Urteil des VG Aachen vom 16.03.2005
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Verwaltungsgericht Aachen, 4 L 166/05
Datum:
16.03.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 L 166/05
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens tragen die
Antragsteller als Gesamtschuldner.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
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I.
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Die Antragsteller waren die Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens
"Ausbauplanung F.----straße , F1.----platz und L.-----straße in der Ortslage I. ". Das
Bürgerbegehren richtete sich gegen die vom Rat der Gemeinde U. am 12. August 2004
beschlossene Planung u. a. für die F.----straße in U. -I. . Nachdem der Rat der Gemeinde
U. am 11. November 2004 die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt hatte,
wurde in der Zeit vom 23. bis zum 29. Januar 2005 der Bürgerentscheid mit folgender
Fragestellung durchgeführt:
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"Ich bin dafür, dass die Beschlüsse des Rates der Gemeinde U. in der Sitzung vom
12.08.2004 zu Tagesordnungspunkt 2 "Vorstellung der Ausbauplanung F.---- straße /
F1.----platz " aufgehoben und die Verwaltung stattdessen beauftragt wird, den Kanal in
den Straßen F.----straße , F1.----platz , L.-----straße vollständig zu erneuern und
anschließend die Fahrbahn wiederherzustellen."
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In seiner Sitzung vom 3. März 2005 beschloss der Rat der Gemeinde U. unter
Tagesordnungspunkt 3, das Ergebnis des Bürgerentscheides für gültig zu erklären,
nachdem von 2.506 gültigen Stimmen 1.548 Bürger mit Ja und 958 mit Nein gestimmt
hatten und damit bei 6.872 Abstimmungsberechtigten das 20 % Quorum übertroffen
worden war.
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Unter Tagesordnungspunkt 3a traf der Rat die folgenden weiteren Beschlüsse:
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a) Mit 14 Ja-Stimmen bei 8 Enthaltungen beschließt der Rat, den Fahrbahnausbau F.----
straße (Landwehr bis Einmündung L.-----straße ) und F1.----platz DIN-gerecht
auszuführen. Für diese Maßnahme sind KAG-Beiträge entsprechend der Satzung zu
erheben.
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b) Mit 14 Ja-Stimmen bei 8 Enthaltungen beschließt der Rat, die Ersterschließung im
oberen Bereich der F.----straße entsprechend der Planung gemäß Ratsbeschluss vom
12. August 2004 auszuführen, da dieser Bereich nicht Bestandteil des Bürgerbegehrens
ist. Es sind Erschließungsbeiträge nach dem BauGB für die Ersterschließung zu
veranlagen. Die Oberflächengestaltung der Fahrbahn und der Wendemöglichkeit erfolgt
durch Asphaltbelag. Der einseitige Gehweg erhält einen Pflasterbelag.
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c) Mit 14 Ja-Stimmen bei 8 Enthaltungen beschließt der Rat, im Teilbereich F.---- straße
zwischen Einmündung L.-----straße und der Ersterschließung keine Baumaßnahmen
durchzuführen, da der dort vorhandene Kanal mängelfrei ist und daher keine
Aufbrucharbeiten an der Straße entstehen.
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Mit Schreiben vom 8. März wandten sich die Antragsteller an den Antragsgegner und
erklärten, sie widersprächen dem in der Ratssitzung vom 3. März 2005 zu
Tagesordnungspunkt 3a) gefassten Beschluss und forderten den Antragsgegner auf,
dem Bürgerentscheid vollständig zu entsprechen und daher jedwede Arbeiten im
Bereich der sogenannten Erst-Erschließung einzustellen.
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Am 11. März haben die Antragsteller den vorliegenden Antrag auf Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Sie sind der Auffassung, der Ratsbeschluss vom 3.
März 2005 zu Tagesordnungspunkt 3a) verstoße jedenfalls mit lit. b) gegen den
Bürgerentscheid vom 29. Januar 2005.
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Die Antragsteller beantragen wörtlich,
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der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung ohne mündliche
Verhandlung aufzugeben, den Ausbau der F.--- -straße - Ersterschließung - bis zur
Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen in der Hauptsache einzustellen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Sie ist der Auffassung, der Antrag sei unzulässig, da die Antragsteller nach
Durchführung des Bürgerentscheides nicht mehr zur Vertretung des Bürgerbegehrens
befugt seien. Als natürliche Personen seien sie nicht antragsbefugt, da sie durch die
Ersterschließung in der Verlängerung der F.----straße nicht in eigenen Rechtspositionen
berührt würden. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet, da die beschlossene
Ersterschließung nicht Gegenstand des Bürgerentscheides gewesen sei. Jedes andere
Verständnis würde zudem dazu führen, dass sie, die Antragsgegnerin, ihren
gesetzlichen Erschließungspflichten nicht nachkommen könnte und rechtswidrig
handeln müsste.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte
sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.
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II.
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Der Antrag hat keinen Erfolg. Er ist unzulässig.
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Für den Antragsteller zu 3) folgt dies bereits aus dem Umstand, dass er nicht mehr
Bürger der Gemeinde ist, in der das Bürgerbegehren stattgefunden hat,
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2004 - 15 B 522/04 - .
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Unabhängig hiervon fehlt es allen Antragstellern als ehemaligen
Vertretungsberechtigten des Bürgerbegehrens an der entsprechend § 42 Absatz 2 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) erforderlichen Antragsbefugnis. Ihnen kommt als
ehemaligen Vertretungsberechtigten des erledigten Bürgerbegehrens nach
Durchführung des Bürgerentscheids keine Kompetenz mehr zu, für dieses weiterhin
Rechte geltend machen zu können,
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so wohl auch VGH München, Urteil vom 2. Juli 2002 - 4 B 00.3532 - NVwZ-RR 2003,
448.
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Bürgerbegehren sind nach dem Konzept des nordrhein-westfälischen Gemeinderechts,
vgl. § 26 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW), auf die
Durchführung von Bürgerentscheiden gerichtet. Mit der Durchführung eines solchen
Entscheids und der Feststellung seiner Gültigkeit findet das zugrundeliegende
Bürgerbegehren seine Erfüllung und erledigt sich dementsprechend. Daher kann
vorliegend dahinstehen, ob bzw. inwieweit den Vertretungsberechtigten eines
Bürgerbegehrens nach Feststellung der Zulässigkeit des Begehrens aber vor
Durchführung des Bürgerentscheids Kompetenzen zukommen, die ordnungsgemäße
Durchführung des Bürgerentscheids nötigenfalls gerichtlich durchzusetzen, da hier die
Gültigkeit des Bürgerentscheids vom Rat der Gemeinde U. festgestellt worden ist und
zwischen den Beteiligten wie auch sonst außer Streit steht. Vielmehr beanspruchen die
Antragsteller als Vertretungsberechtigte des ehemaligen Bürgerbegehrens im
vorliegenden Verfahren, den Vollzug bzw. die weitere Beachtung des Bürgerentscheids
durch Bürgermeister und Rat der Gemeinde U. kontrollieren und nötigenfalls gerichtlich
durchsetzen zu können. Für eine solche weitergehende Kompetenz zu Gunsten der
ehemaligen Vertreter des ehemaligen Bürgerbegehrens fehlt es jedoch an einer
gesetzlichen Grundlage. Weder § 26 GO NRW noch der Verordnung zur Durchführung
eines Bürgerentscheides lässt sich hierfür eine ermächtigende Vorschrift entnehmen.
Soweit ersichtlich ist auch in keinem anderen deutschen Bundesland den Vertretern
eines Bürgerbegehrens die Möglichkeit eingeräumt worden, nach erfolgreicher
Durchführung des Bürgerentscheids dessen ordnungsgemäße Umsetzung durch die
gemeindlichen Organe gerichtlich durchsetzen zu können.
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In dieser Rechtslage ist auch keine ungewollte Regelungslücke zu sehen, die der
analogen Anwendung der Antragskompetenz aus § 26 GO NRW auf die vorliegende
Konstellation zugänglich wäre. Vielmehr bestehen so erhebliche Unterschiede, dass
von einem gleichgelagerten Sachverhalt nicht gesprochen werden kann. Die
Vertretungsberechtigten sind auf den Unterschriftslisten für das Bürgerbegehren als
solche aufgeführt, so dass jeder Bürger mit seiner Unterschrift neben der Unterstützung
des sachlichen Begehrens auch sein Einverständnis mit der Vertretung durch die dort
aufgeführten Personen erklärt. Hierin liegt die demokratische Legitimation der
Vertretungsberechtigten, die es dem Gesetzgeber erlaubt, ihnen - quasi im Wege der
Prozessstandschaft - die Befugnis einzuräumen, die Rechte der Bürger, die mit ihrer
Unterschrift das Bürgerbegehren unterstützen, nötigenfalls gerichtlich geltend zu
machen. Mit der Durchführung des Bürgerentscheids findet diese Legitimation jedoch ihr
Ende. Anders als beim Bürgerbegehren stimmen die Bürger beim Bürgerentscheid
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ausschließlich über die ihnen vorgelegte Sachfrage ab. Vertretungsberechtigte für den
Bürgerentscheid werden weder genannt noch ernannt. Damit fehlt es den Antragstellern
an einer Legitimation, die mit der beim Bürgerbegehren auch nur ansatzweise
vergleichbar wäre. Eine analoge Anwendung des § 26 GO NW ist damit
ausgeschlossen.
Eine Auslegung der Antragsschrift dahingehend, dass die Antragsteller nicht Rechte
des Bürgerbegehrens, sondern eigene Rechte als Bürger der Gemeinde U. geltend
machen wollen, ist angesichts des eindeutigen Wortlauts der Antragsschrift nicht
zulässig. Im Übrigen wäre eine solche Auswechslung der antragstellenden Beteiligten
(für den Antragsteller zu 3. ohnehin ersichtlich ausscheidend) wohl auch nicht
zweckmäßig, da ihnen auch dann die Antragsbefugnis fehlen dürfte. Einzelnen Bürgern
steht kein individuelles subjektives und damit gerichtlich durchsetzbares Recht darauf
zu, dass der Rat oder Bürgermeister einer Gemeinde das Ergebnis eines
Bürgerentscheids beachtet oder vollzieht. Zuordnungssubjekt eines solchen Anspruchs
könnte allenfalls die Bürgerschaft als solche sein, die jedoch - wie bereits dargelegt -
von den Antragstellern nicht vertreten wird. Insoweit sind die Rechte des einzelnen
Bürgers denen des einzelnen Ratsmitglieds vergleichbar, der ebenfalls keinen
individuellen durchsetzbaren Anspruch gegen den Bürgermeister auf Vollzug eines
Ratsbeschlusses hat. Beachtete man dies nicht, träte der systemwidrige Umstand ein,
dass ein Bürger hinsichtlich des Vollzugs eines Bürgerentscheids weitergehende
Rechte hätte als ein Ratsmitglied hinsichtlich des Vollzugs eines Ratsbeschlusses,
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vgl. VG Regensburg, Beschluss vom 28. April 1999 - RO 3 E 99.761 -.
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Das Fehlen von Kontroll- und Weisungsrechten zu Gunsten der Bürgerschaft, die denen
in den §§ 55 Abs. 3, 62 Abs. 2 GO NW entsprechen, ist zudem in dem Umstand
begründet, dass die Bürgerschaft als solche nicht handlungsfähig organisiert ist.
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Die insoweit zu Lasten der Bürgerschaft fehlende Rechtschutzmöglichkeit wird in der
Gemeindeordnung abgefedert durch die Regeln über die Kommunalaufsicht, vgl. §§
116ff GO NW. Der allgemeinen Kommunalaufsicht kommt nach § 116 GO NW die
Aufgabe der Überwachung zu, ob die Gemeinden im Einklang mit den Gesetzen
verwaltet werden. Ein Einschreiten steht dabei im Ermessen der Aufsichtsbehörde.
Allerdings wird die Aufsichtsbehörde Fälle der vorliegenden Art mit besonderer Sorgfalt
zu prüfen und zu berücksichtigen haben, dass für die Bürgerschaft anderweitige
Rechtsschutzmöglichkeiten nicht bestehen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung erfolgt nach §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 des
Gerichtskostengesetzes und in Übereinstimmung mit Nr. 22.6 des Streitwertkatalogs für
die Verwaltungsgerichtsbarkeit, wobei wegen des bloß vorläufigen Charakters der hier
begehrten Eilentscheidung der Auffangstreitwert nur zur Hälfte angesetzt wird.
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