Urteil des VG Aachen vom 30.05.2008
VG Aachen: myanmar, bundesamt für migration, voller beweis, politische verfolgung, drohende gefahr, faires verfahren, amnesty international, einreise, bundespolizei, flugblatt
Verwaltungsgericht Aachen, 5 K 435/06.A
Datum:
30.05.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 435/06.A
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung von Ziffer. 1 des Bescheides des
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Februar 2006
verpflichtet, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig
vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d:
1
Der am 00.00.0000 in Q. /Myanmar geborene Kläger ist myanmarischer
Staatsangehöriger vom Volk der Arakan und buddhistischen Glaubens. Er reiste
eigenen Angaben zufolge am 31. Dezember 2005 auf dem Luftweg in die
Bundesrepublik Deutschland ein.
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Bei der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland wurde er im Transitbereich des
Flughafens Frankfurt/Main von der Bundespolizei aufgegriffen und befragt. Im Rahmen
dieser Befragung trug er vor, in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein, um
hier um politisches Asyl nachzusuchen. Er habe sein Heimatland bereits am 19.
November 2005 verlassen, weil er dort in großer Gefahr gewesen sei. Er habe in
Myanmar ein Geschäft zum Kopieren und Textverarbeiten gehabt. Am 9. Oktober 2005
seien zwei Männer zu ihm gekommen, die von einem Flugblatt der NLD 200 Kopien
angefertigt haben wollten. In diesem Flugblatt sei der Regierung Korruption vorgeworfen
worden. Er habe dieses Flugblatt gedruckt und das Original in seiner
Schreibtischschublade aufbewahrt. Am 15. Oktober 2005 sei in seinem Geschäft eine
Razzia von der Polizei und vom Geheimdienst durchgeführt worden. Dabei sei das
Originalflugblatt gefunden worden. Er sei dann mitgenommen und in ein Militärlager
gebracht worden. Dort sei er gefoltert worden. Am 24. Oktober 2005 sei er durch
Beziehungen seines Onkels, der ein ehemaliger Luftwaffenoffizier beim Militär gewesen
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sei, freigekommen. Es seien ihm aber bis zu einer Gerichtsverhandlung
Bewährungsauflagen gemacht worden. So habe er sich beispielsweise jeden zweiten
Tag auf dem Polizeirevier melden müssen. Außerdem habe er versprechen müssen, nie
mehr oppositionelle Aktivitäten auszuüben. Zudem habe sein Onkel seinen Besitz und
sein Eigentum als Sicherheit verpfänden müssen für den Fall, dass der Kläger fliehen
werde. Sein Onkel habe ihm dann mitgeteilt, dass er für das Drucken dieses Flugblattes
mindestens fünfzehn Jahre Haft zu erwarten habe. Daraufhin habe er Angst bekommen
und beschlossen, das Land zu verlassen. Er sei dann am 19. November 2005 mit
Myanmar Airlines von Yangon nach Bangkok geflogen. Von dort aus sei er am 3.
Dezember 2005 mit Katar Airlines nach Doha geflogen. Hier habe er das Flugzeug
gewechselt, sei aber dann mit der gleichen Fluggesellschaft weiter nach Casablanca
geflogen. In Casablanca habe er sich dann bis zum 31. Dezember 2005 aufgehalten.
Dann sei er mit einem Direktflug nach Frankfurt/Main geflogen, wo er um 5.30 Uhr
morgens angekommen sei. Er sei mit Hilfe von insgesamt drei Schleusern ausgereist,
die er aus Ersparnissen bezahlt habe. Außerdem habe er Geld von einer Cousine
bekommen und auf sein Haus eine Hypothek aufgenommen. In Thailand habe er keinen
Asylantrag gestellt, weil er sonst sofort nach Myanmar abgeschoben worden wäre. Dass
er in Marokko auch einen Asylantrag habe stellen können, habe er nicht gewusst. Er
habe im Ausland mit seinem myanmarischen Reisepass gelebt.
Bei seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden:
Bundesamt) am 12. Januar 2006 machte der Kläger zur Begründung seines
Asylantrages im Wesentlichen folgende Angaben:
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Er habe zuletzt acht Jahre in Yangon gelebt. Dort habe er im Jahr 1980 auch geheiratet.
Aus seiner Ehe seien eine dreiundzwanzigjährige Tochter und ein elfjähriger Sohn
hervorgegangen. Er habe in seiner Heimat das Abitur gemacht und anschließend den
Beruf des Seemanns erlernt. Er habe als Matrose auf einem Schiff gearbeitet und sei
dort Radiotechniker gewesen. Dies sei von 1985 bis 1998 so gewesen. Dann seien
Radiotechniker nicht mehr gebraucht worden, weshalb er entlassen worden sei. Er habe
weiter als Matrose arbeiten wollen. Etwa ab 2001 habe er aber erkannt, dass er von der
Militärregierung keinen Reisepass mehr für eine Arbeit auf einem Schiff bekommen
würde. Er sei nämlich im Jahr 1999 bereits einmal verhaftet worden. Er habe damals
gemeinsam mit fünf anderen ein Büchlein mit Artikeln und Gedichten anlässlich einer für
den 9. September 1999 geplanten Massendemonstration verfasst. Dieses Büchlein
habe er in seinem Schrank aufbewahrt. In der ersten Septemberwoche des Jahres 1999
habe eine Hausdurchsuchung stattgefunden. Dabei sei dieses Büchlein gefunden
worden. Die fünf anderen seien jeweils zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Er
selbst sei wegen der Aufbewahrung des Büchleins zu sechs Monaten Freiheitsstrafe
verurteilt worden. Er sei im Februar 2000 dann wieder freigelassen worden. Kontakte zu
dieser Gruppe habe er über einen alten Freund gehabt, der einer der fünf gewesen sei.
Ein anderer sei bei der NLD gewesen. Im Jahr 2002 habe er dann das Kopiergeschäft
eröffnet. Er habe es legal eröffnen können, allerdings unter dem Namen seiner
Schwester. Sein alter Freund und die vier anderen, die im September 1999 verhaftet
worden seien, seien im Juni 2002 wieder freigelassen worden. Er habe danach kaum
Kontakt zu diesen Männern gehabt. Am 9. Oktober 2005 seien aber sein alter Freund
und das NLD-Mitglied wieder zu ihm gekommen. Sie hätten ihn gebeten, ein Flugblatt
zweihundertmal auszudrucken, das gegen die Militärregierung gerichtet gewesen sei.
Es sei gegen die Politik, sowie gegen Wirtschaft, Sozialwesen und Gesundheit
gegangen. Sie hätten die Bevölkerung mobilisieren wollen gegen die Regierung. Er
habe das Flugblatt dann zweihundertmal ausgedruckt und diese Flugblätter dem Bruder
5
seines Freundes übergeben, weil er diesen selbst nicht angetroffen habe. Am 15.
Oktober 2005 sei der Bruder seines Freundes dann noch einmal zu ihm gekommen mit
der Bitte, nochmals 200 Exemplare des Flugblattes auszudrucken. Er habe diese Arbeit
nicht sofort verrichten können, deshalb habe er die Originalunterlage in seiner
Schreibtischschublade aufbewahrt. Am Abend des 15. Oktober 2005 seien dann fünf
Polizisten, zwei Ziviloffiziere und der Bruder seines Freundes in seinem Geschäft
erschienen. Es sei eine Polizeirazzia durchgeführt worden, bei der das Originalflugblatt
in der Schublade gefunden worden sei. Er sei daraufhin mitgenommen worden zur
Polizeistation und dort verhört worden. Dann seien drei Zivilpolizisten gekommen, die
ihn in ein Haus mitgenommen hätten. Sein Kopf sei durch ein Tuch verhüllt gewesen. Er
sei dann weiter verhört und auch gefoltert worden. Dies sei drei Tage lang so gegangen.
Schließlich habe er etwas unterschreiben müssen und sei am 24. Oktober 2005 wieder
zur Polizeistation gebracht worden. Dort habe sein Onkel, ein Luftwaffenoffizier, auf ihn
gewartet und sich für ihn eingesetzt. Gegen Auflagen sei er dann schließlich bis zur
Gerichtsverhandlung freigelassen worden. Er habe sich alle zwei Tage bei der Polizei
melden sollen, um dort eine Unterschrift zu leisten. Sein Onkel habe ihm gesagt, dass er
mit Sicherheit fünfzehn Jahre Haft bekommen könne. Deshalb habe er mit Hilfe der
Schleuser dann das Land verlassen.
Mit Bescheid vom 23. Februar 2006, dem Kläger zugestellt am 2. März 2006, lehnte das
Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab (Ziffer 1.) und stellte fest, dass die
Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) hinsichtlich
Myanmar vorliegen (Ziffer 2.). Zur Begründung verwies das Bundesamt darauf, der
Asylanspruch scheitere schon daran, dass der Kläger nicht nachweisen könne, auf dem
Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein. Dennoch habe er einen
Anspruch auf Zuerkennung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG. Zwar
sei sein Vorfluchtvorbringen unglaubhaft. Eine Verfolgungsgefahr ergebe sich für den
Kläger aber wegen seiner illegalen Ausreise und der Asylantragstellung in der
Bundesrepublik Deutschland.
6
Der Kläger hat am 3. März 2006 Klage erhoben, zu deren Begründung er sich auf sein
Vorbringen im Verwaltungsverfahren bezieht. Ergänzend weist er darauf hin, dass er
seine Luftwegeinreise zweifelsfrei belegt habe. Er sei im Transitbereich des Flughafens
Frankfurt/Main aufgegriffen worden. Zudem seien seine Angaben bei der Bundespolizei
überprüft und von der Lufthansa bestätigt worden.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 1. des Bescheides des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge vom 23. Februar 2006 zu verpflichten, ihn als
Asylberechtigten anzuerkennen.
9
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
10
die Klage abzuweisen.
11
Sie bezieht sich zur Begründung ihres Klageabweisungsantrages auf die Gründe des
ablehnenden Bescheides.
12
Die Erkenntnisquellen über die politischen Verhältnisse in Myanmar, die für die
Entscheidung von Bedeutung sind, sind in das Verfahren eingeführt worden.
13
Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung vom 19. Mai 2008 zu seinem
Asylbegehren persönlich angehört worden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt
der Sitzungsniederschrift verwiesen.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Bundesamts (1 Heft)
Bezug genommen.
15
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
16
Die Klage, über die die Kammer trotz des Nichterscheinens der ordnungsgemäß
geladenen Beklagten in der mündlichen Verhandlung entscheiden kann, weil sie auf
diese Folge des Ausbleibens in der Ladung ausdrücklich hingewiesen worden ist (vgl. §
102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -), hat Erfolg. Sie ist zulässig und
begründet.
17
Der Bescheid des Bundesamtes vom 23. Februar 2006 ist im angefochtenen Umfang
rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 1
Satz 1 VwGO.
18
Der Kläger hat einen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Er ist als politisch
Verfolgter im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) anzusehen, weil er bei
einer Rückkehr in sein Heimatland aus politischen Gründen asylrechtserheblichen
Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt wäre.
19
Politisch Verfolgter ist, wer in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine
religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die (wie
insbesondere Rasse, Nationalität und die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe) sein
Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen ausgesetzt ist, die ihn ihrer Intensität
nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen und
ihn in eine nicht anders als durch Ausreise zu bewältigende ("ausweglose") Lage
versetzen,
20
vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86
u.a. -, BVerfGE 80, 315, 333 ff.
21
Der bereits erlittenen Verfolgung steht die unmittelbar drohende Gefahr der Verfolgung
gleich,
22
vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 1827/89 -, BVerfGE 83, 216, 230.
23
Ob davon ausgehend dem Asylsuchenden zuzumuten ist, in seinem Heimatstaat zu
bleiben oder dorthin zurückzukehren, ist danach zu beurteilen, ob er seinen Heimatstaat
auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung
verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist.
Im erstgenannten Fall ist Asyl zu gewähren, wenn der Asylsuchende vor erneuter
Verfolgung nicht hinreichend sicher ist, weil objektive Anhaltspunkte vorliegen, die die
abermals einsetzende Verfolgung als nicht ganz entfernt und damit als durchaus "reale"
Möglichkeit erscheinen lassen (herabgesetzter Wahrscheinlichkeitsmaßstab),
24
vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147/80 u.a. -, BVerfGE 54, 341, 360;
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 10. Juli 1995 - 9 B 18.95 -, InfAuslR
1996, 29.
25
Ist der Asylsuchende dagegen unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland eingereist,
so hat sein Anerkennungsbegehren nur dann Erfolg, wenn ihm aufgrund beachtlicher
Nachfluchttatbestände politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht
("normaler" Prognosemaßstab), so dass eine Rückkehr in den Heimatstaat aus der Sicht
eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des
Asylsuchenden nicht zumutbar erscheint,
26
vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Januar 1995 - 9 C 276.94 -; Oberverwaltungsgericht für das
Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), u.a. Urteil vom 11. März 1996 - 25 A 5801/94.A
-.
27
Davon ausgehend ist der Kläger asylberechtigt. Das Gericht glaubt ihm, dass er
Myanmar verlassen hat, weil er dort vor der Ausreise politisch verfolgt worden ist und vor
erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher war.
28
Die Anerkennung als Asylberechtigter setzt grundsätzlich voraus, dass die
asylbegründenden Tatsachen zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen sind.
Dabei ist ein voller Beweis derjenigen Fluchtgründe, die ihren Ursprung außerhalb der
Bundesrepublik Deutschland - insbesondere im Heimatstaat des Verfolgten - haben,
nicht zu fordern. Insoweit genügt in der Regel die Glaubhaftmachung, da sich der
Asylsuchende häufig in einem sachtypischen Beweisnotstand befindet. Jedoch ist in
Bezug auf Ereignisse, die in die eigene Sphäre des Asylsuchenden fallen, von ihm eine
zusammenhängende, in sich stimmige - d.h. im Wesentlichen widerspruchsfreie und
nicht wechselnde - Schilderung seines persönlichen Verfolgungsschicksals zu fordern,
die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen,
29
vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Dezember 1988 - 9 C 91.87 -, InfAuslR 1989, 135.
30
Gemessen hieran ist es dem Kläger gelungen, glaubhaft zu machen, Myanmar wegen
dort erlittener politischer Verfolgung bzw. einer unmittelbar drohenden
Verfolgungsgefahr verlassen zu haben. Insbesondere glaubt ihm die Kammer, dass er
im Oktober 2005 (erneut) ins Blickfeld der myanmarischen Sicherheitskräfte geraten,
festgenommen und während der mehrtägigen Inhaftierung körperlich misshandelt
worden ist. Diese Überzeugung fußt in erster Linie auf dem persönlichen Eindruck, den
der Kläger im Rahmen seiner ausführlichen Befragung in der mündlichen Verhandlung
hinterlassen hat. In dieser Anhörung ist es dem Kläger gelungen, den Kern seiner
Verfolgungsgeschichte plastisch, lebensnah und überzeugend zu schildern. Er hat im
Wesentlichen in Übereinstimmung mit seinen Angaben beim Bundesamt und bei der
Bundespolizei dargelegt, dass er bereits im Jahr 1999 wegen politischer Aktivitäten
inhaftiert und den myanmarischen Behörden seitdem bekannt war. Mindestens seit
dieser Zeit bestand ein Kontakt des Klägers zu oppositionellen Kräften aus dem Umfeld
der NLD. Nach einer Zeit der Ruhe wurde dieser Kontakt im Oktober 2005 wieder
intensiviert und der Kläger in die oppositionelle Arbeit dadurch eingebunden, dass er als
Inhaber eines zwischenzeitlich von ihm eröffneten Copyshops Flugblätter vervielfältigen
sollte. Wegen dieser Tätigkeiten ist er schließlich aufgefallen und, nachdem die
Sicherheitskräfte die Originalvorlage des Flugblattes in seinem Geschäft gefunden
hatten, festgenommen und während der anschließenden mehrtägigen Inhaftierung
31
körperlich misshandelt worden. Im Hinblick auf den Kern seines Verfolgungsschicksals,
also den Umstand, wegen politischer Aktivitäten festgenommen und misshandelt
worden zu sein, hat der Kläger im gesamten Verfahren gleichlautende und im
Wesentlichen widerspruchsfreie Angaben gemacht, die in der mündlichen Verhandlung
zudem so präzise und detailreich gewesen sind, dass sie den Eindruck einer
lebensechten Schilderung von tatsächlich erlebten Geschehensabläufen vermittelt
haben. Dabei hat der Kläger seine Schilderung erkennbar nicht ausgeschmückt,
detailliert und lebensnah jedoch aus eigenem Antrieb auch von Geschehnissen
berichtet, die für den Kern seines Verfolgungsschicksals zunächst nicht relevant
erscheinen mussten. Hierdurch und auch durch sein Erzählverhalten hat der Kläger dem
Gericht den Eindruck vermittelt, die Wahrheit zu sagen. Angesichts der in allen
Belangen überzeugenden Schilderung seines Verfolgungsschicksals in der mündlichen
Verhandlung misst die Kammer verbliebenen Ungereimtheiten kein entscheidendes
Gewicht bei.
Die dem Kläger durch die myanmarischen Sicherheitskräfte gezielt zugefügten
Rechtsverletzungen sind wegen eines Asylmerkmals, namentlich wegen seiner
politischen Aktivitäten, erfolgt. Sie waren auch ihrer Intensität nach asylrechtsrelevant,
denn insbesondere die dem Kläger zugefügten Misshandlungen stellen sich als
ausgrenzende Verfolgung dar. Schließlich steht außer Frage, dass die
Verfolgungsmaßnahmen gegenüber dem Kläger dem myanmarischen Staat auch
zuzurechnen sind. Da der myanmarische Staat bekanntermaßen ein entsprechendes
Vorgehen gegen Personen, die oppositionell tätig sind oder in einem entsprechenden
Verdacht stehen, fördert bzw. jedenfalls duldet, handelt es sich bei solchen Übergriffen
erkennbar nicht bloß um einzelne Exzesstaten von Amtswaltern, die asylrechtlich
irrelevant wären. Dem Kläger war und ist auch nicht zuzumuten, Schutz vor erneuter
Verfolgung in einem anderen Landesteil Myanmars zu suchen. Denn es ist nach der
Erkenntnislage auszuschließen, dass er in einem anderen Landesteil Myanmars vor
erneuter Verfolgung hinreichend sicher ist. Myanmar zählt nach Ansicht aller neutralen
Beobachter zu den repressivsten Staaten weltweit, die Menschenrechtslage ist seit
Jahren unverändert prekär. Massive Restriktionen, Drangsalierungen und
Einschüchterungen oppositioneller Kräfte stehen an der Tagesordnung.
"Regierungsfeindliche" Aktivitäten, auch friedliche Proteste, werden, wie die blutige
Niederschlagung der Proteste im Herbst 2007 erneut gezeigt hat, systematisch verfolgt
und bestraft. Die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, die Symbolfigur der
Opposition, steht seit mehr als einem Jahrzehnt trotz intensiver Proteste der
Weltöffentlichkeit unter Hausarrest. Grundlegende Bürgerrechte wie Meinungs- und
Versammlungsfreiheit sowie das Recht auf ein faires Verfahren werden versagt,
zahlreiche schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen sind dokumentiert und
belegt. Myanmar stellt sich angesichts der seit Jahrzehnten anhaltenden Diktatur der
Militärjunta demnach ohne Zweifel als Unrechtsstaat dar, in dem oppositionspolitisch
auffällig gewordene Menschen landesweit von Verfolgung bedroht sind,
32
vgl. neben den auch in den Gründen des angefochtenen Bescheides aufgeführten
Erkenntnisquellen zur Menschenrechtslage in Myanmar das ausführliche Gutachten von
amnesty international vom 2. September 2005 an VG Wiesbaden; ebenso: u.a. VG
Giessen, Urteile vom 20. September 2005 - 5 E 2239/04.A - und vom 26. Februar 2007 -
5 E 2106/06.A -, beide ; VG Wiesbaden, Urteil vom 23. November 2005 - 6 E
2046/03.A (V) -; VG Münster, Urteil vom 19. Mai 2006 - 1 K 1216/04.A -, ; sowie
zuletzt: VG Karlsruhe, Urteil vom 14. August 2007 - A 11 K 586/07 -.
33
Schließlich ist eine Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter auch nicht nach Art.
16 a Abs. 2 Satz 1 GG und § 26 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Asylverfahrensgesetzes
(AsylVfG) ausgeschlossen. Denn es ist davon auszugehen, dass der Kläger auf dem
Luftweg in die Bundesrepublik eingereist ist.
34
Nach der so genannten "Drittstaatenregelung" steht die Einreise in die Bundesrepublik
Deutschland auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat einer
Asylanerkennung entgegen,
35
vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Mai 1997 - BVerwG 9 C 56/96 -, InfAuslR 1997, 424;
Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 9. September 1998 - 3 UE 341/98 -,
AuAS 1999, 44; OVG NRW, Beschluss vom 4. September 1996 - 25 A 5830/95.A -.
36
Dabei trägt der Asylsuchende die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass seine
Einreise nicht über einen sicheren Drittstaat erfolgt ist. Die in der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts für den Asylprozess entwickelten Nachweiserleichterungen
für Vorgänge im Verfolgerland sind in diesem Zusammenhang nicht anzuwenden. Die
Einreise in das Bundesgebiet ist kein Vorgang, der sich im Verfolgerland abspielt und
deshalb mit denjenigen Beweisschwierigkeiten verbunden ist, die für dort entstandene
Ausreisegründe typisch sind. Für den Nachweis einer Ausreise auf dem Luftweg ist der
Asylsuchende im Allgemeinen nicht ausschließlich auf den eigenen Sachvortrag
angewiesen, sondern er kann selbst dann, wenn er nicht mehr im Besitz von
Reisedokumenten sein sollte, durch grenzschutzbehördliche Unterlagen,
Passagierlisten und gegebenenfalls Zeugen auch nachträglich noch den Beweis für
seine Behauptung führen. Auch wenn der Asylsuchende alle schriftlichen Unterlagen
zum Flug weggegeben haben sollte, führt weder die damit verbundene
Selbstbezichtigung einer Verletzung der asylverfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten
noch der fehlende urkundliche Nachweis der Luftwegeinreise bereits zum Verlust des
Asylrechts. Der Gesetzgeber hat nämlich weder die asylverfahrensrechtlichen
Mitwirkungspflichten noch die Drittstaatenregelung zu einer Beweisführungspflicht des
Asylsuchenden ausgestaltet. Vielmehr ist und bleibt es Aufgabe des Gerichts, von sich
aus den maßgeblichen Sachverhalt zu ermitteln und aufzuklären und sich seine eigene
Überzeugung zu bilden (§§ 86 Abs. 1 Satz 1, 108 Abs. 1 S. 1 VwGO). Verletzen die
Beteiligten ihre Mitwirkungspflichten, so entbindet dieser Umstand das Gericht nicht von
seiner eigenen Aufklärungspflicht. Eine Verletzung der Mitwirkungspflichten kann
allenfalls die Anforderungen an die Ermittlungspflicht des Gerichts herabsetzen. Ob bei
einer vom Asylsuchenden behaupteten, aber nicht belegten Einreise auf dem Luftweg
weitere Ermittlungen durch das Gericht anzustellen sind, ist eine Frage der Ausübung
tatrichterlichen Ermessens im Einzelfall. Dabei ist das Gericht im Rahmen seiner
Überzeugungsbildung aus Rechtsgründen nicht daran gehindert, die Angaben des
Asylsuchenden auch ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen. In den Fällen, in
denen der Asylsuchende die Weggabe wichtiger Beweismittel - z.B. der
Reiseunterlagen - behauptet, hat das Gericht das Vorbringen indes besonders kritisch
und sorgfältig zu prüfen,
37
vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1999 - BVerwG 9 C 36.98 - und vom 24. Juli 2001 - 1 B
123/01 -; OVG NRW, Urteile vom 27. Juni 2002 - 8 A 4782/99.A -,
Entscheidungsabdruck (EA) S. 8 ff. und vom 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A. - EA S. 7
ff.
38
Aufgrund der nach diesen Kriterien anzustellenden kritischen Würdigung des
39
Vorbringens des Klägers steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger auf
dem Luftweg eingereist ist. Die vom Bundesamt insoweit geäußerten Zweifel greifen im
Ergebnis nicht durch. Der Kläger hat bei seinen Befragungen bei der Bundespolizei und
beim Bundesamt gleichlautend und widerspruchsfrei die Einreise über den Flughafen
Frankfurt/Main geschildert. Die Schilderung des Klägers steht dabei in allen
wesentlichen Punkten auch im Einklang mit den Angaben des Klägers des
Parallelverfahrens 5 K 433/06.A, des myanmarischen Staatsangehörigen und
Asylsuchenden U. B. , der angegeben hat, auf dieselbe Art und Weise gemeinsam mit
dem Kläger aus Myanmar ausgereist und in die Bundesrepublik Deutschland eingereist
zu sein. Die Angaben des Klägers, insbesondere die in der durchgeführten
"Zusatzbefragung zum Reiseweg" gemachten Angaben, wurden durch die
Bundespolizei einer Plausibilitätskontrolle (Abgleich der Angaben mit den Daten im
Flugplan) unterzogen und als plausibel bewertet. Das Bundespolizeiamt hat hieran
anknüpfend, nachdem es festgestellt hatte, dass der Name des Klägers auf der
Passagierliste des entsprechenden Fluges stand, dem Luftfahrtunternehmen Deutsche
Lufthansa AG mit Schreiben vom 6. Januar 2006 sogar mitgeteilt, dass der Kläger am
31. Dezember 2005 mit Flug-Nr.: LH 4117 entgegen der gesetzlichen Vorschrift des § 63
Abs. 1 AufenthG nach Deutschland befördert worden sei, ohne im Besitz der
erforderlichen Dokumente gewesen zu sein. Angesichts der vorgenannten Umstände
kann nach Auffassung der Kammer kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass der
Kläger auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist.
Der Kläger ist daher als Asylberechtigter anzuerkennen, weshalb der Klage in vollem
Umfang stattzugeben ist.
40
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b AsylVfG, die
Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr.
11, 709 Satz 2, 711 der Zivilprozessordnung.
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