Urteil des VG Aachen vom 21.09.2006
VG Aachen: aufschiebende wirkung, vorläufiger rechtsschutz, wiederkehrende leistung, geistig behinderter, verwaltungsakt, schulpflicht, form, schulbesuch, schüler, erlass
Verwaltungsgericht Aachen, 2 L 449/06
Datum:
21.09.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 L 449/06
Tenor:
1. Es wird festgestellt, dass der Widerspruch des Antragstellers vom 5.
Mai 2006 gegen die Einstellung der Übernahme der Kosten für einen
sog. Schulbegleiter (Integrationshelfer) mit Bescheid vom 3. Mai 2006
aufschiebende Wirkung hat.
2. Die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben
werden, trägt der Antragsgegner.
Gründe:
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Der im Rahmen des § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestellte
Antrag des Antragstellers, festzustellen, dass der Widerspruch des Antragstellers vom 5.
Mai 2006 gegen den Einstellungsbescheid des Antragsgegners vom 3. Mai 2006
aufschiebende Wirkung hat,
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hat Erfolg.
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Zunächst ist ein derartiges Feststellungsbegehren zulässig. In Fällen, in denen eine
Behörde die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfes ignoriert und die
Vollziehung des Verwaltungsaktes betreibt (sog. faktische Vollziehung), ist die
Möglichkeit eines Antrages auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung entsprechend
§ 80 Abs. 5 VwGO in der Rechtsprechung anerkannt,
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vgl. Puttler in Sodan/ Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Auflg. 2006, § 80 Rz. 164
ff; Schoch in Schoch/Schmidt- Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand:
April 2006, § 80 Rz. 238 ff, jeweils m.w.Nw. und Finkelnburg/Jank; Vorläufiger
Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 1998, Rz. 903 ff.
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Der Antrag ist statthaft und auch nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses des
Antragstellers unzulässig, da sich der Antragsteller ausweislich seines Antrages in der
Hauptsache mit seinem Widerspruch gegen einen belastenden Verwaltungsakt - hier:
die Einstellung der Übernahme der Kosten für einen Integrationshelfer mit Bescheid
vom 3. Mai 2006 - wendet und sich auf die Rechtsfolgen der aufschiebenden Wirkung
seines Widerspruches, nämlich eine - vorläufige - "Weitergewährung" auf Grund des
Leistungsbescheides des Antragsgegners vom 31. August 2004, beruft.
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Der Antrag ist auch begründet. Der Widerspruch des Antragstellers vom 5. Mai 2006
gegen die Einstellung der Übernahme der Kosten für einen Integrationshelfer mit
Bescheid vom 3. Mai 2006 hat gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung, da
die aufschiebende Wirkung nicht nach § 80 Abs. 2 VwGO entfällt, insbesondere keine
sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. 80 Abs. 3 VwGO durch den
Antragsgegner angeordnet worden ist. Der Antragsgegner bestreitet zwar nicht, dass der
Widerspruch aufschiebende Wirkung hat, verkennt jedoch den Umfang der
aufschiebenden Wirkung. Diese bewirkt - unabhängig von dem Streit, ob die
aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes
oder dessen Vollziehbarkeit hemmt, vgl. dazu eingehend Schoch, in Schoch/Schmidt-
Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: April 2006, § 80 Rz. 72 ff -; für
eine Hemmung der Vollziehbarkeit: OVG NRW, Beschluss vom 29. Dezember 2003 - 12
B 957/03 - , m.w. Nw., im Falle der Einstellung einer Leistung bzw. Aufhebung eines
Leistungsbescheides, dass der Leistungsbescheid einstweilen in Kraft bleibt und die
eingestellte Leistung vorläufig weiter zu gewähren ist, soweit damit in eine bestehende
Rechtsposition des Betroffenen eingegriffen wird, vgl. Puttler, in Sodan/ Ziekow,
Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Auflg. 2006, § 80 Rz. 22; Schoch, in Schoch/Schmidt-
Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, Stand: April 2006, § 80 Rz.47;
Finkelnburg/Jank; Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 1998, Rz.
644.
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Dies ist vorliegend der Fall, da es sich bei der Bewilligung der Eingliederungshilfe nach
§ 35 a des Sozialgesetzbuches/Achtes Buch (SGB VIII) in Form der Übernahme der
Kosten für einen Schulbegleiter/Integrationshelfer mit Bescheid vom 31. August 2004
um einen sog. Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt und die Einstellung dieser
Leistung mit Bescheid vom 3. Mai 2006 eine Aufhebung eines begünstigenden
Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung i.S. von § 48 SGB X darstellt. Nach der
Gesetzesbegründung zu § 48 SGB X, der die Aufhebung von Verwaltungsakten mit
Dauerwirkung regelt, handelt sich dabei um Verwaltungsakte, die sich nicht in einem
einmaligen Ge- oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung einer Rechtslage
erschöpfen, sondern ein auf Dauer berechnetes oder in seinem Bestand vom
Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründen oder inhaltlich verändern. Ein
Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist dann zu bejahen, wenn der Bescheid über den
Zeitpunkt der Bekanntgabe hinaus rechtliche Wirkung entfaltet. Dies ist der Fall, wenn
durch den Bescheid eine laufende, regelmäßig wiederkehrende Leistung bewilligt wird,
vgl. dazu auch Freischmidt in Hauck/Noftz, SGB X, Stand: Juni 2006, § 48 Rz. 9;
Giese/Krahmer, SGB I und X, Stand: Juli 2003, § 48 Rz. 5 ff.
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Bei dem Bescheid des Antragsgegners vom 31. August 2004 handelt es sich um einen
derartigen Dauerverwaltungsakt, da er die Übernahme der Kosten für einen
Schulbegleiter/Integrationshelfer für die Zukunft regelt. Der Bescheid ist zudem zeitlich
nicht auf ein Schuljahr begrenzt, sondern gewährt eine Leistung "längstens für die
Dauer der Schulpflicht". Im Übrigen ist die Leistung auch nicht ihrem Umfang nach
begrenzt und nicht örtlich an eine bestimmte Schule gebunden.
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Die mit Bescheid vom 31. August 2004 bewilligte Eingliederungshilfe in Form der
Übernahme der Kosten für einen sogenannten Schulbegleiter (Integrationshelfer) für
den Antragsteller ist mithin - vorläufig für die Zeit Dauer der aufschiebenden Wirkung -
weiter zu gewähren.
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Zur materiellen Rechtslage weist das Gericht vorsorglich auf Folgendes hin:
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Die Einstellung der Übernahme der Kosten für einen Schulbegleiter/Integrationshelfer
dürfte bei summarischer Prüfung rechtswidrig sein.
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Als Rechtsgrundlage kommt hier nur § 48 Abs. 1 SGB X in Betracht. Danach ist ein
Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den
tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes
vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine Tatsachenänderung
liegt vor, wenn sich die tatsächlichen Umstände, die für den Erlass des
Verwaltungsaktes entscheidungserheblich waren, geändert haben. Wesentlich sind alle
Änderungen, die dazu führen, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv
vorliegenden Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen, d.h. wenn
der Verwaltungsakt mit gleichem Inhalt nach der neuen Sach- und Rechtslage nicht
mehr ergehen könnte. Ob eine Änderung wesentlich ist, bestimmt sich nach dem -
zugrundeliegenden - materiellen Recht. vgl. Feischmidt in Hauck/Noftz, SGB X, Stand:
Juni 2006, § 48 Rz. 11, m.w.Nw.
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Zwar sind vorliegend mit dem Umzug des Antragstellers in eine vollstationäre
Einrichtung (Haus I. in I1. ) am 20. Februar 2006 und dem dadurch erforderlichen
Wechsel der Schule - nunmehr Besuch einer öffentlichen Förderschule in X. (G. -G1. -
Schule/Schule für praktisch Bildbare) - Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen,
die dem Erlass des Bescheides betr. Übernahme der Kosten eines
Schulbegleiters/Integrationshelfers vom 31. August 2004 zugrunde lagen, eingetreten.
Diese tatsächlichen Änderungen sind jedoch nicht wesentlich i.S. des § 48 Abs. 1 SGB
X, da dem Antragsteller nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung
auch nach der geänderten Sachlage weiterhin ein Anspruch auf Eingliederungshilfe in
Form der Übernahme der Kosten eines Integrationshelfers nach § 35 a Abs. 3 SGB VIII
i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII zustehen dürfte und der Bescheid des Antragsgegners -
wie bereits ausgeführt - weder auf ein Schuljahr noch auf den Besuch einer bestimmten
Schule oder eine bestimmte Stundenzahl für den Einsatz des Integrationshelfers
begrenzt ist.
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Der Antragsteller, bei dem nach der ärztlichen Stellungnahme des Arztes für Kinder- und
Jugendpsychiatrie Dr. A. von T. vom 14. April 2004 ein frühkindlicher Autismus nach
ICD-10: F 84.O, G besteht, gehört zum Kreis der Kinder und Jugendlichen, denen nach
§ 35 a Abs. 1 SGB VIII Eingliederungshilfe zu leisten ist. Die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB VIII sind auch
zwischen den Beteiligten nicht streitig, vgl. zur Qualifizierung des Autismus als
seelische Behinderung auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen
(OVG NRW), Urteil vom 20. Februar 2002 - 12 A 5322/00 -, FEVS 54, 182.
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Eingliederungshilfe kann ferner nach § 35 a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1
SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 der Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) grundsätzlich
auch durch die Übernahme der Kosten eines sog. Integrationshelfers für den
Schulbesuch als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung gewährt werden. Nach §
54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII sind Leistungen der Eingliederungshilfe insbesondere Hilfen zu
einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen
Schulpflicht, und zum Besuch der weiterführenden Schule, einschließlich der
Vorbereitung hierzu. Diese Hilfe umfasst nach § 12 Abs. 1 Nr.1 EinglHV auch
heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig
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behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet
sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen
Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern. Die Beschränkung auf körperlich und
geistig behinderte Kinder und Jugendliche in dieser Bestimmung führt auch unter
Berücksichtigung der Einschränkung des § 35 a Abs. 3 SGB VIII nicht zum Ausschluss
der seelisch behinderten Kinder, da die Bestimmung des § 12 EinglHV nur beispielhaft
Hilfen aufführt, ohne dass die Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung
abschließend umschrieben sind, vgl. Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 15.
September 2005 -12 ME 354/05 - und vom 23. Februar 2006 - 12 ME 474/05 -, juris web;
Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, Stand: Januar 2006, § 35 a
Rz. 89; im Ergebnis auch: Wiesner, SGB VIII, 3. Auflg. 2006, § 35 a Rz. 111.
Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand ist davon auszugehen, dass der Antragsteller
auch weiterhin einer begleitenden Einzelbetreuung in Form eines
Integrationshelfers/Stützers im Rahmen des Schulbesuches bedarf, um ihm so eine
angemessene Schulbildung, den Besuch einer weiterführenden Schule bzw. einen
erfolgreichen Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen
bzw. zu erleichtern. Zwar haben sich die tatsächlichen Umstände hinsichtlich der
besuchten Schule geändert und sind zudem auch positive Veränderungen im
Leistungsvermögen des Antragstellers festgestellt worden. So besuchte der
Antragsteller seit dem 22. Februar 2006 zunächst die Klasse G 4 der G. -G1. -Schule, in
der sich nach Angaben des Antragsgegners im Eilverfahren insgesamt acht Schüler
befanden, die vormittags und nachmittags durch zwei Lehrkräfte unterrichtet wurden, die
wohl zum Ende des Schuljahres noch durch eine Praktikantin unterstützt wurden. Auf
Nachfrage des Gerichtes teilte die G. - G1. -Schule unter dem 12. September 2006 mit,
dass der Antragsteller im Schuljahr 2006/2007 einer Klasse der Mittelstufe 5 (ehemals
G4) angehört, die insgesamt sieben Schüler (fünf Schüler mit autistischen Symptomen
und zwei praktisch bildbare Schüler) umfasst und im Ganztagsunterricht - 34 Stunden
pro Woche - von zwei Lehrkräften (einer Förderschulkraft und eine
Erzieherin/Jahrespraktikantin) unterrichtet wird. Ausweislich der Stellungnahmen des
Klassenlehrers vom 8. und 19. Juni 2006 habe sich im letzten Schulhalbjahr 2005/2006
ergeben, dass der Antragsteller positiv auf die sog. Methode der gestützten
Kommunikation anspreche und er altersgemäße kognitive Fähigkeiten besitze, die es
ihm ermöglichten, Inhalte der Regelschule des 3. und 4. Schuljahres zu bearbeiten.
Auch habe auf Grund des klar strukturierten Alltags und des anderen
Unterrichtskonzeptes das Störpotential des Antragstellers abgenommen und ihm
geholfen, unabhängiger von Einzelbetreuung zu werden. Allerdings hat die Schule auch
überzeugend dargelegt, dass der Antragsteller nicht völlig unabhängig von einer
Einzelbetreuung im Unterricht geworden ist. So sei der Antragsteller nach der
vorliegenden Stellungnahme des Klassenlehrers vom Juni 2006 im Unterricht weiterhin
in starkem Maße auf körperliche und emotionale Zuwendung angewiesen, um aus dem
autistischen Kreis auszubrechen und sich neuen Inhalten zuzuwenden. Die
Anwesenheit eines Einzelbetreuers sei erforderlich, weil jemand bei dem Antragsteller
sein müsse, der ihm körperliche und psychische Stabilität vermittele und ihm helfe,
störende Reize auszublenden. Alleine, sich selbst überlassen, verharre der
Antragsteller in stereotypen autistischen Aktivitäten, aus denen er sich allein nicht lösen
könne. Schrille Geräusche, körperliche Veränderungen könne er nur schwer ertragen.
Er halte sich dann die Ohren zu, laufe weg oder fange ebenfalls zu schreien an oder
entkleide sich. Er suche keinen Kontakt zu anderen Schülern in den Pausen. Auch in
der Stellungnahme vom 12. September 2006 wird ausgeführt, dass der Antragsteller, der
sein Wissen sprachlich oder schriftlich nicht mitteilen kann, zwar alleine eine Tastatur
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oder ein Computerprogramm bedienen könne, jedoch nur in sehr stereotyper Weise. Er
benötige Einzelzuwendung, um diesen einförmigen Kreis zu überschreiten und
angemessene Inhalte zu bearbeiten. Viele Lebenssituationen könne er alleine nicht
bewältigen und ließen ihn hilflos werden. Auch in den Pausen benötige er noch Hilfe
zur Bewältigung von Frustrationssituationen, um etwa das Ausziehen der Kleidung zu
verhindern.
Für die Kammer ist auch unter Berücksichtigung der früheren Stellungnahmen und
Berichte der S. Schule für Körperbehinderte über das Verhalten und die Entwicklung
des Antragstellers in der Schule, der Aufgabenübersicht für den Einsatz der damals
tätigen Integrationshelfer, die den Antragsteller i.d.R. ab 8.10 Uhr (Abholung von dem
Bus) über den gesamten Schultag bis 15.35 Uhr (freitags bis 12.50 Uhr - Begleitung zum
Bus) begleiteten und betreuten, sowie des Umstandes, dass auch dort der Schwerpunkt
der Förderung etwa im Winter 2004/2005 von einer umfassenden Integration in
möglichst viele Gruppensituationen hin zu einer Stabilisierung des Lernverhaltens in
Einzelsituationen verändert wurde, nachvollziehbar, dass die von dem jetzigen
Klassenlehrer aufgeführten Defizite auch weiterhin den Einsatz eines allein für den
Antragsteller zuständigen Integrationshelfers erfordern, der diese ausgleichen und
mindern könnte. Allerdings reduziert sich das Erfordernis nach den nachvollziehbaren
Angaben der Schule und auf Grund der besseren personellen Ausstattung über den
gesamten Schultag auf nunmehr 20 Schulstunden (à 40 Minuten), da in der übrigen Zeit
eine Betreuung/Zuwendung durch die Lehrkräfte gewährleistet ist
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Dem steht auch nicht entgegen, dass sich der Schwerpunkt der Tätigkeit des
Integrationshelfers verändert hat. So hat der Antragsgegner dargelegt, dass bei der
damaligen Bewilligung der Kostenübernahme für einen Integrationshelfer die
Herstellung der Beschulbarkeit des Antragstellers im Vordergrund gestanden habe (z.B.
Hinführen und Bleiben in der Schule, Verhindern des Weglaufens). Ziel sei im
Wesentlichen gewesen, die Integration des Antragstellers in einen Klassenverband zu
erreichen und den Antragsteller an das Lernen in Gruppen heranzuführen. Nunmehr
stünden aber die Förderung des Antragstellers und nicht mehr die Herstellung der
Beschulbarkeit im Vordergrund. Zum einen lässt sich bereits den damaligen
Aufgabenübersichten für die Integrationshelfer an der S. Schule für Körperbehinderte
entnehmen, dass auch dort die Unterstützung und Förderung des Antragstellers sowie
Hilfestellung während des Unterrichtes und im Rahmen der Freiarbeit bzw. die
Wiederholung und Festigung des Unterrichts z.B. im sprachlichen Bereich etc. zum
Aufgabenbereich der Integrationshelfer gehörten. Zum andern ergibt sich aus den
Stellungnahmen der G. -G1. -Schule, dass der Antragsteller z.B. auch gerade noch in
den Pausen einer Einzelbetreuung bedarf, da er zur Zeit Frustrationssituationen noch
nicht alleine bewältigen kann. Schließlich wird aber auch der von der G. -G1. -Schule
überzeugend und nachvollziehbar aufgezeigte Bedarf einer Einzelbetreuung/-
zuwendung durch einen Integrationshelfer/Stützer während des Unterrichtes, der auch
eine Unterstützung des Antragstellers einschließt, von den Leistungen der
Eingliederungshilfe nach § 35 a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. §
12 Nr. 1 der Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) erfasst. Diese Einzelzuwendung
ist nach den schulischen Stellungnahmen - noch - erforderlich, damit dem Antragsteller
seinem Alter und seiner Intelligenz nach angemessene Lehrinhalte zugänglich werden,
er diese bearbeiten kann, nicht in autistischen Verhaltensweisen verharrt und um ihm zu
helfen, störende Reize auszublenden. Letztlich ist die Einzelbetreuung erforderlich, um
den Antragsteller in die Lage zu versetzen, das angemessene Lehrangebot überhaupt
wahrzunehmen und zu bearbeiten. Gleichzeitig ist ihr Ziel, dass der Antragsteller lernt,
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selbständig zu arbeiten. Die Einzelzuwendung ist erforderlich, um dem Antragsteller den
- sinnvollen - Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen
bzw. zu erleichtern. Dem steht auch nicht entgegen, dass eine Integration des
Antragstellers in eine Regelschule (hier: Wetzlarer Gesamtschule) zunächst für einige
Stunden angestrebt wird und auch dazu eine Einzelzuwendung durch einen
Integrationshelfer erforderlich ist, denn gemäß § 54 Abs. 1 Nr.1 SGB XII umfasst die
Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung auch insbesondere die Hilfen zum Besuch
einer weiterführenden Schule. Die danach möglichen Hilfen sind nicht auf solche
untergeordneter oder flankierender Art beschränkt, sondern umfassen auch solche
Hilfen, die dem Betroffenen Zugang zu einer angemessenen Schulbildung, vor allem
durch Erfüllung seiner Schulpflicht, durch den nach dem Schulrecht eröffneten oder
vorgeschriebenen Besuch einer Regelschule statt einer Sonderschule erst ermöglichen,
vgl. etwa noch zur Eingliederungshilfe nach § 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG:
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 28. April 2005 - 5 C 20/04 -,FEVS 57
S. 169.
Schließlich ist der zeitliche Umfang vom 20 Schulstunden für den Einsatz des
Integrationshelfers auch im Hinblick auf die derzeitige personelle Ausstattung der
Klasse und den ursprünglich an der S. Schule für Körperbehinderte bestandenen Bedarf
über den gesamten Schultag für die Kammer überzeugend und nachvollziehbar
dargelegt. Auch ergibt sich aus den Stellungnahmen der Schule, dass die für den
Antragsteller erforderliche Einzelbetreuung nicht durch die vorhandenen personellen
Ressourcen abgedeckt weden kann. Insbesondere geht auch die Schule davon aus,
dass der Betreuungsbedarf in dem Umfang abnehmen wird, in dem der Antragsteller
lernt, selbständiger zu arbeiten und sein Leben besser zu bewältigen.
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Der Antragsgegner kann sich auch nicht mit Blick auf § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII,
wonach Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen
und der Schulen durch das Sozialgesetzbuch/Achtes Buch - nicht berührt werden,
darauf berufen, dass es sich bei der begehrten Leistung um eine Leistung der
Schulverwaltung handele, die vorrangig gegenüber den Leistungen der Jugendhilfe ist.
Ein für den Antragsteller gegen den hessischen Schulträger bestehender und auch
durchsetzbarer Anspruch auf Gewährung der beantragten Hilfe ist nicht gegeben. Nach
dem hessischen Landesrecht haben behinderte Kinder keinen Anspruch gegen das
Land Hessen bzw. den zuständigen Schulträger auf Gestellung eines sog.
Integrationshelfers bzw. auf Übernahme der dadurch anfallenden Kosten, vgl. zum Fall
eines Antragstellers mit autistischen Verhaltensstörungen: Hessischer
Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 10. November 2004 - 7 TG 1413/04 -, NVwZ-
RR 2005 S. 189,
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da diese Leistung nicht von der sonderpädagogischen Förderung nach dem hessischen
Schulrecht umfasst werde. Die von dem Integrationshelfer vorliegend zu erbringenden
Leistungen werden unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung auch nicht von
einem Anspruch auf sonderpädagogische Förderung nach dem hessischen Schulrecht
umfasst, da auch hier die begehrte Einzelbetreuung dem Antragsteller helfen soll, das
Lehrangebot wahrzunehmen und den Schulalltag zu bewältigen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 188 Satz 2 VwGO.
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