Urteil des VG Aachen vom 12.11.2007
VG Aachen: chemie, biologie, numerus clausus, anspruch auf bewilligung, physik, wechsel, aufschiebende wirkung, ausbildung, hochschule, universität
Verwaltungsgericht Aachen, 5 K 1567/05
Datum:
12.11.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 1567/05
Tenor:
Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 21. Oktober
2004 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung L. vom 2.
Juni 2005 verpflichtet, dem Kläger Ausbildungsförderung für sein
Studium des Lehramts Sekundarstufe II mit den Fächern Chemie und
Biologie in dem Bewilligungszeitraum von Oktober 2004 bis September
2005 zu gewähren.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig
vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Der Kläger nahm im Wintersemester 2002/2003 das Studium der Fächer Chemie und
Physik im Lehramt der Sekundarstufe II an der Universität in L. auf. Antragsgemäß
erhielt er Ausbildungsförderung ab November 2002. Zum Sommersemester 2003
wechselte er an die RWTH in B. . Er erhielt weiterhin Ausbildungsförderung.
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Zu seinem Antrag auf Weiterbewilligung von Ausbildungsförderung für das
Wintersemester 2003/2004 legte er eine Studienbescheinigung der RWTH B. vor, nach
der er im 3. Semester in den Lehramtsfächern Chemie und Physik sowie im 1. Semester
im Fach Diplombiologie eingeschrieben war. Der Kläger gab an, dass er beabsichtige,
das Fach Diplombiologie im Sommersemester 2004 auf Biologie Lehramt umschreiben
zu lassen. Das Fach Physik wolle er nicht mehr fortsetzen, weil er gemerkt habe, dass
es nicht seinen Neigungen entspreche. Der Beklagte bewilligte dem Kläger
antragsgemäß Ausbildungsförderung für seine Ausbildung.
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Zu seinem Antrag auf Weiterbewilligung von Ausbildungsförderung für das
Wintersemester 2004/2005 legte er eine Studienbescheinigung der RWTH B. vor, nach
4
der er im 5. Semester in dem Lehramtsfach Chemie und im 3. Semester in den Fächern
Biologie Lehramt und Diplombiologie eingeschrieben war. Er führte aus, dass er im
vergangenen Sommersemester den Wechsel zu Biologie Lehramt vorgenommen habe.
Aufgrund des Studienortwechsels habe er das Fach Lehramt Chemie nicht regulär
weiter studieren können. Er befinde sich in diesem Fach im 2. Fachsemester. Zugleich
legte er eine Bescheinigung des Leiters des Instituts für Anorganische Chemie an der
RWTH, Prof. Dr. L1. , vor, wonach ihm bestätigt wurde, dass er die bis zum Ende des 2.
Fachsemesters üblichen Leistungen erbracht habe. In einem weiteren Schreiben führte
Prof. Dr. L1. aus, dass der Kläger in L. keine praktischen Lehrveranstaltungen
(Laborkurse) habe besuchen können, weil solche dort im ersten Studiensemester nicht
angeboten würden. Dementsprechend sei er in B. in das 1. Fachsemester eingestuft
worden. Da der erste Praktikumskurs für das Lehramtsstudium Chemie jeweils zum
Wintersemester angeboten würde, habe der Kläger dieses Studium zum Wintersemester
2003/2004 aufgenommen.
Der Kläger führte in seinem "Antrag auf zu vertretende Studienverzögerungen wegen
eines Hochschulwechsels aus wichtigen persönlichen und ausbildungsbedingten
Gründen" weiter aus, dass ihm nach einem Semester Studium aufgefallen sei, dass sich
das Physikstudium nicht mit seinen Interessen deckte. Er habe dann begonnen,
Informationen über einen möglichen Fachwechsel zu sammeln. Er habe sich
entschieden, Biologie zu studieren. Mit seiner Entscheidung seien aber mehrere
Probleme verknüpft gewesen. So sei das Lehramtsstudium Biologie
zulassungsbeschränkt; er habe mit seinem Notendurchschnitt von 3,2 den Numerus
Clausus, der in Nordrhein-Westfalen zwischen 2,1 und 2,4 gelegen habe, nicht
erreichen können. Ein Universitätswechsel außerhalb Nordrhein-Westfalens hätte
erhebliche persönliche Probleme verursacht. So sei seine Mutter psychisch labil. Laut
ärztlichem Gutachten sei es von Bedeutung, dass Familienmitglieder schnellstmöglich
für seine Mutter zu erreichen seien. Dies setze einen Studienort in der Nähe des
Wohnortes der Mutter im Kreis I. voraus. Weiter werde der Beginn des Chemiestudiums
regelmäßig erst im Wintersemester angeboten, so dass er in L. nicht erbrachte
Leistungen nicht im folgenden Sommersemester würde nachholen können. Er habe, um
keine Studienzeit zu verlieren, alles versucht, um den Studienwechsel an der Universität
L. zu vollziehen. Nach mehreren Beratungsgesprächen mit Professoren der
Fachbereiche Chemie und Biologie habe er erfahren, dass ein Quereinstieg in das
Lehramtsfach Biologie dort nicht möglich sei. In B. dagegen habe er erfahren, dass dort
ein Quereinstieg möglich sei unter der Voraussetzung, dass er sehr gute Leistungen aus
den Nebenfächern der Biologie, nämlich Chemie, Physik und Mathematik, vorweisen
könne. Auch sei es möglich, erbrachte Leistungen aus dem Studium der Diplombiologie
im Lehramtsstudium anrechnen zu lassen. Der Numerus Clausus für Diplombiologie
liege bei 3,2. So habe er sich entschlossen, nach B. zu wechseln. Dies habe für sein
Fach Chemie zur Folge gehabt, dass er erst im Wintersemester 2003/2004 das Studium
habe beginnen können. Über die ZVS sei ihm für das Fach Diplombiologie in B. ein
Studienplatz zugewiesen worden. Seine Prüfungen in Chemie und Diplombiologie aus
dem Wintersemester 2003/2004 seien ihm für eine Einstufung in das 2. Semester im
Fach Biologie Lehramt anerkannt worden.
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Der Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Weiterbewilligung von
Ausbildungsförderung mit Bescheid vom 21. Oktober 2004 mit der Begründung ab, dass
der Kläger nicht den gemäß § 48 Abs. 1 des Bundesgesetzes über individuelle
Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG -)
erforderlichen Leistungsnachweis für das Lehramtsstudium Chemie erbracht habe. Er
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lehnte auch den Antrag auf Ausbildungsförderung ohne den geforderten
Leistungsnachweis gemäß § 48 Abs. 2 BAföG ab. In der Begründung hieß es, im Falle
des Klägers seien nicht Verzögerungsgründe im Sinne des § 15 Abs. 3 BAföG
anzuerkennen. Wer nämlich den Hochschulort wechsele und dabei durch Rückstufung
Fachsemester verliere, könne diese Rückstufung nicht als Grund für eine Verschiebung
des Leistungsnachweises geltend machen. Von dem Auszubildenden müsse erwartet
werden, dass er sich vor dem Wechsel der Hochschule erkundige, ob die Organisation
des Studiums und der Prüfungen einen zügigen Fortgang des Studiums nach dem
Hochschulwechsel erlaube.
Der Kläger erhob am 12. November 2004 Widerspruch. Zur Begründung wiederholte
und vertiefte er seine Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren.
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Die Bezirksregierung L. wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid
vom 2. Juni 2005 zurück.
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Der Beklagte teilte dem Kläger mit Bescheid vom 21. Juni 2005 mit, dass sein
Fachrichtungswechsel von dem Lehramt Sekundarstufe II mit der Fächerkombination
"Chemie/Physik" zu Lehramt Sekundarstufe II mit der Fächerkombination
"Chemie/Biologie" zum Sommersemester 2004 nicht entsprochen werde, weil er die
Fachrichtung nicht unverzüglich gewechselt habe. Gegen diesen seiner
Prozessbevollmächtigten am 28. Juni 2005 zugegangenen Bescheid erhob der Kläger
am 28. Juli 2005 Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist.
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Der Kläger hat am 6. Juni 2005 Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 21.
Oktober 2004 erhoben. Er macht zur Begründung geltend, dass er sich an
verschiedenen Universitäten beworben habe, um seinen Fachrichtungswechsel
durchführen zu können. Für das Wintersemester 2003/2004 habe er schließlich von der
ZVS eine Zusage für die RWTH in B. für das Fach Diplombiologie erhalten. In B. habe
er zwar auch Chemie studieren können, er sei allerdings in diesem Fach zurückgestuft
worden, weil er in seinem Studium in L. bestimmte Leistungsnachweise nicht habe
erbringen können. Zum Sommersemester 2004 habe er das Studium im Fach Lehramt
Sekundarstufe II für Biologie aufnehmen können. Aus dieser Chronologie ergebe sich,
dass er den Fachrichtungswechsel unverzüglich vorgenommen habe.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 21. Oktober 2004 und des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung L. vom 2. Juni 2005 zu verpflichten, dem
Kläger Ausbildungsförderung für sein Studium des Lehramts Sekundarstufe II mit den
Fächern Chemie und Biologie in dem Bewilligungszeitraum von Oktober 2004 bis
September 2005 zu gewähren.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
14
Er nimmt zur Begründung auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide Bezug.
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Das Landesprüfungsamt für erste Staatsprüfungen für Lehrämter an Schulen teilte dem
Gericht auf Anfrage mit Schreiben vom 10. Juli 2007 mit, dass es nach den geltenden
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Bestimmungen betreffend das Lehramtsstudium nicht möglich sei, das Lehramtsstudium
allein in einem Fach (hier: Chemie) neben dem Diplomstudium (Biologie) zu betreiben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte ergänzend Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist begründet.
19
Der Bescheid des Beklagten vom 21. Oktober 2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung L. vom 2. Juni 2005 über die Ablehnung
der Bewilligung von Ausbildungsförderung gegenüber dem Kläger ist rechtswidrig, §
113 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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Der Kläger hat Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung in dem im Tenor
genannten Bewilligungszeitraum. Seinem Anspruch steht nicht die Bestimmung des §
48 Abs. 1 BAföG entgegen. Hiernach wird Ausbildungsförderung für den Besuch einer
Hochschule vom fünften Semester an nur von dem Zeitpunkt an geleistet, in dem der
Auszubildende eine nach Beginn des vierten Fachsemesters ausgestellte
Bescheinigung der Ausbildungsstätte darüber vorgelegt hat, dass er die bei geordnetem
Verlauf seiner Ausbildung bis zum Ende des jeweils erreichten Fachsemesters üblichen
Leistungen erbracht hat.
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Der Kläger befand sich im Bewilligungszeitraum von Oktober 2004 bis September 2005
in seinem Lehramtsstudium im Fach Chemie im 5. Fachsemester. Die von ihm
vorgelegte Bescheinigung der RWTH B. gemäß § 48 BAföG vom 30. Juli 2004 wies
aus, dass er am 30. Juli 2004 die bis zum zweiten Semester üblichen Leistungen in
diesem Fach erbracht hatte. Damit erfüllt der Kläger zwar nicht die gesetzlichen
Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG. Der Umstand, dass der Kläger
einen Fachrichtungswechsel für sein weiteres Studienfach, nämlich von Lehramt Physik
zu Lehramt Biologie vorgenommen hatte und sich in dem neuen Studienfach erst im
dritten Fachsemester befand, ändert hieran nichts. Erstreckt sich nämlich die Ausbildung
auf mehrere Studienfächer, hat der Auszubildende für jedes dieser Fächer einen
gesonderten Eignungsnachweis vorzulegen.
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Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 26. Juli 1984 - 5 C 130/81, Juris;
Fischer in Rothe/Blanke, Bundesausbildungsförderungsgesetz, Kommentar, Stand: Juni
2003, § 48 Rn. 8; Teilziffer 48.1.7 BAföGVwV.
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Zu Gunsten des Klägers greift allerdings die Bestimmung des § 48 Abs. 2 BAföG ein.
Hiernach kann in dem Fall, dass Tatsachen vorliegen, die voraussichtlich eine spätere
Überschreitung der Förderungshöchstdauer nach § 15 Abs. 3 BAföG rechtfertigen, das
Amt für Ausbildungsförderung die Vorlage der Bescheinigung zu einem entsprechend
späteren Zeitpunkt zulassen. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung liegen vor. Der
Kläger kann sich auf die hier allein in Betracht kommende Alternative des § 15 Abs. 3
Nr. 1 BAföG berufen, wonach "schwerwiegende Gründe" für das Überschreiten der
Förderungshöchstdauer vorliegen müssen, soweit sein Studienfach Chemie betroffen
ist. Der Kläger hatte schwerwiegende Gründe für die Verzögerung der Vorlage der
Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 BAföG im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG um 2
Semester.
24
Die Verzögerung der Vorlage des Leistungsnachweises für das Studienfach Chemie
beruht zunächst darauf, dass der Kläger die Ausbildungsstätte gewechselt hat, indem er
von der Universität L. an die RWTH B. gewechselt hatte. Er konnte sein Chemiestudium
nicht in B. fortsetzen, sondern musste es zum Wintersemester 2003/2004 im ersten
Fachsemester neu beginnen, weil er in seinem ersten Semester aufgrund der
Organisation des Chemiestudiums in L. keine Leistungsnachweise hatte erbringen
können. Da der Lehramtsstudiengang Chemie an der RWTH B. nur im Wintersemester
beginnt, konnte er dieses Studium auch nicht bereits im Sommersemester 2003
beginnen.
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Studienverzögerungen als Folge des Wechsels zu einer anderen Ausbildungsstätte
werden grundsätzlich nicht im Rahmen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG anerkannt. Denn
grundsätzlich gilt, dass sich der Auszubildende vor einem Wechsel der Hochschule
erkundigen muss, ob die Organisation des Studiums und der Prüfungen einen zügigen
Fortgang des Studiums nach dem Hochschulwechsel erlaubt.
26
Vgl. Blanke in Rothe/Blanke, Bundesausbildungsförderungsgesetz, Kommentar, Stand:
Juni 2001, § 15 Rn. 20.5, mit Rechtsprechungsnachweisen.
27
Die hier in Rede stehende Studienverzögerung im Fach Chemie war zwar bedingt durch
den Wechsel der Hochschule. Dieser Wechsel hatte sich jedoch für den Kläger als
unabdingbar erwiesen, wollte er den erkannten Neigungswandel in seinem zweiten
Lehramtsstudienfach vollziehen.
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Dies ergibt sich aus Folgendem: Der Kläger hatte nach allen ersichtlichen Umständen
keine als zumutbar anzuerkennende Alternative für seinen Wunsch, das Studium in dem
Lehramtsfach Biologie alsbald aufzunehmen, als an die RWTH nach B. zu wechseln.
Die nach fernmündlicher Auskunft eines Studienberaters der mathematisch-
naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität L. gegenüber dem Gericht seinerzeit
bestehende Möglichkeit, das Lehramtsstudium in L. fortzusetzen, gleichzeitig
Diplombiologie zu studieren, um nach Ablauf von 4 Semestern und dem Bestehen des
Vordiploms in das Lehramtsstudium Biologie zu wechseln, kann nicht als zumutbare
Alternative für das von dem Kläger gewählte Verfahren angesehen werden. Der Kläger
hätte das Lehramtsstudium in Chemie nämlich nur fortsetzen können, wenn er ein
weiteres Fach belegt hätte. Dies folgt daraus, dass das Lehramtsstudium nach den
geltenden Bestimmungen zwingend das Studium von 2 Unterrichtsfächern voraussetzt.
Dies hätte für den Kläger bedeutet, dass er neben dem Biologiediplomstudiengang und
dem Lehramtsfach Chemie für die Dauer von mindestens weiteren 4 Semestern das
Fach Physik, also insgesamt über die Dauer von mindestens 5 Semestern hätte
studieren müssen.
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Vgl. OVG, Beschluss vom 15. März 2007 - 4 E 248/06 -.
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Dies ist mit Blick auf die vor allem in § 7 Abs. 3 Satz 4 BAföG zum Ausdruck
gekommene Wertung des Gesetzgebers, dass dem Auszubildenden in der Anfangszeit
seines Studiums ohne Gefährdung seines Anspruchs auf Ausbildungsförderung
zugestanden wird, etwa aufgrund eines alsbald festgestellten Neigungswandels das
Fach zu wechseln, nicht zumutbar. Ergreift der Auszubildende die sich aus dem
Neigungswandel ergebenden Konsequenzen, indem er so bald wie möglich in das
gewünschte Fach wechselt, entspricht dies nicht nur der von der Rechtsprechung zu § 7
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Abs. 3 Satz 1 BAföG geforderten Unverzüglichkeit der Umsetzung des
Neigungswandels, sondern auch der beschriebenen gesetzgeberischen Bewertung
eines Fachwechsels in der Anfangsphase der Ausbildung.
Eine sonstige Alternative an einer dritten Universität, an der der Kläger die Möglichkeit
gehabt hätte, das Lehramtsstudium in Chemie ohne die in B. hinzunehmende
Verzögerung fortzusetzen und gleichzeitig mindestens so zügig wie an der RWTH in
das Lehramtsfach Biologie zu wechseln, ist weder ersichtlich, noch von dem Beklagten
vorgetragen worden.
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War der Wechsel der Hochschule danach unabdingbar für den Kläger, um den
erkannten Neigungswandel zu vollziehen, ist dies als schwerwiegender Grund für die
hierdurch eingetretene Verzögerung in dem Fach Chemie anzuerkennen.
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Hiergegen spricht nicht, dass der Beklagte den Fachrichtungswechsel des Klägers zum
Sommersemester 2004 mit Bescheid vom 21. Juni 2006 abgelehnt hat. Da der Bescheid
noch nicht bestandskräftig ist, vielmehr der von dem Kläger hiergegen erhobene
Widerspruch aufschiebende Wirkung hat, greift nicht die Bestimmung des § 50 Abs. 1
Satz 4 BAföG ein, wonach die in dem Bescheid getroffene Entscheidung zu § 7 Abs. 3
BAföG für den gesamten Ausbildungsabschnitt gilt.
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Der Fachrichtungswechsel des Klägers dürfte auch - entgegen der Entscheidung des
Beklagten in dem o.g. Bescheid - anzuerkennen sein. Der von dem Kläger geltend
gemachte Neigungswandel für den Wechsel von Lehramt Physik zu Lehramt Biologie
stellt einen wichtigen Grund i.S.d. § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG dar. Der Kläger hat das
Studium in dem neuen gewünschten Fach zu Beginn des 4. Fachsemesters (im Fach
Physik) aufgenommen und damit noch rechtzeitig im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 1, 2.
Halbsatz BAföG. Dem Kläger dürfte auch nicht entgegenzuhalten sein, dass er den
Fachrichtungswechsel nicht unverzüglich nach Erkennen des Neigungswandels
vorgenommen hat. Er hatte seinen Neigungswandel im Verlauf des ersten Semesters
erkannt und sich mit Rücksicht auf die Aussicht, in B. das gewünschte Biologiestudium
alsbald aufnehmen zu können, bereits im 2. Semester in B. , allerdings nach wie vor für
die Fächer Chemie und Physik eingeschrieben. Letzteres gereicht ihm jedoch nicht zum
Nachteil. In Fällen, in denen ein Student bei einem Neigungswandel sein Studium nach
dem ersten Semester nicht sofort abbricht, sondern diesen Abbruch um einige Monate
verzögert, um abzuwarten, ob er eine Zulassung zu dem von ihm gewünschten Studium
erhält, ist die Sanktion, die § 7 Abs. 3 BAföG an die Verzögerung knüpft, nämlich der
Wegfall jedweder Ausbildungsförderung, verfassungsrechtlich wegen Verstoßes gegen
den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht hinzunehmen. Der Unterschied zu
der Personengruppe, die noch vor Beginn des 2. Semesters und damit lediglich einige
Monate vor der hier in Rede stehenden Personengruppe den Neigungswandel vollzieht,
ist nicht von solchem Gewicht, dass es die aus der strikten Anwendung des § 7 Abs. 3
Satz 1 BAföG folgende Ungleichbehandlung rechtfertigte.
35
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juli 1985 - 1 BvR 1428/82 - NVwZ 1985, 731; BVerwG,
Urteil vom 21. Juni 1990 - 5 C 45.87 -, FamRZ 1991, 119.
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Der Umstand, dass der Kläger sein Studium in den Fächern Chemie und Physik nach
dem ersten Semester ein weiteres Semester lang fortsetzte, während er gleichzeitig den
Wechsel zum Fach Biologie vorbereitete, wirkt sich nach vorstehenden Grundsätzen
daher nicht zu seinem Nachteil aus.
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Allerdings nahm der Kläger sein Wunschstudium auch noch nicht im 3. Semester,
sondern erst im Wege des Quereinstiegs von Diplombiologie im 4. Semester auf. Der
Kläger hatte sich in Diplombiologie einschreiben lassen, weil es ihm nur so, nämlich im
Wege des Quereinstiegs, möglich war, einen Studienplatz im entsprechenden, aber
zulassungsbeschränkten Lehramtsstudium zu erhalten. Dies ist jedoch vor dem
Hintergrund unschädlich, dass dem Kläger bei seiner Einschreibung in das
Wunschstudium ein Semester des Diplomstudiums angerechnet worden ist, so dass
sich der Kläger in seinem Wunschstudiengang im Sommersemester 2004 bereits im 2.
Semester befand. Ausgehend davon, dass sich eine solche Anrechnung von
Studienleistungen aus dem aufgegebenen Studium zum Vorteil des Studenten bei der
Frage auswirkt, ob die Zeitschwelle des § 7 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz BAföG
eingehalten ist,
38
vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. August 2005 - 1 BvR 309/03 -; OVG NRW, Urteil vom
24. Oktober 2000 - 16 A 2971/00 -,
39
kann nichts anderes gelten für die Frage, ob der Auszubildende die Fachrichtung
unverzüglich gewechselt hat. Beide tatbestandlichen Erfordernisse sollen dem Umstand
Rechnung tragen, dass die Mittel der Ausbildungsförderung nicht über ein bestimmtes
vom Gesetzgeber als noch hinnehmbar angesehenes Maß hinaus für eine Ausbildung
aufgewandt werden, die der Auszubildende gar nicht mehr abzuschließen beabsichtigt.
Wirkt sich aber die (hier: einsemestrige) Weiterführung des früheren Faches auf die
Dauer der Gewährung von Ausbildungsförderung deshalb nicht aus, weil dem
Studenten frühere Studienleistungen auf das Wunschstudium angerechnet werden, ist
das Ziel erreicht, welches mit dem Erfordernis der Unverzüglichkeit des
Fachrichtungswechsels angestrebt wird.
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Hier kommt Folgendes hinzu: Hätte der Kläger, um dem Erfordernis der
Unverzüglichkeit zu genügen, sein Physikstudium jedenfalls zum Wintersemester
2003/2004 aufgegeben, hätte er sein Lehramtsstudium insgesamt, d.h. auch in Chemie
nicht fortsetzen können. Dies hätte zur Folge gehabt, dass er sich erst im
Wintersemester 2004/2005 wieder für Chemie hätte einschreiben und auch erst zu
diesem Zeitpunkt ein Wechsel von Diplombiologie zu Lehramt Biologie hätte erfolgen
können. Die einsemestrige Fortsetzung des Physikstudiums diente im Ergebnis also
dazu, die nahtlose Fortsetzung des Lehramtsstudiums zu ermöglichen.
41
Stellte sich nach allem der Wechsel des Klägers an die RWTH B. als unvermeidbar dar,
um den anzuerkennenden Fachrichtungswechsel zu vollziehen, so ist hierin ein
schwerwiegender Grund im Sinne der §§ 48 Abs. 2, 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG für die
Verzögerung des Studiums in dem beibehaltenen Fach zu erkennen. Dies folgt aus der
Wertung des Gesetzgebers, wie sie in der Regelung des § 7 Abs. 1 Sätze 1 und 4
BAföG zum Ausdruck kommt. Wie ausgeführt, wird dem Studenten danach in der
Anfangsphase seines Studiums zugestanden, dass er etwa bei einem Neigungswandel
sein Fach wechselt, ohne nachteilige Folgen für seinen Anspruch auf
Ausbildungsförderung befürchten zu müssen. Dies muss aber in gleicher Weise für den
Studenten gelten, der ein Studium betreibt, welches wie das Lehramtsstudium zwingend
aus mehreren Fächern besteht. Die hiernach letztlich in der Besonderheit der
Ausbildung (Mehrfächerstudium sowie unterschiedliche Studienorganisation an den
beiden Hochschulen im Fach Chemie) begründete Verzögerung im Fach Chemie ist als
schwerwiegender Grund im Rahmen des § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG anzuerkennen,
42
vgl. Fischer in: Rothe/Blanke, BAföG, Kommentar, § 15 Rn. 19; VG Sigmaringen, Urteil
vom 23. Juli 2003, 1 K 2064/02 -, juris.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung
über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der
Zivilprozessordnung.
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