Urteil des VG Aachen vom 26.05.2008

VG Aachen: bemessung der beiträge, vorrang des bundesrechts, satzung, steuerliche doppelbelastung, private krankenversicherung, beitragspflicht, einkünfte, aktiengesellschaft, arbeitsentgelt

Verwaltungsgericht Aachen, 5 K 540/07
Datum:
26.05.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 540/07
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages
vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Der Kläger ist seit dem 23. August 1990 als Rechtsanwalt zugelassen. In der Zeit vom
23. August 1990 bis zum 31. Mai 2007 war er zunächst Pflicht-, dann freiwilliges Mitglied
der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung. Seit dem 5. Oktober
1998 ist er als Rechtsanwalt in Nordrhein-Westfalen zugelassen. Auf seinen Antrag
teilte der Beklagte ihm mit Bescheid vom 7. Dezember 2006 mit, dass er mit Wirkung
zum 1. Oktober 2006 Pflichtmitglied des Beklagten geworden sei.
2
Mit Bescheid vom 28. Dezember 2006 setzte der Beklagte den von dem Kläger zu
zahlenden Monatsbeitrag auf den vollen Regelpflichtbeitrag in Höhe von 1.023,75 EUR
für die Zeit von Oktober 2006 bis Dezember 2006 und 1.044,75 EUR für die Zeit ab
Januar 2007 fest.
3
Der Kläger erhob am 8. Januar 2007 Widerspruch gegen den Beitragsbescheid. Er
beschränkte seinen Widerspruch auf die Heranziehung zu Beiträgen für das Jahr 2007.
Zur Begründung führte er aus, der Beklagte hätte lediglich den Mindestbeitrag
festsetzen dürfen. Die in seinem Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte
aus nichtselbstständiger Tätigkeit beruhten auf seinem Dienstvertrag als Mitglied des
Vorstands einer Aktiengesellschaft. Sein Dienstvertrag enthalte Versorgungszusagen
für den Fall des Alters und der Versorgung Hinterbliebener. Die nur nach
Arbeitseinkommen und Arbeitsentgelt differenzierende Regelung des § 30 der Satzung
des Beklagten verstoße gegen Bestimmungen des Rechtsanwaltsversorgungsgesetzes
4
des Landes Nordrhein-Westfalen (RAVG NRW). Der Landesgesetzgeber habe das über
das anwaltliche Berufseinkommen hinaus gehende Einkommen nicht zur normativen
Verfügbarkeit des Satzungsgebers frei gegeben. Die Satzungsbestimmung verstoße
auch gegen Bundesrecht. Der Bundesgesetzgeber habe mit dem Erlass des
Sozialgesetzbuches Buch 6 (SGB VI) von seinem in Art. 74 Grundgesetz (GG)
eingeräumten Recht zur konkurrierenden Gesetzgebung auf dem Gebiet der
Sozialversicherung umfassend Gebrauch gemacht. Danach habe der
Landesgesetzgeber keine Möglichkeit mehr, dem Versorgungswerk eine konkurrierende
Satzungsautonomie für die nicht aus Anwaltstätigkeit stammenden Einkünfte
einzuräumen. Er sei insoweit an die gesetzliche Regelung in der Befreiungsvorschrift
des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI gebunden. Die Satzung und gegebenenfalls das
RAVG NRW seien auch insoweit nichtig, als sie nicht die Bestimmung des § 1 Satz 4
SGB VI umsetzten. Darin nehme der Bundesgesetzgeber Mitglieder des Vorstandes von
Aktiengesellschaften aus der Alterssicherung aus, weil dem betroffenen Personenkreis
dort in aller Regel durch vertragliche Gewährung von Pensionsrechten im Rahmen der
Dienstverträge eine ausreichende Alterssicherung eingeräumt werde. Die Anwendung
des Satzungsbegriffs "Arbeitseinkommen" führe zu Friktionen mit Wertungen des
Bundesrechts. So hätten Mitglieder von Vertretungsorganen einer Aktiengesellschaft
anders als z.B. angestellte Anwälte keinen Anspruch auf Auszahlung des vom
Arbeitgeber zu tragenden Anteils an den Rentenversicherungsbeiträgen. Die steuerliche
Behandlung der zu zahlenden Beiträge führe im Ergebnis zu einer Doppelbesteuerung,
weil er den Beitrag aus dem versteuerten Einkommen zahlen müsse und später auch
die Alterseinkünfte versteuern müsse. Schließlich verstoße die Beitragspflicht zum
Versorgungswerk auch gegen das verfassungsrechtlich verbürgte Übermaßverbot. Im
Unterschied zu der Satzungslage in Nordrhein- Westfalen werde in der Satzung des
bayerischen Versorgungswerks auf die Vorschriften der gesetzlichen
Rentenversicherung Bezug genommen; aufgrund dieser Regelungen unterläge z.B. das
Einkommen aus Vorstandstätigkeit für eine Aktiengesellschaft nicht der Beitragspflicht.
Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai
2007 zurück. In der Begründung hieß es, für die Bemessung der Beiträge seien auch die
Einkünfte des Klägers aus nichtanwaltlicher Tätigkeit heranzuziehen. Im Unterschied zu
der Rechtslage in anderen Bundesländern sehe § 7 Abs. 1 Satz 2 RAVG NRW
ausdrücklich die Bezugnahme auf §§ 14 und 15 SGB IV vor. Die von dem Kläger zitierte
Regelung des § 1 Satz 4 SGB VI gelte nur für die gesetzliche Rentenversicherung. Das
Versorgungswerk sei aber nicht Träger der gesetzlichen Rentenversicherung. Soweit
der Kläger sich steuerrechtlich benachteiligt fühle, betreffe dies allein sein Verhältnis zur
Finanzverwaltung. Außerdem seien nach den Regelungen des Alterseinkünftegesetzes
die an das Versorgungswerk entrichteten Beiträge in steigendem Maße steuerlich
absetzbar.
5
Der Kläger hat am 9. Juni 2007 Klage erhoben. Er wiederholt im Wesentlichen seine
Ausführungen aus dem Vorverfahren.
6
Der Kläger beantragt,
7
den Beitragsbescheid des Beklagten vom 28. Dezember 2006 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2007 insoweit aufzuheben, als darin für die Zeit ab
Januar 2007 ein den Mindestbeitrag in Höhe von 104,48 EUR übersteigender
Monatsbeitrag festgesetzt worden ist.
8
Der Beklagte beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10
Er wiederholt und vertieft zur Begründung die Ausführungen in den angegriffenen
Bescheiden.
11
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges ergänzend Bezug
genommen.
12
E n t s c h e i d u n s g r ü n d e :
13
Die Klage ist unbegründet.
14
Der Beitragsbescheid des Beklagten ist rechtmäßig, § 113 Abs. 1 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
15
Der Bescheid beruht auf § 30 Abs. 1 der Satzung des Beklagten in der Fassung der
Bekanntmachung des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 1. August
1985. Nach dieser Bestimmung sind die Mitglieder des Beklagten verpflichtet, einen
monatlichen Beitrag zu zahlen, der ein bestimmter Teil der im Lande Nordrhein-
Westfalen geltenden Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung
ist (§§ 159,160 SGB VI). Gemäß Absatz 2 dieser Bestimmung zahlen Mitglieder, deren
Einkommen "(Arbeitseinkommen und Arbeitsentgelt i.S.d. §§ 14, 15 SGB IV)" die
Beitragsbemessungsgrenze nicht erreicht, den Beitrag nach ihrem Einkommen gemäß
dem Beitragssatz der gesetzlichen Rentenversicherung, sofern die
Vertreterversammlung nicht einen anderen Beitrag festsetzt.
16
Nachdem der Satzungsgeber mit der Verweisung auf §§ 14 und 15 SGB IV den weiten
Einkommensbegriff des Sozialversicherungsrechts übernommen hat, ist damit für die
Festsetzung des Beitrages die Höhe des gesamten Arbeitseinkommens des Mitgliedes
maßgeblich.
17
Danach unterliegt der Kläger auch mit seinem Einkommen aus Vorstandstätigkeit der
Beitragspflicht zum Versorgungswerk des Beklagten. Das Vorstandsmitglied ist zwar
aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung seiner Stellung im Aktienunternehmen nicht
Beschäftigter im Sinne des § 7 SGB IV und bezieht damit nicht Arbeitsentgelt im Sinne
des § 14 SGB IV.
18
Vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 14. Dezember 1999 - B 2 U 38/98 R -, juris.
19
Seine Bezüge aus Vorstandstätigkeit sind jedoch Arbeitseinkommen im Sinne des § 15
SGB IV. Gemäß § 15 Abs. 1 SGB IV ist Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen
Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer
selbstständigen Tätigkeit; Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als
solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. Der in § 15 SGB IV
verwandte Begriff der selbstständigen Tätigkeit ist ein spezifisch
sozialversicherungsrechtlicher. Aus diesem Grunde hindert die Bezeichnung "Einkünfte
aus nichtselbstständiger Tätigkeit" im Einkommensteuerbescheid nicht die Einordnung
des Arbeitseinkommens des Klägers als solches im Sinne des § 15 SGB IV.
20
Kennzeichnend für eine selbstständige Tätigkeit in diesem Sinne sind das eigene
Unternehmerrisiko, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die
Möglichkeit, frei über Arbeitsort und Arbeitszeit zu verfügen, wobei eine selbstständige
Tätigkeit auch im Rahmen eines freien Dienstvertrages im Sinne des bürgerlichen
Rechts ausgeübt werden kann. Diese Kriterien erfüllt die Vorstandstätigkeit für eine
Aktiengesellschaft.
Vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 1999, a.a.O.; Hess. LSG, Urteil vom 26. August
1998 - L 3 U 780/98 -, juris; Hauck, Kommentar zum SGB IV, § 15 Rn. 9.
21
Der Satzungsgeber war nach Landesrecht ermächtigt, die hier streitige Beitragsregelung
zu erlassen. Sie beruht auf den Regelungen der §§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 7 Abs. 1
des Gesetzes über die Rechtsanwaltsversorgung NRW (RAVG NRW). Gemäß § 4 Abs.
2 Satz 1 Nr. 1 RAVG NRW beschließt die Vertreterversammlung über Erlass und
Änderung der Satzung des Versorgungswerks. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 RAVG NRW sind
die Mitglieder zur Zahlung der satzungsgemäßen Beiträge verpflichtet. Satz 3 dieser
Bestimmung lautet: "Soweit für die Höhe der Beiträge das Arbeitsentgelt und
Arbeitseinkommen maßgebend sind, gelten §§ 14 und 15 des Vierten Buches
Sozialgesetzbuch entsprechend." Im Hinblick auf diesen Wortlaut der gesetzlichen
Ermächtigungsgrundlage für die Satzung des Beklagten besteht kein Zweifel daran,
dass der Satzungsgeber ermächtigt ist, das gesamte Einkommen des Mitglieds
unabhängig davon, ob es aus anwaltlicher Tätigkeit erwirtschaftet worden ist, der
Bemessung des Beitrags zugrunde zu legen. Der Kläger kann sich für seine
gegenteilige Auffassung, wonach der Satzungsvorbehalt in den Regelungen des RAVG
einschränkend dahin auszulegen sei, dass der Gesetzgeber die Einkünfte des
Rechtsanwalts aus nichtanwaltlicher Tätigkeit nicht zur normativen Verfügbarkeit des
Satzungsgebers des Rechtsanwaltsversorgungswerks freigegeben habe, nicht auf die
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Rheinland-Pfalz vom 1.
Februar 2005,
22
vgl. RhPf OVG, Urteil vom 1. Februar 2005 - 6 A 11903/04 -, juris,
23
berufen. Die von diesem Gericht vertretene Rechtsauffassung, wonach der Gesetzgeber
des RAVG Rheinland-Pfalz den Satzungsgeber nicht zu einer in obigem Sinne
unbeschränkten Inanspruchnahme des Mitgliedseinkommens ermächtigen wollte, war
Ergebnis einer Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen des RAVG Rheinland-Pfalz.
Für eine derartige Auslegung bietet das hier maßgebliche RAVG NRW mit Rücksicht
auf den eindeutigen Wortlaut von dessen § 7 Abs. 1 Satz 3 keinen Raum. Eine
vergleichbare Bestimmung fand sich in dem der zitierten obergerichtlichen
Entscheidung zugrunde liegenden Gesetz über die Rechtsanwaltsversorgung des
Landes Rheinland-Pfalz nicht.
24
Die Verwendung des weiten Einkommensbegriffs im Sinne des
Sozialversicherungsrechts ist auch materiellrechtlich nicht zu beanstanden. Die
Einbeziehung von Einnahmen aus berufsfremden Beschäftigungen und Tätigkeiten in
die Beitragsbemessungsgrundlage ist nicht systemwidrig. Denn für die nach der
Versorgungssatzung bezweckte Vollversorgung ist es erforderlich, alle Einnahmen aus
Tätigkeiten und Beschäftigungen des Mitglieds zur Grundlage der Beitragsbemessung
und damit des Umfangs der Rentenanwartschaft zu machen, um über einen späteren
Rentenbezug den sozialen und wirtschaftlichen Status eines Mitglieds zu
gewährleisten. Auch kann eine angemessene, vor sozialem Abstieg bewahrende
25
Vollversorgung nur aufgebaut werden, wenn der für den Umfang der
Versorgungsleistung maßgebliche Beitrag die gesamten Einnahmen aus der
Verwertung der Arbeitskraft erfasst.
Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss
vom 12. Dezember 2003 - 4 A 4643/02 -; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg,
Urteil vom 11. September 1990 - 9 S 2995/88 -, juris.
26
Hinsichtlich der Einbeziehung angestellter Ärzte neben freiberuflich tätigen Ärzten in die
Pflichtmitgliedschaft beim Versorgungswerk hat das Bundesverwaltungsgericht in
seinem Urteil vom 25. November 1982 - 5 C 69.79 -, juris, entsprechend ausgeführt: "In
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass bei der
Einführung einer berufsständischen Pflichtversicherung der Mitgliederkreis
grundsätzlich so abgegrenzt werden darf, wie es für die Begründung einer
leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist (BVerfGE 44, 70(90)). Was die
Einführung einer auf dem Versicherungsprinzip beruhenden kollektiven Versorgung der
Ärzte anbelangt, so ist diese wirtschaftlich nur durchführbar, wenn grundsätzlich alle
Ärzte ihr angehören (BVerfGE 10, 354 (370)); Beschluss vom 16. November 1973 -
BVerwG 1 B 69.72 - (Buchholz 418.00 Ärzte Nr. 19)). Dies rechtfertigt es, neben den
freiberuflich tätigen Ärzten auch die angestellten Ärzte in die Pflichtmitgliedschaft
einzubeziehen."
27
Diese Ausführungen gelten hier sinngemäß. Danach ist es, wenn nicht geboten, aber
jedenfalls sachgerecht und damit keinesfalls rechtlich bedenklich, wenn der an die
Pflichtmitgliedschaft anknüpfenden Beitragspflicht des Rechtsanwalts dessen gesamtes
Arbeitseinkommen zugrunde gelegt wird.
28
Die hier in Rede stehenden Bestimmungen des § 30 Abs. 1 und 2 der Satzung und § 7
Abs. 1 Satz 3 RAVG NRW sind auch nicht mit Blick auf die Kompetenzregelungen des
Grundgesetzes verfassungsrechtlich bedenklich. Dabei kann offen bleiben, ob die
Rechtsanwaltsversorgung eine öffentlich-rechtliche Versicherung "eigener Art" ist, die
mangels Zuweisung an den Bundesgesetzgeber nach Art. 70 GG in die
Landeskompetenz fällt, oder ob es sich um einen Gegenstand der konkurrierenden
Gesetzgebung im Sinne von Art. 74 Nr. 1 GG (Rechtsanwaltschaft) oder Art. 74 Nr. 12
(Sozialversicherung) handelt. Fällt das berufsständische Versorgungsrecht in die
ausschließliche Landeskompetenz, ergeben sich von vornherein keine
kompetenzrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Ausgestaltung des Landesrechts. Aber
auch wenn man einen Fall der konkurrierenden Gesetzgebung annimmt, führt dies
gemäß Art. 72 Abs. 1 GG nicht zu einem anderen Ergebnis. Insoweit hat das
Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 21. Februar 1994 ausgeführt: "In
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ... ist geklärt, dass der
Bundesgesetzgeber namentlich auf dem Gebiet der Sozialversicherung von seiner
Kompetenz nicht abschließend Gebrauch gemacht hat, sondern von dem (weiteren)
Bestehen landesrechtlich geregelter berufsständischer Versorgungswerke ausgeht, die
auch angestellte Berufsangehörige als Pflichtmitglieder erfassen.... Dies steht im
Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ... Bei der
gesetzlichen Rentenversicherung und dem berufsständischen Versorgungsrecht
handelt es sich mithin um selbständig nebeneinander stehende Rechtsmaterien. Die
bundesrechtlichen Vorschriften über die Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen
Rentenversicherung begründen demnach unabhängig davon, ob das berufsständische
Versorgungsrecht kompetenzrechtlich zum Sozialversicherungsrecht im Sinne des Art.
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74 Nr. 12 GG zählt oder nicht, keine bundesrechtliche Vorgabe für die landesrechtliche
Regelung der Pflichtmitgliedschaft in den berufsständischen
Versorgungseinrichtungen."
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 1994 - 1 B 19/93 -, juris; s. auch BVerwG,
Urteil vom 25. November 1982 - 5 C 69/79 -, juris.
30
Die Beitragsregelung in der Satzung des Beklagten verstößt auch nicht deshalb gegen
den in Art. 31 GG normierten Vorrang des Bundesrechts gegenüber dem Landesrecht,
weil sie in Abweichung von der sozialversicherungsrechtlichen Bestimmung des § 1
Satz 4 SGB VI auch die Mitglieder, die zugleich Vorstandsmitglieder von
Aktiengesellschaften sind, unbeschränkt der Beitragspflicht unterwirft. Gemäß § 1 Satz 4
SGB VI sind Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft in dem Unternehmen,
dessen Vorstand sie angehören, nicht versicherungspflichtig beschäftigt. Damit
unterliegen diese Personen mit ihren Einkünften aus der Vorstandstätigkeit nicht der
gesetzlichen Rentenversicherungspflicht. Die Gründe für diese gesetzlich eingeräumte
Sonderstellung liegen im Wesentlichen darin, dass diese Personengruppe im Regelfall
unter den für sie gegebenen wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage ist, sich
außerhalb der Sozialversicherung gegen die Risiken des Arbeitslebens selbst zu
schützen, so dass für sie kein soziales Sicherungsbedürfnis besteht. Dabei unterschied
der Bundesgesetzgeber typisierend zwischen "großen" Gesellschaften -
Aktiengesellschaften - und "kleineren" juristischen Personen.
31
Vgl. BSG, Urteil vom 18. September 1973 - 12 RK 5/73 -, NJW 1974, 208.
32
Indem weder der Landesgesetzgeber noch der Satzungsgeber diese Regelung des
Sozialversicherungsrechts in ihre Bestimmungen über die Pflichtmitgliedschaft im und
die Beitragsheranziehung zum Versorgungswerk übernommen haben, haben sie nicht
gegen Bundesrecht verstoßen. Dem Bundesrecht widersprechendes und deshalb
gemäß Art. 31 GG nichtiges Landesrecht liegt nur vor, wenn die jeweiligen Regelungen
den gleichen Regelungsgegenstand betreffen. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Das
Sechste Buch des Sozialversicherungsrechts, auf dessen Bestimmung des § 1 Satz 4
sich der Kläger beruft, betrifft die gesetzliche Rentenversicherung. Die genannte
Vorschrift bestimmt daher lediglich eine Ausnahme von der Versicherungspflicht in der
gesetzlichen Rentenversicherung, zu der die Versicherung in berufsständischen
Versorgungswerken aber nicht gehört.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Februar 1994, a.a.O., betreffend die Heranziehung
geringfügig beschäftigter und damit nicht rentenversicherungspflichtiger Rechtsanwälte
zu Pflichtbeiträgen zum Versorgungswerk.
34
Die Heranziehung des Klägers verstößt schließlich auch nicht gegen Art. 2 Abs. 1 GG
und den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aus der Erwägung,
dass für den Kläger der Sinn der Versicherungspflicht, die Existenzgrundlage der
Versicherten zu sichern, nicht gelte, weil er aufgrund der von seinem Unternehmen
getätigten Pensionszusage kein weiteres Sicherungsbedürfnis hat. Wie ausgeführt
dürfen vielmehr alle Berufsangehörigen - ohne Rücksicht auf ihr individuelles
Versorgungsbedürfnis - als Pflichtteilnehmer einer berufsständischen
Versorgungseinrichtung mit ihrem gesamten Einkommen herangezogen werden. Dabei
gebietet allerdings der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, auf schwerwiegende
Besonderheiten und unbillige Härten Rücksicht zu nehmen. So muss er zum Beispiel
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die aus einer doppelten Mitgliedschaft möglicherweise erwachsende Belastung des
Mitglieds beachten, indem auf seine wirtschaftliche Belastbarkeit Rücksicht genommen
und eine unzumutbare Überversorgung vermieden wird. Dem Gesetzgeber steht bei der
Abgrenzung der Pflichtmitgliedschaft und der Beitragsbemessung ein - u.a. durch den
Zweck der Versorgungseinrichtung und das Verhältnismäßigkeitsprinzip begrenzter -
Gestaltungsspielraum zu, innerhalb dessen er auch typisieren darf.
Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. März 2000 - 1 B 15/00 -, juris, und vom 21. Februar
1994, a.a.O.
36
Die Heranziehung des Klägers zu Beiträgen aus seinem gesamten Arbeitseinkommen
ist nicht unverhältnismäßig. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist zunächst nicht
deshalb verletzt, weil es an der Erforderlichkeit der Versicherung fehlte. Wenn auch der
Versicherungsfreiheit in der Sozialversicherung der Gedanke zugrunde liegt, dass für
die betreffende Personengruppe ein Sicherungsbedürfnis nicht besteht, folgt daraus
eben nicht, dass die Freistellung von der gesetzlichen Rentenversicherung und dann
auch von berufsständischen Sicherungssystemen verfassungsrechtlich geboten wäre.
Gegen eine derartige Verpflichtung spricht bereits das Solidaritätsprinzip, nach dem
möglichst alle Kammermitglieder zu der Versorgungsaufgabe beitragen sollen.
37
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Februar 1994, a.a.O.
38
Der Kläger wird durch die Beitragspflicht auch nicht wirtschaftlich unzumutbar belastet.
Er unterliegt zum Einen gerade nicht einer doppelten Beitragslast. Zum Anderen ist die
Höhe des festgesetzten Beitrags auch nicht unverhältnismäßig hoch. Sie orientiert sich
an dem Einkommen des Klägers und entspricht dem Höchstbeitrag der gesetzlichen
Rentenversicherung gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 der Satzung. Mit Blick auf das im
Einkommensteuerbescheid ausgewiesene Jahreseinkommen des Klägers besteht kein
Zweifel und wird auch von dem Kläger nicht in Abrede gestellt, dass der monatliche
Beitrag keine unzumutbare Belastung für ihn darstellt.
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Ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit ist
schließlich auch nicht in den einkommensteuerrechtlichen Auswirkungen der
Beitragspflicht des Klägers zu sehen. Der Kläger macht insoweit geltend, er unterliege
dadurch, dass er im Rahmen seiner Altersvorsorge ungeachtet der Pensionszusage
seines Arbeitgebers zum Höchstbeitrag zum Rechtsanwaltsversorgungswerk
herangezogen werde, zumindest teilweise einer doppelten Besteuerung, nämlich soweit
seine Aufwendungen den gemäß § 10 Abs. 3 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG)
wegen der Pensionszusage bereits gekürzten Pauschalbetrag für Sonderausgaben
wegen Vorsorgeaufwendungen gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 EStG überschritten. Insoweit
zahle er die Beiträge aus seinem versteuerten Einkommen, darüber hinaus werde er
auch die mit den Beiträgen finanzierten Alterseinkünfte gemäß § 22 EStG ab ihrem
Bezugsbeginn in beinahe vollem Umfang versteuern müssen.
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Ob die geltend gemachte begrenzte steuerliche Doppelbelastung tatsächlich das von
dem Kläger im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes noch hinzunehmende
Maß überschreitet, kann hier offen bleiben. Soweit der Kläger eine unzumutbare
Belastung in dieser steuerrechtlichen Konsequenz der Höchstbeitragspflicht zum
Beklagten sieht, beruht diese auf den durch das seit dem 1. Januar 2005 geltende
Alterseinkünftegesetz (BGBl I 2004, 1427) eingeführten Regelungen über die
Besteuerung von Alterseinkünften. Der Landesgesetzgeber beziehungsweise
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Satzungsgeber war nicht etwa aus verfassungsrechtlichen Erwägungen gehalten, diese
steuerrechtlichen Neuregelungen zum Anlass zu nehmen, seine Beitragsregelungen
letzteren in der Weise anzupassen, dass ausgeschlossen wird, dass ein Mitglied
gegenüber dem Finanzbehörden nicht - wie im Falle des Klägers - in vollem Umfang
seine Beitragslast als Sonderausgaben abführen kann. Die geltend gemachte
Belastung rührt vielmehr aus der (gesetzlich neu geregelten) Besteuerung des Klägers
her. In diesem Bereich, das heißt bei der Heranziehung der auf dem
Alterseinkünftegesetz beruhenden Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes ist
ein eventueller Verfassungsverstoß der Begrenzung des Sonderausgabenabzugs zu
prüfen.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2008 - 2 BvL 1/06 -, Der Betrieb 2008, 789 ff.,
betreffend die Verfassungswidrigkeit des gesetzlichen Höchstbetrages des
Sonderausgabenabzugs für private Krankenversicherung eines Freiberuflers.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 167 VwGO, 709 Zivilprozessordnung.
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Die Zulassung der Berufung beruht auf §§ 124 a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
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