Urteil des VG Aachen vom 05.11.2010

VG Aachen (kläger, höhe, verzinsung, darlehen, zahlung, tilgung, umfang, begründung, frist, verwaltungsgericht)

Verwaltungsgericht Aachen, 9 K 45/09
Datum:
05.11.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 K 45/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
bar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages
abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 %
des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die vorstehende Entscheidung wurde durch Beschluss vom 1.
Dezember 2010 berichtigt. Aachen, den 2. Dezember 2010 Beckers VG-
Beschäftigter
T a t b e s t a n d :
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Der Beklagte bewilligte dem Kläger durch Zuwendungsbescheid vom 22. September
1999 eine Investitionskostenförderung nach §§ 11-13 des Landespflegegesetzes für den
Neubau eines Altenpflegeheimes. Auf die Einrichtungsmaßnahme entfielen als
Darlehen des Beklagten 267.300,- DM sowie des Landes 178.200,- DM. Unter "8.
Bedingungen und Auflagen" heißt es u. a., dass bei dem Darlehen für die
Erstausstattung von einer zehnjährigen Tilgung auszugehen sei.
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Durch Widerrufs- und Erstattungsbescheid vom 30. September 2008 widerrief der
Beklagte die mit besagtem Zuwendungsbescheid gewährte Förderung für die
Erstausstattung in Höhe von 45.556,11 EUR und machte einen entsprechenden
Erstattungsanspruch geltend. Um Zahlung innerhalb von vier Wochen ab Zugang
dieses Bescheides wurde gebeten.
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Der Erstattungsbetrag ging am 4. Dezember 2008 bei der O. -Bank ein. Mit
Zinsbescheid vom 11. Dezember 2008 setzte der Beklagte einen Zinsanspruch in Höhe
von 17.150,68 EUR fest. Zur Begründung führte er aus, eine Grundlage für einen
(zumindest teilweisen) Zinsverzicht bestehe nicht. Die gesetzte Zahlungsfrist sei um
mehr als einen Monat überschritten worden. Die Umstände, welche zum Widerruf des
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Verwaltungsaktes geführt hätten, seien von dem Kläger zu vertreten, da ihm die
Versäumnisse seines Erfüllungsgehilfen zuzurechnen seien. Der Zinsanspruch
berechne sich bei einem Zinssatz von drei Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab
dem 1. August 2001 (Auszahlung der zweiten Teilzahlung "Ausstattungsförderung") bis
zum 3. Dezember 2008 (Tag vor Wertstellung der Hauptforderung bei der NRW.BANK).
Der Kläger hat am 8. Januar 2009 Klage erhoben. Er macht im Wesentlichen geltend, §
50 Abs. 2 a SGB X sei § 49 Abs. 3 VwVfG nachgebildet. Der Umfang der sich aus § 49 a
Abs. 3 VwVfG ergebenden Erstattungspflicht regele sich wiederum nach
bereicherungsrechtlichen Vorschriften. Ein 20 %iger Teil des zinslosen Darlehens sei
durch den Bescheid vom 30. September 2008 rückwirkend seiner Rechtsqualität als
Darlehen entkleidet worden. Es sei seit Jahren auf einen einheitlichen Darlehensbetrag
gezahlt worden. Durch diesen Bescheid seien zwei unterschiedliche Ansprüche
entstanden, sodass auch die bis dahin erbrachten Leistungen zwei unterschiedliche
Ansprüche beträfen. Ansonsten sei eine "Doppelbestrafung" gegeben, weil er zum
einen den zinsfreien Darlehensanteil verzinsen müsste und zum anderen das zinsfreie
Darlehen wesentlich schneller als vereinbart tilge. Bereits der Bescheid vom 30.
September 2008 beruhe auf der fehlerhaften Rechtsanwendung, dass die halbjährlichen
Zahlungen zuerst auf die Hauptforderung und dann auf die Zinsen angerechnet würden.
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Der Kläger beantragt,
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den Zinsbescheid vom 11. Dezember 2008 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er erwidert, eine Analogie zu den §§ 812 ff. BGB komme nicht in Betracht. Der Kläger
müsse nicht mehr an Tilgung leisten, weil sich die Raten nach der Sondertilgung durch
Zahlung des Erstattungsbetrages veränderten. Der Kläger habe nicht auf die Zinsen
geleistet, die Tilgung sei auf die Zuwendung erfolgt. Erst mit der Bestandskraft des
Widerrufs- und Erstattungsbescheides seien die 89.100,- DM (45.556,11 EUR) fällig
geworden. "Bestraft" sei der Kläger nur durch Zinsen, wenn er den Erstattungsbetrag
nicht aus eigenen Mitteln zurückzahlen könne.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den
Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet.
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Der angefochtene Zinsbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Er findet seine Grundlage in § 50 Abs. 2 a Satz 1 SGB X, der über § 16 PfG NRW
entsprechende Anwendung findet.
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Die Anhörung des Klägers zum Erlass des Zinsbescheides ist durch die Ausführungen
im Widerrufs- und Erstattungsbescheid zum Beginn der Verzinsung sowie zur Höhe des
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Zinssatzes und hinsichtlich der Ankündigung der Festsetzung und des Zeitpunktes
erfolgt. Abgesehen davon erschiene eine Anhörung vor diesem Hintergrund und
angesichts einer sich kraft Gesetzes ergebenden Verzinsung des Erstattungsbetrages
nach dem sich aus 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X ergebenden Rechtsgedanken entbehrlich.
§ 50 Abs. 2 a Satz 1 SGB X bestimmt, dass der zu erstattende Betrag vom Eintritt der
Unwirksamkeit eines Verwaltungsaktes, aufgrund dessen Leistungen zur Förderung von
Einrichtungen oder ähnliche Leistungen erbracht worden sind, mit fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz jährlich zu verzinsen ist. In seiner bis zum 28. Juni 2002
geltenden Fassung sah § 50 Abs. 2 a Satz 1 SGB X eine Verzinsung mit 3 % über dem
jeweiligen Basiszinssatz vor. Dieser Zinssatz ergibt sich auch aus Nr. 8.32 ANBest-P in
der zur Zeit des Zuwendungsbescheides geltenden Fassung. Der
Zuwendungsbescheid ist durch den bestandskräftigen Widerrufs- und
Erstattungsbescheid vom 30. September 2008 mit Wirkung vom 1. August 2001 in Höhe
des festgesetzten Erstattungsbetrages von 45.556,11 EUR widerrufen worden. Die
Zinsberechnung des Beklagten richtet sich ausweislich der in dem angefochtenen
Bescheid enthaltenen Tabelle zutreffend für den Zeitraum vom 1. August 2001 bis 31.
Dezember 2001 an den Diskontsätzen sowie für den Zeitraum vom 1. Januar 2002 bis 3.
Dezember 2002 an den Basiszinssätzen im Sinne des § 247 BGB aus.
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Der Umfang der Erstattungs- und Verzinsungspflicht richtet sich nicht nach
bereicherungsrechtlichen Vorschriften. Für deren Anwendung ist neben § 50 SGB X
kein Raum.
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Vgl. Schütze in: v. Wulffen, SGB X, Kommentar, 7. Auflage 2010, § 50 Rn. 27; Waschull
in: Diering/Timme/Waschull (Hrsg.), SGB X, Lehr- und Praxiskommentar, 2. Auflage
2007, § 50 Rn. 44.
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Ferner ist der Argumentation des Klägers, dass durch den Widerrufs- und
Erstattungsbescheid vom 30. September 2008 zwei unterschiedliche Ansprüche
entstanden seien, welche seine bis dahin erbrachten Leistungen betroffen hätten, nicht
zu folgen. Insbesondere braucht der Frage, ob sich der Grundsatz, dass bei fehlender
Leistungsbestimmung des Schuldners zunächst angefallene Kosten, dann die Zinsen
und zuletzt die Hauptsache getilgt werden, auf die Verzinsung nach § 50 Abs. 2 a Satz 1
SGB X übertragen lässt, im vorliegenden Verfahren nicht nachgegangen zu werden,
weil die Projektförderung zinslos gewährt worden ist. Dementsprechend sind
ausweislich des vorgelegten Tilgungsplans die Tilgungen in Höhe von jährlich 10 %
des gesamten Darlehensbetrages auf diesem angerechnet worden.
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Des Weiteren begegnet die Entscheidung des Beklagten, nicht im Ermessenswege von
der Geltendmachung des Zinsanspruches abzusehen, im Rahmen der durch § 114
VwGO eröffneten gerichtlichen Überprüfung keinen Bedenken.
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Nach § 50 Abs. 2 a Satz 2 SGB X kann von der Geltendmachung insbesondere dann
abgesehen werden, wenn der Begünstigte die Umstände, die zur Rücknahme, zum
Widerruf oder zur Unwirksamkeit des Verwaltungsaktes geführt haben, nicht zu vertreten
hat und den zu erstattenden Betrag innerhalb der von der Behörde festgesetzten Frist
leistet. Der Beklagte hat in seinem Zinsbescheid das Vorliegen dieser Voraussetzungen
verneint und deswegen keine Grundlage für einen Zinsverzicht gesehen. Dies ist im
Ergebnis nicht zu beanstanden, weil das Ermessen unter den in § 50 Abs. 2 a Satz 2
SGB X genannten Voraussetzungen nicht eröffnet ist. In diesem Zusammenhang kann
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dahinstehen, inwieweit der Kläger die in der Begründung des Widerrufs- und
Erstattungsbescheides aufgeführten Verstöße gegen die VOL/A zu vertreten hat, weil
die Voraussetzungen des Nichtvertretenmüssens und der Leistung des zu erstattenden
Betrages innerhalb der von der Behörde festgesetzten Frist kumulativ gestellt sind und
es an einer fristgerechten Leistung fehlt. Ausweislich des Widerrufs- und
Erstattungsbescheides wurde um Zahlung innerhalb von vier Wochen nach Zugang
dieses Bescheides gebeten. Diese Frist wurde durch den Zahlungseingang am 4.
Dezember 2008 nicht gewahrt. Zum einen wurde keine Suspensiveffekt entfaltende
Klage erhoben; zum anderen war die Zahlungsfrist ausgehend von einer Absendung
aufgrund des entsprechenden Abvermerks am 30. September 2008 mittels einfachem
Brief am 31. Oktober 2008 abgelaufen.
Zwar enthält die Begründung des Zinsbescheides keine Ermessenserwägungen dahin
gehend, ob auch unabhängig von den in § 50 Abs. 2 a Satz 2 SGB X genannten
kumulativen Voraussetzungen von der Geltendmachung des Zinsanspruches
abgesehen werden könnte. Der Beklagte hat jedoch im Laufe des Klageverfahrens
durch seinen Schriftsatz vom 17. März 2009 seine Ermessenserwägungen innerhalb der
für eine allfällige Heilung in § 41 Abs. 2 SGB X vorgesehenen zeitlichen Grenze und in
dem nach § 114 Satz 2 VwGO zulässigen Umfang ergänzt.
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Schließlich ergibt sich keine mit dem Vorliegen der in § 50 Abs. 2 a Satz 2 SGB X
genannten Voraussetzungen vergleichbare Sachverhaltskonstellation,
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vgl. hierzu Freischmidt in Hauck/Noftz, SGB X, Kommentar, Stand: Juli 2010,
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aus der Argumentation des Klägers zu einer "Doppelbestrafung". Der angefochtene
Zinsbescheid bewirkt nicht eine teilweise Verzinsung des zinsfrei gewährten Darlehens,
sondern des Erstattungsbetrages. Zudem verfügte der Kläger über den
Erstattungsbetrag, was mangels Notwendigkeit des Einsatzes eigener oder
fremdfinanzierter Mittel einen Zinsvorteil erbrachte. Die Kostenentscheidung folgt aus §
154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils im Kostenpunkt
beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Die Kammer lässt die Berufung nach §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu
wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, weil die sich im vorliegenden
Verfahren stellenden Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Verzinsungspflicht aus §
50 Abs. 2 a SGB X über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende Bedeutung haben.
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