Urteil des VG Aachen vom 26.10.2010

VG Aachen (antragsteller, hund, aufschiebende wirkung, halten, interesse, antrag, land, verwaltungsgericht, vollziehung, falle)

Verwaltungsgericht Aachen, 6 L 374/10
Datum:
26.10.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
6 L 374/10
Tenor:
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.
G r ü n d e:
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Der - sinngemäß gestellte - Antrag,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gleichen Rubrums - 6 K 1660/10 - gegen die
Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 11. August 2010 wiederherzustellen bzw.
hinsichtlich der Zwangsmittelandrohung anzuordnen,
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hat keinen Erfolg.
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Er ist bereits unzulässig. Denn die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 11.
August 2010 ist bestandskräftig und damit nicht mehr anfechtbar. Ausweislich der im
Verwaltungsvorgang befindlichen Zustellungsurkunde ist dem Antragsteller die mit einer
ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehene Ordnungsverfügung,
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vgl. dazu, dass die Rechtsbehelfsbelehrung eines durch Postzustellungsurkunde
zugestellten Bescheides, die für den Fristbeginn auf die "Bekanntgabe" verweist, nicht
unrichtig ist: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 27. April 1990 - 8 C 70.88
-, NJW 1991, 508, sowie Beschluss vom 31. Mai 2006 - 6 B 65.05 -, NVwZ 2006, 943,
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am 14. August 2010 gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes für
das Land Nordrhein-Westfalen (Landeszustellungsgesetz - LZG NRW -) i.V.m. § 180 der
Zivilprozessordnung (ZPO) förmlich zugestellt worden. Die einmonatige Klagefrist des §
74 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) endete gemäß § 57 Abs. 2
VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen
Gesetzbuches (BGB) daher mit Ablauf des 14. September 2010. Die Klage ist jedoch
erst am 16. September 2010, einem Donnerstag, bei Gericht eingegangen. Da auch
Wiedereinsetzungsgründe im Sinne des § 60 VwGO weder vorgetragen noch von Amts
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wegen ersichtlich sind, ist die Klage verfristet. Der vorliegende Aussetzungsantrag ist
angesichts der damit eingetretenen Bestandskraft des angefochtenen Bescheides nicht
statthaft und daher ebenfalls unzulässig.
Der nach alledem unzulässige Antrag ist zudem auch in der Sache nicht begründet.
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In formeller Hinsicht begegnet die Anordnung der sofortigen Vollziehung keinen
rechtlichen Bedenken. Sie ist insbesondere ordnungsgemäß begründet mit der
Befürchtung, dass sich während der Zeitdauer behördlicher und gerichtlicher Verfahren
zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung die von der Hundehaltung
des Antragstellers ausgehende Gefahr verwirklichen könnte. Die im Falle des
Antragstellers angenommene Gefahrenprognose verleiht dem Interesse am sofortigen
Vollzug der angegriffenen Verfügung ein besonderes Gewicht gegenüber dem
allgemeinen Interesse an der Durchsetzung behördlicher Maßnahmen.
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Bei der im Rahmen des Aussetzungsverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO in materieller
Hinsicht vorzunehmenden Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an
der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts und dem
Individualinteresse des Betroffenen an einem einstweiligen Aufschub der Vollziehung
überwiegt vorliegend das öffentliche Vollzugsinteresse. Denn die Ordnungsverfügung
des Antragsgegners vom 11. August 2010, mit der dem Antragsteller das Halten seines
Hundes "T. ", einer American Staffordshire Terrier - Mischlingshündin, untersagt und ihm
unter Androhung der Anwendung unmittelbaren Zwangs aufgegeben worden ist, den
Hund unverzüglich in die Obhut des Tierheimes E. zu geben, erweist sich bei
summarischer Betrachtung als rechtmäßig.
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Der Antragsgegner hat die angefochtene Ordnungsverfügung zu Recht auf § 12 Abs. 2
Satz 1 des Hundegesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landeshundegesetz -
LHundG NRW -) gestützt. Nach dieser Vorschrift soll das Halten eines gefährlichen
Hundes oder eines Hundes im Sinne des § 10 Abs. 1 LHundG NRW untersagt werden,
wenn ein schwerwiegender Verstoß oder wiederholte Verstöße gegen Vorschriften des
LHundG NRW oder auf Grund dieses Gesetzes getroffener Anordnungen vorliegen, die
Erlaubnisvoraussetzungen nicht erfüllt sind, eine erforderliche Erlaubnis nicht innerhalb
einer behördlich bestimmten Frist beantragt oder eine Erlaubnis versagt wurde (Satz 1).
Im Falle der Untersagung kann angeordnet werden, dass der Hund der Halterin oder
dem Halter entzogen wird und an eine geeignete Person oder Stelle abzugeben ist
(Satz 4).
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Die Voraussetzungen für die auf § 12 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW gestützte
streitgegenständliche Maßnahme sind vorliegend gegeben. Die ausgesprochene
Untersagung der Haltung des Hundes des Antragstellers, verbunden mit der
Aufforderung, den Hund unverzüglich in die Obhut des Tierheimes E. zu geben, ist
rechtlich nicht zu beanstanden.
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Der Antragsteller hat durch die Haltung seines Hundes wiederholt gegen Vorschriften
des LHundG NRW verstoßen und erfüllt überdies die Erlaubnisvoraussetzungen für das
Halten dieses Hundes nicht. Ausweislich des Inhalts der Verwaltungsakte lief der Hund
des Antragstellers mehrfach unangeleint und nicht mit dem erforderlichen Beißschutz
versehen innerhalb im Zusammenhang bebauter Ortsteile auf öffentlichen Straßen,
Wegen oder Plätzen herum. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist die Kammer
insoweit auf die zusammenfassende Darstellung in den zutreffenden Gründen des
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angefochtenen Bescheides (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO). Der Antragsteller ist diesen im
Einzelnen beschriebenen und dokumentierten Vorfällen, die zum Teil durch
Polizeibeamte wiederholt wahrgenommen und protokolliert worden sind, nicht
substanziiert entgegengetreten.
Es ist daher davon auszugehen, dass der Antragsteller wiederholt gegen die in § 5 Abs.
2 LHundG NRW normierte Anlein- und Maulkorbpflicht für seinen als gefährlich im
Sinne des § 3 Abs. 2 LHundG NRW einzustufenden Hund verstoßen hat. Auf diese
Pflicht wurde der Antragsteller mehrfach ausdrücklich schriftlich bzw. mündlich durch
den Antragsgegner hingewiesen.
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Überdies liegen die Erlaubnisvoraussetzungen des § 4 Abs. 1 LHundG NRW nicht vor.
Ungeachtet der Frage, ob überhaupt das nach § 4 Abs. 2 LHundG NRW erforderliche
besondere private Interesse an der Haltung eines gefährlichen Hundes besteht, hat der
Antragsteller trotz mehrfacher Aufforderung durch den Antragsgegner nicht den
Nachweis
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- der erforderlichen Sachkunde (§§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 6 LHundG NRW),
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- des Abschlusses einer besonderen Haftpflichtversicherung (§§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5, 5
Abs. 5 LHundG NRW) sowie
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- der fälschungssicheren Kennzeichnung des Hundes mittels Mikrochip (§ 4 Abs. 1 Satz
2 Nr. 6, Abs. 7 LHundG NRW)
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erbracht.
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Zudem rechtfertigen hinreichende Tatsachen die Annahme, dass der Antragsteller die
für das Halten eines gefährlichen Hundes erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt (§§
4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 7 LHundG NRW).
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Jeder Hundehalter muss ohne Einschränkungen willens und in der Lage sein, die
Pflichten, die sich im Zusammenhang mit der Hundehaltung ergeben, jederzeit und
überall zu erfüllen. Unzuverlässig im Sinne des LHundG NRW ist daher, wer keine
Gewähr dafür bietet, dass er seinen Hund ordnungsgemäß, d.h. in einer Weise halten
wird, dass von dem Hund keine Gefahren ausgehen werden. Unerheblich ist hierbei,
aus welchen Gründen der Hundehalter zu einer ordnungsgemäßen Hundehaltung nicht
imstande ist. Unzuverlässigkeit setzt daher auch weder ein Verschulden noch einen
Charaktermangel des Hundehalters voraus,
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vgl. statt Vieler: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW),
Beschluss vom 2. Juli 2003 - 5 B 417/03 -, Städte- und Gemeinderat 10/2003, 34.
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Hiervon ausgehend spricht viel dafür, dass der Antragsteller unzuverlässig im Sinne des
LHundG NRW ist. Maßgeblich für diese Einschätzung ist der Umstand, dass der
Antragsteller trotz mehrfacher mündlicher und schriftlicher Belehrungen und
Ermahnungen über einen längeren Zeitraum hinweg wiederholt und schwerwiegend
seine Halterpflichten missachtet hat. Er hat durch sein Verhalten gezeigt, dass er nicht
willens oder nicht in der Lage ist, seinen Hund so zu halten, dass von ihm keine
Gefahren für die Allgemeinheit ausgehen. Die Kammer muss daher annehmen, dass der
Antragsteller die Gefahren, die der Gesetzgeber bei der Haltung eines gefährlichen
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Hundes und damit auch bei der Haltung des Hundes des Antragstellers annimmt, nicht
ernsthaft wahrhaben will. In dieser Einschätzung sieht sie sich bestätigt durch die
Einlassungen des Antragstellers im Verwaltungsverfahren und im Rahmen des
vorliegenden Eilverfahrens, die im Grunde durchgehend darauf gerichtet sind, die
Vorfälle pauschal zu bestreiten, zu verharmlosen und sich selbst zu exkulpieren.
Angesichts der Vielzahl der aktenkundigen Vorfälle bestehen aber erhebliche Zweifel
an der - zudem nicht näher substanziierten - Darstellung der Ereignisse durch den
Antragsteller.
Ungeachtet dieser auf seinem Verhalten als Hundehalter basierenden Feststellungen
fehlt dem Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit nach der Wertung des
Gesetzgebers auch deshalb, weil er ausweislich der von Amts wegen eingeholten
Auskunft aus dem Zentralregister u.a. wegen Betruges und vorsätzlicher
Körperverletzung rechtskräftig verurteilt worden ist und seit dem Eintritt der Rechtskraft
der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
LHundG NRW).
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Für das auf die wiederholten Verstöße gegen das LHundG NRW und das Fehlen der
Erlaubnisvoraussetzungen, insbesondere die fehlende Zuverlässigkeit des
Antragstellers, gestützte streitgegenständliche Hundehaltungsverbot liegen die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 12 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW daher vor.
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Es ist auch im Übrigen rechtlich nicht zu beanstanden. Es ist insbesondere hinreichend
bestimmt und rechtlich und tatsächlich durchführbar.
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Auch ist die Ermessensausübung des Antragsgegners frei von Fehlern. Liegen die
Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 Satz 1 LHundG NRW vor, so soll nach der
gesetzlichen Konzeption dieser Ermächtigungsgrundlage die zuständige Behörde im
Regelfall die Hundehaltung untersagen. Für das Vorliegen eines
Ausnahmetatbestandes, der abweichend hiervon eine andere Beurteilung und ein
Absehen von einem Haltungsverbot erfordern könnte, ist aber nichts ersichtlich. Das
Hundehaltungsverbot erweist sich insbesondere als verhältnismäßig. Die Untersagung
der Hundehaltung ist geeignet, die von ihr ausgehende und in der Verletzung der
Vorschriften des LHundG NRW begründete Störung der öffentlichen Sicherheit zu
beseitigen. Die getroffene Maßnahme ist erforderlich, weil andere, den Antragsteller
weniger beeinträchtigende, gleichermaßen effektive Mittel zur Gefahrenabwehr nicht zur
Verfügung stehen. Die Kammer verkennt insoweit nicht, dass nach der Konzeption des
LHundG NRW die Untersagung der Hundehaltung das Mittel zur Gefahrenabwehr ist,
das am stärksten in die Rechte des Betroffenen eingreift, so dass regelmäßig vorrangig
zu prüfen ist, ob nicht zunächst sonstige Anordnungen nach § 12 Abs. 1 LHundG NRW
als mildere Mittel zu ergreifen sind. Angesichts der zu Recht festgestellten
Unzuverlässigkeit des Antragstellers sind mildere und gleichermaßen effektive
Maßnahmen hier aber nicht ersichtlich. Das Hundehaltungsverbot ist schließlich auch
angemessen. Es hat keine Nachteile zur Folge, die zu dem angestrebten Erfolg außer
Verhältnis stehen. Dem erheblichen öffentlichen Interesse daran, Gefahren für Leben
und Gesundheit von Menschen und Tieren abzuwenden, steht lediglich das
nachrangige Interesse des Antragstellers an einer privaten Hundehaltung gegenüber.
Schon deshalb stehen die Nachteile zu dem mit der Maßnahme erstrebten Zweck in
keinem offensichtlichen Missverhältnis.
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Die in der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung getroffene Anordnung erweist
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sich nach alledem bei summarischer Überprüfung des Sach- und Streitstandes als
rechtmäßig.
Die ebenfalls angefochtene, gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 8 Satz 1 des
nordrhein-westfälischen Ausführungsgesetzes zur VwGO (AG VwGO NRW) kraft
Gesetzes sofort vollziehbare Androhung der Anwendung unmittelbaren Zwangs erweist
sich bei summarischer Betrachtung ebenfalls als rechtmäßig. Sie entspricht den
gesetzlichen Bestimmungen der §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 3, 58, 62 und 63 des
Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW).
Auch insoweit wird zur weiteren Begründung auf die zutreffenden Ausführungen im
angefochtenen Bescheid Bezug genommen (vgl. § 117 Abs. 5 VwGO).
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Der unzulässige und zudem nicht begründete Antrag ist nach alledem in vollem Umfang
abzulehnen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 des
Gerichtskostengesetzes (GKG). Sie berücksichtigt, dass wegen des lediglich vorläufigen
Charakters der begehrten Entscheidung der Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG
vorliegend lediglich zur Hälfte anzusetzen ist.
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