Urteil des VG Aachen vom 22.04.2004

VG Aachen: zukunft, erlass, privatschule, form, jugendhilfe, hauptsache, behinderter, rehabilitation, erfüllung, gesundheit

Verwaltungsgericht Aachen, 2 L 2302/03
Datum:
22.04.2004
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 L 2302/03
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben
werden, trägt der Antragsteller.
G r ü n d e :
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Der (sinngemäße) Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu
verpflichten, dem minderjährigen Antragsteller vorläufig Eingliederungshilfe nach § 35a
SGB-VIII in Form der Übernahme der Kosten für den Besuch der privaten HEBO-Schule
in C. nebst Übernachtungskosten, Fahrtkosten und Lernmitteln zu bewilligen,
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hat keinen Erfolg.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - kann das Gericht eine
einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein
streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher
Nachteile nötig erscheint. Der Antragsteller muss glaubhaft machen, dass ihm ein
Anspruch auf die geltend gemachte Leistung zusteht (Anordnungsanspruch) und dass
das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren für ihn
mit schlechthin unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre (Anordnungsgrund), vgl. §
123 Abs. 1 und 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -.
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Der ausweislich der Antragsschrift unbefristet zur Entscheidung gestellte Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung kann derzeit für die Zeit vor Antragstellung bei
Gericht und soweit er über den 30. April 2004 (Ende des Monats, in dem die gerichtliche
Entscheidung ergeht) hinausreicht, keinen Erfolg haben, da derzeit nur bis zu diesem
Zeitpunkt ein Anordnungsgrund, also ein Grund, der die Durchbrechung des
grundsätzlichen Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache im Eilverfahren rechtfertigt,
als glaubhaft gemacht anzusehen ist. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass die
einstweilige Anordnung im verwaltungsgerichtlichen Sozialrecht die Aufgabe hat, nur
eine aktuelle, nicht aber eine in der Vergangenheit eingetretene oder eine für die
Zukunft zu befürchtende Notlage zu beseitigen. Darüber hinaus hat der Antragsteller
selbst nicht vorgetragen, dass er die Schule bereits seit einem zeitlich vor
Antragstellung bei Gericht liegenden Zeitraum besucht hat und deswegen
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Zahlungsrückstände in einem Umfang aufgelaufen sind, die aktuell die Gefahr einer
Kündigung des Schulvertrages erkennen lassen. Deshalb ist die Klärung der Fragen,
die sich bei der rechtlichen Würdigung des Klagebegehrens für den Zeitraum ab dem 5.
März 2003 (Antrag auf Eingliederungshilfe beim Antragsgegner) stellen werden, der
Entscheidung im bereits anhängigen Verfahren der Hauptsache 2 K 48/04
vorzubehalten. Zum anderen kann die Regelung im Eilverfahren auch nicht weit in die
Zukunft hineinreichen, da das Gericht den Hilfefall nicht selbst unter Kontrolle halten
kann. Da es in jugendhilferechtlichen Eilverfahren - anders als etwa im Sozialhilferecht -
keine gesicherte Rechtsprechung zu der Frage gibt, welcher Zeitraum generell einer
gerichtlichen Überprüfung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
zugrunde zu legen ist, muss jeweils anhand des materiellen Begehrens untersucht
werden, bis zu welchem Zeitpunkt eine gerichtliche Regelung in die unmittelbare
Zukunft hinein sachgerecht erscheint, ohne dass das Gericht sich einerseits jeden
Monat erneut mit diesem Fall befassen muss, andererseits der Fall aber dem
Jugendhilfeträger auch nicht völlig aus der Hand genommen wird. Bei Abwägung dieser
Aspekte erscheint der Kammer in Verfahren der vorliegenden Art in der Regel eine
Regelung für das laufende Schulhalbjahr sachgerecht. Da hier einerseits das
Eilverfahren etwa zur Hälfte des ersten Schulhalbjahres gestellt und bislang vom
Gericht wegen des noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens hinsichtlich der
Aufhebung der Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs - 9 L 2310/03 -
nicht beschieden wurde, andererseits im Hinblick auf den Ausgang dieses beim
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein - Westfalen anhängigen
Beschwerdeverfahrens - 19 B 297/04 - die jugendhilferechtliche Entscheidung für die
Zukunft für den Antragsteller offen gehalten werden soll, erscheint der Kammer hier
ausnahmsweise die Begrenzung auf das Ende des Monats, in dem die gerichtliche
Entscheidung ergeht, als sachgerecht. Dem Antragsteller wird insoweit auch nichts
völlig Unzumutbares auferlegt, denn er hätte nach einer für ihn günstigen Entscheidung
im oben genannten Beschwerdeverfahren über den sonderpädagogischen Förderbedarf
die Möglichkeit, umgehend erneut um gerichtlichen Eilrechtsschutz im Rahmen der
Jugendhilfe nachzusuchen. Unter diesen Umständen ist der Antrag abzulehnen, soweit
der Antragszeitraum über das Ende des Monats April 2004 hinausreicht.
Der Antragsteller hat jedoch bezüglich des sachlich zu bescheidenden Zeitraums 20.
November 2003 bis 30. April 2004 in Bezug auf die von ihm erstrebte
Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten einer Privatschule in der Sache
keinen Anordnungsanspruch nach § 35 a Abs. 1 des Sozialgesetzbuches VIII (SGB-VIII)
in der Fassung des Art. 8 des Gesetzes vom 19. Juni 2001, BGBl. I S. 1046
(Sozialgesetzbuch IX, Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) glaubhaft
gemacht.
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Nach der genannten Vorschrift haben Kinder und Jugendliche, deren seelische
Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr
Lebensalter typischen Zustand abweicht und die aus diesem Grund aus Anlass der
Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt sind oder bei denen eine solche
Beeinträchtigung zu erwarten ist, Anspruch auf Eingliederungshilfe.
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Hier kann das Vorliegen dieser gesetzlichen Voraussetzungen offen bleiben, da der
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bereits aus anderen Gründen scheitert.
Dies ist hier der Fall, weil das Rechtsschutzbegehren des Antragstellers nicht abstrakt
auf die Übernahme der außerhäuslichen Beschulung durch eine Privatschule gerichtet
ist - dabei kann im vorliegenden Rahmen dahin gestellt bleiben, ob ein solcher
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Anspruch wegen des Fehlens einer konkreten jugendhilferechtlichen Maßnahme
überhaupt zulässig wäre -, sondern die Übernahme der Kosten des Besuchs der HEBO-
Schule in C. einschließlich des Internats erstrebt wiird. Nach dem an die Mutter des
Antragstellers gerichteten Schreiben der HEBO-Schule in C. vom 24. April 2004 ist sie
zur Aufnahme des Antragstellers nur bereit ist, wenn die Entscheidung über den
sonderpädagogischen Förderbedarf aufgehoben oder (zumindest) für ein halbes Jahr
ausgesetzt worden ist. Eine solche Entscheidung hat bislang weder das Schulamt des
Kreises I. noch das Verwaltungsgericht Aachen (Beschluss vom 22. Januar 2004 - 9 L
2310/03 -) getroffen. Wann das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-
Westfalen über den Antrag auf Zulassung der Beschwerde - 19 B 297/04 - entscheidet,
ist nicht bekannt. Da eine Privatschule selbst die Voraussetzungen festlegen kann, von
deren Erfüllung sie die Aufnahme von Schülern abhängig macht, kann der vorliegende
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zum Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung sein Ziel nicht erreichen, selbst wenn alle übrigen Voraussetzungen des
§ 35 a SGB VIII gegeben wären. Nach einer für ihn positiven Entscheidung des OVG
NRW hinsichtlich der Aufhebung der Feststellung des sonderpädagogischen
Förderbedarfs ist es dem Antragsteller unbenommen, erneut um vorläufigen
Rechtsschutz hinsichtlich der erstrebten Maßnahme der Jugendhilfe nachzusuchen
oder - im Falle der Weiterverfolgung im Rechtsmittelwege - zu prüfen, ob das Ziel durch
Rechtsmittel erreicht werden kann..
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
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