Urteil des VG Aachen vom 29.12.2004
VG Aachen: aufenthaltserlaubnis, abkommen über den europäischen wirtschaftsraum, freizügigkeit der arbeitnehmer, arbeitserlaubnis, aufenthalt im ausland, arbeitsmarkt, mitgliedstaat, marokko
Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Aachen, 8 K 3570/04
29.12.2004
Verwaltungsgericht Aachen
8. Kammer
Beschluss
8 K 3570/04
1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
2. Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art. 234 EG folgende
Fragen vorgelegt:
1. Verbietet es das Diskriminierungsverbot des Art. 10 Abs. 1 des
Beschlusses 1/80 einem Mitgliedstaat, den weiteren Aufenthalt eines
türkischen Arbeitnehmers in der Situation des Klägers, der im Zeitpunkt
des Ablaufs der ihm ursprünglich erteilten nationalen
Aufenthaltserlaubnis dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedsstaates
angehörte und im Besitz eines unbefristeten Beschäftigungsrechts war,
für die Dauer der Beschäftigung zu versagen?
Ist in diesem Zusammenhang erheblich, dass die dem türkischen
Wanderarbeitnehmer erteilte Arbeitserlaubnis
- nach innerstaatlichem Recht ohne zeitliche Befristung erteilt wurde
- nach innerstaatlichem Recht in Abhängigkeit vom Fortbestand der
ursprünglichen Aufenthaltserlaubnis erteilt worden war, sie aber nicht
automatisch mit dem Ablauf der Gültigkeitsdauer der
Aufenthaltsgenehmigung erlischt, sondern so lange Geltung hat, bis der
Ausländer sich auch nicht mehr vorläufig im Mitgliedstaat aufhalten darf?
2. Ist es dem Mitgliedstaat im Lichte des Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses
1/80 erlaubt, den Aufenthalt des türkischen Arbeitnehmers zu versagen,
wenn dieser nach dem Zeitpunkt des Ablaufs der ihm zuetzt erteilten
Aufenthaltserlaubnis als Saisonarbeiter tätig, d.h. in den Zeiten zwischen
den Beschäftigungen ohne Arbeit ist?
3. Hat eine nach dem Zeitpunkt des Ablaufs der ursprünglich erteilten
Aufenthaltserlaubnis erfolgte Änderung der rechtlichen Ausgestaltung
des nationalen Arbeitsgenehmigungsrechts Einfluss auf das aus Art. 10
Abs. 1 des Beschlusses 1/80 resultierende Verbot, den weiteren
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Aufenthalt zu versagen?
Gründe:
I. Darstellung des Sachverhalts und der Anträge der Beteiligten
1. Tatbestand
Der Kläger, der türkischer Staatsangehöriger ist, reiste am 13. September 1991 in das
Bundesgebiet ein und stellte - mehrfach - erfolglos Antrag auf Anerkennung als
Asylberechtigter. Nachdem er am 7. März 1997 die Ehe mit einer deutschen
Staatsangehörigen geschlossen hatte, erteilte der Beklagte ihm am 29. Juli 1997 eine
zunächst bis zum 29. Juli 1998 befristete Aufenthaltserlaubnis. Das Arbeitsamt B. erteilte
dem Kläger am 31. Juli 1997 eine Arbeitserlaubnis mit unbefristeter Geltungsdauer und für
berufliche Tätigkeiten jeder Art . Am 19. Juni 1998 stellte der Kläger Antrag auf
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Seit dem 8. Juli 1998 lebten die Eheleute dauernd
getrennt, im Jahre 2002 wurde die Ehe geschieden. Am 6. Januar 1999 verlängerte der
Beklagte die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zunächst bis zum 6. Dezember 1999 und
erneut bis zum 9. Oktober 2001 mit dem Hinweis, der Kläger könne sich auf ein Recht aus
Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich des Beschlusses 1/80 berufen. Die Aufenthaltserlaubnis
enthielt den Zusatz: "Selbständige Erwerbstätigkeit oder vergleichbare unselbständige
Erwerbstätigkeit nicht gestattet. Arbeitserlaubnispflichtige Erwerbstätigkeit nur gestattet als
Kellner im Café N. in B. ". Am 25. September 2001 stellte der Kläger Antrag auf
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Der Kläger war wie folgt beschäftigt: Vom 1.
Oktober 1997 bis zum 31. Dezember 1997 bei einer Firma T. H. , vom 1. Februar 1998 bis
zum 31. März 1999 bei einer Firma F. T1. und vom 1. Juni 1999 bis zum 31. März 2000 bei
einer Firam F1. V. L. . Alle diese Arbeitgeber führten denselben, in der I.--------allee 55-59 in
B. angesiedelten Betrieb, das Café N. . Der Kläger war dort als Kellner beschäftigt. Vom 10.
April 2000 bis zum 14. Dezember 2000, sowie vom 1. März 2001 bis zum 30. November
2001 war der Kläger bei der B. in B. jeweils als Saisonarbeiter beschäftigt. In den
Zwischenzeiträumen erhielt der Kläger Leistungen vom Arbeitsamt B. . Sozialhilfe bezog
der Kläger zu keinem Zeitpunkt. Seit dem 2. April 2002 und erneut vom 23. November 2002
bis zum 5. Dezember 2003 sowie seit dem 2. Juni 2004 bis Saisonende 2004 ist der Kläger
aufgrund befristeter Arbeitsverträge bei dem selben Arbeitgeber beschäftigt.
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts B. vom 27. Juni 2002 - rechtskräftig seit dem 6. November
2002 - wurde der Kläger wegen eines Vergehens des Verstoßes gegen das
Ausländergesetz in zwei Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von 45 Tagessätzen verurteilt,
weil er mit seiner Tätigkeit bei der Firma M. gegen die seiner Aufenthaltserlaubnis
beigefügte Auflage verstoßen habe. Mit Ordnungsverfügung vom 2. Januar 2003 lehnte der
Beklagten den Antrag des Klägers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab und
drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben
vom 21. Januar 2003 Widerspruch ein und machte geltend, in seinem Falle komme die
eheunabhängige Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Betracht. Außerdem können er
sich auf den Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrechts vom 19.September 1980 über die
Entwicklung der Assoziation ( Beschluss Nr. 1/80 ) berufen. Am 21. März 2003 stellte der
Kläger beim Verwaltungsgericht Aachen unter dem Aktenzeichen 8 L 306/03 einen Antrag
auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Diesem Antrag gab das
Gericht mit Beschluss vom 14. Juli 2003 statt. Zwar könne der Kläger weder aus dem
nationalen Ausländerrecht einen Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis
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herleiten noch habe er im maßgeblichen Zeitpunkt des Ablaufs der ihm zuletzt erteilten
Aufenthaltserlaubnis eine der Positionen des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80
erlangt. Es könne dahin stehen, ob der Kläger schon vor Beginn seiner - erstmaligen -
Tätigkeit bei der Fa. M. am 1. April 2000 länger als ein Jahr ununterbrochen bei dem
gleichen Arbeitgeber gearbeitet hat und damit ein Aufenthaltsrecht nach § 6 Abs. 1, 1.
Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 erworben habe. Mit dem Wechsel des Arbeitgebers
zum 1. April 2000 sei ein derartiges Recht erloschen. Ein Recht nach Art. 6 Abs. 1, 2. oder
3. Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80, das ihm die Möglichkeit eröffnet hätte, den
Arbeitgeber zu wechseln, habe der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch nicht erworben, weil
er zuvor noch nicht drei Jahre ordnungsgemäß beschäftigt war. Der Kläger habe am 1.
Oktober 1997 eine Tätigkeit in dem Café N. aufgenommen. Es könne dahin stehen, ob es
sich insoweit um eine ununterbrochene Tätigkeit handelte und wann sie genau beendet
wurde, denn zum Zeitpunkt des Wechsels der Arbeitgebers am 1. April 2000 hätten die
zeitlichen Voraussetzungen einer drei- bzw. vierjährigen Beschäftigung noch nicht
vorgelegen. Auch habe der Kläger im Zeitpunkt des Ablaufs der letzten
Aufenthaltserlaubnis - am 9. Oktober 2001 - noch keine Position nach Art. 6 Abs. 1, 1.
Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 erworben, da er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ein
Jahr ununterbrochen bei dem gleichen Arbeitgeber beschäftigt gewesen sei. Die am 1.
April 2000 begonnene Saisontätigkeit bei der Fa. M. habe am 14. Dezember 2000 geendet
und erst am 1. März 2001 habe der Kläger die Tätigkeit bei der Fa. M. wieder
aufgenommen. Die Zeit vom 15. Dezember 2000 bis zum 28. Februar 2001 sei nicht der
Zeit ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichzusetzen. Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 des
Beschlusses Nr. 1/80 werden Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den
zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit
wegen langer Krankheit nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt.
Allerdings berühren sie nicht die auf Grund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen
Ansprüche. Unabhängig davon, ob es sich bei dem hier im Raum stehenden Zeitraum um
eine Zeit unverschuldeter Arbeitslosigkeit dieser Vorschrift gehandelt habe, sei der Kläger
nicht begünstigt. Sinn und Zweck der Vorschrift sei es zu verhindern, dass ein türkischer
Arbeitnehmer, der wieder zu arbeiten beginnt, nachdem er wegen langer Krankheit oder
unverschuldeter Arbeitslosigkeit nicht arbeiten konnte, wieder von neuem die in den drei
Spiegelstrichen des Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 vorgesehenen Zeiten
ordnungsgemäßer Beschäftigung zurücklegen muss. Der Kläger habe jedoch zum
Zeitpunkt der erneuten Aufnahme seiner Tätigkeit am 1. März 2001, wie ausgeführt, noch
keine der in Abs. 1 der Vorschrift aufgeführten Zeiten zurückgelegt. Offen - und im Rahmen
der erforderlichen Interessenabwägung maßgeblich zugunsten des Klägers zu
berücksichtigen - sei jedoch, ob der Kläger, der im maßgeblichen Zeitpunkt im Besitz einer
unbefristeten und unbeschränkten Arbeitserlaubnis war und einer Beschäftigung
nachgegangen sei, den weiteren Aufenthalt aufgrund des Diskriminierungsverbotes des
Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 verlangen könne. Auf Rechtsmittel des Beklagten
lehnte des Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) mit
Beschluss vom 30. März 2004 in der Sache 19 B 1530/03 den Antrag des Klägers auf
Anordnung der aufschiebenden Wirkung ab.
Die Bezirksregierung L1. wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid
vom 20. Juli 2004 zurück.
Am 9. August 2004 hat der Kläger Klage erhoben.
2. Anträge
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Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung der Ordnungsverfügung vom 2. Januar 2003 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung L1. vom 20. Juli 2004 zu
verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis ab dem 10. Oktober 2001 zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
II. Begründung und Erläuterung der Vorlagefragen
1. Rechtliche Problemstellung einschließlich relevanter nationaler Vorschriften
a. Relevante Rechtsvorschriften
aa. Gemeinschaftsrecht
Art. 6 des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei - im Folgenden: Assoziierungsabkommen - lautet:
"Um die Anwendung und schrittweise Entwicklung der Assoziationsregelung
sicherzustellen, treten die Vertragsparteien in einem Assoziationsrat zusammen; dieser
wird im Rahmen der Befugnisse tätig, die ihm in dem Abkommen zugewiesen sind."
Art. 9 Assoziierungsabkommen lautet: "Die Vertragsparteien erkennen an, dass für den
Anwendungsbereich des Abkommens unbeschadet der besonderen Bestimmungen, die
möglicherweise aufgrund von Art. 8 noch erlassen werden, dem in Art. 7 des Vertrages zur
Gründung der Gemeinschaft verankerten Grundsatz entsprechend jede Diskriminierung
aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten ist."
Art. 12 Assoziierungsabkommen lautet: "Die Vertragsparteien vereinbaren, sich von den
Artikeln 48, 49 und 50 des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft leiten zu lassen, um
untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen."
Art. 22 Assoziierungsabkommen lautet: "Zur Verwirklichung der Ziele des Abkommens und
in den darin vorgesehenen Fällen ist der Assoziationsrat befugt, Beschlüsse zu fassen.
Jede der Parteien ist verpflichtet, die zur Durchführung der Beschlüsse erforderlichen
Maßnahmen zu treffen..."
Art. 36 des Zusatzprotokolls - im Folgenden: Zusatzprotokoll - sieht vor, dass die
Freizügigkeit der Arbeitnehmer zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der
Türkei nach den Grundsätzen des Art. 12 Assoziierungsabkommen zwischen dem Ende
des zwölften und dem Ende des zweiundzwanzigsten Jahres nach dem Inkrafttreten des
Abkommens schrittweise hergestellt wird und dass der Assoziationsrat die hierfür
erforderlichen Regeln festlegt.
Art. 37 Zusatzprotokoll lautet: "Jeder Mitgliedstaat sieht für die in der Gemeinschaft
beschäftigten Arbeitnehmer türkischer Staatsangehörigkeit eine Regelung vor, die in Bezug
auf die Arbeitsbedingungen und das Entgelt keine auf der Staatsangehörigkeit beruhende
Diskriminierung gegenüber Arbeitnehmern enthält, die Staatsangehörige der anderen
Mitgliedstaaten sind." Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom
19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation ( im Folgenden: Beschluss Nr.
1/80) lautet: "Vorbehaltlich der Bestimmungen in Art. 7 über den freien Zugang der
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Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären
Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat - nach einem Jahr
ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei
dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt; - nach drei Jahren
ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den
Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den
gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen
unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes
Stellenangebot zu bewerben; - nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien
Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis." Art. 7
des Beschlusses Nr. 1/80 lautet: "(1) Die Familienangehörigen eines dem regulären
Arbeitsmarkt angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten
haben, zu ihm zu ziehen, - haben vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den
Mitgliedstaaten einzuräumenden Vorrangs das Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu
bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz
haben; - haben freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im Lohn- oder
Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf Jahren ihren ordnungsgemäßen
Wohnsitz haben. (2) Die Kinder türkischer Arbeitnehmer, die im Aufnahmeland eine
Berufsausbildung abgeschlossen haben, können sich unabhängig von der Dauer ihres
Aufenthalts in dem betreffenden Mitgliedstaat dort auf jedes Stellenangebot bewerben,
sofern ein Elternteil in dem betreffenden Mitgliedstaat seit mindestens drei Jahren
ordnungsgemäß beschäftigt war." Art. 10 des Beschlusses Nr. 1/80 lautet: "Die
Mitgliedstaaten der Gemeinschaft räumen den türkischen Arbeitnehmern, die ihrem
regulären Arbeitsmarkt angehören, eine Regelung ein, die gegenüber Arbeitnehmern aus
der Gemeinschaft hinsichtlich des Arbeitsentgeltes und der sonstigen Arbeitsbedingungen
jede Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ausschließt."
Art. 6 Abs. 1 EG-Vertrag (jetzt Art. 12 EG): "Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses
Vertrages ist in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der
Staatsangehörigkeit verboten."
Art. 48 Abs. 1 und 2 EG Vertrag (jetzt Art. 39 EG) lautet "(1) Innerhalb der Gemeinschaft ist
die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet. (2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf
der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der
Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung und sonstige Arbeitsbedingungen."
bb. Nationale Regelungen
§ 284 des Sozialgesetzbuches (SGB) Drittes Buch (III)- im Folgenden SGB III - lautet "(1)
Ausländer dürfen eine Beschäftigung nur mit Genehmigung der Agentur für Arbeit ausüben
und von Arbeitgebern nur beschäftigt werden, wenn sie eine solche Genehmigung
besitzen. Einer Genehmigung bedürfen nicht 1. Ausländer, denen nach den
Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder nach dem Abkommen über den
Europäischen Wirtschaftsraum Freizügigkeit zu gewähren ist, 2. Ausländer, die eine
unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung besitzen, und 3.
andere Ausländer, wenn dies in zwischenstaatlichen Vereinbarungen, auf Grund eines
Gesetzes oder durch Rechtsverordnung bestimmt ist. (2) Die Genehmigung ist vor der
Aufnahme der Beschäftigung einzuholen. (3) Der Arbeitgeber, bei dem ein Ausländer
beschäftigt werden soll, der dafür eine Genehmigung benötigt, hat Auskunft über
Arbeitsentgelt, Arbeitszeiten oder sonstige Arbeitsbedingungen zu erteilen. (4) Die
Arbeitsgenehmigung wird als Arbeitserlaubnis erteilt, wenn nicht Anspruch auf Erteilung als
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Arbeitsberechtigung besteht. (5) Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn der
Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung nach § 5 des Ausländergesetzes besitzt, soweit
durch Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist, und wenn die Ausübung einer
Beschäftigung nicht durch eine ausländerrechtliche Auflage ausgeschlossen ist. "
§ 286 Abs. 2 SGB III lautet: "(2) Die Arbeitsberechtigung wird unbefristet und ohne
betriebliche, berufliche und regionale Beschränkung erteilt, soweit durch Rechtsverordnung
nichts anderes bestimmt ist." § 288 Abs. 1 SGB III lautet: "(1) Das Bundesministerium für
Wirtschaft und Arbeit kann durch Rechtsverordnung 1. Ausnahmen für die Erteilung einer
Arbeitserlaubnis an Ausländer, die keine Aufenthaltsgenehmigung besitzen, 2. Ausnahmen
für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis unabhängig von der Arbeitsmarktlage, 3.
Ausnahmen für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis an Ausländer mit Wohnsitz oder
gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland, 4. die Voraussetzungen für die Erteilung einer
Arbeitserlaubnis sowie das Erfordernis einer ärztlichen Untersuchung von Ausländern mit
Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland mit deren Einwilligung für eine
erstmalige Beschäftigung, 5. das Nähere über Umfang und Geltungsdauer der
Arbeitserlaubnis, 6. weitere Personengruppen, denen eine Arbeitsberechtigung erteilt wird,
sowie die zeitliche, betriebliche, berufliche und regionale Beschränkung der
Aufenthaltsberechtigung, 7. weitere Ausnahmen von der Genehmigungspflicht sowie 8. die
Voraussetzungen für das Verfahren und die Aufhebung einer Genehmigung näher
bestimmen ." § 2 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für
ausländische Arbeitnehmer - im Folgenden ArGV - lautet: (1) Die Arbeitsberechtigung wird
abweichend von § 286 Abs. 1 Satz 1 SGB III auch dann erteilt , wenn der Ausländer 1. mit
einem deutschen Familienangehörigen oder als Lebenspartner mit einem Ausländer, dem
nach den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaften oder nach dem
Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Freizügigkeit zu gewähren ist, in
familiärer Lebensgemeinschaft lebt und ein nach § 23 Abs. 1 des Ausländergesetzes
erteilte Aufenthaltserlaubnis besitzt."
§ 5 ArGV lautet: "Die Arbeitsgenehmigung kann abweichend von § 284 Abs. 5 SGB III auch
Ausländern erteilt werden, 1. die vom Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung befreit sind,
wenn die Befreiung nicht auf Aufenthalte bis zu drei Monaten oder auf Aufenthalte ohne
Aufnahme einer genehmigungspflichtigen Beschäftigung beschränkt ist, 2. die eine
Aufenthaltsgestattung (§ 55 des Asylverfahrengesetzes ) besitzen und nicht verpflichtet
sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen (§§ 47 bis 50 des Asylverfahrensgesetzes),
3. deren Aufenthalt nach § 69 Abs. 3 des Ausländergesetzes als erlaubt gilt. 4. die
ausreisepflichtig sind, solange die Ausreisepflicht nicht vollziehbar oder die gesetzte
Ausreisefrist noch nicht abgelaufen ist, 5. die eine Duldung (§ 55 des Ausländergesetzes)
besitzen, es sei denn, diese Ausländer haben sich in das Inland begeben, um Leistungen
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen, oder bei diesen Ausländern können
aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht
vollzogen werden (§ 1a des Asylbewerberleistungsgesetzes), 6. deren Abschiebung durch
eine richterliche Anordnung ausgesetzt ist." § 8 Abs. 1 Nr. 1 ArGV lautet: "Die
Arbeitsgenehmigung erlischt, wenn 1. der Ausländer keine der in § 5 bezeichneten
Voraussetzungen erfüllt..."
§ 8 Abs. 2 ArGV lautet: "In den Fällen des § 8 Abs. 1 Nr. 1 ArGV gilt die
Arbeitsgenehmigung nicht als erloschen, wenn während ihrer vorgesehenen
Geltungsdauer die Voraussetzungen des § 5 ArGV wieder eintreten."
§ 5 Abs. 1 des Ausländergesetzes - im Folgenden: AuslG - lautet: "(1) Die
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Aufenthaltsgenehmigung wird erteilt als 1. Aufenthaltserlaubnis (§§15,17), 2.
Aufenthaltsberechtigung (§27), 3. Aufenthaltsbewilligung (§28), 4. Aufenthaltsbefugnis (§
30)."
§ 4 Abs. 2 des am 1. Januar 2005 in Kraft tretenden Aufenthaltsgesetzes - im Folgenden:
AufenthG - lautet : "(2) Ein Aufenthaltstitel berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit,
sofern es nach diesem Gesetz bestimmt ist oder der Aufenthaltstitel die Ausübung der
Erwerbstätigkeit ausdrücklich erlaubt. Jeder Aufenthaltstitel muss erkennen lassen, ob die
Ausübung einer Erwerbstätigkeit erlaubt ist. Einem Ausländer, der keine
Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Beschäftigung besitzt, kann die Ausübung einer
Beschäftigung nur erlaubt werden, wenn die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat oder
durch Rechtsverordnung bestimmt ist, dass die Ausübung der Beschäftigung ohne
Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit zulässig ist. Beschränkungen bei der Erteilung
der Zustimmung durch die Bundesagentur für Arbeit sind in den Aufenthaltstitel zu
übernehmen. "
§ 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG lautet : "(3) Ausländer dürfen eine Beschäftigung nur ausüben,
wenn der Aufenthaltstitel es erlaubt, und von Arbeitgebern nur beschäftigt werden, wenn
sie über einen solchen Aufenthaltstitel verfügen.
§ 105 Abs. 2 AufenthG lautet : "(2) Eine vor Inkrafttreten dieses Gesetzes erteilte
Arbeitsberechtigung gilt als uneingeschränkte Zustimmung der Bundesagentur für Arbet zur
Aufnahme einer Beschäftigung. "
§ 15 der am 1. Januar 2005 in Kraft tretenden Verordnung über das Verfahren und die
Zulassung von im Inland lebenden Ausländern zur Ausübung einer Beschäftigung - im
Folgenden: BeschVerfV - lautet : "Günstigere Regelungen des Beschlusses Nr. 1/80 des
Assoziationsrates EWG-Türkei über den Zugang türkischer Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen zum Arbeitsmarkt bleiben unberührt. "
b. Rechtliche Problemstellung und Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage
Der Kläger, dem der Zuzug zum Zwecke der Familienzusammenführung und die
anschließende Aufnahme einer Beschäftigung von den nationalen Behörden erlaubt
worden war, kann aufgrund innerstaatlichen Rechts nach Auflösung der ehelichen
Lebensgemeinschaft die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nicht erreichen.
Beschäftigungs- und Aufenthaltsrechte nach Art. 6 oder 7 des Beschlusses Nr. 1/80 waren
im Zeitpunkt des Ablaufs der ihm zuletzt erteilten Aufenthaltserlaubnis nicht entstanden.
Die vorgelegten Fragen sind aus Sicht der Kammer entscheidungserheblich. Die Klage hat
Erfolg, wenn die nationalen Behörden aufgrund des Diskriminierungsverbots des Art. 10
Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 nach Ablauf der dem Kläger zuletzt erteilten
Aufenthaltserlaubnis gehindert waren, die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis allein
wegen des Wegfalls des ursprünglich die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis
rechtfertigenden Aufenthaltszweckes zu verweigern, dies auch für die nachfolgenden
Zeiträume unverschuldeter Arbeitslosigkeit und ungeachtet nachfolgender Änderungen des
nationalen Arbeitsgenehmigungsrechts weiter gilt. Der Kläger gehörte bei Ablauf der ihm
zuletzt erteilten nationalen Aufenthaltserlaubnis dem regulären Arbeitsmarkt der
Bundesrepublik Deutschland an, war im Besitz einer unbefristeten Arbeitserlaubnis (heute:
Arbeitsberechtigung) und ging einer Beschäftigung nach. Gründe des Schutzes eines
berechtigten Interesses des Staates, namentlich Gründe der öffentlichen Ordnung,
Sicherheit und Gesundheit, lagen und liegen nicht vor. Er geht auch derzeit - wie zuvor -
einer Beschäftigung als Saisonarbeitnehmer bei dem selben Arbeitgeber nach.
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Nach Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 räumen die Mitgliedstaaten der
Gemeinschaft den türkischen Arbeitnehmern, die ihrem regulären Arbeitsmarkt angehören,
eine Regelung ein, die gegenüber den Arbeitnehmern aus der Gemeinschaft hinsichtlich
des Arbeitsentgelts und der sonstigen Arbeitsbedingungen jede Diskriminierung aufgrund
der Staatsangehörigkeit ausschließt.
aa. Unmittelbare Wirkung des Diskriminierungsverbotes des Art. 10 Abs. 1 des
Beschlusses Nr. 1/80
Die Vorschrift des Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses 1/80 entfaltet nach der Rechtsprechung
des Gerichtshofes,
vgl. Urteil vom 8. Mai 2003, in der Rechtssache C-171/01 (Wählergruppe "Gemeinsam
Zajedno/Birlikte Alternative und Grüne GewerkschafterInnen/UG") im 1. Leitsatz,
unmittelbare Wirkung mit der Folge, dass der Kläger das Recht hat, sich vor den deutschen
Gerichten auf sie zu berufen. Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt - Rdnr. 89 -, Art. 10 Abs.
1 des Beschlusses 1/80 stelle zwar keinen Grundsatz der Freizügigkeit der türkischen
Arbeitnehmer in der Gemeinschaft auf. Die Vorschrift gewähre jedoch den Arbeitnehmern
türkischer Staatsangehörigkeit, die rechtmäßig in einem Mitgliedstaat beschäftigt sind, ein
Recht auf Gleichbehandlung hinsichtlich des Arbeitsentgelts und der sonstigen
Arbeitsbedingungen, das den gleichen Umfang habe wie das den Staatsangehörigen der
Mitgliedstaaten durch Art. 48 Abs. 2 EG-Vertrag mit ähnlichen Worten zuerkannte Recht.
Dem Begriff sonstige Arbeitsbedingungen sei - so Rdnr. 85 - ein weiter
Anwendungsbereich zuzuerkennen und die Gleichbehandlung sei in Bezug auf all das
vorgesehen, was sich unmittelbar oder mittelbar auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit im
Aufnahmemitgliedstaat bezieht.
bb. Auslegung und Reichweite des Diskriminierungsverbotes des Art. 10 Abs. 1 des
Beschlusses Nr. 1/80
Der Gerichtshof verweist in Rdnr. 60 des Urteils vom 8. Mai 2003 darauf, dass die
Auslegung des Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 seiner Rechtsprechung zum
Grundsatz der Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen gemäß Art. 40 Abs.
1 des Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und
dem Königreich Marokko - Kooperationsabkommen EWG/Marokko - (jetzt Art. 64 Abs. 1
des Europa-Mittelmeer-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den
Europäischen Gemeinschaften einerseits und ihren Mitgliedsstaaten andererseits und dem
Königreich Marokko) entspricht.
(1) Gleiche Auslegung der Diskriminierungsverbote trotz wesentlicher Unterschiede
zwischen den Abkommen
Die Kammer meint daher, dass die in der Rechtsprechung des Gerichtshofes in dem Urteil
vom 2. März 1999 in der Rechtssache C-416/96 (El-Yassini) gefundene Auslegung zu Art.
40 Abs. 1 Kooperationsabkommen EWG/Marokko auch auf das Diskriminierungsverbot des
Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 übertragen werden kann.
Der Gerichtshof hat in dem Urteil vom 2. März 1999 zwar dargelegt, dass aufgrund der
wesentlichen Unterschiede zwischen dem Wortlaut sowie Gegenstand und Zweck der
beiden Abkommen die Rechtsprechung des Gerichtshofes zum Abkommen EWG-Türkei zu
Art. 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80 auf marokkanische Wanderarbeitnehmer, für die
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entsprechende Regelungen im Kooperationsabkommen gerade nicht vereinbart wurden,
nicht übertragen werden könne, vgl. a.a.O., Rdnr. 48ff..
Folgerichtig können marokkanische Wanderarbeitnehmer eigenständige Beschäftigungs-
und Aufenthaltsrechte auch dann nicht geltend machen, wenn sie in dem
Aufnahmemitgliedstaat für mehr als ein Jahr bei demselben Arbeitgeber ordnungsgemäß
beschäftigt waren. Dass jedoch die unterschiedliche Zwecksetzung des
Kooperationsabkommmens EWG/Marokko (bzw. des Europa-Mittelmeer-Abkommens zur
Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und dem
Königreich Marokko) einerseits und des Assoziierungsabkommens mit der Türkei
andererseits auch eine unterschiedliche Auslegung der - jeweils nahezu wortgleichen -
Diskriminierungsverbote erfordert, drängt sich nicht auf. Zum einen hat der Gerichtshof sich
- wie oben ausgeführt - trotz der unterschiedlich weit reichenden Ziel- und Zwecksetzung
auch dieser beiden Vorschriften nicht gehindert gesehen, das Diskriminierungsverbot des
Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses 1/80 und das durch Art. 48 Abs. 2 EG-Vertrag mit ähnlichen
Worten zuerkannte Recht auf Gleichbehandlung in gleicher Weise auszulegen, obwohl
türkische Arbeitnehmer anders als gemeinschaftsangehörige Arbeitnehmer gerade keine
Freizügigkeit genießen. Zum anderen hat der Gerichtshof in Übereinstimmung mit der in
den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 24. Mai 2004 vertretenen Meinung
entschieden, dass die weite Auslegung eines gemeinschaftsrechtlichen Begriffes (hier:
"Familienangehöriger") im Rahmen eines Kooperationsabkommens erst recht für ein
Assoziierungsabkommen gelten muss, das weiter gesteckte Ziele verfolgt,
vgl. Urteil vom 30. September 2004 in der Rechtssache C-275/92 (Ayaz), Rdnr. 47.
Dieser Gedanke lässt sich auch für die Auslegung der Diskriminierungsverbote fruchtbar
machen.
(2) Das Urteil vom 2. März 1999 (El-Yassini)
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes,
vgl. Urteil vom 2. März 1999 in der Rechtssache C-416/96 (El-Yassini), Rdnr. 62ff.,
ist es beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts einem Mitgliedstaat zwar
grundsätzlich nicht untersagt, die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis eines
marokkanischen Staatsangehörigen, dem er die Einreise und die Aufnahme einer
Beschäftigung erlaubt hatte, abzulehnen, wenn der ursprüngliche Grund für die Gewährung
des Aufenthaltsrechts bei Ablauf der Aufenthaltserlaubnis nicht mehr besteht. Anders
verhalte es sich aus Gründen der praktischen Wirksamkeit lediglich, wenn der
Aufnahmemitgliedstaat dem marokkanischen Wanderarbeitnehmer in Bezug auf die
Ausübung einer Beschäftigung weitergehende Rechte als in Bezug auf den Aufenthalt
verliehen habe. Dies sei dann der Fall, wenn die dem Betroffenen vom Mitgliedstaat
gewährte Aufenthaltserlaubnis kürzer als die Arbeitserlaubnis sei und der Mitgliedsstaat vor
Ablauf der Arbeitserlaubnis eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt habe,
ohne dies mit Gründen des Schutzes eines berechtigten Interesses des Staates,
namentlich Gründen der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Gesundheit, rechtfertigen zu
können. Die praktische Wirksamkeit von Art. 40 Abs. 1 Kooperationsabkommen
EWG/Marokko erfordere nämlich, dass ein marokkanischer Staatsangehöriger, dem
ordnungsgemäß die Erlaubnis erteilt wurde, im Gebiet eines Mitgliedstaates für eine
bestimmte Zeit eine Beschäftigung auszuüben, während dieser gesamten Zeit seine
Rechte aus dieser Bestimmung ausüben könne.
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Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts M. Philippe Léger vom 19. Mai 1998 in der
Rechtssache C-416/96 (El-Yassini), Rdnr. 63ff.
(3) Übertragung der Grundsätze auf Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80
Gelten diese Grundsätze auch für den Anwendungsbereich des Art. 10 Abs. 1 des
Beschlusses Nr. 1/80, kann der Kläger als türkischer Wanderarbeitnehmer, der im Zeitpunkt
des Ablaufs der ursprünglich erteilten Aufenthaltserlaubnis dem regulären Arbeitsmarkt
angehörte, im Ergebnis die Verlängerung seines Aufenthaltsrechts ab diesem Zeitpunkt
begehren, wenn (a) das Diskriminierungsverbot nach seinem Sinn und Zweck und aus
Gründen der praktischen Wirksamkeit überhaupt aufenthaltsrechtliche Wirkungen zu
entfalten vermag und wenn (b) ihm mit der Erteilung einer unbefristeten Arbeitserlaubnis in
Bezug auf die Ausübung seiner Beschäftigung weitergehende Rechte als in Bezug auf den
Aufenthalt verliehen worden sind.
(a) Aufenthaltsrechtliche Wirkung
Die Kammer ist der Auffassung, dass das Diskriminierungsverbot des Art. 10 Abs. 1 des
Beschlusses Nr. 1/80 jedenfalls mittelbar aufenthaltsrechtliche Wirkungen zu entfalten
vermag. Sie setzt sich damit allerdings in Widerspruch zu der von dem Rechtsmittelgericht -
dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NRW) - jedenfalls im
vorläufigen Rechtsschutzverfahren in mittlerweile ständiger Rechtsprechung vertretenen
Ansicht.
Das Diskriminierungsverbot des Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 - so das OVG
NRW - begründe keinen selbständigen Anspruch auf Erteilung oder Verlängerung einer
Aufenthaltserlaubnis, sondern verpflichte die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft zur
Gleichbehandlung nur derjenigen türkischen Arbeitnehmer, die bereits eine
beschäftigungs- und aufenthaltsrechtliche Anspruchsposition innehätten. Dies ergebe sich
einmal bereits aus dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80, der
ausdrücklich voraussetze, dass türkische Arbeitnehmer dem regulären Arbeitsmarkt eines
Mitgliedstaates angehörten. Der Begriff bezeichne die Gesamtheit der Arbeitnehmer, die
den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des betroffenen Staates nachkommen und somit
das Recht haben, eine Berufstätigkeit in seinem Hoheitsgebiet auszuüben. Zum regulären
Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland gehöre danach der türkische Arbeitnehmer,
der über eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis verfüge oder der die Voraussetzungen des
Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 erfülle, womit er nach der ständigen Rechtsprechung des
Gerichtshofes einen Anspruch auf die Verlängerung der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis
im Aufnahmemitgliedstaat erlange, um dort weiter eine ordnungsgemäße Beschäftigung
ausüben zu können. Besitze der türkische Arbeitnehmer aber bereits die Arbeits- und
Aufenthaltserlaubnis oder einen Status nach Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 bedürfe es
darüber hinaus keiner weiteren Rechtsgrundlage für seinen Aufenthalt. Dieses Verständnis
des Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr.1/80 ergäbe sich auch aus dessen Funktion. Diese
Vorschrift konkretisiere das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Gründen der
Staatsangehörigkeit in Art. 9 Assoziierungsabkommen mit unmittelbarer Wirkung in jedem
Mitgliedstaat lediglich für den besonderen Bereich des Arbeitsentgelts und der sonstigen
Arbeitsbedingungen. Diese unmittelbare innerstaatliche Wirkung lediglich im Bereich der
Arbeitsbedingungen im Rahmen des regulären Arbeitsmarktes bestätige, dass Art. 10 Abs.
1 des Beschlusses Nr. 1/80 und Art. 37 Zusatzprotokoll das Bestehen eines
assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts voraussetzten, ein solches aber nicht
begründeten. Begründet werden könne ein solches Recht eines türkischen Arbeitsnehmers
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oder seiner Familienangehörigen grundsätzlich nur durch die Art. 6 oder 7 des
Beschlusses Nr. 1/80, die ihrerseits Art. 36 Zusatzprotokoll konkretisierten. Nur diese
Vorschriften bildeten den Rahmen innerhalb dessen assoziationsrechtliche
Aufenthaltsrechte entstehen könnten. Auch die Rechtsprechung des Gerichtshofes zu Art.
40 Abs. 1 des Kooperationsabkommens EWG/Marokko sei auf das Diskriminierungsverbot
in Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 nicht übertragbar. Aus diesem
Diskriminierungsverbot könne sich aus Gründen seiner praktischen Wirksamkeit auch in
Ausnahmefällen kein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für türkische
Arbeitnehmer ergeben. Der nahezu übereinstimmende Wortlaut von Art. 10 Abs. 1 des
Beschlusses Nr. 1/80 und Art. 40 Abs. 1 Kooperationsabkommen EWG/Türkei biete hierfür
keine ausreichende Grundlage. Hiergegen sprächen vor allem die grundsätzlich
unterschiedlichen Zielsetzungen beider Abkommen. Für eine Ableitung auch unmittelbarer
aufenthaltsrechtlicher Ansprüche aus dem Diskriminierungsverbot unter dem Gesichtspunkt
seiner praktischen Wirksamkeit bestünde im Fall des Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr.
1/80 kein Bedürfnis. Praktische Wirksamkeit in Bezug auf die Begründung von
Aufenthaltsrechten müsse dem Diskriminierungsverbot des Art 10 Abs. 1 des Beschlusses
Nr. 1/80 - anders als Art. 40 Abs. 1 Kooperationsabkommen EWG/Marokko - nicht vermittelt
werden, weil der Beschluss Nr. 1/80 solche Rechte in seinen Art. 6 und 7 bereits begründe.
Gerade dies treffe auf die Abkommen mit dem Königreich Marokko nicht zu, weil diese
keine Regelungen enthielten, die inhaltlich den Art. 6 und 7 des Beschlusses Nr. 1/80
entsprächen. Für einen "Umkehrschluss" sei kein Raum.
Diese Argumentation vermag die Kammer nicht zu überzeugen. Zum einen macht gerade
der hier zu beurteilende Sachverhalt deutlich, dass es durchaus Konstellationen geben
kann, in denen auch der türkische Wanderarbeitnehmer des aufenthaltsrechtlichen
Schutzes des Diskriminierungsverbots bedarf, weil er zwar bereits dem regulären
Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, aber (noch) nicht die Vorgaben der Art. 6 oder
7 des Beschlusses Nr. 1/80 erfüllt. Zum anderen hat der Gerichtshof etwa für die
Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 bereits entschieden, dass türkische
Arbeitnehmer auch vor Erreichen einer der Positionen des Art. 6 oder 7 des Beschlusses
Nr. 1/80 in der Genuss assoziationsrechtlicher Schutzwirkungen kommen können.
Vgl. Urteil vom 21. Oktober 2003 in den verbundenen Rechtssachen C- 317/01 und C-
369/01 (Abatay/Sahin), Rdnr.79 und 84.
Der Gerichtshof hat hier entschieden, dass zwar der Schutz der gemeinschaftsrechtlichen
Beschäftigungsrechte des Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 nicht Gegenstand der
Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 ist, diese sich aber auf Arbeitnehmer
und ihre Familienangehörigen bezieht, deren Aufenthalt und Beschäftigung in seinem
Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind. Schließlich würde aus der anderen Ansicht folgen,
dass die weitere Beschäftigung eines marokkanischen Wanderarbeitnehmers, dem die
Einreise und die erste Aufnahme einer unselbständigen Tätigkeit nach nationalem Recht
weiter gehend als das Aufenthaltsrecht erlaubt worden war, ungeachtet der Dauer seiner
Beschäftigung dem - mittelbar aufenthaltsrechtliche Wirkungen entfaltenden - Schutz des
Diskriminierungsverbots unterstünde, während der Aufenthalt eines türkischen
Wanderarbeitnehmers, selbst, wenn er die identischen Vorgaben erfüllt, bei Wegfall des
ursprünglichen Aufenthaltszwecks ohne gemeinschaftsrechtliche Einschränkungen
beendet werden könnte, solange er nicht eine der Positionen des Art. 6 oder 7 ARB 1/80
erfüllt. Ein sachlicher Grund, der ein solches, die türkischen Wanderarbeitnehmer
schlechter stellendes Ergebnis rechtfertigen würde, ist nach Auffassung der Kammer nicht
ersichtlich. Auch die vom Gerichtshof,
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vgl. a.a.O. Rdnr. 79,
getroffene Feststellung, dass der Schutz der Rechte türkischer Staatsangehöriger auf dem
Gebiet der Ausübung einer Beschäftigung von Art. 6 des Beschlusses Nr. 1/80 vollständig
erfasst ist, spricht nach hiesiger Überzeugung nicht notwendig gegen die Meinung der
Kammer. Diese Feststellung wurde im Zusammenhang mit der Bestimmung der Reichweite
der Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 im Verhältnis zu den unabhängig
vom nationalen Arbeitserlaubnisrecht unmittelbar durch das Gemeinschaftsrecht
verliehenen Beschäftigungsrechten des Beschlusses Nr. 1/80 getroffen. Diese
eigenständigen Beschäftigungsrechte bedürften - anders als ordnungsgemäße
Beschäftigungen vor Erreichen einer der Stellungen nach Art. 6 oder 7 des Beschlusses Nr.
1/80 -,
vgl. a.a.O. Rdnr. 83 und 84,
bereits nicht des Schutzes der Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80. Auch,
dass das Diskriminierungsverbot des Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 ebenso
wenig wie Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 ein solches eigenständiges
Beschäftigungsrecht nicht zu vermitteln vermag, ist nach der Rechtsprechung des
Gerichtshofs wohl geklärt. Ob jedoch aus alledem zwingend zu folgern ist, dass die
anderen Vorschriften des Beschlusses Nr. 1/80 beschäftigungs- und (mittelbar)
aufenthaltsrechtlich ohne jede Relevanz sind, ist zumindest klärungsbedürftig. Auch in
Anwendung dieser Grundsätze ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass der Mitgliedstaat im
Lichte des Diskriminierungsverbots aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Bindungen
gehindert sein kann, in ein von ihm selbst gewährtes, auf einem nationalem Akt
beruhendes Recht auf tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung (durch Versagung des
weiteren Aufenthalts) einzugreifen. Dieses Beschäftigungsrecht wird nämlich vom
Mitgliedstaat und gerade nicht - wie die Beschäftigungsrechte aus Art. 6 und 7 des
Beschlusses 1/80 - unmittelbar durch Gemeinschaftsrecht gewährt. Das aus diesem
Beschäftigungsrecht resultierende Aufenthaltsrecht entspricht dem Gebot der praktischen
Wirksamkeit.
(b) Qualitative Anforderungen an die Arbeitserlaubnis
Wird nach alledem die Möglichkeit - mittelbarer - aufenthaltsrechtlicher (Reflex)Wirkungen
des Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 bejaht, fragt sich, ob und welche qualitativen
Anforderungen eine dem Wanderarbeitnehmer nach innerstaatlichem Recht erteilte
Arbeitserlaubnis mit Blick auf das Erfordernis der Verleihung "weiter gehender Rechte"
erfüllen muss. Diese Frage stellt sich der Kammer mit Blick auf die Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu Art. 64 Abs. 1 des Europa-Mittelmeer
Abkommens,
vgl. etwa: Urteil vom1. Juli 2003 - 1 C 18.02 -.
Danach sollen auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Gerichtshofes in seinem
Urteil vom 2. März 1999 (El-Yassini) aufgrund der innerstaatlich gewählten Ausgestaltung
des Arbeitsgenehmigungsrechts für marokkanische Wanderarbeitnehmer keine
(gemeinschaftsrechtlichen) aufenthaltsrechtlichen Ansprüche folgen können, weil eine
(unbefristete) Arbeitserlaubnis kein von der Aufenthaltsgenehmigung unabhängiges,
gleichsam überschießendes Recht auf Fortsetzung einer nicht selbstständigen
Erwerbstätigkeit und auf weiteren Aufenthalt nach dem Diskriminierungsverbot vermittelt.
Es spreche schon Einiges dafür, dass die Erteilung einer unbefristeten Arbeitserlaubnis
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durch die nationalen Behörden schon von vorneherein nicht geeignet sei, mit Blick auf das
Diskriminierungsverbot ein Recht auf tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung für einen
unbegrenzten Zeitraum mit der Folge eines unbefristeten Aufenthaltsrechts zu begründen,
wenn gleichzeitig nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt worden sei. Der vom
Gerichtshof beschriebenen Ausnahme liege ein anderer Sachverhalt zu Grunde, nämlich
eine Arbeitserlaubnis "für eine bestimmte Zeit", die über die Geltungsdauer der
Aufenthaltsgenehmigung hinausgehe. Die unbefristete Arbeiterlaubnis sei jedoch aus
Gründen der Verfahrensökonomie ohne Befristung erteilt worden und sei eher mit dem Fall
der Aufhebung eines Beschäftigungsverbots durch die nationalen Behörden und der damit
einhergehenden uneingeschränkten Arbeitserlaubnisfreiheit vergleichbar, wie sie auch in
der Rechtssache El-Yassini gegeben gewesen sei und wie sie im deutschen Recht nach §
284 Abs. 1 Nr. 2 SGB III für Ausländer mit den stärksten Aufenthaltstiteln gelte. Dass bei
einer solchen Konstellation aus dem Diskriminierungsverbot im Hinblick auf dessen
praktische Wirksamkeit ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht abgeleitet werden könne, lasse
sich dem Urteil des Gerichtshofs trotz der scheinbar weiten Formulierung im zweiten
Leitsatz nicht entnehmen. Eine solche Auslegung widerspräche auch dem vom Gerichtshof
zuvor aufgestellten allgemeinen Grundsatz, dass sich aus dem Diskriminierungsverbot
keine Aufenthaltsrechte ergäben. Deshalb liege es nahe, dass die vom Gerichtshof
angenommene Ausnahme nicht auf eine Arbeitserlaubnis übertragbar sei, die auf
unbestimmte Zeit erteilt worden ist.
Das Bundesverwaltungsgericht führt in den Urteilsgründen weiter aus, dass es zwar nicht
ausgeschlossen sei, dass das Diskriminierungsverbot auch aufenthaltsrechtliche
Auswirkung haben könne, nämlich dann, wenn die praktische Wirksamkeit (effet utile) des
Verbots der Benachteiligung marokkanischer Staatsangehöriger gegenüber den
Staatsangehörigen des jeweiligen Mitgliedstaates es erfordert. Dieses stets zu beachtende
Gebot könne in Ausnahmefällen auch das grundsätzlich bestehende Recht des jeweiligen
Mitgliedsstaates, den Aufenthalt marokkanischer Arbeitnehmer nach den Vorschriften des
jeweiligen nationalen Rechts zu beenden, einschränken. Der Gerichtshof habe daraus
gefolgert, ein marokkanischer Staatsangehöriger, dem ordnungsgemäß die Erlaubnis erteilt
worden sei, im Gebiet eines Mitgliedstaates für eine bestimmte Zeit eine Beschäftigung
auszuüben, müsse während dieser gesamten Zeit seine Rechte aus dieser Bestimmung
ausüben können. Der Mitgliedstaat könne, wenn er dem marokkanischen
Wanderarbeitnehmer in Bezug auf die Beschäftigung weitergehende Recht als in Bezug
auf den Aufenthalt verliehen habe, eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nicht
ablehnen, ohne dies mit Gründen des Schutzes eines berechtigten Interesses des Staates -
namentlich der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit - rechtfertigen zu können.
Die Anwendung dieser Grundsätze führe - für den Geltungsbereich des deutschen Rechts -
jedoch nicht zu einem assoziationsrechtlichen Anspruch auf Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis, weil die unbefristete besondere Arbeitserlaubnis (jetzt:
Arbeitsberechtigung) - wie jede andere Arbeitsgenehmigung nach deutschem Recht - ihm
keine von der Aufenthaltserlaubnis unabhängigen, weitergehenden Rechte verliehen habe,
deren praktische Verwirklichung durch die Versagung des weiteren Aufenthalts entzogen
worden wäre.
Die Rechtslage nach deutschem Arbeitserlaubnisrecht stellt sich bis zum 31. Dezember
2004 wie folgt dar: Die Vorschrift des § 284 Abs. 5 SGB III begründet einen Vorrang des
Aufenthaltsrechts. Eine Arbeitsgenehmigung kann danach regelmäßig nur dann erteilt
werden, wenn der Ausländer auch eine Aufenthaltsgenehmigung besitzt. Dieser Vorrang
gilt dem Grundsatz nach auch für den Fortbestand der Arbeitsgenehmigung. In § 8 Abs. 1
Nr. 1 der auf der Grundlage der gesetzlichen Ermächtigung in § 288 Abs. 1 SGB III
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ergangenen Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für ausländische Arbeitnehmer
(ArGV) ist vorgesehen, dass die Arbeitsgenehmigung erlischt, wenn er sich auch aus
verfahrensabhängigen Gründen nicht mehr weiter im Bundesgebiet aufhalten darf. Sie
besteht allerdings fort, solange er eine asylverfahrensrechtliche Aufenthaltsgestattung
besitzt, sein Aufenthalt nach § 69 Abs. 3 AuslG als erlaubt gilt, seine Ausreisepflicht nicht
vollziehbar oder die gesetzte Ausreisefrist noch nicht abgelaufen ist, er eine Duldung nach
§ 55 AuslG besitzt, ohne dass die dort bezeichneten Ausschlussgründe vorliegen oder
seine Abschiebung durch richterliche Anordnung ausgesetzt ist. Liegen auch diese -
verfahrensbedingten - Gründe nicht mehr vor, erlischt die Arbeitsgenehmigung kraft
Gesetzes. Im Zuge des Inkrafttretens des Zuwanderungsgesetzes am 1. Januar 2005 fällt
die Arbeitsgenehmigung als solche weg. Ob und in welchem Umfang ein Ausländer zur
Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt ist, ist nunmehr unmittelbar dem Aufenthaltstitel
selbst zu entnehmen, § 4 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG). Nach § 4 Abs. 2
AufenthG berechtigt ein Aufenthaltstitel zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, sofern es
nach dem Aufenthaltsgesetz so bestimmt ist oder aber der Aufenthaltstitel die Ausübung
der Erwerbstätigkeit ausdrücklich erlaubt. Die Entscheidung hierüber obliegt nach neuem
Recht der Ausländerbehörde. Mit Ausnahme der durch Rechtsverordnung bestimmten
Ausnahmefälle kann die Ausländerbehörde die Ausübung der Beschäftigung jedoch nur
erlauben, wenn die Bundesagentur für Arbeit dem zugestimmt hat. Die Modalitäten dieser
Zustimmung - die ein eigenständig nicht erstreitbares Verwaltungsinternum darstellen
dürfte - sind im Aufenthaltsgesetz und in der Verordnung über das Verfahren und die
Zulassung von im Inland lebenden Ausländern zur Ausübung einer Beschäftigung
(BeschVerfV) geregelt.
Die Kammer tendiert dem gegenüber dazu, die Gründe und die gesetzgeberische Intention,
mit der dem türkischen Wanderarbeitnehmer eine - tatsächlich über die Geltungsdauer der
Aufenthaltserlaubnis wirksame - Arbeitserlaubnis erteilt und damit ein (weiter gehendes)
Recht auf tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung gewährt wurde, für unerheblich zu
erachten, wenn der türkische Arbeitnehmer tatsächlich ordnungsgemäß in den Arbeitsmarkt
des Mitgliedstaates eingegliedert ist.
Es scheint angesichts der weiten Formulierung des Gerichtshofes,
vgl. Urteil vom 1. März 1999 in der Rechtssache C-416/96 (El-Yassini), Rdnr. 64 und 64,
erforderlich, aber auch ausreichend, dass die Aufenthaltserlaubnis kürzer ist als das Recht
auf tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung, welches durch eine von der zuständigen
nationalen Behörde ordnungsgemäß erteilte Arbeitserlaubnis gewährt wurde. Dass die
Arbeitserlaubnis darüber hinaus weiteren - innerstaatlichen - qualitativen Anforderungen
genügen muss, insbesondere, dass es in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein soll,
aus welcher (innerstaatlichen) Intention heraus das Recht auf tatsächliche Ausübung einer
Beschäftigung erteilt wurde, drängt sich der Kammer nicht auf. So hat der Gerichtshof zu
den Beschäftgungsrechten des Art. 6 bzw. 7 des Beschlusses Nr. 1/80 ausdrücklich
entschieden, es komme nicht darauf an, aus welchem Grund ursprünglich die Einreise,
eine Arbeitstätigkeit und der Aufenthalt gestattet worden ist.
Vgl. etwa Urteile vom 16. Dezember 1992 in der Rechtssache C- 237/91(Kus), Rdnr. 22;
vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-355/93 (Eroglu), Rdnr. 22 und vom 30.
September 1997 in der Rechtssache C-36/96 (Günaydin), Rdnr.52.
Auch dies gilt, obwohl es nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshof in der
alleinigen Kompetenz der Mitgliedstaaten liegt, Vorschriften sowohl über die Einreise
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türkischer Staatsangehöriger in ihr Hoheitsgebiet als auch über die Voraussetzungen und
Bedingungen für deren erste Beschäftigung zu erlassen.
Käme es darauf an, dass auch Arbeitserlaubnisse türkischer Wanderarbeitnehmer nach
ihrer innerstaatlichen Ausgestaltung von vorneherein in Abhängigkeit vom Fortbestand des
Aufenthaltszwecks erteilt wurden, ohne dass dies zu ihrem automatischen Erlöschen führt,
würde im Übrigen die Schutzwirkung des Diskriminierungsverbots des Art. 10 Abs. 1 des
Beschlusses Nr. 1/80 in nicht unerheblichem Umfang leer laufen.
cc. Auslegung des Diskriminierungsverbots obliegt dem Gerichtshof
Die Beantwortung der Frage, ob der Mitgliedstaat sich gegenüber einem türkischen
Wanderarbeitnehmer, dem er zuvor ein über das Aufenthaltsrecht hinaus wirksames
Beschäftigungsrecht verliehen hat, auf die vom nationalen Gesetzgeber dem
Arbeitserlaubnisrecht zu Grunde gelegte, sich in der Ausgestaltung des
Verwaltungsdokuments nicht wiederspiegelnde Zielsetzung berufen kann, betrifft nach
hiesiger Auffassung die Reichweite und Auslegung des Diskriminierungsverbots des Art 10
Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80. Sie obliegt demnach dem Gerichtshof und nicht den
nationalen Gerichten. Bei anderer Ansicht würde im Ergebnis die Reichweite des
gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbots des Art. 10 Abs. 1 des Beschlusses Nr.
1/80 einseitig und nach Belieben vom jeweiligen Mitgliedstaat bestimmt und verändert.
Auch besteht die Gefahr, dass das Diskriminierungsverbot selbst bei gleicher rechtlicher
Ausgestaltung in den Mitgliedstaaten einen unterschiedlichen Geltungsbereich hätte, und
zwar je nachdem, ob der jeweilige Mitgliedstaat sich auf entsprechende gesetzliche
Zwecksetzungen berufen will oder nicht.
dd. Resümee
Nach Auffassung der Kammer untersteht ein nationales Beschäftigungsrecht, welches
weder kraft Gesetzes noch kraft Befristung mit dem Ablauf der nationalen
Aufenthaltserlaubnis erlischt, dem Schutz des assoziationsrechtlichen
Diskriminierungsverbots. Dem türkischen Wanderarbeitnehmer, der im Zeitpunkt des
Ablaufs der ihm zuletzt erteilten Aufenthaltserlaubnis dem regulären Arbeitsmarkt angehört,
der im Besitz einer darüber hinaus gehenden Arbeitserlaubnis ist und in dessen Person
keine entgegenstehenden Gründe eines berechtigten Interesses des Staates vorliegen,
darf danach - vergleichbar einem freizügigkeitsberechtigten Unionsbürger - aufgrund der
mit der Aufnahme einer erlaubten Beschäftigung eintretenden gemeinschaftsrechtlichen
Schutzwirkung des Diskriminierungsverbots die Wahrnehmung der nach innerstaatlichem
Recht gewährten Beschäftigungsmöglichkeit nicht genommen werden. Die nationalen
Behörden sind gehindert, die Ausübung der gemeinschaftsrechtlichen Schutz genießenden
Beschäftigung durch Versagung des weiteren Aufenthalt zu beschränken. Die Kammer
meint weiter, dass es ohne Belang ist, ob die weiter gehende Wirkung der Arbeitserlaubnis
auf einer längeren Befristung beruht oder deshalb besteht, weil das Beschäftigungsrecht
von vorneherein unbeschränkt und unbefristet gewährt wurde. Die andere Auffassung hätte
zum Ergebnis, dass der Personenkreis, dem die nationalen Behörden ein umfassendes
Beschäftigungsrecht verliehen haben, gemeinschaftsrechtlich schlechter gestellt wäre, als
der Personenkreis, dem ein Beschäftigungsrecht nur befristet und/oder beschränkt
zuerkannt wurde.
ee. Zu der zweiten und dritten Vorlagefrage
In den Genuss der Schutzwirkungen des Diskriminierungsverbotes nach Art. 10 Abs. 1 des
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Beschlusses 1/80 kommen nach dem Wortlaut der Bestimmung nur solche türkischen
Wanderarbeitnehmer, die dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates (noch)
angehören. Dass der Kläger im Zeitpunkt des Ablaufs der ihm zuletzt erteilten nationalen
Aufenthaltsgenehmigung dem regulären Arbeitsmarkt der Bundesrepublik Deutschland
angehörte, unterliegt keinem Zweifel. Die Kammer fragt sich jedoch, ob die Zugehörigkeit
des Klägers zum regulären Arbeitsmarkt und damit die Schutzwirkung des
Diskriminierungsverbots nach diesem Zeitpunkt deshalb entfallen ist, weil er als
Saisonarbeiter zwischen den Zeiten der Beschäftigung (bei demselben Arbeitgeber)
jeweils für einige Monate arbeitslos war. Mit Blick auf die Ausführungen des Gerichtshofs,
vgl.m.w.N.: Urteil vom 19. November 2002 in der Rechtssache C-188/00 (Kurz), Rdnr. 37ff,.
neigt die Kammer allerdings dazu, die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit in einer
Konstellation wie der hier zu beurteilenden für unbeachtlich zu halten. Der Gerichtshof hat
ausgeführt, dass es für die Zugehörigkeit eines Arbeitnehmers zum regulären Arbeitsmarkt
eines Mitgliedstaates nach ständiger Rechtsprechung zum einen darauf ankommt, dass
das Arbeitsverhältnis des Betreffenden im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates lokalisiert
werden kann oder eine hinreichend enge Verknüpfung mit diesem Gebiet aufweist. Dieses
Kriterium dürfte im Falle der klägerischen Beschäftigung erfüllt sein. Zum anderen
bezeichnet der Begriff regulärer Arbeitsmarkt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs
die Gesamtheit der Arbeitnehmer, die den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des
Aufnahmemitgliedstaates über die Einreise in sein Hoheitsgebiet und über die
Beschäftigung nachkommen und somit das Recht haben, eine Berufstätigkeit auszuüben.
Sowohl die Einreise des Klägers als auch die erstmalige Aufnahme einer Beschäftigung
entsprachen den nationalen rechtlichen Vorgaben. Nach der oben vertretenen Auffassung
hat er das ihm verliehene Recht zur Ausübung einer Beschäftigung auch nicht wegen des
Wegfalls des ursprünglichen Aufenthaltszwecks verloren. Dass die Zugehörigkeit zum
regulären Arbeitsmarkt notwendig infolge einer unverschuldeten - vorübergehenden -
Arbeitslosigkeit endet, drängt sich jedenfalls nicht auf.
Dem Wortlaut des Urteils des Gerichtshofs vom 2. März 1999 in der Rechtssache C-416/96
(El-Yassini) meint die Kammer weiter entnehmen zu können, dass das aus dem
Diskrimierungsverbot folgende, den jeweiligen Mitgliedstaat treffende Verbot, die
Beschäftigung des Wanderarbeitnehmers durch Versagung des Aufenthalts vor dem Ablauf
der Arbeitserlaubnis zu unterbinden, nur dem Vorbehalt des Vorliegens von Gründen der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung unterliegt, vgl. auch Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr.
1/80. Ist dies jedoch der Fall, dann vermag eine nachträgliche Änderung des
Arbeitsgenehmigungsrechts ein zuvor erlangtes Beschäftigungsrecht nicht zu berühren.
Die Kammer steht für etwaige Rückfragen gerne zur Verfügung (Tel.: 0049- (0)241-
47797186).
Der Beschluss ist unanfechtbar.