätzlich
allen Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, bei den Kreisen grundsätzlich in
allen auf das Kreisgebiet beschränkten überörtlichen Angelegenheiten, zu denen auch
Aufgaben der Abfallentsorgung zählen,
30
vgl. in diesem Zusammenhang: BVerfG, Beschluss vom 23. November 1988 - 2 BvR
1619, 1626/83 - BVerfGE 79, 127 ff. "Rastede".
31
Die abfallrechtlichen Rechte und Pflichten des antragstellenden Kreises, die als
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Gegenstand seines Rechts auf kommunale Selbstverwaltung in Betracht kommen, sind
einfachgesetzlich ausgestaltet: Der Antragsteller zählt zu den öffentlich- rechtlichen
Entsorgungsträgern im Sinne von § 15 Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz (KrW-
/AbfG), wie sich aus § 5 Abs. 1 LAbfG ergibt. Diese Stellung begründet seine öffentlich-
rechtliche Entsorgungspflicht. Soweit aus der Entsorgungsverpflichtung ein
Entsorgungsanspruch erwächst, ist dieser allerdings -wie der Antragsteller nicht
verkennt- auf Abfälle zur Beseitigung beschränkt.
Anders als der Antragsteller meint, stünden ihm rechtsschutzfähige Positionen
gegenüber dem angegriffenen Zustimmungsbescheid aber selbst dann nicht zu, wenn
man einmal die von ihm vertretene Rechtsauffassung als zutreffend unterstellt, wonach
die als "Abfall zur Verwertung" notifizierten Inkontinenzmaterialien in Wahrheit als Abfall
zur Beseitigung zu klassifizieren seien.
33
Sollten in diesem -unterstellten- Fall ausnahmsweise Andienungspflichten unmittelbar
gegenüber dem antragstellenden Kreis als dem zuständigen öffentlich- rechtlichen
Entsorgungsträger zu bejahen sein, (z.B. die Andienungspflicht des
Kreiskrankenhauses N. in X. das davon befreit sei, Abfälle durch die kreisangehörige
Kommune einsammeln und transportieren zu lassen) so bliebe es dem Antragsteller
unbenommen, diese abfallrechtlichen Pflichten durch eigene behördliche Anordnungen
durchzusetzen.
34
Unerheblich ist, ob er dies nach Maßgabe eines in seiner Abfallentsorgungssatzung
geregelten Anschluss- und Benutzungszwanges oder in Anwendung seiner Befugnis
aus § 21 Abs. 1 KrW-/AbfG beabsichtigt. In keinem Falle wäre der angegriffene
Zustimmmungsbescheid ein rechtliches Hindernis für ein Tätigwerden des
Antragstellers, um seiner Rechtsauffassung über die Andienungspflicht gebrauchter
Windeln Geltung zu verschaffen.
35
Darauf hat die Antragsgegnerin mehrfach hingewiesen und dies zutreffend damit
begründet, dass eine Bindung des Antragstellers an die von ihr im Rahmen der
Abfallverbringung getroffene Einstufung des Einweg-Inkontinenzmaterials als Abfall zur
Verwertung schon deshalb ausscheidet, weil das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz
keine Befugnis der Behörden kennt, mit konstitutiver Wirkung im einzelnen zu
bestimmen, welche Abfälle als Abfälle zur Verwertung bzw. als solche zur Beseitigung
anzusehen sind. Diese schwierige Zuordnungsfrage hat der Antragsteller in eigener
Zuständigkeit allein am Maßstab der gesetzlichen Vorgaben des europäischen und
nationalen Abfallrechts zu beantworten. Nicht etwa rechtliche Nachteile, sondern
allenfalls die Akzeptanz und die Rechtsmittelanfälligkeit seines Verwaltungshandelns
stehen auf dem Spiel, wenn der Inhalt der angegriffenen Zustimmungsentscheidung den
im Kreis B1. ansässigen Gesundheitseinrichtungen deutlich vor Augen führt, dass der
Antragsteller bei einem etwaigen Einschreiten Inkontinenzmaterialien anders einstuft als
die Antragsgegnerin.
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Die fehlende Antragsbefugnis des Antragstellers kann nicht etwa deshalb
unberücksichtigt bleiben, weil sich das Rechtsschutzersuchen gegen einen auf
Gemeinschaftsrecht gestützten Bescheid richtet.
37
Vgl. insoweit Frenz, Subjektiv-öffentliche Rechte aus Gemeinschaftsrecht vor deutschen
Verwaltungsgerichten, DVBl. 1995, 408 ff.
38
Die Antragsgegnerin hat vorliegend in Durchführung der EG- AbfallverbringungsVO
gehandelt. Der von ihr erlassene abfallrechtliche Notifizierungs- und
Zustimmungsbescheid ist Ausdruck des nationalen Vollzugs des Gemeinschaftsrechts.
In derartigen Fällen richtet sich das Verfahren der gerichtlichen Kontrolle mangels
gemeinschaftsrechtlicher Regelung grundsätzlich nach den nationalen
Verfahrensbestimmungen,
39
vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), Urteil vom 14. Dezember
1995, Rs. C-312/93, "Peterbroek", Slg. 1995, S. I- 4599, Rn. 12.
40
mithin auch nach § 42 Abs. 2 VwGO.
41
Allerdings hat die Anwendung dieser Vorschrift mit der Maßgabe zu erfolgen, dass die
Durchsetzung von Rechten aus dem Gemeinschaftsrecht nicht übermäßig erschwert
oder gar unmöglich gemacht wird,
42
vgl. EuGH, a.a.O., "Peterbroek", Slg. 1995, S. I- 4599, Rn. 12.
43
Auch nach diesen Vorgaben steht dem Antragsteller eine Antragsbefugnis nicht zu.
44
Zwar ist die EG-AbfallverbringungsVO als Rechtsakt im Sinne des Art. 249 Abs. 2 EG
(Art. 189 Abs. 2 EGV a.F.) in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem
Mitgliedstaat. Die allgemeine Geltung dieser Gemeinschaftsnorm ist aber keine
hinreichende Voraussetzung dafür, dass jedermann, mithin auch ein kommunaler
Entsorgungsträger, ihre Einhaltung gerichtlich erzwingen könnte,
45
vgl. auch VG Darmstadt, Beschluss vom 26. September 1997 - 8 G 1719/97(3), Seite 8 f.
des Beschlussabdrucks.
46
Vielmehr ist eine Rechtsposition, auf die der Einzelne sich im Gerichtsverfahren stützen
kann, nach der auf den Interessenschutz abstellenden Systematik des
Gemeinschaftsrechts erst dann zu bejahen, wenn die betreffende Gemeinschaftsnorm
auch ein "individuelles Recht" verleihen will,
47
vgl. Hirsch, Europarechtliche Perspektiven der Verwaltungsgerichtsbarkeit, VBlBW
2000, 71 ff. (74/75).
48
Eine derartige Begünstigung des Antragstellers durch Bestimmungen der EG-
AbfallverbringungsVO ist nicht erkennbar.
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Notifiziert eine Person - wie hier die Beigeladene - ihre Absicht, zur Verwertung
bestimmte Abfälle in einen anderen Mitgliedstaat zu verbringen, so kann diese
Verbringung unter anderem dann erfolgen, wenn die jeweils am Bestimmungs- und
Versandort zuständige Behörde -wie hier geschehen- ihre schriftliche Zustimmung erteilt
(vgl. Art. 7 Abs. 2 Unterabsatz 2 und Art. 8 Abs. 1 Satz 3 EG- AbfallverbringungsVO).
50
Umgekehrt hat die Verbringung von Abfällen -worauf der Antragsteller abzielt- zu
unterbleiben, wenn die zuständige Behörde -hier die Antragsgegnerin für den
Versandort- aus den in Art. 7 Abs. 4 Buchstabe a) EG-AbfallverbringungsVO genannten
Gründen dagegen Einwände erhebt.
51
Letztgenannte Bestimmung lässt einen Schutz der Interessen kommunaler
Entsorgungsträger nicht erkennen. Vielmehr zielt die Regelung auf die Wahrung eines
hohen Schutzniveaus für Umwelt und menschliche Gesundheit ab. Zur Gewährleistung
dieser Allgemeinwohlbelange ist der jeweils zuständigen nationalen Behörde -hier der
Antragsgegnerin- die Befugnis eingeräumt, gegen notifizierte Abfallverbringungen
Einwände zu erheben.
52
Das gilt insbesondere für den Einwand aus Art. 7 Abs. 4, Buchstabe a) 5. Spiegelstrich
EG-AbfallverbringungsVO. Danach kann eine notifizierte Abfallverbringung verhindert
werden, wenn die im Zielstaat geplante Verwertung unter wirtschaftlichen und
ökologischen Gesichtspunkten nicht gerechtfertigt ist. Bei dieser Einschätzung ist
abzustellen auf den Anteil an verwertbarem und nicht verwertbarem Abfall, den
geschätzten Wert der letztlich verwertbaren Stoffe oder die Kosten der Verwertung und
die Kosten der Beseitigung des nicht verwertbaren Anteils. Die Prüfung dieser
Gesichtspunkte, die die Antragsgegnerin unter anderem anhand der
Geschäftsunterlagen der Firma L. B.V. vorgenommen hat, dient Umweltschutzbelangen,
nicht aber den Interessen des Antragstellers.
53
Der Einwand nach Art. 7 Abs. 4 Buchstabe a) 2. Spiegelstrich EG-
AbfallverbringungsVO, der dann erhoben werden kann, wenn die Verbringung nicht
gemäß den nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erfolgt, betrifft
mitgliedstaatliche Normen "zum Schutz der Umwelt, zur Wahrung der öffentlichen
Sicherheit und Ordnung oder zum Schutz der Gesundheit" und zielt schon nach seinem
Wortlaut auf Gemeinwohlbelange ab.
54
Rechtsschutzfähige Positionen des Antragstellers aus der EG- AbfallverbringungsVO
wären selbst dann nicht gegeben, wenn man -wie schon oben- einmal die von ihr
vertretene Rechtsauffassung als zutreffend unterstellt, wonach die als "Abfall zur
Verwertung" notifizierten Inkontinenzmaterialien als Abfall zur Beseitigung anzusehen
seien.
55
Zwar wäre in diesem Fall die Verbringung der Abfälle nicht mehr Ausdruck der im
Gemeinschaftsrecht geschützten Warenverkehrsfreiheit mit der Folge, dass für ihre
Zulässigkeit nach Maßgabe des Art. 4 EG-AbfallverbringungsVO die Grundsätze der
Entsorgungsnähe und der Entsorgungsautarkie Gewicht erlangten,
56
vgl. EuGH, Urteil vom 25. Juni 1998, Rs. C- 203/96 "Dusseldorp", Internet:
"http://www.europa.eu.int/cj/de".
57
Es ist aber nicht ersichtlich, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber mit diesen
Bestimmungen rechtsschutzfähige Positionen kommunaler Entsorgungsträger
begründen wollte, so dass sich vorliegend an der fehlenden Antragsbefugnis des
Antragstellers nichts änderte.
58
Die angerufene Kammer hat die vorstehenden Erwägungen zum (fehlenden) Drittschutz
der EG-AbfallverbringungsVO bereits mit ihrem (den Beteiligten bekannten) Beschluss
vom 27. Juni 2001 -6 L 17/01- dargelegt. Durch die zwischenzeitlich ergangene
abfallrechtliche Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften, auf
deren Bedeutung die Beigeladene zu Recht hinweist, sieht sie sich in ihrer
Rechtsauffassung bestätigt.
59
So hat der Gerichtshof den abschließenden Charakter des im Notifizierungsverfahren
nach der EG-AbfallverbringungsVO zur Wahrung öffentlicher Belange vorgesehenen
Einwandsystems hervorgehoben,
60
vgl. EuGH, Urteil vom 13. Dezember 2001, Rs. C-324/99, "DaimlerChrysler", Rdnr. 50,
DVBl. 2002, 246; Urteil vom 27. Februar 2002, Rn. 35 ff., Rs. C- 6/00 "ASA./.BMU",
DVBl. 2002, 539; Frenz, Urteilsanmerkung, DVBl. 2002, 543.
61
Für den vorliegend in Rede stehenden Fall, dass die zuständige Behörde am
Versandort zu prüfen hat, ob eine geplante Verbringung, die in der Notifizierung als
"Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen" eingestuft ist, dieser Zuordnung
tatsächlich entspricht, hat der Gerichtshof klargestellt, dass -erstens- die Prüfung am
Maßstab der gemeinschaftsrechtlichen Begrifflichkeit über die Abfallkategorien zu
erfolgen hat und -zweitens- ein etwaiger "Einwand des falschen Verfahrens" wie andere
Einwände auch innerhalb der 30tägigen Frist des Art. 7 Abs. 2 EG-
AbfallverbringungsVO erfolgen muss,
62
vgl. EuGH, Urteil vom 27. Februar 2002, Rs. C- 6/00, "ASA./.BMU", DVBl. 2002, 539.
63
Damit liegen gemeinschaftsrechtliche Gesichtspunkte vor, die zusätzlich gegen die vom
Antragsteller geltend gemachte Dritt(klage)berechtigung im Notifizierungsverfahren
sprechen. Insbesondere verlöre die im Interesse der notifizierenden Person, hier der
Beigeladenen, vorgesehene Verfahrensgarantie, wonach behördliche Einwände gegen
die beabsichtigte Abfallverbringung nach Ablauf der 30-Tage-Frist ausgeschlossen
sind, ihre praktische Wirksamkeit ("effet utile"), wenn eine Drittbehörde, hier der
Antragsteller, gleichwohl befugt wäre, die Nichterhebung von Einwänden in einem
langwierigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren überprüfen zu lassen.
64
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären (vgl. § 162
Abs. 3 VwGO), da sie sich durch eine eigene Antragstellung einem Kostenrisiko
ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
65
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes
(GKG). Wegen des lediglich vorläufigen Charakters der begehrten
Aussetzungsentscheidung setzt die Kammer die Hälfte des für die Rechtsverfolgung in
der Hauptsache in Betracht kommenden Streitwertes in Höhe von 20.000,- EUR an. Das
in der Hauptsache verfolgte Interesse an der Aufhebung des der Beigeladenen erteilten
Bescheides wäre seiner Bedeutung nach mit dem Ansatz des Regelwerts (4.000,- EUR)
nicht mehr angemessen erfasst.
66