Urteil des VG Aachen vom 17.08.2006

VG Aachen: operation, medizinische indikation, private krankenkasse, ärztliche behandlung, beihilfe, bvo, belastung, krankheitswert, kompetenz, depression

Verwaltungsgericht Aachen, 1 K 4132/04
Datum:
17.08.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 4132/04
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig
vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden
Betrags abwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in
derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
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Der Kläger steht als Polizeibeamter im Dienst des beklagten Landes.
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Mit Beihilfeantrag vom 27. Oktober 2003 begehrte er unter anderem eine Beihilfe zu
Aufwendungen für eine operative Bruststraffung bei seiner damals zwanzigjährigen
Tochter O. , die stationär vom 12. bis 16. Juni 2003 behandelt wurde. Die
Aufwendungen für ärztliche Behandlung, stationäre Unterbringung und einen speziellen
BH betrugen insgesamt 4.774,05 EUR. In einem beigefügten Begleitschreiben schildert
er die Beweggründe für die Durchführung und den gewählten Operationszeitpunkt. Er
legte weiter eine Bescheinigung des Frauenarztes Dr. med. C. vom 18. Juni 2003 bei,
wonach die Tochter wegen einer ausgeprägten Hängebrust unter einer starken
psychischen Belastung mit Anzeichen einer Depression leide. Die Übernahme der
Kosten einer operativen Korrektur sei daher medizinischerseits indiziert.
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In ihrer Stellungnahme vom 4. März 2004 führte die Amtsärztin, Frau P. - Q1. B. , aus,
dass sie die Tochter des Klägers am 3. März 2004, also nach Durchführung der Brust-
Operation amtsärztlich untersucht habe. Diese habe nachvollziehbare persönliche
Gründe erläutert, die sie zur Durchführung des plastisch-ästhetischen Eingriffs bewogen
hätten. "Eine krankheitswertige körperliche oder psychische Erkrankung, die eine
medizinische Notwendigkeit der durchgeführten Operation begründen, wurde nicht
festgestellt".
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Daraufhin lehnte die Bezirksregierung L. mit Bescheid vom 11. März 2004 die
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Gewährung einer Beihilfe zu den Aufwendungen für die Brust-Operation unter
Bezugnahme auf die Ausführungen der Amtsärztin ab.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, mit dem er geltend machte, das Attest des Dr.
med. C1. , der allein in der Lage gewesen sei, seine Tochter über eine längere Zeit zu
beobachten, müsse schwerer wiegen, als das Gutachten der Amtsärztin, die die Tochter
nur kurz untersucht habe. In der Problemphase vor der Operation habe sie seine Tochter
nie gesehen. Seither sei die Tochter aber ein völlig anderer Mensch, so dass es völlig
unmöglich sei, aus der "Jetztsituation" Rückschlüsse auf die Leidenszeit zu ziehen. Zur
Verdeutlichung übersandte er Lichtbilder, die die Brust vor und nach der Operation
zeigen, sowie Berichte des behandelnden Arztes Dr. med. O1. .
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In einer ergänzenden Stellungnahme vom 15. September 2004 führte die Amtsärztin P. -
Q1. aus, dass im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung eine ausführliche
Anamneseerhebung sowie Erfassung der Vorgeschichte unter Einbeziehung der
vorgelegten Schreiben und ärztlichen Stellungnahmen, auch des Dr. C1. vom 18. Juni
2003 erfolgt sei. "Der Leidensdruck der Untersuchten in Bezug zu dem vorliegenden
Befund war im Rahmen der Untersuchung durchaus nachvollziehbar. Im Vordergrund
stand hierbei insbesondere eine erhebliche Selbstwertproblematik und ein Rückzug der
Untersuchten aus dem altersangemessenen psychosozialen Umfeld. Andererseits
schilderte die Untersuchte, sie habe im Frühjahr 2003 ein Auswahlverfahren zur
Übernahme in ein Ausbildungsverhältnis bei der Sparkasse B. erfolgreich bestanden.
Ein solches Auswahlverfahren setzt eine hohe psychosoziale Kompetenz .... voraus. Zu
keinem Zeitpunkt at die Untersuchte psychotherapeutische oder fachpsychiatrische Hilfe
in Anspruch genommen, um einer Linderung der geschilderten vorwiegend psychischen
Belastungssituation Rechnung zu tragen. Aus medizinisch-fachlicher Sicht wäre es
jedoch vor Durchführung des stattgehabten chirurgischen Eingriffs angezeigt gewesen,
einen solchen Behandlungsversuch zu unternehmen. Zusammenfassend lag aus
amtsärztlicher Sicht eine medizinische Indikation zur Durchführung der
Mammareduktionsplastik nicht vor."
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Die Bezirksregierung L. wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid
vom 7. Oktober 2004 zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass nach §§ 3 Abs. 1 Nr.
1, 4 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-,
Geburts- und Todesfällen - Beihilfenverordnung (BVO) nur die medizinisch notwendige
ärztliche Versorgung beihilfefähig sei. Aufwendungen, die lediglich nützlich seien, weil
sie z. B. kosmetischen Zwecken dienten, seien nicht beihilfefähig. Das Leiden müsse
den Betroffenen körperlich oder seelisch so sehr beeinträchtigen, dass es die
Aufwendungen unvermeidlich mache. Bei Zweifeln könne die Beihilfestelle nach § 3
Abs. 2 Satz 2 BVO das Gutachten eines Amtsarztes einholen. Dieses hätte hier auch
nach den erneuten Erläuterungen vom 15. September 2004 keine medizinische
Notwendigkeit der Behandlung belegen können. Dass die behandelnden Ärzte eine
medizinische Indikation bejaht hätten, könne für die beihilferechtliche Beurteilung zu
keiner anderen Einschätzung führen. Die Frage, ob die private Krankenkasse eine
Erstattung geleistet habe, sei für die beihilferechtliche Beurteilung ebenfalls
unbeachtlich. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Prozessbevollmächtigten des
Kläger am 11. Oktober 2004 zugestellt.
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Der Kläger hat am 9. November 2004 Klage erhoben.
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Er führt ergänzend aus, dass das Amtsarztgutachten nicht ausreichend fundiert sei.
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Immerhin habe die Amtsärztin einen Leidensdruck bestätigt, der sogar zu einem
Rückzug aus dem psychosozialen Umfeld geführt habe. Es habe sich daher nicht
lediglich um eine sog. Schönheits- Operation gehandelt. Die fachliche Kompetenz
seiner Tochter, die für ihren Erfolg im Auswahlverfahren entscheidend gewesen sei,
habe mit ihren persönlichen Problemen nichts zu tun gehabt. Demgegenüber belege
auch das weitere Attest der Fachärztin für Allgemeinmedizin N. S. , die auf dem Gebiet
der Psychotherapie besonders geschult sei, die Notwendigkeit der Operation. Er regt
Sachverständigenbeweis durch Vernehmung der behandelnden Ärzte an. Da eine
vorherige Anerkennung der Beihilfefähigkeit nicht erforderlich sei, dürfe ihm kein
Nachteil daraus entstehen, dass er den Beihilfeantrag erst nach Durchführung der
Operation gestellt habe. Da sowohl die Beihilfe als auch die Krankenkasse nur Kosten
für notwendige Behandlungen erstatteten, müsse angesichts der erfolgten Erstattung der
Krankenkasse auch die Beihilfe die Aufwendungen anerkennen.
Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides der Bezirksregierung L. vom 11. März
2004 und deren Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2004 zu verpflichten, ihm eine
Beihilfe zu den Aufwendungen anlässlich der Brust-Operation seiner Tochter in Höhe
von insgesamt 3.819,25 EUR zu gewähren und den Betrag mit 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu verzinsen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er führt ergänzend aus, dass bei Operationen der weiblichen Brust häufig ästhetische
Gesichtspunkte im Vordergrund stünden. Hier hätten psychische Belastungen, die so
stark seien, dass sie schon Krankheitswert hätten, nicht festgestellt werden können.
Dass die Feststellung Monate nach der Operation erschwert gewesen sei, müsse sich
der Kläger zurechnen lassen, der sich trotz entsprechender Belehrung zu einer
sofortigen Operation entschieden habe.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf die Gewährung einer Beihilfe zur den
Aufwendungen für die bei seiner Tochter durchgeführte Brustoperation. Die
angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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Grundlage für die Gewährung einer Beihilfe an den Kläger ist § 88 des
Landesbeamtengesetzes (LBG) in Verbindung mit §§ 3 Abs. 1 Nr. 1 , 4 Abs. 1 Nr. 1 Satz
1 BVO. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BVO sind beihilfefähig unter anderem die notwendigen
Aufwendungen in angemessenem Umfang in Krankheitsfällen zur Wiedererlangung der
Gesundheit und zur Besserung oder Linderung von Leiden. Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 1
BVO umfassen die beihilfefähigen Aufwendungen unter anderem die Kosten für
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Untersuchung, Beratung und Verrichtung durch einen Arzt. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2
BVO kann die Beihilfestelle bei Zweifeln über die Notwendigkeit und den
angemessenen Umfang ein Gutachten eines Amts- oder Vertrauensarztes einholen.
Nach dieser Maßgabe ist die Beurteilung der Bezirksregierung L. , dass die
Aufwendungen anlässlich einer plastischen Brustoperation nur dann beihilferechtlich
notwendig sind, wenn sie durch eine (psychische) Belastung von Krankheitswert
zwingend notwendig geworden sind, nicht zu beanstanden. Eine solche zwingende
Notwendigkeit ergibt sich aus dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten der
Amtsärztin P. -Q. nicht. Danach habe ihr die Tochter des Klägers zwar nachvollziehbar
einen erheblichen psychischen Leidensdruck geschildert, bei dem aber nicht
festzustellen sei, dass er den Grad einer psychischen Erkrankung erreicht habe. Die
Amtsärztin stützt diese Einschätzung überzeugend unter anderem darauf, dass die
Klägerin die Anforderungen ihres Alltags (Schulabschluss) sowie sogar ein
Auswahlverfahren für eine Ausbildungsstelle im Bankenbereich erfolgreich hat
absolvieren können, ohne psychologische oder psychiatrische Hilfe in Anspruch zu
nehmen. Diese Argumentation ist nicht deswegen untauglich, weil es im
Auswahlverfahren - wie der Kläger meint - nur um die fachliche Kompetenz seiner
Tochter gegangen sei. Vielmehr ist allgemein bekannt, dass Ausbildungsplätze gerade
im Bankenbereich heute nicht ohne eine auch auf psychologische Kriterien gestützte
Bewerberauswahl - meist in einem Assessment-Center-Verfahren - gestützt werden, um
die menschliche und allgemeine Belastbarkeit der Kandidaten zu testen. Die
Einschätzung der Amtsärztin, dass eine Person, die in so einem Prüfverfahren ohne
besondere Hilfestellungen Erfolg hat, nicht an psychischen Belastungen von
Krankheitswert leiden kann, ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar und
überzeugend.
Dem stehen die Ausführungen in den vom Kläger vorgelegten privatärztlichen Attesten
nicht entgegen. So war zunächst auch die Allgemeinärztin S. ausweislich ihres Attestes
vom 6. Dezember 2005 nicht im Entscheidungsprozess im Vorfeld der Operation
beteiligt. Zum jetzigen Zeitpunkt könne sie keinerlei Hinweise auf depressive
Verstimmungen oder pathologische psychodynamische Mechanismen feststellen. Zum
Zeitpunkt vor der Operation führt die Ärztin nur aus, dass dann, wenn die ihr von der
Tochter der Klägerin glaubhaft geschilderten Annahmen zutreffen, die Operation
medizinisch indiziert gewesen zu sein scheint". Auch Dr. med. C1. spricht in seinem
Attest vom 18. Juni 2003 lediglich davon, dass die Übernahme der operativen Korrektur
angesichts der psychischen Belastung mit Anzeichen einer Depression
"medizinischerseits indiziert" sei. Dass es auch medizinische Gründe für die
Durchführung der Operation gegeben hat, reicht aber nach den oben aufgezeigten
Maßstäben zur Begründung einer beihilferechtlichen Notwendigkeit nicht aus. Die
erforderliche eindeutige Diagnose einer psychischen Belastung von Krankheitswert, die
eine Operation unumgänglich gemacht hat, hat keiner der Ärzte gestellt. Selbst wenn
dies der Fall wäre, wäre darüber hinaus erforderlich festzustellen, dass eine solche
Belastung nicht durch das nach Auffassung der Amtsärztin mildere Mittel einer
psychotherapeutischen Unterstützung ausreichend gemindert werden konnte. Ob eine
Kostenerstattung - zumindest teilweise - durch die Krankenkasse erfolgt ist, spielt
angesichts der unterschiedlichen Entscheidungsmaßstäbe beihilferechtlich keine Rolle.
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Die Kammer hat auch keine Veranlassung zu einer Beweiserhebung. Sie erachtet das
amtsärztliche Gutachten insbesondere auch angesichts der Tatsache, dass die
Operation bereits erfolgt ist und die entscheidungserheblichen Umstände unumkehrbar
verändert hat, für ausreichend und nachvollziehbar. Wie der Kläger selbst ausführt, ist
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die psychische Befindlichkeit seiner Tochter seit der Operation so positiv verändert,
dass ein Vergleich, der Rückschlüsse auf die vorherige Situation zulassen würden, nicht
mehr möglich ist. Diese Schwierigkeiten in der Beweiserhebung, hat sich der Kläger
selbst zuzurechnen. Er hat - wenn auch aus menschlich nachvollziehbaren Gründen -
trotz entsprechender Belehrung der Beihilfestelle bewusst vor Durchführung der
Operation auf eine Begutachtung und Entscheidung durch die Beihilfestelle verzichtet.
Es ist nicht Aufgabe der Beihilfestelle, allen Beweisschwierigkeiten, die in solchen
Fällen im Nachhinein entstehen können, dann wenn ein Vorabanerkennungsverfahren
nicht vorgeschrieben ist, durch eine besonders großzügige Entscheidungspraxis
Rechnung zu tragen. Vielmehr trägt die Beweislast für die anspruchsbegründende
Tatsache der Notwendigkeit der Operation der Kläger, der auf diese Umstände
ausdrücklich hingewiesen wurde.
Auch die Fürsorgepflicht des Dienstherrn zwingt nicht zu einer für den Kläger
günstigeren Entscheidung. Die Gewährung von Beihilfen ist Ausfluss der
Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Diese gebietet es nicht, Beihilfen generell zu jeglichen
Aufwendungen zu gewähren, die aus Anlass einer Erkrankung im Einzelfall entstehen.
Vielmehr ist die Begrenzung auf notwendige Maßnahmen im o.g. Sinne ausreichend,
um den Bereich, den der Beamte nicht durch zumutbare Eigenvorsorge abdecken kann,
aufzufangen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der
Zivilprozessordnung.
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