Urteil des VG Aachen vom 30.03.2006
VG Aachen: nebentätigkeit, genehmigung, zeitungsverlag, verfügung, wettbewerbsverhältnis, anweisung, ermessensspielraum, unbefangenheit, behörde, vollstreckung
Verwaltungsgericht Aachen, 1 K 3874/04
Datum:
30.03.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 3874/04
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides der O. C. der E. Q.
B. vom 22. April 2004 und Aufhebung deren Widerspruchsbescheides
vom 24. August 2004 verpflichtet, über den Antrag des Klägers vom 24.
Mai 2004 auf Erteilung einer Genehmigung für eine Nebentätigkeit als
Zeitungszusteller für den B1. Zeitungsverlag unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur
Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger
vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
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Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger eine
Genehmigung zur Ausübung einer Nebentätigkeit als Zeitungsbote bei dem B1.
Zeitungsverlag zu erteilen.
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Nach einer Ausbildung zur Dienstleistungsfachkraft und Absolvierung der Probezeit
wurde der am 9. April 1967 geborene Kläger mit Wirkung vom 9. April 1994 zum
Beamten auf Lebenszeit ernannt. Er ist im Amt eines Postbetriebsassistenten als
Zusteller bei der O. C. der Beklagten beschäftigt. Auf seinen Antrag hin genehmigte ihm
die Beklagte mit Bescheid vom 22. August 1995 gemäß § 65 Abs. 1 des
Bundesbeamtengesetzes (BBG) eine Nebentätigkeit als Zeitungsbote bei der B1.
Volkszeitung. Mit Formblatt vom 29. April 1998 informierte der Kläger die Dienststelle
über die weitere Ausübung der Nebentätigkeit morgens zwischen fünf und sechs Uhr.
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Mit Verfügung vom 15. Januar 2004 wies die O. C. den Kläger darauf hin, dass seine
Nebentätigkeit den Genehmigungszeitraum von fünf Jahren überschritten habe und
dass eine weitere Genehmigung gemäß Anweisung der Zentrale 521-1 vom 15.02.2001
nicht mehr möglich sein werde. Eine weitere inhaltsgleiche Verfügung erfolgte unter
dem 13. Februar 2004, nachdem der Kläger sich nicht gemeldet hatte.
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Mit Schreiben vom 26. Februar 2004 erhob der Kläger "Einspruch" gegen das
Schreiben vom 13. Februar 2004 und führte aus, es sei für ihn nicht nachvollziehbar,
dass nach mehrmaliger Genehmigung der Nebentätigkeit dies nun nicht mehr möglich
sein solle, zumal der B1. Zeitungsverlag kein Konkurrenzunternehmen der E. Q. sei, das
von der Anweisung der Zentrale 521-1 erfasst werde.
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Nach Einholung der Zustimmung des Betriebsrats untersagte die O. C. mit Verfügung
vom 22. April 2004 dem Kläger die Ausübung der bisher durchgeführten Nebentätigkeit
in erster Linie mit der Begründung, dass diese Tätigkeit bei einem Wettbewerbs- bzw.
Konkurrenzunternehmen ausgeübt werde. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden
Liberalisierung und eines sich verschärfenden Wettbewerbs sei die Tätigkeit bei
Konkurrenzunternehmen im Rahmen einer Nebentätigkeit grundsätzlich nicht mehr
hinnehmbar.
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Nachdem die Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 18. Mai 2004 Widerspruch
gegen die Verfügung eingelegt hatten, beantragte der Kläger mit Formblatt vom 24. Mai
2004 die Genehmigung einer Nebentätigkeit bei dem B1. Zeitungsverlag GmbH als
Zusteller im Umfang von 7 Stunden/Woche in der Zeit von fünf bis sechs Uhr morgens.
Mit weiterem Schriftsatz vom 5. Juli 2004 begründete er seinen Widerspruch mit dem
Hinweis darauf, dass ein vergleichbarer Service des B1. Zeitungsverlags, die
Auslieferung von Zeitungen bis sechs Uhr dreißig morgens, von der E. Q. B. nicht
angeboten werde. Erst wenn diese eine derartige Serviceleistung in ihr Sortiment
aufnehme, müsse möglicherweise geprüft werden, ob ein Wettbewerbsverhältnis
entstehe. Die Verweigerung einer erneuten Genehmigung sei treuwidrig, weil im
Zeitpunkt der ersten Genehmigung im August 1995 die in Bezug genommene
Anweisung der Zentrale, die vom 24. März 1995 stamme, offensichtlich bereits in Kraft
gewesen sei.
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Nach Einholung der Zustimmung des Betriebsrats wies die O. C. den Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid vom 25. August 2004 unter Wiederholung der Auffassung aus
dem angefochtenen Bescheid als unbegründet zurück. Ergänzend heißt es, dass die
Leistungsanforderungen an Zusteller wegen des Gebots der Kostenreduzierung deutlich
gestiegen seien. Die Befürchtung sei deshalb berechtigt, dass der Kläger nach der
Frühzustellung der Zeitungen während der folgenden Briefzustellung weniger
leistungsstark sein werde. Aufgrund dieser Erwägungen sei sämtlichen Zustellern die
Ausübung einer Nebentätigkeit untersagt worden, was von diesen auch akzeptiert
werde. Schließlich sei nicht auszuschließen, dass der Zeitungsverlag B2. GmbH künftig
auch in Bereichen tätig werde, in denen die Deutsche Q. B. Geschäftsfelder habe (z. B.
Infopost). Die Besorgnis, dass er für ein Konkurrenzunternehmen tätig sei, müsse der
Kläger ausräumen, was bisher nicht geschehen sei. Unter diesen Umständen könne
aus der früheren Genehmigungspraxis kein Anspruch auf weitere Genehmigungen
hergeleitet werden.
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Der Kläger hat am 27. September 2004 Klage erhoben. Er führt aus, die Beklagte habe
bisher keinen vernünftigen Grund für die Versagung der Nebentätigkeit angeführt.
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Anhaltspunkte für eine Leistungsverschlechterung lägen nicht vor, Beanstandungen
seiner Tätigkeit seien nie erfolgt. Er sei mit der ausgeübten Nebentätigkeit immer unter
der gesetzlichen Zeitgrenze geblieben und ein Widerstreit mit dienstlichen Interessen
sei unter diesen Umständen nicht zu befürchten. Schließlich zweifle er daran, dass
durch beamtenrechtliche Vorschriften ein Konkurrenzschutz für die Beklagte begründet
werden dürfe, ungeachtet der Tatsache, dass jedenfalls zurzeit ein Wettbewerb
zwischen dem B1. Zeitungsverlag und der Beklagten nicht stattfinde.
Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der O. C. vom 22. April 2004 und
Aufhebung deren Widerspruchsbescheides vom 24. August 2004 zu verpflichten, ihm
auf seinen Antrag vom 24. Mai 2004 eine Genehmigung für eine Nebentätigkeit als
Zeitungszusteller für den B1. Zeitungsverlag zu erteilen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wiederholt und vertieft sie die Ausführungen aus den angefochtenen
Bescheiden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Personalakten
verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im
Übrigen unbegründet.
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Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen
Rechten (1). Allerdings besitzt er keinen Anspruch auf Erteilung einer
Nebentätigkeitsgenehmigung, vielmehr ist die Beklagte verpflichtet, über den
entsprechenden Antrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts neu zu entscheiden (2), vgl. § 113 Abs. 5 Satz 2 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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(1) Kläger und Beklagte gehen übereinstimmend und zutreffend davon aus, dass der
Kläger zur Ausübung der Tätigkeit als Zeitungsbote bei dem B1. Zeitungsverlag einer
Genehmigung bedarf. Dies folgt aus § 65 Abs. 1 Satz 1 BBG. Hiernach bedarf der
Beamte zur Übernahme jeder Nebentätigkeit, mit Ausnahme der - hier ersichtlich nicht
vorliegenden - in § 66 Abs. 1 abschließend aufgeführten, der vorherigen Genehmigung,
soweit er nicht nach § 64 zu ihrer Wahrnehmung verpflichtet ist. Letzteres scheidet
gleichfalls ersichtlich aus.
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Nach § 65 Abs. 2 BBG ist die Genehmigung zu versagen, wenn zu besorgen ist, dass
durch die Nebentätigkeit dienstliche Interessen beeinträchtigt werden. Ein solcher
Versagungsgrund liegt insbesondere vor, wenn die Nebentätigkeit 1. nach Art und
Umfang die Arbeitskraft des Beamten so stark in Anspruch nimmt, dass die
ordnungsgemäße Erfüllung seiner dienstlichen Pflichten behindert werden kann, 2. den
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Beamten in einem Widerstreit mit seinen dienstlichen Pflichten bringen kann, 3. in einer
Angelegenheit ausgeübt wird, in der die Behörde, der der Beamte angehört, tätig wird
oder tätig werden kann, 4. die Unparteilichkeit oder Unbefangenheit des Beamten
beeinflussen kann, 5. zu einer wesentlichen Einschränkung der künftigen dienstlichen
Verwendung des Beamten führen kann, 6. dem Ansehen der öffentlichen Verwaltung
abträglich sein kann.
Weitere Versagungsgründe enthalten die Sätze 3 und 4 der Vorschrift.
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Die genannten Gründe räumen dem Dienstherrn bei seiner Entscheidung weder in
positiver noch in negativer Hinsicht einen Ermessensspielraum ein. Vielmehr handelt es
sich um eine sogenannte "gebundene Erlaubnis", bei der eine Genehmigung zu erteilen
ist, wenn die Versagungsgründe nicht vorliegen,
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vgl. zu der entsprechenden Vorschrift des Berliner Landesbeamtengesetzes:
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Juni 1980 - 2 C 37/78 -, BVerwGE 60, 254;
juris Rdnr. 21; Plog/Wiedow/Lehmhöfer/Bayer, BBG, § 65 Rdnr. 9.
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Bei dem gesetzlichen Versagungsgrund der Besorgnis der Beeinträchtigung
dienstlicher Leistungen, der Unparteilichkeit oder Unbefangenheit des Beamten oder
öffentlicher Interessen handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe, die
verwaltungsgerichtlich voll nachprüfbar sind,
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vgl. BVerwG a.a.O., m.w.N.
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Diese Feststellung gilt in gleicher Weise für die o.g. Versagungsgründe des § 65 Abs. 2
BBG wie für die weiteren in den Sätzen 2 bis 4 genannten Gründe.
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat die Beklagte die Genehmigung der
Nebentätigkeit zu Unrecht verweigert.
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Im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid wird darauf abgestellt, dass hinreichende
Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass die Tätigkeit als Zeitungsbote ihre, der Beklagten
dienstliche Interessen beeinträchtigen könne. Die hierzu angeführten Gründe vermögen
die Entscheidung nicht zu tragen.
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Soweit zunächst ausgeführt wird, der Kläger werde im Bereich eines
Konkurrenzunternehmen tätig, lässt sich dem entnehmen, dass hiermit die
Versagungsgründe des § 65 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BBG - übermäßige Inanspruchnahme
der Arbeitskraft des Klägers -, Nr. 2 - Gefahr, in einen Widerstreit mit seinen dienstlichen
Pflichten gebracht zu werden - oder aber Nr. 3 - in einer Angelegenheit tätig zu werden,
in der die Behörde, der der Kläger angehört, tätig wird oder tätig werden kann -
angesprochen werden. Diese Gründe rechtfertigen aber unter Berücksichtigung des
konkreten Sachverhalts nicht die Ablehnung der Nebentätigkeitsgenehmigung.
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Dies gilt zum einen für die Befürchtung, der Kläger könne bei einem
Konkurrenzunternehmen tätig werden (Nummern 2 und 3). Denn jedenfalls zurzeit
besteht ein solches Wettbewerbsverhältnis nach den eigenen Ausführungen der
Beklagten (noch) nicht. Allein die ferne Möglichkeit, dass der B1. Zeitungsverlag
zukünftig einmal Infopost oder Ähnliches, für das die Q. bisher eine Monopolstellung hat,
verteilen wird, vermag die Versagung der Genehmigung nicht zu rechtfertigen. Ohne ein
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derartiges Wettbewerbsverhältnis läuft der Kläger aber nicht Gefahr, in einen Widerstreit
mit seinen dienstlichen Pflichten zu geraten.
Mangels einer gegenwärtigen Wettbewerbssituation kommt es nicht darauf an, ob die
Beklagte berechtigt ist, mit Regelungen des Beamtenrechts Schutz vor Konkurrenten zu
suchen.
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Die weitere - im Widerspruchsbescheid geäußerte - Besorgnis, dass der Kläger wegen
der aus Kostenreduzierungen resultierenden gestiegenen Leistungsanforderungen an
Zusteller möglicherweise an Leistungsstärke verliere, wenn er vor seinem Zustelldienst
noch als Zeitungsbote arbeite (Nummer 1), rechtfertigt gleichfalls nicht die Versagung
der Genehmigung. Die Besorgnis der Beeinträchtigung dienstlicher Interessen, wie des
Nachlassens der Leistungsfähigkeit ihrer Briefzusteller, muss unter Berücksichtigung
der konkreten Umstände des Einzelfalles beurteilt werden,
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vgl. Plog/Wiedow/Lehmhöfer/Bayer, a.a.O. Rdnr. 11 m.w.N.
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Allein eine vage Befürchtung vermag sie nicht zu begründen.
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Hier bewegt sich die Annahme der Beklagten weitgehend im Bereich der Spekulation.
Denn der Kläger ging der Nebentätigkeit seit August 1995 beanstandungslos nach;
jedenfalls findet sich in den Personalakten keine Rüge hinsichtlich seiner
Leistungsstärke. Im Gegenteil ist ihm im Februar 1997 - und damit während der Tätigkeit
als Zeitungsbote - eine Leistungszulage der Staffel 1 für die im Jahr 1996 für die Q.
erbrachten besonderen Leistungen gewährt worden. Es fehlen damit nachprüfbare,
konkrete Anhaltspunkte für die von der Beklagten angeführten Besorgnis. Im Übrigen ist
die Nebentätigkeitsgenehmigung gemäß § 65 Abs. 2 Satz 7 BBG zu widerrufen, wenn
sich eine Beeinträchtigung dienstlicher Interessen nach ihrer Erteilung ergibt. Damit ist
der Dienstherr hinreichend vor einem von ihm befürchteten Nachlassen der Leistung
des Klägers geschützt.
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(2) Eine Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der Nebentätigkeitsgenehmigung
kommt indes nicht in Betracht. Denn neben den zuvor beispielhaft aufgeführten
Versagungsgründen hat die Beklagte nach § 65 Abs. 2 Satz 5 BBG die Möglichkeit, eine
Genehmigung kürzer zu befristen und sie mit Auflagen oder Bedingungen zu erteilen.
Ob sie von einer solchen Möglichkeit Gebrauch macht und welche Maßnahme sie
auswählt, steht in ihrem Ermessen, das sie bisher - von ihrem Standpunkt aus gesehen
konsequent - noch nicht ausgeübt hat. Eine Reduzierung des Ermessensspielraum auf
die einzige Entscheidung, die Genehmigung antragsgemäß ohne Einschränkungen zu
erteilen, lässt sich nicht feststellen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711
der Zivilprozessordnung.
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