Urteil des VG Aachen vom 10.08.2007

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Verwaltungsgericht Aachen, 9 K 131/06
Datum:
10.08.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 131/06
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin
kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
Vollstreckungsbetrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
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Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Zahlung von Schülerfahrkosten in Form
einer Wegstreckenentschädigung in Höhe der tatsächlich entstehenden Kosten für ihre
Beförderung zur Grundschule in F. -L. mit einem Taxi oder Mietwagen. Sie wohnt mit
ihren Eltern und Geschwistern im G. T. , nach ihren Angaben 5,8 km von der Schule und
4,8 km von der nächsten Haltestelle des öffentlichen Personennahverkehrs entfernt.
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Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 24. Januar 2005 beantragten die
Eltern der Klägerin die Zahlung einer Wegstreckenentschädigung in Höhe von 28,- EUR
für die Beförderung ihrer Tochter zur Schule und stellten auf Nachfrage des Beklagten
klar, dass entsprechende Fahrten im Jahre 2004 an 68 Tagen und im Jahre 2005 bis
Ende Mai an 93 Tagen angefallen seien.
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Daraufhin gewährte der Beklagte mit Bescheid vom 12. Juli 2005 - zugestellt am 19. Juli
2005 - für den Zeitraum vom 6. September 2004 bis zum 31. Mai 2005
Wegstreckenentschädigung in Höhe von 236,76 EUR. Zur Begründung führte er aus,
dass die Höhe der Wegstreckenentschädigung gemäß § 16 Abs. 1 der Verordnung zur
Ausführung des § 97 Abs. 4 des Schulgesetzes (Schülerfahrkostenverordnung -
SchfkVO) je Kilometer 0,13 EUR betrage; bei Zugrundelegung einer Strecke von 5,8 km
und 2 Fahrten an insgesamt 157 Tagen ergebe sich der zur Erstattung festgesetzte
Betrag.
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Gegen diesen Bescheid legten die Eltern der Klägerin mit Schreiben ihrer
Prozessbevollmächtigten vom 17. August 2005 Widerspruch ein, den sie mit weiterem
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Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 23. September 2005 im Hinblick auf den
vom Beklagten festgesetzten Betrag teilweise zurücknahmen und im Übrigen damit
begründeten, dass ihnen gemäß §§ 15 Abs. 1, 16 Abs. 2 SchfkVO die Kosten für eine
Taxibeförderung erstattet werden müssten, da weder eine Mitfahrgelegenheit noch
dauernd ein privates Fahrzeug zur Verfügung stehe.
Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 22. November 2005 beantragte die
Klägerin, ihr auch für die Zeiträume vom 1. Juni bis 6. Juli 2005 und vom 22. August bis
zum 30. November 2005 Wegstreckenentschädigung in Höhe der Kosten für die
Beförderung mit einem Taxi zu gewähren.
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Für den damit umfassten Zeitraum gewährte der Beklagte mit Bescheid vom 27.
Dezember 2005 einen Betrag in Höhe von 131,20 EUR, der sich aus einer
Wegstreckenentschädigung von 0,13 EUR/km für 2 Fahrten von 5,8 km an 87 Tagen
zusammensetzt.
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Des Weiteren wies er mit Widerspruchsbescheid vom selben Tage den Widerspruch
gegen den Bescheid vom 12. Juli 2005 zurück und führte zur Begründung aus, dass für
die Höhe der festzusetzenden Wegstreckenentschädigung nicht der von den Eltern der
Klägerin angeführte § 16 Abs. 2 SchfkVO, sondern § 16 Abs. 1 Ziff. 1 der Vorschrift
einschlägig sei, da die Beförderung der Klägerin mit einem privaten Pkw durchgeführt
worden sei.
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Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 16. Januar 2006 legte die Klägerin
auch gegen den Bescheid des Beklagten vom 27. Dezember 2005 Widerspruch ein und
machte geltend, dass ihr die Erstattung der Kosten für die Beförderung mit einem Taxi
zustehe. Über diesen Widerspruch ist noch nicht entschieden.
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Die Klägerin hat am 21. Januar 2006 Klage erhoben. Sie hält an ihrer Auffassung fest,
dass ihr ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Beförderung mit einem Taxi
gemäß § 16 Abs. 2 SchfkVO zustehe. Diese beliefen sich auf 28,- EUR/Tag. Eine
Beförderung mit einem Privatfahrzeug ihrer Eltern oder eine Mitfahrgelegenheit scheide
aus. Ein Fahrzeug stehe für ihre Beförderung nicht regelmäßig zur Verfügung. Beide
Eltern seien berufstätig und auf den privaten Pkw angewiesen. Hinzukomme, dass die
Schule unregelmäßig ende und auch Geschwister vom Kindergarten abgeholt werden
müssten. Die Familie könne ihren Wohnsitz nicht ändern, da ihr Vater seinen Wohnsitz
im G. zu nehmen habe. Jedenfalls liege eine unbillige Härte vor, sodass sie hilfsweise
die Erstattung der von ihren Eltern tatsächlich verauslagten Beförderungskosten in Höhe
von 0,33 EUR/km unter Einschluss der Leerfahr-ten zuzüglich der Kosten für eine
Übermittagsbetreuung in Höhe von 35,- EUR/Monat verlangen könne. § 16 SchfkVO
biete auch dafür eine Anspruchsgrundlage. Die Bescheide des Beklagten wiesen keine
Ermessenserwägungen aus. Diese seien jedoch notwendig gewesen, da der Beklagte
ihren Fall im Vergleich zu denen anderer Kinder, deren Eltern vergleichbare finanzielle
Belastungen nicht zugemutet würden, ungerechtfertigt ungleich behandele.
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Die Klägerin beantragt,
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1. den Bescheid des Beklagten vom 12. Juli 2005 in der Fassung seines
Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2005 insoweit aufzuheben, als der
Klägerin ein über den Betrag von 236,76 EUR hinausgehender Betrag nicht zuerkannt
worden ist, und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin eine
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Wegstreckenentschädigung in Höhe der ihr tatsächlich entstehenden Kosten von 28,-
EUR für eine Hin- und Rückfahrt zu gewähren,
2. den Bescheid des Beklagten vom 27. Dezember 2005 insoweit aufzuheben, als der
Klägerin ein über den Betrag von 131,20 EUR hinausgehender Betrag nicht zuerkannt
worden ist, und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin eine
Wegstreckenentschädigung in Höhe der ihr tatsächlich entstehenden Kosten von 28,-
EUR für eine Hin- und Rückfahrt zu gewähren.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er verweist auf die Begründung der angefochtenen Bescheide und vertritt die
Auffassung, dass vorliegend eine Beförderung der Klägerin durch ihre Eltern nicht
ausscheide und auch zumutbar sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der Akte des Verfahrens gleichen Rubrums 9 K 479/05 sowie der von dem
Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass bezüglich des angefochtenen
Bescheides vom 27. Dezember 2005 ein Vorverfahren gemäß §§ 68 ff. der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nicht durchgeführt worden ist. Die Klägerin hat mit
Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 16. Januar 2006 gegen den Bescheid
Widerspruch erhoben, über den nicht entschieden ist; im maßgeblichen Zeitpunkt der
mündlichen Verhandlung ist die Klage daher gemäß § 75 VwGO abweichend von § 68
VwGO zulässig.
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Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Bescheide des Beklagten vom 12. Juli 2005 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Dezember 2005 und vom 27.
Dezember 2005 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§
113 Abs. 5 VwGO).
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Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Verpflichtung des Beklagten, ihr für die von
den angefochtenen Bescheiden umfassten Zeiträume über die gewährte
Wegstreckenentschädigung hinaus weitere Fahrkosten für die Beförderung zur Schule
mit einem Taxi oder Mietwagen zu erstatten.
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Rechtsgrundlage für den Anspruch auf Übernahme von Schülerfahrkosten ist § 97 des
Schulgesetzes in Verbindung mit den Vorschriften der Schülerfahrkostenverordnung.
Danach ergibt sich der geltend gemachte Anspruch nicht. Gemäß § 16 Abs. 2 SchfkVO
kann in besonders begründeten Ausnahmefällen eine Wegstreckenentschädigung in
Höhe der tatsächlich entstehenden Kosten für die Beförderung einer Schülerin oder
eines Schülers mit einem Taxi oder Mietwagen gezahlt werden, wenn die Beförderung
mit einem Privatfahrzeug der zur Beförderung verpflichteten Eltern oder eine andere
geeignete Mitfahrgelegenheit ausscheidet. Dabei handelt es sich um eine eng
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auszulegende Ausnahmevorschrift,
vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom
30. Januar 1997 - 19 A 4243/95 -, juris.
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Ein Ausscheiden der Beförderung mit einem Privatfahrzeug der Eltern liegt nach dieser
Rechtsprechung (schon) dann nicht vor, wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung feststeht, dass die Beförderung mit einem Privatfahrzeug der Eltern erfolgt
ist. Dies ist hier der Fall. Dafür, dass die Beförderung mit einem anderen Fahrzeug als
dem Privatfahrzeug der Eltern erfolgt wäre, ist weder etwas vorgetragen noch ersichtlich.
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Abgesehen davon scheidet die Beförderung mit einem Privatfahrzeug der Eltern aus,
wenn sie objektiv unmöglich oder nicht zumutbar ist,
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vgl. Verwaltungsgericht Münster, Urteil vom 23. Februar 2007 - 1 K 2059/06 -, NRWE,
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wie dies auch in Ziffer 16.21 der Verwaltungsvorschriften zu § 16 Abs. 2 SchfkVO zum
Ausdruck kommt.
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Maßgeblich für die Beurteilung sind vorliegend die Verhältnisse in den von den
angefochtenen Bescheiden umfassten Zeiträumen, da Leistungen im Streit stehen, die
abschnittsweise gewährt werden.
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In den danach in Betracht zu nehmenden Zeiträumen war die Beförderung der Klägerin
mit einem Privatfahrzeug der Eltern nicht unmöglich, da ein solches Fahrzeug zur
Verfügung stand und die Eltern Inhaber entsprechender Fahrerlaubnisse waren.
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Die Beförderung mit dem Privatfahrzeug der Eltern war auch nicht unzumutbar. Bei
Zugrundelegung des Vortrags der Klägerin ließ sich die Anzahl der erforderlichen Hin-
und Rückfahrten im Regelfall auf 2 begrenzen. Dies ergibt sich daraus, dass für die
Klägerin die Möglichkeit bestand, an einer Übermittagsbetreuung teilzunehmen, und sie
dann gemeinsam mit ihren Geschwistern, die den Kindergarten in L. besuchten,
abgeholt werden konnte. Hinsichtlich des Schulbeginns lässt sich den im
Verwaltungsverfahren vorgelegten Stundenplänen entnehmen, dass die Schule für die
Klägerin jeweils um 8.00 Uhr oder 8.45 Uhr begann. Diese Zeiten fallen in die üblichen
Kindergarten-Öffnungszeiten, sodass davon ausgegangen werden kann, dass die
Klägerin auch gemeinsam mit ihren Geschwistern nach L. gebracht werden konnte.
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Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich eine Unzumutbarkeit im Hinblick auf die
finanziellen Aufwendungen von monatlich 35,- EUR für die Übermittagsbetreuung der
Klägerin und die Differenz zwischen den vom Beklagten erstattete Fahrkosten in Höhe
von 0,13 EUR/km und den nach dem Vortrag der Klägerin von deren Eltern tatsächlich
aufgewendeten Kosten in Höhe von 0,33 EUR/km einschließlich der Leerfahrten ergibt.
Zudem war nach dem Klägervortrag auch die Mutter der Klägerin in dem hier
maßgeblichen Zeitraum in einem Umfang von 15 Wochenstunden erwerbstätig.
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Liegen danach die Voraussetzungen für das in § 16 Abs. 2 SchfkVO auf der
Rechtsfolgenseite eröffnete Ermessen nicht vor, kann insofern von einem
Begründungsmangel, wie ihn die Klägerin rügt, in den angefochtenen Bescheiden nicht
die Rede sein.
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Für die von der Klägerin hilfsweise geltend gemachte Erstattung von 0,33 EUR je
gefahrenem Kilometer für ihre Beförderung zuzüglich 35,- EUR monatlich für die Kosten
der Übermittagsbetreuung bietet das Schülerfahrkostenrecht keine
Anspruchsgrundlage. Wenn der Schulträger die Kosten einer Beförderung mit
Privatfahrzeugen (einschließlich Taxen und Mietwagen) gemäß § 15 Abs. 1 SchfkVO zu
tragen hat, weil die Beförderung mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit
Schülerspezialverkehren nicht möglich oder die Benutzung dieser Verkehrsmittel nicht
zumutbar ist, werden diese Kosten - abgesehen vom Fall des hier wie oben ausgeführt
nicht einschlägigen § 16 Abs. 2 SchfkVO - durch die Wegstreckenentschädigung gemäß
§ 16 Abs. 1 SchfkVO abgegolten (vgl. § 16 Abs. 5 SchfkVO).
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Das Klagebegehren findet letztlich auch keine Anspruchsgrundlage in Art. 3 des
Grundgesetzes in Verbindung mit einer Selbstbindung des Beklagten. Denn eine solche
Selbstbindung in Form einer bestimmten Handhabung von Vergleichsfällen liegt nicht
vor. Im Gegenteil hat der Beklagte auf entsprechende Anfrage der Kammer klargestellt,
dass vergleichbare Fälle gleich dem der Klägerin behandelt werden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO in
Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
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