Urteil des VG Aachen vom 13.02.2009

VG Aachen: schüler, fehlerhafte rechtsmittelbelehrung, anerkennung, oberstufe, ausbildung, versetzung, qualifikation, verordnung, besuch, gleichstellung

Verwaltungsgericht Aachen, 9 K 959/08
Datum:
13.02.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 959/08
Tenor:
Im Umfang der Klagerücknahme wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich allfälliger
verweisungsbedingter Mehrkosten.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann
die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht
die Beklagte zuvor eine Sicherheit in derselben Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Der Kläger war Ende des Schuljahres 2006/2007 Schüler der Klasse 12 der Freien
Waldorfschule B. . Er hatte diese Klasse freiwillig wiederholt, da in diesem Schuljahr für
das Zentralabitur relevante Lerninhalte in der 12. Klasse bearbeitet worden waren. Am
Ende beider Schuljahre hatte die Lehrerkonferenz beschlossen, ihn in die
Jahrgangsstufe 13 aufzunehmen. Der Kläger verließ die Schule im Laufe des folgenden
Schuljahres.
2
Mit Antrag vom 8. Februar 2008 beantragte er bei der Beklagten die Anerkennung des
schulischen Teils der Fachhochschulreife. Zur Begründung führte er aus, nach
Auffassung der Lehrerkonferenz der Freien Waldorfschule B. habe er die Qualifikation
für die schulische Fachhochschulreife erworben, da seine Ausbildung mit der eines an
einem Gymnasium oder an einer Gesamtschule in die Jahrgangsstufe 13 versetzten
Schülers vergleichbar sei. Für deren Absolventen werde der schulische Teil der
Fachhochschulreife mit der Versetzung in die Jahrgangsstufe 13 anerkannt und der
Abschluss dieser Klasse nicht gefordert Es bedeute eine nicht zu rechtfertigende
Diskriminierung, ihm unter diesen Bedingungen die Anerkennung der schulischen
Fachhochschulreife zu verweigern. Seine Ausbildung werde gleichgesetzt mit der 10.
Klasse der Regelschule, obwohl sie drei Jahre länger gedauert habe.
3
Unter dem 15. Februar 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass seinem Antrag auf
Anerkennung des schulischen Teils der Fachhochschulreife nicht entsprochen werden
könne. Gemäß § 22 Abs. 2 der Verordnung über die Abiturprüfung für Schülerinnen und
Schüler an Waldorfschulen (PO-Waldorf) könne der schulische Teil der
Fachhochschulreife für das Land Nordrhein-Westfalen nur bei nicht abgeschlossener
oder nicht bestandener Abiturprüfung zuerkannt werden. Voraussetzung für die
Zuerkennung seien in der Abiturprüfung nachgewiesene Leistungen.
4
Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 erhob der Kläger zunächst Widerspruch, zu dem er
vortrug, mit Blick auf die in § 5 PO-Waldorf definierten Eingangsvoraussetzungen für die
Jahrgangsstufe 13 seien die nach § 6 der Qualifikationsverordnung zur Fachhochschule
verlangten Anforderungen für die Fachhochschulreife gegeben. Der Verordnungsgeber
habe durch die Regelung in § 5 der PO-Waldorf gerade sicherstellen wollen, dass beim
Übergang in die Jahrgangsstufe 13 die gleiche Qualifikation wie bei Schülern der
Regelschule gegeben sei. Eine Gleichbehandlung sei auch mit Blick darauf geboten,
dass er die Qualifikation wiederholt, zuletzt unter wegen des Zentralabiturs verschärften
Bedingungen, unter Beweis gestellt habe.
5
Der Kläger hat am 18. April 2008 Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln erhoben, das
den Rechtsstreit durch Beschluss vom 7. Mai 2008 an das erkennende Gericht
verwiesen hat.
6
Der Kläger macht geltend, nicht zu entscheiden sei, ob alle Waldorfschülerinnen und -
schüler mit Abschluss der Klasse 12 die Fachhochschulreife erlangt hätten. Es komme
vielmehr darauf an, ob diese den in die Jahrgangsstufe 13 versetzten Schülern an
Gymnasien und Gesamtschulen gleichzusetzen seien. Jede Waldorfschule in
Nordrhein-Westfalen habe orientiert am Leistungsstand der Schüler eine Entscheidung
darüber zu treffen, ob dieser äquivalent dem der Schüler von Gymnasien und
Gesamtschulen sei. Diese Entscheidung enthalte eine Prognose, ob die betroffenen
Schüler nach ihrem Leistungsstand in der Lage seien, das Abitur zu bestehen. Diese
Bewertung erfolge realistisch. Ausweislich einer Stellungnahme der Freien
Waldorfschule B. beantragten etwa zwei Drittel der Schüler im Verlauf des 12.
Schuljahres die Aufnahme in die Jahrgangsstufe 13. Zwei Drittel dieser Anträge würden
positiv beschieden, und zwar zu Recht, da mehr als 90 % das Abitur erfolgreich
ablegten. An der Waldorfschule B. seien in achtzehn Jahren nur zwölf Kandidaten
durchgefallen. Die Beklagte führe die Abiturprüfung durch. Die externe Prüfung solle die
Äquivalenz zum staatlichen Abitur gewährleisten. Diesen erfolgreichen Abschluss
schafften aber nur ca. 50 % der Schüler aller 12. Klassen. Auch das Ergebnis des ersten
Zentralabiturs an der Freien Waldorfschule B. belege, dass die Entscheidung über die
Versetzung in die Jahrgangsstufe 13 einen äquivalenten Leistungsstand wiedergebe.
Diese Äquivalenz sei nicht zufälliger Natur, sondern beruhe auf einem publizierten
Lehrplan für Waldorfschulen. Es sei daher auch nicht gerechtfertigt, für die Abiturnote
ausschließlich die Ergebnisse der Abiturprüfung und nicht auch die Jahresleistungen
anzuerkennen. Nur in Hessen, wo die Klassen 11 bis 13 der Waldorfschulen als
gymnasiale Oberstufen anerkannt seien, flössen die Jahresleistungen in die Abiturnote
ein. Das Land Hessen habe damit die Äquivalenz der Versetzung in die 13. Klasse
anerkannt.
7
Der Kläger beantragt nach Rücknahme des zunächst gestellten Hilfsantrages,
8
die Beklagte zu verurteilen, den schulischen Teil der Fachhochschulreife
9
anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
10
die Klage abzuweisen.
11
Sie erwidert, Waldorfschulen als Ersatzschulen eigener Art im Sinne des § 100 Abs. 6
des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (SchulG) bleibe die Befugnis, mit
Außenwirkung Zeugnisse und Berechtigungen zu verleihen, versagt, weil die von ihnen
verfolgten pädagogischen Reformgedanken wesentliche Abweichungen von den
schullaufbahnrechtlichen Vorschriften bedingten. Deshalb gebe es auch keine
Ausbildungsordnung, die den Bildungsgang an Waldorfschulen normiere.
Waldorfschülerinnen und -schüler benötigten beispielsweise keinen
Qualifikationsvermerk, der im Regelsystem am Ende des 10. Schuljahres erworben
werde und zum Besuch der gymnasialen Oberstufe berechtige. Es fehle zudem an
einem staatlich anerkannten Oberstufenbildungsgang, der die Einbringung von
Kursabschlussnoten als Basis für die Vergabe der Fachhochschulreife ermögliche.
Deshalb könnten Absolventen von Waldorfschulen gemäß § 22 Abs. 2 PO-Waldorf die
Fachhochschulreife auch nur im Rahmen einer - nicht bestandenen - Abiturprüfung
erwerben, die Merkmale einer externen Prüfung aufweise. Im Übrigen erlangten auch
die Schülerinnen und Schüler im Regelsystem keineswegs mit Übertritt in das 13.
Schuljahr die Fachhochschulreife, sondern ausschließlich auf der Basis von
Kursabschlussnoten aus zwei Halbjahren. Die Vergabe eines Abschlusses könne
zudem nur von tatsächlich erbrachten Leistungen abhängig gemacht werden und nicht
von einer Bestehensprognose. Die Regelung des § 22 Abs. 2 PO-Waldorf stelle bereits
ein Entgegenkommen dar, für das bislang keine bundesweite Anerkennung habe erzielt
werden können.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den
Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
13
Entscheidungsgründe:
14
Die Klage ist zulässig.
15
Die Verpflichtungsklage erweist sich nach § 42 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO) als statthafte Klageart, weil die Entscheidung, zu der die Beklagte verurteilt
werden soll, durch Verwaltungsakt zu treffen wäre.
16
Zudem bedarf es nach § 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 a des Ausführungsgesetzes
zur Verwaltungsgerichtsordnung nicht der Durchführung eines Vorverfahrens, weil die
Ablehnung der Vornahme des Verwaltungsaktes nach dem 1. November 2007 bekannt
gegeben und diese zwar im Bereich des Schulrechts, aber nicht von einer Schule
erlassen worden ist.
17
Die Klage ist auch fristgerecht erhoben worden, weil nach § 58 Abs. 2 VwGO wegen
Unterbleibens einer Rechtsmittelbelehrung die Jahresfrist galt.
18
Die Klage ist indes unbegründet.
19
Die ablehnende Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt den Kläger
20
nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO), weil er keinen Anspruch auf
Anerkennung (des schulischen Teils) der Fachhochschulreife hat.
Ein solcher ergibt sich weder aus dem Runderlass des Kultusministeriums vom 19. März
1985 zur "Anwendung der Bestimmungen über die Vergabe von Abschlüssen in der
Sekundarstufe I auf Zeugnisse von Waldorf-Schulen" in Verbindung mit einer
entsprechenden Verwaltungsübung noch aus den Bestimmungen der PO-Waldorf.
21
Dies gilt hinsichtlich besagten Erlasses bereits mit Blick darauf, dass danach die
Befugnisse der Beklagten nur bis zur Zuerkennung der Fachoberschulreife sowie der
Berechtigung zum Besuch der gymnasialen Oberstufe, jeweils nach Abschluss der
Klasse 12 und unter besonderen Voraussetzungen, gehen.
22
Im Übrigen schließt § 22 Abs. 2 PO-Waldorf einen Anspruch des Klägers aus, weil er
eine nicht abgeschlossene oder nicht bestandene Abiturprüfung sowie bestimmte
Leistungen in der Abiturprüfung voraussetzt und es an diesen Voraussetzungen fehlt.
23
Die verordnungsrechtliche und daher von der Kammer überprüfbare Bestimmung
begegnet auch im Lichte des aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes folgenden
allgemeinen Gleichheitssatzes keinen Bedenken. Dieser gebietet dem Gesetzgeber,
wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln.
24
Vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07 und andere -,
Neue Juristische Wochenschrift 2009, 48.
25
Welche Anforderungen an einen Rechtfertigungsgrund für eine gesetzliche
Differenzierung zu stellen wären, kann hier dahinstehen, weil bereits keine wesentlich
gleichen Sachverhalte vorliegen. Es fehlt an der Vergleichbarkeit,
26
vgl. in diesem Zusammenhang: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom
20. September 1987 - 9 S 569/87, Sammlung schul- und prüfungsrechtlicher
Entscheidungen, Neue Folge 242 Nr. 5,
27
der Ausbildung an Waldorfschulen und Gymnasien oder Gesamtschulen.
28
Zwar kann an Waldorfschulen das Abitur nach Maßgabe der PO-Waldorf abgelegt
werden. Diese Möglichkeit bewirkt aber keine Gleichstellung der Waldorfschulen
beispielsweise mit diesen Schulen.
29
Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen, Beschluss vom 30.
März 2007 - 19 A 1898/05 -.
30
Inwieweit eine Vergleichbarkeit für die Jahrgangsstufe 13 an Waldorfschulen, für die die
PO-Waldorf Regelungen trifft, mit der Jahrgangsstufe 13 an Gymnasien oder
Gesamtschulen, besteht, kann dahinstehen. Jedenfalls scheidet eine Gleichstellung des
Bildungsganges bis zur Klasse 12 an Waldorfschulen mit dem bis zur Jahrgangsstufe
12 an Gymnasien oder Gesamtschulen hinsichtlich des Erwerbs der Fachhochschulreife
aus, weil für Waldorfschulen unterhalb der Jahrgangsstufe 13 den Bestimmungen der
Verordnung über den Bildungsgang und die Abiturprüfung in der gymnasialen Oberstufe
(APO-GOSt) vergleichbare Regelungen fehlen.
31
Insbesondere gibt es keine dem § 40 a APO-GOSt entsprechende Regelung über die
Anforderungen hinsichtlich der Grund- und Leistungskurse, der Fächer und der
Punktwerte, welche für die Fachhochschulreife in der Jahrgangsstufe 12 erfüllt sein
müssen. Die Bedeutung der verordnungsrechtlichen Festlegung liegt auch darin, dass
sowohl für potentielle Empfänger von Bewerbungen als für die Fachhochschulen
verbindlich festgelegt ist, welcher Kenntnis- und Bildungsstand vorausgesetzt wird.
32
Ob Grund- und Leistungskurse, die durch § 6 PO-Waldorf erst ab der dortigen
Jahrgangsstufe 13 vorgesehen sind, eine bislang nicht vorgesehene Relevanz für die
Abiturprüfung an Waldorfschulen haben müssten, kann dahinstehen, weil es hier um die
Erfüllung von Anforderungen in dem Schuljahr vor der durch die PO-Waldorf geregelten
Jahrgangsstufe geht.
33
Schließlich rechtfertigt § 5 PO-Waldorf keine abweichende Beurteilung. Dieser regelt
die Eintrittsvoraussetzungen für die Jahrgangsstufe 13 dahingehend, dass darin
Schülerinnen und Schüler aufgenommen werden, die nach zwölf aufsteigenden
Schuljahren den Abschluss der Waldorfschule erlangt haben und von denen erwartet
werden kann, dass sie in den von ihnen zu belegenden Fächern einem Unterricht folgen
können, der dem Unterricht in der Jahrgangsstufe 13 der gymnasialen Oberstufe nach
Inhalt und Anforderungen gleichwertig ist. Ob die Aufnahmeentscheidung einen
äquivalenten Leistungsstand im Vergleich zu Schülern, die an Gymnasien oder
Gesamtschulen in die Jahrgangsstufe 13 der Qualifikationsphase übergegangen sind,
dokumentiert, kann dahinstehen. Denn der Erwerb der Fachhochschulreife kann nicht
von einer Prognoseentscheidung abhängig gemacht werden, sondern setzt wie die
Zuerkennung eines Abschlusses die tatsächliche Erbringung,
34
Vgl. OVG NRW, a.a.O.,
35
von Prüfungsleistungen oder zumindest allgemein verbindlicher
Qualifikationsanforderungen voraus.
36
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Was allfällige
verweisungsbedingte Mehrkosten anbetrifft, kann dahinstehen, ob § 17 b Abs. 2 Satz 2
des Gerichtsverfassungsgesetzes oder § 155 Abs. 4 VwGO Anwendung findet, falls eine
fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung die Anrufung eines unzuständigen Gerichts
veranlasst hat
37
vgl. zum Meinungsstand Neumann in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung,
Großkommentar, 2. Auflage 2006, § 155, Rdn. 117.
38
Eine solche lag nicht vor.
39
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in
Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
40
Ein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Grund gemäß §§ 124 Abs. 2, 124 a
Abs. 1 Satz 1 VwGO liegt nicht vor.
41