Urteil des VG Aachen vom 10.06.2005
VG Aachen: serbien und montenegro, kosovo, politische verfolgung, staatliche verfolgung, bundesamt für migration, haus, amnesty international, provinz, unhcr, behandlung
Verwaltungsgericht Aachen, 9 K 4171/04.A
Datum:
10.06.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 4171/04.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten
nicht erhoben werden.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger
können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
Vollstreckungsbetrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand:
1
Die Kläger sind eigenen Angaben zufolge serbisch-montenegrinische
Staatsangehörige. Sie gehören dem Volk der Ashkali an und stammen aus dem
Kosovo.
2
Zur Begründung ihres im vergangenen Jahr gestellten Asylantrags gaben sie bei ihrer
Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden:
Bundesamt) an, sie seien zuletzt mit einem vom 4. Mai bis 1. August 2004 gültigen
Visum ins Bundesgebiet eingereist. Hier hätten sie ihre Söhne sowie ihre Tochter
besucht. Bis zum 18. März 2004 hätten sie sich in Vucitrn aufgehalten. Am 5. Mai 2004
seien sie von Pristina nach Düsseldorf geflogen. Ihr Haus sei am 18. März 2004 von
Albanern zerstört worden. Man habe sie geschlagen und vertrieben. Die Polizei habe
auf Polizeistationen im Zentrum von Smrkovnice Schutz gewährt. Dort befinde sich eine
französische KFOR-Basis. Sie hätten sich vier Tage dort aufgehalten. Anschließend
seien sie in eine etwa fünf Kilometer entfernte Basis verlegt worden. Dort seien sie
dreizehn Tage geblieben. Wegen seiner Krankheit sei der Kläger zu 1. dann auf eigene
Gefahr zu seiner Schwester nach Pristina gegangen. Dort habe er sich bis zur Ausreise
aufgehalten. Er sei nicht politisch aktiv gewesen. Er habe sich von 1978 bis 1999 als
Angestellter in einer Metallfabrik betätigt. Am 18. März 2004 habe man nachmittags
gegen 16.15 Uhr die Kirche angezündet. Die Gruppe junger Albaner hätten sodann das
Haus eines Verwandten in Brand gesteckt. Albanische Häuser hätten sie nicht
angetastet. Sie hätten das Haus des Nachbarn geplündert. Ein Hausbesitzer habe sich
mit Waffe verteidigt. Er habe mehrere Schüsse abgegeben und die Leute vertrieben.
3
Anschließend sei das Haus seines Bruders sowie ein weiteres Haus an der Reihe
gewesen. Als Letztes seien sie zu seinem Haus gezogen. Als man sie vertrieben habe,
habe das Haus noch gestanden. Später hätten sie es niedergebrannt. Es habe sich um
unbekannte junge Albaner zwischen zwanzig und dreißig Jahren gehandelt. Er habe
sich nicht länger bei seiner Schwester in Pristina aufgehalten, weil die Lage auch dort
nicht sicher erscheine. Im Übrigen besitze seine Schwester kleine Kinder und kein Geld,
wegzugehen. Sie hätten am 18. März auf Aufforderung der Polizei mitkommen müssen.
Daher hätten sie weder Papiere noch Dokumente und Geld (3.000 Dollar) mitnehmen
können. Selbst in Begleitung der Polizei hätten die Angreifer ihr Tun fortgesetzt und eine
Metallstange nach ihm geworfen. Eine habe ihn am Kopf getroffen. Die internationalen
Gruppen und Einrichtungen hätten nicht hinreichend geschützt. Die KFOR-Truppen
hätten die Kirche bis 4.10 Uhr geschützt. Fünf Minuten später sei sie in Brand gesetzt
worden. Die Klägerin zu 2. ergänzte, ihr Personalausweis sei bei den Vorfällen am 18.
März 2004 zerstört worden. Sie wolle nicht in den Kosovo zurückkehren, weil man sie
vertrieben habe. Das Haus der Familie sei zerstört worden. Man habe sie mit Steinen
beworfen. Sie habe nachts das Haus barfuß verlassen müssen. Niemand habe sie
geschützt. Selbst bei der Flucht seien sie angegriffen worden. Ihr Mann sei getreten
worden. Sie sei herzkrank. Es sei einfach schrecklich gewesen.
Dem Anhörungsprotokoll sind u. a. Auszüge aus dem Internet betreffend die Vorfälle im
Kosovo im März 2004 beigefügt.
4
Durch Bescheid vom 8. November 2004 lehnte das Bundesamt die Anträge auf
Anerkennung als Asylberechtigte ab. Zugleich stellte es fest, dass weder die
Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG (bis zum 31.
Dezember 2004: § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG -) noch ein sonstiges
Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG (zuvor:
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG) vorlägen. Schließlich forderte es die Kläger
unter Beifügung einer Abschiebungsandrohung mit dem Zielstaat Serbien und
Montenegro zur Ausreise aus dem Bundesgebiet binnen eines Monats nach
Bekanntgabe der Entscheidung auf.
5
Die Kläger haben am 16. November 2004 Klage erhoben. Sie wiederholen und vertiefen
ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Ergänzend tragen sie vor, UNHCR führe
nicht zuletzt in seinen Positionspapieren vom August und September 2004 zur
fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo aus, Kosovaren, die
Minderheitenzugehörige seien, seien weiterhin ernsthaften Gefahren ausgesetzt. Die
Schweizerische Flüchtlingshilfe stelle in ihrem Bericht über Minderheiten aus dem
Kosovo vom 24. Mai 2004 fest, die gewaltsamen Zwischenfälle gegenüber
Minderheitenangehörigen seien seit dem Jahr 2002 zurückgegangen. Die
Sicherheitssituation könne jedoch nicht als stabil bezeichnet werden. Politisch
motivierte Gewaltakte hätten mit den Unruhen vom März 2004 erheblich zugenommen.
Der Monatsbericht Dezember 2002 des Informationsbüros der Deutschen Caritas und
Diakonie in Pristina lege zahlreiche Alltagsfälle dar, in denen Übergriffe auf
Minderheitenzugehörige geschildert würden. Ähnliches ergebe sich aus dem Bericht
von amnesty international vom 29. April 2003. Schließlich lege Paul Polansky seitens
der Gesellschaft für bedrohte Völker in seinem Bericht "Kosovo, Roma und Ashkali ohne
Zukunft?" vom November 2004 tägliche Diskriminierungen und Übergriffe dar. Vor
diesem Hintergrund seien sowohl Schutzfähigkeit als auch Schutzwille des serbisch-
montenegrinischen Staates in Zweifel zu ziehen. Eine inländische Fluchtalternative für
Minderheitenzugehörige aus dem Kosovo scheide aus. Jedenfalls sei ein sonstiges
6
Abschiebungsverbot festzustellen. Angehörigen der Minderheiten aus dem Kosovo
drohten zum heutigen Zeitpunkt mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit
menschenrechtswidrige Behandlung beziehungsweise eine konkrete Gefahr für Leib,
Leben oder Freiheit. Das Verwaltungsgericht Stuttgart habe in seinem Beschluss vom
31. Januar 2005 - A 10 K 13481/04 - das Vorliegen der Voraussetzungen eines
Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG für Minderheitenzugehörige aus dem
Kosovo angenommen. Ergänzend werde auf die Ausführungen im Urteil des
vorerwähnten Gerichts vom 17. Januar 2005 - A 10 K 10587/04 - Bezug genommen.
Auch das Bundesamt habe im Falle von Kosovo-Ashkali unter dem 1. März 2005 (Az.
5135290-132) einen positiven Bescheid erlassen.
Die Kläger beantragen,
7
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesamts vom 8. November 2004
zu verpflichten, sie als Asylberechtigte anzuerkennen sowie festzustellen, dass die
Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 des
Aufenthaltsgesetzes vorliegen,
8
hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass ein sonstiges
Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt.
9
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
10
die Klage abzuweisen.
11
Sie nimmt auf die angefochtene Entscheidung Bezug. Ergänzend schließt sie sich der
Würdigung im Prozesskostenhilfebeschluss vom 4. Januar 2005 an.
12
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie des von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgangs Bezug
genommen. Die Erkenntnisse der Kammer zum Herkunftsland Serbien und Montenegro
(Kosovo) sind - ebenso wie die im Terminsprotokoll, auf das verwiesen wird,
aufgeführten Erkenntnismittel - in das Verfahren eingeführt worden.
13
Entscheidungsgründe:
14
Die zulässige Klage ist unbegründet.
15
Den Klägern stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu, und die
Abschiebungsandrohung im streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamts ist
rechtmäßig (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 1 Satz 1 VwGO).
16
Zunächst liegen mangels politischer Verfolgung die Voraussetzungen für die
Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte sowie für ein Abschiebungsverbot nach §
60 Abs. 1 AufenthG nicht vor. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer,
17
vgl. nur die Urteile vom 4. Januar 2005 - 9 K 3241/04.A -, vom 20. Januar 2003 - 9 K
2086/00.A - und vom 28. April 2003 - 9 K 2362/02.A -,
18
die der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen (OVG NRW) entspricht,
19
vgl. Urteile vom 30. September 1999 - 13 A 93/98.A -, vom 10. Dezember 1999 - 14 A
3768/94.A - und vom 17. Dezember 1999 - 13 A 3931/94.A -, sowie Beschlüsse vom 30.
Oktober 2000 - 14 A 4034/94.A -, vom 6. August 2001 - 14 A 2438/00.A -, vom 4. April
2002 - 14 A 1362/98.A - und vom 4. Juli 2002 - 14 A 891/02.A -,
20
sind ethnische Albaner - ebenso wie Minderheitenzugehörige - aus dem Kosovo, also
auch die Kläger, gegenwärtig und auf absehbare Zeit bei einer Rückkehr dorthin vor
einer etwaigen politischen Verfolgung durch Serbien und Montenegro hinreichend
sicher. Diesem Staat fehlt nämlich für das Gebiet der Provinz Kosovo die Staatsgewalt
im Sinne wirksamer hoheitlicher Überlegenheit, die ihm eine politische Verfolgung der
dort lebenden Bevölkerung ermöglichen könnte. Demgemäß scheidet eine - wie auch
immer geartete - politische Verfolgung des vorerwähnten Personenkreises im Kosovo
durch Serbien und Montenegro auf absehbare Zeit aus.
21
Darüber hinaus ist Bewohnern des Kosovo eine Rückkehr dorthin auch nicht im Hinblick
auf erschwerte Lebensbedingungen oder aber Minen und Blindgänger unzumutbar. Die
infolge der Zerstörung von Infrastruktur erschwerten Lebensbedingungen für alle
Bevölkerungsgruppen im Kosovo haben sich zwischenzeitlich spürbar verbessert, und
die Umsetzung der UN-Resolution zum Kosovo vom 10. Juni 1999 schreitet erkennbar
weiter fort. Im Übrigen tragen internationale Hilfsorganisationen zur Sicherstellung einer
hinreichenden allgemeinen Versorgungslage bei. Anhaltspunkte dafür, dass die
Änderung der Verhältnisse lediglich vorübergehender Natur wäre, sind weiterhin nicht
ersichtlich.
22
Vor dem Hintergrund der aktuellen Erkenntnislage,
23
vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungs- relevante Lage in
Serbien und Montenegro (Kosovo) vom 4. November 2004 (Lagebericht);
Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH), Update vom 24. Mai 2004 zur Situation der
ethnischen Minderheiten nach den Ereignissen vom März 2004; UNHCR, Position zur
fortdauernden Schutzbedürftigkeit von Personen aus dem Kosovo (März 2005),
24
findet in der Provinz Kosovo auch weder eine mittelbare noch eine quasi-staatliche
Verfolgung statt. Was zunächst eine etwaige mittelbare staatliche Verfolgung anbelangt,
so lässt sich den vorerwähnten Erkenntnissen - abgesehen von der hier ersichtlich nicht
einschlägigen Fallgruppe der Unterstützung derartiger Vorkommnisse - kein
hinreichender Anhalt für eine Duldung von Übergriffen u.ä. oder aber eine mangelnde
Fähigkeit und/oder Bereitschaft der internationalen Verwaltung im Kosovo, Schutz
grundsätzlich zu gewährleisten, entnehmen.
25
Vgl. zur mittelbaren staatlichen Verfolgung Bundesverfassungsgericht (BVerfG),
Beschluss vom 10. Juli 1989 - BvR 502, 1000, 961/86 -, Amtliche
Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 80, 315, 333 ff.
(336); zum Kosovo: OVG NRW, Beschluss vom 28. Dezember 2001 - 13 A 4338/94.A -,
sowie Urteil der Kammer vom 23. Juni 2003 - 9 K 2257/02.A -.
26
Des Weiteren ist darauf zu verweisen, dass die Grenze der asylrechtlich bedeutsamen
Pflicht zu staatlicher Schutzgewährleistung erreicht ist, wenn die Kräfte des konkreten
Staates überstiegen werden. Mit anderen Worten endet die asylrechtliche
Verantwortlichkeit eines Staates jenseits der ihm zur Verfügung stehenden Mittel. Diese
27
Grundsätze beanspruchen auch für die Fälle Geltung, in denen - wie hier für die Provinz
Kosovo - eine internationale Verwaltung an die Stelle eines Staates getreten ist. Es
bedarf insoweit indessen keiner weiteren Erörterung, dass die Herstellung staatlicher
Strukturen, deren Vorläufer untergegangen sind, nicht von Anfang an zu den letztlich
angestrebten Verhältnissen führen kann. Vielmehr wären - nicht zuletzt vor dem
Hintergrund, dass selbst ein seit langem gesichert bestehender Staat seinen
Angehörigen keine absolute Sicherheit gegen gewaltsame Übergriffe Dritter bieten kann
(und dies asylrechtlich auch nicht tun muss) - die Anforderungen an die Fähigkeit der
internationalen Verwaltung, Schutz zu gewährleisten, überspannt, wenn man bereits
heute erwarten wollte, dass ein friedliches Zusammenleben der ursprünglich tief
verfeindeten Bevölkerungsgruppen im Kosovo einschränkungslos ermöglicht werden
müsste.
Vgl. OVG NRW, am angegebenen Ort (a.a.O.).
28
Schließlich fehlt es mit Blick darauf, dass die Ausübung der Machtbefugnisse weiterhin
ausschließlich in der Hand der internationalen Verwaltung (UNMIK und KFOR) liegt, an
greifbaren Anhaltspunkten für die Annahme, etwaige - wie auch immer geartete -
Übergriffe erfüllten die Voraussetzungen einer quasi-staatlichen Verfolgung.
29
Vgl. OVG NRW, a.a.O.; weitergehend zu quasi-staatlicher Verfolgung: BVerfG,
Beschluss vom 10. August 2000 - 2 BvR 260/98 u. a. -, Entscheidungssammlung zum
Ausländer- und Asylrecht (EZAR) 202 Nr. 30.
30
In Würdigung der vorerwähnten Erkenntnismittel ist davon auszugehen, dass
albanische Gruppierungen - welcher Art sie auch immer sein mögen - weiterhin nicht in
Teilen des Kosovo ein staatsähnliches Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität im
Sinne einer "übergreifenden Friedensordnung" errichtet haben. Vielmehr werden diese
Gruppierungen nach wie vor von der internationalen Verwaltung in den Aufbau einer
multi-ethnischen Interimsverwaltung eingebunden. So gibt es beispielsweise
Programme unter Führung der International Organization for Migration (IOM), die die
Wiedereingliederung ehemaliger UCK-Angehöriger in das Zivilleben durch berufliche
Bildungsprogramme, Arbeitsvermittlung, Existenzgründungskredite u. ä. vorsehen.
Demgemäß übt allein die internationale Verwaltung derzeit die staatlichen
Machtbefugnisse im Kosovo aus. Die ehemalige albanische Befreiungsarmee hat sich
schließlich in mehrere politische Parteien und Bewegungen aufgespaltet, die sich
ihrerseits um die Macht bewerben. Nicht zuletzt dieser Umstand verbietet die Annahme,
dass eine organisierte politische und/oder militärische Machtstruktur auf albanischer
Seite besteht.
31
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 28. Dezember 2001, a.a.O.; Urteil der Kammer, vom 23.
Juni 2003, a.a.O.; Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 26. Februar 2003
- 7 UE 847/01.A - mit Nachweisen.
32
§ 60 Abs. 1 Satz 4 Buchstabe c) AufenthG verlangt keine abweichende Beurteilung.
Nach dieser Vorschrift kann eine politische Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1
AufenthG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern die unter den
Buchstaben a) und b) genannten Akteure - der Staat oder Parteien bzw. Organisationen,
die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen - einschließlich
internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens
sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine
33
staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine
innerstaatliche Fluchtalternative. Für einen fehlenden Willen der eingangs genannten
internationalen Organisationen, Verfolgungsschutz zu bieten, gibt es bezüglich des
Kosovo im für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung
(§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) keinen Anhaltspunkt. Auf sich beruhen kann, ob im
Übrigen für die Provinz Kosovo das Tatbestandsmerkmal "erwiesenermaßen" zu
bejahen sein kann. Dass vorerwähnte Organisationen nicht in der Lage wären, den
erforderlichen Schutz zu bieten, lässt sich zur Überzeugung der Kammer aus den
aktuellen Erkenntnissen,
vgl. neben der Presseberichterstattung namentlich AA, Lagebericht vom 4. November
2004,
34
nach Abschluss der so genannten März-Ereignisse des vergangenen Jahres nämlich
ebenfalls nicht annehmen. Diese vorwiegend gegen serbische Volkszugehörige, an
einigen Orten auch gegen Angehörige anderer ethnischer Minderheiten gerichteten
Übergriffe haben die Sicherheitslage im Kosovo nicht derart beeinträchtigt, dass die
Sicherheitskräfte nicht mehr in der Lage wären, erneuten Übergriffen nachhaltig zu
begegnen und ein Mindestmaß an Sicherheit zu gewährleisten. Die Situation im Kosovo
hat sich inzwischen wieder beruhigt.
35
Vgl. insbesondere UNHCR, Position zur fortdauernden Schutzbedürftigkeit von
Personen aus dem Kosovo (März 2005).
36
Sie ist zwischenzeitlich so weit unter Kontrolle, dass es seit den Unruhen zu keinen
weiteren nennenswerten Zwischenfällen mehr gekommen ist. Die Präsenz der
Sicherheitskräfte ist verstärkt worden. Eine Strafverfolgung der an den Unruhen
Beteiligten hat begonnen. Greifbare Anhaltspunkte für eine gegenteilige Annahme sind
nicht ersichtlich. Gleiches gilt für die Vermutung, dass in absehbarer Zeit
Ausschreitungen wie im März 2004 stattfinden könnten. Das Gericht teilt im
maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) mit Blick auf
vorstehende Ausführungen namentlich nicht die abweichende Auffassung der im
Tatbestand bezeichneten Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Stuttgart. Die
beschriebene Entwicklung hat dazu geführt, dass die UNMIK, nachdem bislang eine
Rückführung der ethnischen Minderheiten in den Kosovo aufgrund der Erlasslage (nicht
nur) im Land Nordrhein-Westfalen ausgesetzt war, nach Gesprächen am 25. und 26.
April 2005 in Berlin einer Wiederaufnahme der Rückführung von Ashkali und Ägyptern,
teilweise auch Roma-Angehörigen, zugestimmt und das Innenministerium des Landes
Nordrhein-Westfalen diese Vereinbarung in seinem Erlass vom 24. Mai 2005
(Aktenzeichen: 15-39.02.01-1-132 Kosovo) umgesetzt hat. Auch dies lässt eine
Schlussfolgerung, nach der die Sicherheitsorgane des Kosovo erwiesenermaßen nicht
willens oder nicht in der Lage wären, Schutz vor Verfolgung zu bieten, nicht zu. Insoweit
ist zu berücksichtigen, dass das Auswärtige Amt die Zahl der im Kosovo verbliebenen
Roma und anderer Minderheiten in Übereinstimmung mit UNMIK/KFOR auf ca. 75.000
schätzt. Polansky geht in seinem Bericht über die Ergebnisse einer Recherche vom 1.
Januar bis 31. Oktober 2004 von etwa 15.000 bis 20.000 im Kosovo zurückgebliebenen
Angehörigen der Minderheiten der Roma, Ashkali und Ägypter aus.
37
Vgl. AA, Lagebericht, a.a.O.; Polansky: Kosovo: Roma und Ashkali ohne Zukunft? -
Ergebnis einer Recherche vom 1. Januar bis 31. Oktober 2004 -.
38
Unabhängig davon, welcher Quelle zu folgen ist, ist jedenfalls von einer nicht zu
vernachlässigenden Anzahl von Ashkali auszugehen, der die Sicherheitsorgane im
Kosovo nach obigen Ausführungen Schutz zu bieten in der Lage sind. Dass ein erhöhter
Schutzbedarf für Mitglieder auffälliger oder exponierter Familien bestünde, lässt sich
den aktuellen Erkenntnissen nicht entnehmen. Auf sich beruhen kann daher, welches
Gewicht der vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung
angesprochenen Einzelfallentscheidung des Bundesamts beizumessen ist. Der auf
ihren Heimatort bezogene Vortrag der Kläger rechtfertigt wegen der bei der Frage nach
einem Abschiebungsverbot grundsätzlich erforderlichen landesweiten Betrachtung
keine abweichende Beurteilung.
39
Die Klage hat auch nicht mit dem hilfsweise geltend gemachten Anspruch auf
Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines zielstaatsbezogenen sonstigen
Abschiebungsverbots im Sinne von § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG Erfolg. Unter
Berücksichtigung der aktuellen Erkenntnislage liegen derartige Abschiebungsverbote
nicht vor. Es spricht keine beachtliche Wahrscheinlichkeit,
40
vgl. zu diesem Maßstab: BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1995 - 2 BvR 384/95 -,
DVBl. 1996, 196,
41
dafür, dass den Klägern die konkrete Gefahr für Folter oder einer gegen die
Menschenrechtskonvention verstoßenden Behandlung droht oder dass sie konkreten
Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit aus individuellen Gründen ausgesetzt sind.
Gleiches gilt hinsichtlich konkreter Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit aus
individuellen Gründen in einem Grade, bei dessen Vorliegen trotz Fehlens eines
Erlasses nach § 60 a AufenthG die Gewährung von Abschiebungsschutz geboten ist.
42
Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, NVwZ 1996, 199, und vom 4.
Juni 1996 - 9 C 134/95 -, NVwZ-Beilage 1996, 89.
43
Es ist nicht erkennbar, dass die Kläger bei einer Rückkehr in den Kosovo nach obigen
Ausführungen zur Lage der Ashkali Verhältnisse zu gewärtigen haben, die den
Anforderungen der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten
nicht entsprechen.
44
Der allgemeine Hinweis der Klägerin, sie sei herzkrank und leide an Bluthochdruck,
verlangt keine abweichende Beurteilung. Dieser Vortrag führt nicht auf ein
zielstaatsbezogenes krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot im Sinne von § 60 Abs. 7
Satz 1 AufenthG.
45
Vgl. zu den diesbezüglichen Voraussetzungen BVerwG, Urteile vom 29. Oktober 2002 -
1 C 1.02 -, vom 21. September 1999 - 9 C 8.99 -, NVwZ 2000, 206, 207 und vom 25.
November 1997 - 9 C 58.96 -, NVwZ 1998, 524 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 20.
Oktober 2000 - 18 B 1520/00 -.
46
Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich die geltend gemachten Erkrankungen der
Klägerin bei einer Ausreise in den Kosovo wesentlich oder sogar lebensbedrohlich
verschlechterten, falls jegliche Behandlung ausbliebe. Darüber hinaus besteht kein
Anhalt für die Annahme, etwaige nennenswerte Verschlechterungen träten alsbald nach
der Rückkehr ein.
47
Die Abschiebungsandrohung begegnet mit Blick auf die §§ 34, 38 Abs. 1 AsylVfG, 59
AufenthG keinen Bedenken.
48
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in
Verbindung mit den §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
49