Urteil des VG Aachen vom 27.11.2009

VG Aachen (durchschnitt, dienstzeit, leistung, beurteilung, eignung, verwaltungsgericht, rechtsschutz, beförderung, zeitpunkt, bewerber)

Verwaltungsgericht Aachen, 1 L 404/09
Datum:
27.11.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 404/09
Tenor:
1. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung
untersagt, die Planstelle der Besoldungsgruppe A 12 der
Bundesbesoldungsordnung (BBesO), die für eine Besetzung mit dem
Beigeladenen vorgesehen ist, mit diesem zu besetzen, bevor über die
Bewerbung der Antragstellerin auf diese Planstelle unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu entschieden worden ist.
Der Antragsgegner und der Beigeladene tragen je zur Hälfte die Kosten
des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.
G r ü n d e :
1
Der sinngemäß gestellte Antrag,
2
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die
Planstelle der Besoldungsgruppe A 12 der Bundesbesoldungsordnung (BBesO), die für
eine Besetzung mit dem Beigeladenen vorgesehen ist, mit diesem zu besetzen, bevor
über die Bewerbung der Antragstellerin auf diese Planstelle unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu entschieden worden ist,
3
ist zulässig und begründet. Die Antragstellerin hat sowohl einen für den Erlass einer
einstweiligen Anordnung erforderlichen Anordnungsgrund als auch einen
Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, vgl. § 123 Abs. 1 und 3 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 der
Zivilprozessordnung.
4
Der Anordnungsgrund ist glaubhaft gemacht, weil der Antragsgegner beabsichtigt, die in
Streit stehende Beförderungsplanstelle der Besoldungsgruppe A 12 BBesO unmittelbar
mit dem Beigeladenen zu besetzen.
5
Die Antragstellerin hat ebenso einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. In Fällen
der Konkurrenz von Bewerbern um die Besetzung einer Beförderungsplanstelle hat der
6
im Auswahlverfahren unterlegene Beamte (die weitere Verwendung der männlichen
Anredeform erfolgt aus Gründen der Verständlichkeit und Straffung des Textes) einen
Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, wenn die Untersagung der Beförderung durch
das Verwaltungsgericht zur Sicherung seines Bewerbungsverfahrensanspruchs
geboten ist, um den Eintritt vollendeter Tatsachen zu verhindern. Dieser Anspruch
umfasst die Verpflichtung des Dienstherrn, bei konkurrierenden Bewerbungen die
Auswahl unter Beachtung des durch Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes
verfassungskräftig verbürgten, in § 15 Abs. 3 Satz 1 des Landesbeamtengesetzes (LBG)
in Verbindung mit § 9 des Beamtenstatusgesetzes einfachgesetzlich festgelegten
Grundsatzes der Bestenauslese (Leistungsgrundsatz) zu treffen. Dieser Anspruch ist
nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO sicherungsfähig, ohne dass es darauf ankommt, ob der
um vorläufigen Rechtsschutz nachsuchende, übergangene Bewerber zwingend oder
auch nur überwiegend wahrscheinlich seinem Konkurrenten hätte vorgezogen werden
müssen. Bleibt dem unterlegenen Bewerber nämlich der erstrebte Eilrechtsschutz
versagt, so kann die fragliche Stelle in aller Regel daraufhin sofort besetzt werden und
kommt etwaiger Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren grundsätzlich zu spät, vgl.
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom
05.05.2006 - 1 B 41/06 -, juris, Rdnr. 4.
Ein Anordnungsanspruch ist deshalb in diesen Fällen schon dann zu bejahen, wenn
nach dem im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erkennbaren Sach- und
Streitstand gemessen an den vorgenannten Prüfungsmaßstäben nicht mit hinreichender
Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die vom Dienstherrn getroffene
Auswahlentscheidung zulasten des Antragstellers rechtsfehlerhaft ist, weil dessen
Bewerbungsverfahrensanspruch keine hinreichende Beachtung gefunden hat. Zugleich
müssen die Aussichten des Betroffenen, in einem neuen, rechtmäßigen
Auswahlverfahren ausgewählt zu werden, zumindest offen sein, was bereits zu bejahen
ist, wenn eine Auswahl möglich erscheint,
7
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 05.05.2006 - 1 B 41/06 -, a. a. O., Rdnrn. 6 f.
8
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist der Bewerbungsverfahrensanspruch der
Antragstellerin durch die Auswahlentscheidung des Antragsgegners zugunsten des
Beigeladenen verletzt. Nach dem Sach- und Streitstand sprechen hinreichende
Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Auswahlentscheidung zugunsten des
Beigeladenen ermessensfehlerhaft erfolgt ist.
9
In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung,
10
vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 27. Februar 2009 - 2 C 16.02 -,
juris,
11
hat der Antragsgegner bei der Ermittlung des Leistungsstandes der um eine
Beförderungsplanstelle streitenden Beamten die in ihren letzten dienstlichen
Regelbeurteilungen niedergelegten leistungsbezogenen Kriterien zugrunde gelegt und
ist er im Ergebnis zutreffend zu einem Qualifikations- und Eignungsgleichstand der
Antragstellerin und des Beigeladenen gelangt.
12
Dieser Einschätzung steht zunächst nicht entgegen, dass lediglich die letzten
dienstlichen Regelbeurteilungen über die Antragstellerin vom 28. August 2009 und den
Beigeladenen vom 7. August 2009 mit dem gleichen Gesamturteil "über dem
13
Durchschnitt" enden, während die Vorbeurteilung über den Beigeladenen vom 2. Juni
2006 nur das Gesamturteil "Durchschnitt" aufweist und die Vorbeurteilung über die
Antragstellerin vom 1. September 2005 mit "über dem Durchschnitt" erfolgt ist. Denn die
insoweit um eine Note bessere Vorbeurteilung der Antragstellerin erfolgte noch im Amt
der Verwaltungsoberinspektorin, während der Beigeladene bereits im Amt des
Verwaltungsamtmanns beurteilt worden ist. Hier ist zu berücksichtigen, dass der
dienstlichen Beurteilung des Inhabers eines höherwertigen Amtes gegenüber der
gleichlautenden dienstlichen Beurteilung eines Mitbewerbers im Allgemeinen ein
größeres Gewicht zukommt, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21.12.2004 - 6 B 2587/04 -,
juris.
Eine zugunsten der Antragstellerin bessere Eignung, Befähigung und fachliche Leistung
ergibt sich auch nicht aus dem Wortlaut des Gesamturteils in der letzten aktuellen
dienstlichen Beurteilung. Zwar heißt es hier, dass die Leistungen der Antragstellerin
"´über dem Durchschnitt` mit einer deutlichen Tendenz zu über dem Durchschnitt
liegenden Leistungen" (richtig wohl: zu erheblich über dem Durchschnitt liegenden
Leistungen) bewertet würden. Dieser Zusatz gestattet aber keine grundsätzlich
zulässige Binnendifferenzierung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung
eines Beamten.
14
Es unterfällt dem gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum
des Dienstherrn, innerhalb der Grenzen des einschlägigen Gesetzes- und
Verordnungsrechts Verfahren und Inhalt dienstlicher Beurteilungen festzulegen. Er kann
nach den Erfordernissen in den einzelnen Verwaltungsbereichen unterschiedliche
Beurteilungssysteme einführen, Notenskalen aufstellen und festlegen, welchen
Begriffsinhalt die einzelnen Notenbezeichnungen haben. Beurteilungen haben
entscheidende Bedeutung bei der Auswahlentscheidung des Dienstherrn und der dabei
erforderlichen "Klärung einer Wettbewerbssituation". Ihre wesentliche Aussagekraft
erhalten sie aufgrund ihrer Relation zu den Bewertungen in anderen dienstlichen
Beurteilungen. Um zu der erforderlichen objektiven Bewertung des einzelnen Beamten
zu führen und die Vergleichbarkeit der Beurteilten zu gewährleisten, muss so weit wie
möglich gleichmäßig verfahren werden. Die Beurteilungsmaßstäbe müssen gleich sein
und gleich angewendet werden. Dabei ermöglicht das Gesamturteil den Vergleich unter
den Bewerbern, auf den bei der sachgerechten Auslese zur Vorbereitung
personalrechtlicher Maßnahmen, wie hier der Beförderung, abzuheben ist. Für die
Dienstbehörde wie für den Beamten muss es zuverlässig Aufschluss geben über den
Standort des einzelnen Beamten im Leistungswettbewerb untereinander. Das setzt
verbalen Zusätzen zur abgestuften Bewertung innerhalb von Gesamtnoten (sog.
Binnendifferenzierungen) von Rechts wegen Grenzen. Solche verbalen Zusätze sind
nur zulässig, wenn sie einheitlich verwendet werden und einen eindeutigen
Aussagegehalt haben, der auch für den Beurteilten zweifelsfrei erkennbar
Zwischenstufen innerhalb einer Gesamtnote bezeichnet. Letzeres ist etwa bei den
Zusätzen wie "obere Grenze" oder "oberer Bereich" sowie "untere Grenze" oder "unterer
Bereich" zu bejahen. Derartige Bezeichnungen sind nach dem allgemeinen
Sprachgebrauch eindeutig. Für andere Zusätze erscheint dies jedenfalls dann fraglich,
wenn sie nicht in Beurteilungsrichtlinien oder auf andere Weise ausdrücklich und
zweifelsfrei festgelegt worden sind,
15
vgl. BVerwG, Urteil vom 27.02.2003 - 2 C 16.02 -, juris, Rdnr. 13; DöD 2003, 202.
16
Hieraus folgt, dass der Zusatz "mit einer deutlichen Tendenz zu über dem Durchschnitt
17
liegenden Leistungen" im Gesamturteil der letzten dienstlichen Beurteilung über die
Antragstellerin eine Binnendifferenzierung in dem von ihr verstandenen Sinn nicht
erlaubt. Vielmehr ergibt sich aus dem allgemeinen Sprachgebrauch, dass ihre Leistung
im Zeitpunkt der Beurteilung vom Beurteiler als "über dem Durchschnitt" angesehen
wurde. In der konkreten Formulierung ist der Zusatz aber nichtssagend. Wird -
entsprechend dem möglichen Willen des Beurteilers - ein "erheblich" eingefügt, so
verdeutlicht er lediglich, dass von dieser Gesamtnote ausgehend eine ansteigende
Leistungsentwicklung erwartet wird, die zukünftig einmal mit der Spitzennote "erheblich
über dem Durchschnitt" enden könnte. Eine Einordnung der Gesamtnote im oberen oder
unteren Bereich des Urteils "über dem Durchschnitt" ist damit aber nicht verbunden.
Die Auswahlentscheidung des Antragsgegners zugunsten des Beigeladenen erweist
sich dennoch als rechtswidrig. Sie lässt nämlich die Vorschrift des § 20 Abs. 6 Satz 2
LBG außer Acht. Soweit hiernach im Bereich der für die Beförderung zuständigen
Behörde im jeweiligen Beförderungsamt der Laufbahn weniger Frauen als Männer sind,
sind Frauen bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung bevorzugt zu
befördern, sofern nicht in der Person eines Mitbewerbers liegende Gründe überwiegen.
In den Vorlagen an den Personalrat der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Antragsgegners vom 21. September und 2. Oktober 2009 heißt es bei der Antragstellerin
übereinstimmend hinsichtlich der eventuell erforderlichen Anwendung eines
Hilfskriteriums "§ 20 (6) LBG Gleichstellung". Dies macht deutlich, dass dem
Antragsgegner die Berücksichtigung dieser Vorschrift bewusst war. Gleichwohl hat er
sie nicht in der gebotenen Art und Weise angewandt. Vielmehr spricht die dem
Personalrat für seine Entscheidung vorgelegte Tabelle für die Annahme, dass der
Antragsgegner dem Dienstalter und der Dienstzeit nach § 11 LVO ein höheres Gewicht
beimisst als dem Gleichstellungsgebot aus § 20 Abs. 6 Satz 2 LBG. Dies bestätigt die
Antragserwiderung, in welcher der Antragsgegner unter Hinweis auf die
Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen die
Ansicht vertritt, dass ein um mehr als fünf Jahre höheres Dienstalter ein zulässiges
Hilfskriterium sein könne, das die Frauenförderung verdränge.
18
Hier verkennt der Antragsgegner, dass dem Hilfskriterium der Frauenförderung nach §
20 Abs. 6 Satz 2 LBG bereits von Gesetzes wegen entscheidende Bedeutung zukommt.
Bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung können sich nach der
verwaltungsgerichtlichen Spruchpraxis in der Person eines männlichen Mitbewerbers
liegende Gründe gegenüber dem Gesichtspunkt der Frauenförderung nur dann
durchsetzen und zu einer Anwendung der Öffnungsklausel des § 20 Abs. 6 Satz 2 LBG
führen, wenn deutliche Unterschiede zugunsten des männlichen Bewerbers bestehen,
19
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24.07.2006 - 6 B 807/06 -, NWVBl. 2007, 57; juris, Rdnr.
19.
20
Die Anwendung des Hilfskriteriums der Frauenförderung führte hier allerdings nicht zu
einer unzumutbaren Benachteiligung des Beigeladenen. Auch bei Berücksichtigung der
Dienstzeit beider Bewerber lassen sich nämlich keine signifikanten Unterschiede
erkennen, die eine Anwendung der Öffnungsklausel des § 20 Abs. 6 Satz 2 LBG
zugunsten des Beigeladenen verlangten. Der Antragsgegner ist von einer Dienstzeit
des Beigeladenen ab dem 01.11.1980 ausgegangen, während er den Beginn der
Dienstzeit der Antragstellerin auf den 29.07.2002 festgesetzt hat. Zu letztgenanntem
Zeitpunkt begann die Dienstzeit der Antragstellerin im gehobenen Dienst, in den sie
nach Absolvierung des prüfungserleichterten Aufstiegs vom mittleren Dienst aus
21
aufgestiegen war. Damit blendet der Dienstherr die gesamte vorangegangene
dienstliche Laufbahn der Antragstellerin im mittleren Dienst aus, die am 1. Februar 1967
mit einer Angestelltentätigkeit im Schreibdienst bei dem Polizeiinstitut Hiltrup begonnen
hatte. Die statische Berücksichtigung lediglich der Dienstzeit in der jeweiligen Laufbahn
- hier dem gehobenen Dienst - führt dazu, dass Aufstiegsbeamte in der Regel keine
Beförderungschancen gegenüber gleich geeigneten Bewerbern besitzen, die eine
deutlich geringere Dienstzeit, diese allerdings in der jeweiligen höheren Laufbahn,
verrichtet haben. Dies entwertete die Leistung eines Aufstiegsbeamten in einer nicht
hinnehmbaren Weise. Demgemäß stellt die längere Dienstzeit des Beigeladenen im
gehobenen Dienst kein Kriterium dar, das die gesetzlich vorgeschriebene
Frauenförderung verdrängen könnte.
Bei dieser Rechtslage kann dahinstehen, ob dem Antragsgegner darin zu folgen ist,
dass er seinen Beamten die Möglichkeit von Beförderungen und den infrage
kommenden Bewerberkreis nicht bekannt machen müsse. Auch wenn eine
Verpflichtung zur Ausschreibung nach der landesrechtlichen Laufbahnverordnung nicht
besteht, so dürfte es die Fürsorgepflicht des Dienstherrn gebieten, den Beamten
Beförderungs- und Aufstiegsmöglichkeiten mitzuteilen und ihnen Gelegenheit zu geben,
sich auf Beförderungsplanstellen zu bewerben. Zu dieser Fürsorgepflicht zählt auch die
Verpflichtung, unterlegenen Bewerbern die Möglichkeit zu geben, vor einem Vollzug der
Beförderungsentscheidung rechtzeitig um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz
nachzusuchen. In der Missachtung dieser Pflichten liegen möglicherweise den
Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin verletzende Verfahrensfehler, die
gleichfalls zum Erfolg des Antrags führen.
22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 3 VwGO, die Entscheidung über
den Streitwert auf § 53 Abs. 3 Nr. 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 2 des
Gerichtskostengesetzes, wobei wegen des vorläufigen Charakters des Verfahrens der
halbe Betrag des sog. Anhaltswertes angemessen erscheint.
23