Urteil des VG Aachen vom 16.02.2006
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Verwaltungsgericht Aachen, 4 K 1274/05
Datum:
16.02.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 K 1274/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger
kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in
Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte
vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
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Der am 00.00.00 geborene Kläger wurde mit Musterungsbescheid des
Kreiswehrersatzamtes K. vom 14. Januar 2005 mit dem Tauglichkeitsgrad
"wehrdienstfähig, und zwar verwendungsfähig mit Einschränkung für bestimmte
Tätigkeiten" (T 2) gemustert. Gleichzeitig wurde er wegen seiner begonnenen
Berufsausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann bei der Firma N. (D.
Deutschland GmbH) bis einschließlich 31. Juli 2005 vom Wehrdienst zurückgestellt. Mit
Schreiben vom 19. April 2005 beantragte der Kläger seine weitere Zurückstellung vom
Wehrdienst aufgrund einer innerbetrieblichen Weiterbildungsmaßnahme bis zum 31.
Dezember 2006. Er könne eine anderthalbjährige betriebsinterne Schulung absolvieren,
die ihn in die Lage versetzen würde, eine leitende Stellung in der Firma zu übernehmen.
Das Kreiswehrersatzamt K. lehnte den Antrag mit Bescheid vom 25. April 2005 ab. Es
führte im Wesentlichen aus, bei der von dem Kläger geschilderten Weiterbildung handle
es sich um keine die Zurückstellung rechtfertigende Ausbildungsmaßnahme im Sinne
des Wehrpflichtgesetzes. Das Arbeitsverhältnis bei der Firma N. unterliege im Übrigen
dem Schutz des Arbeitsplatzschutzgesetzes, sodass eine Wiedereinstellung nach
Ableistung des Wehrdienstes garantiert sei. Bei der von dem Kläger geschilderten
Fortbildungsmaßnahme handle es sich um keine einmalige berufliche Chance.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, bei der ihm gebotenen
Weiterbildung handle es sich sehr wohl um eine einmalige berufliche Chance, weil im
Falle seiner Einberufung die von ihm angestrebte leitende Position bei der Firma N.
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durch einen anderen Anwärter besetzt werde und er somit seine Karriere vergessen
könne. Im Übrigen hätte er erhebliche finanzielle Verluste in der Zukunft, da ihm eine
solche Chance nicht jährlich geboten würde. Sollte er dennoch einberufen werden, sei
er gezwungen den Wehrdienst zu verweigern. Die X. wies den Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2005 zurück. Sie führte im Wesentlichen aus, es
liege im Wesen der Heranziehung zum Wehrdienst, dass eine berufliche Entwicklung
des Wehrpflichtigen unterbrochen werde. Von dieser Situation seien viele
Wehrpflichtige in vergleichbarer Lage betroffen. Der Wehrdienst werde nämlich in einem
Alter geleistet, in dem sich ein junger Mann entweder noch in der Ausbildung oder in der
ersten Phase seines Berufslebens befände. Die durch die Einberufung entstehenden
Nachteile müssten als allgemeine, nicht schutzwürdige Härte hingenommen werden,
weil sie alle wehrfähigen Männer gleichermaßen treffe. Auch der Besuch von
Lehrgängen und Fortbildungsmaßnahmen rechtfertige keine Zurückstellung vom
Wehrdienst. Durch das Gesetz sei lediglich eine Ausbildung, nicht jedoch jegliche der
Berufsausbildung förderliche Maßnahmen wie z. B. die Weiterbildung geschützt. Die
zusätzliche Ausbildung bei seinem Arbeitgeber sei als eine Weiterbildungsmaßnahme
einzuordnen, da sie nicht zu einer zusätzlichen Berufsausübungsberechtigung führe,
auch wenn er dadurch eventuell schneller eine Führungsposition anstreben könne. Um
eine einmalige Chance geltend machen zu können, müsse ihm jedoch durch die
Einberufung eine solche Möglichkeit endgültig zunichte gemacht werden, wovon
vorliegend aber nicht auszugehen sei.
Der Kläger hat am 25. Mai 2005 Klage erhoben. Er macht geltend, im Falle der
Einberufung verliere er in seiner Firma die einmalige Chance, zum stellvertretenden
Abteilungsleiter ausgebildet zu werden. Für diese Stelle würde ein anderer Mitarbeiter
gesucht und auch gefunden werden. Nach Ableistung seines Wehrdienstes könne er
somit zwar bei seiner früheren Firma weiterarbeiten, jedoch nur als Verkäufer und nicht
als stellvertretender Abteilungsleiter. Dies sei für ihn darüber hinaus mit erheblichen
finanziellen Einbußen verbunden. Es könne nicht maßgeblich sein, ob er
möglicherweise, was allerdings ohnehin unklar und zweifelhaft sei, irgendwann und
irgendwo bei irgendeiner Firma eine andere gleichartige Berufschance erhalten würde.
Der Kläger legte Bescheinigungen der Firma N. D. Deutschland GmbH, Großmarkt B. ,
vom 27. Mai 2005 und 15. Juni 2005 vor. Hierin wird ausgeführt es werde geplant, den
Kläger aufgrund dessen in der Ausbildung gezeigter Leistung als Substitutenanwärter in
der I. -Abteilung einzusetzen. Diese Tätigkeit sei eine Führungsaufgabe. Es sei geplant,
den Kläger innerhalb von zwei Jahren zum Substituten auszubilden. Durch die
Ableistung des Wehrdienstes oder eines Ersatzes könne die Ausbildung nicht
stattfinden; zu einem späteren Zeitpunkt stünde eine solche Ausbildung infrage, da die
vakante Stelle anderweitig besetzt werden müsste. Unter dem 15. Juni 2005 teilte die
Firma N. mit, dass es sich bei der Ausbildung um eine einmalige berufliche Chance
handle, da diese Stelle anderweitig besetzt werden müsste.
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Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragt,
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den Bescheid des Kreiswehrersatzamtes K. vom 25. April 2005 und den
Widerspruchsbescheid der X. vom 10. Mai 2005 aufzuheben und die Beklagte zu
verpflichten, den Kläger bis zum 28. Februar 2007 vom Wehrdienst zurückzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie führt aus, es wäre zwar möglich, dass dem Kläger in dem konkreten
Ausbildungsbetrieb die Chance genommen werde, ihn als Substitutenanwärter zu
übernehmen. Erforderlich sei jedoch, dass ihm generell und für immer die Möglichkeit
genommen werde, die derzeit bestehende Berufschance zu verwirklichen. Es sei jedoch
nicht ersichtlich, dass es dem Kläger nach Ableistung des Wehrdienstes unmöglich
wäre, seine berufliche Karriere, wenn auch eventuell an einem anderen Ort bzw. bei
einem anderen Arbeitgeber, im geltend gemachten Sinne fortzusetzen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Der Bescheid des Kreiswehrersatzamtes K. vom 25. April 2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides der X. vom 10. Mai 2005 ist rechtmäßig und verletzt den
Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zurückstellung vom
Wehrdienst (§ 113 Abs. 4 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -)
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Dem Kläger steht der Zurückstellungsgrund des § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 Buchstabe c
des Wehrpflichtgesetzes (WPflG) nicht mit der Begründung zur Seite, er habe in seiner
Firma die Chance, eine Ausbildung zum Substituten zu absolvieren. Nach dieser
Vorschrift liegt eine die Zurückstellung rechtfertigende besondere Härte vor, wenn die
Einberufung des Wehrpflichtigen eine bereits begonnene Berufsausbildung
unterbrechen oder die Aufnahme einer rechtsverbindlich zugesagten oder vertraglich
gesicherten Berufsausbildung verhindern würde. Bei der von der Firma N. in B. in
Aussicht gestellten Weiterbildung des Klägers zum Substitutenanwärter handelt es sich
jedoch nicht um eine rechtsverbindlich zugesagte Berufsausbildung im Sinne der oben
genannten Vorschrift. Unter "Berufsausbildung" ist die Vermittlung der für die Ausübung
einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit notwendigen fachlichen Kenntnisse und
Fertigkeiten in einem geordneten Lernvorgang zu verstehen, der zum Erwerb einer
zusätzlichen, bisher nicht inne gehabten Berechtigung zur Berufsausübung führt.
Lernvorgänge, die keine zusätzliche Befähigung oder Berechtigung verschaffen,
sondern lediglich der Fortbildung im ausgeübten Beruf dienen, mit der das berufliche
Wissen und Können vertieft werden soll, werden von § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 c WPflG
nicht erfasst. Die Ausbildung wird gegenüber der Fortbildung dadurch gekennzeichnet
und auch abgegrenzt, dass eine als "Ausbildung" zu qualifizierende Veranstaltung
überwiegend durch den Ausbildungszweck geprägt sein und überdies zum Erwerb einer
zusätzlichen, bisher nicht inne gehabten Berechtigung zur Berufsausübung führen
muss. Ob bei einer Tätigkeit der Ausbildungszweck überwiegt, beurteilt sich nach dem
ihr zugrunde liegenden Rechtsverhältnis.
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Vgl. insgesamt: BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1994 - 8 C 34.92 -, NVwZ-RR 1994, 403.
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Hiernach stellt die Tätigkeit als Substitut, der die Geschäftsleitung oder ähnliche
Führungsgremien bei deren Aufgaben unterstützt, bei der Firma N. keinen
eigenständigen Beruf dar. Bei der "Ausbildung" handelt es sich vielmehr um eine
gesetzlich nicht geregelte berufliche Fortbildung. Die Anforderungen werden nicht durch
den Gesetzgeber, sondern von dem jeweiligen Unternehmen - hier der N. D.
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Deutschland GmbH - selbst bestimmt. Dass es sich bei dem Substituten gegenüber
sonstigen Beschäftigten in einer Filiale um eine qualifiziertere Stufe der
Berufsausbildung handelt, reicht für die Annahme eines selbstständigen Berufs nicht
aus. Zudem erfolgt die Vermittlung der Kenntnisse und Fähigkeiten nicht in einem
selbständigen, geregelten und befristeten Ausbildungsverhältnis.
Eine Zurückstellung aufgrund der allgemeinen Härteklausel des § 12 Abs. 4 Satz 1
WPflG scheidet ebenfalls aus. Die Anwendung der allgemeinen Härteklausel des
Satzes 1 ist ausgeschlossen, wenn der geltend gemachte Zurückstellungsgrund einem
der Sondertatbestände des Satzes 2 zuzuordnen ist. Soweit nämlich ein
Lebenssachverhalt, der eine Zurückstellung vom Wehrdienst wegen besonderer Härte
begründen soll, in § 12 Abs. 4 Satz 2 WPflG erfasst ist, kommt dieser Regelung
abschließender Charakter zu.
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Vgl.: BVerwG, Beschluss vom 4. August 1997 - 8 C 3.97 -, Buchholz 448.0 § 3 WPflG
Nr. 20, und Urteil vom 9. Oktober 2001 - 6 B 57.01 -, Buchholz 448.0 § 12 WPflG Nr.
204.
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§ 12 Abs. 4 WPflG konkretisiert jedoch das Verhältnismäßigkeitsgebot. Der
Wehrpflichtige soll mithin durch die Heranziehung zum Wehrdienst keine erheblichen
Nachteile erleiden, die durch eine Einberufung zu einem späteren Zeitpunkt vermieden
werden könnten. Eine die befristete Zurückstellung rechtfertigende besondere Härte im
Sinne des § 12 Abs. 4 WPflG ist somit gegeben, wenn die Heranziehung zum
Wehrdienst den Wehrpflichtigen anders trifft als im Allgemeinen Wehrpflichtige davon
betroffen werden, und zugleich schwerer als ihnen üblicherweise zugemutet wird. Zu
berücksichtigen sind allerdings nur solche Nachteile, die mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit eintreten werden. Die bloße Gefahr im Sinne der nicht
auszuschließenden Möglichkeit eines beruflichen Nachteils reicht noch nicht aus, um
eine Zurückstellung nach § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG zu rechtfertigen.
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Vgl.: BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2001 - 6 B 57.01 -, a. a. O.
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Bei einer beruflichen Fortbildung können diese Voraussetzungen jedoch nur
ausnahmsweise gegeben sein. Dies könnte beispielsweise der Fall sein, wenn die
Fortbildung in ihrer Bedeutung für den Zugang zu einem Beruf im Einzelfall
gleichbedeutet ist mit einer Ausbildung.
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Vgl.: BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 2001, a. a. O.
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Hierfür sind vorliegend keine Anhaltspunkte ersichtlich. Die von dem Kläger angestrebte
berufliche Qualifizierung als Substitut bzw. Filialleiter stellt eine Fortbildung im bereits
ausgeübten Beruf (Kaufmann im Groß- und Einzelhandel) dar, mit der das berufliche
Wissen und Können erweitert und vertieft werden soll. Sie eröffnet dem Kläger aber
keinen Zugang zu einer bisher nicht inne gehabten Berechtigung zur Berufsausübung
und hat keinerlei Bedeutung für den Zugang zu einem anderen Beruf. Die Heranziehung
zum Wehrdienst trifft den Kläger somit nicht schwerer als andere Wehrpflichtige, die aus
ihrem Berufsleben - oder zum Teil aus ihrer Ausbildung - herausgerissen werden.
Schließlich besteht die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger nach
Ableistung des Wehrdienstes erneut die Gelegenheit erhalten wird sich weiterzubilden,
zumal er die hierfür erforderlichen Prüfungen bereits bestanden hat; die ihm gegebene
Chance sich in seinem Beruf zu qualifizieren, dürfte auch nach Ableistung des
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Wehrdienstes - sei es auch in einem anderen N1. Markt -, zu verwirklichen sein.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711
Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO).
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Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht ist nicht zuzulassen, weil die
Voraussetzungen der §§ 132 Abs. 2, 135 VwGO nicht vorliegen.
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