Urteil des VG Aachen vom 26.05.2009

VG Aachen: parkplatz, ausfahrt, markt, polizei, grundstück, kreis, gefährdung, gefahr, kreuzung, könig

Verwaltungsgericht Aachen, 2 K 358/05
Datum:
26.05.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 358/05
Tenor:
Die verkehrsrechtliche Anordnung des Beklagten betreffend das
Verkehrszeichen 209-20 (vorgeschriebene Fahrtrichtung rechts) im
Bereich der Ausfahrt "Q. -Verbrauchermarkt" zur B 264 / E. Straße in F.
vom 7. Juli 2004 und der Widerspruchsbescheid des Landrates des
Kreises B.vom 4. Februar 2005 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder
Hinterlegung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn
nicht zuvor die Klägerin in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Gemarkung F. , Flur 54 (Flurstücke 8/5,
10/6, 467, 1031, 1060) an der Bundesstraße B 264/E. Straße 159-163 in F. , auf dem sie
im Jahr 2003 eine Verkaufsstätte mit einem Parkplatz für 79 Stellplätze errichtete. Diese
hat sie an die Q. Warenhandelsgesellschaft mbH vermietet und die mietvertragliche
Verpflichtung übernommen, dafür Sorge zu tragen, dass die Zulieferfahrzeuge des Q. -
Marktes ungehindert be- und entladen werden können, die auf dem Grundstück
gelegenen Zu- und Abfahrten freigehalten werden und alle Möglichkeiten
wahrgenommen werden, Einschränkungen der Zufahrts-/Belieferungsmöglichkeiten aus
rechtlichen Gründen zu verhindern bzw. zu beseitigen.
2
Der Rat der Stadt F. beschloss im Juli 2003 die 4. Änderung des Bebauungsplanes Nr.
E 94 - I.--------straße , um u.a. die planungsrechtlichen Voraussetzungen für die
Ansiedlung des Q. -Nahversorgermarktes zu schaffen. Ausweislich der Begründung des
Bebauungsplanes unter Ziffer 4.5 soll die verkehrsrechtliche Erschließung des
geplanten Lebensmittelmarktes über eine Ein- und Ausfahrt zur B 264/E. Straße
erfolgen. Dazu wurde durch eine Ingenieurgesellschaft im Vorfeld in Abstimmung mit
der Stadt F. und dem Landesbetrieb Straßenbau NRW ein Erschließungskonzept
erarbeitet. Dieses Konzept berücksichtigte bereits die Planungen des Landesbetriebes
Straßenbau NRW bezüglich der Anlage beidseitiger Radwege und einer Querungshilfe
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in Höhe des Friedhofseingangstores. Bei einer verbleibenden Fahrbahnbreite von ca. 9
m im unmittelbaren Anknüpfungspunkt des Lebensmittelmarktes ist eine Aufteilung in
drei Fahrstreifen (zwei Geradeausspuren sowie ein Aufstellbereich für Linksabbieger)
und ein Aufstellbereich für Linksabbieger mit einer Länge von ca. 70 m vorgesehen. Die
Leistungsfähigkeit der B 264 sei gutachterlich durch einen öffentlich bestellten und
vereidigten Sachverständigen überprüft worden. Danach sei der Ein- und
Abbiegeverkehr zum geplanten Lebensmittelmarkt verträglich und unproblematisch. Zur
Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf der E. Straße und zur
Vermeidung weiterer Zu- und Abfahrten zu dem geplanten Parkplatz seien im
Bebauungsplan zur angrenzenden Verkehrsfläche Bereiche ohne Ein- und Ausfahrt
festgesetzt. Etwaige Blockaden wegen einer verbleibenden Staulänge von ca. 60 m
zum benachbarten Knotenpunkt (E. Straße/T.--straße /X. ) in der Geradeausspur
könnten durch geringfügige technische Erweiterungen bei der bestehenden
Lichtsignalanlage ausgeräumt werden.
Im August 2003 schloss der Beklagte zum einen mit der Bundesrepublik Deutschland,
vertreten durch den Landesbetrieb Straßenbau NRW, eine Verwaltungsvereinbarung
und zum anderen mit der Klägerin eine Vereinbarung hinsichtlich der Kosten der
verkehrsrechtlichen Erschließung des Lebensmittelmarktes über die B 264 bis zu deren
endgültigem Umbau durch den Landesbetrieb Straßenbau NRW (aus damaliger Sicht:
voraussichtlich Ende 2004). Danach oblag es der Klägerin, die für die
Linksabbiegespur, die Querungshilfe und die zwei Verkehrsinseln notwendigen
Markierungen auf eigene Kosten ausführen zu lassen.
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Bereits seit November 2002 äußerte das Polizeipräsidium B., vertreten durch die örtliche
Dienststelle in F. , gegenüber dem Beklagten Bedenken gegen die in der Planung
vorgesehenen Linksabbiegemöglichkeiten vom und zum Q. -Markt. Die Einrichtung der
vorgesehenen Linksabbiegemöglichkeiten lasse einen Anstieg der Unfallzahlen
befürchten. Die Unfallzahlen im Bereich der B 264 - Höhe B.-Straße - seien durch
Unterbindung der Linksabbiegemöglichkeiten erst kürzlich erheblich gesenkt worden.
Es stünden bis zum Knotenpunkt T.--straße nur 75 m nutzbare Verkehrsfläche zur
Verfügung. Auf der Seite des Q. -Marktes befänden sich zudem noch eine Busbucht
sowie auf der gegenüberliegenden Seite zwei Ein-/Ausfahrten (Tankstelle/Fruchtmarkt).
Es gebe noch erheblichen Busverkehr in dem Verkehrsraum und es sei mit Rückstaus
aufgrund der Linksabbiegemöglichkeiten zu rechnen. Die Verkehrssituation sei auch
nicht mit den ebenfalls an der B 264 gelegenen Märkte M. und B. zu vergleichen, da sich
diese beiden Ausfahrten in Kurvenscheitelpunkten befänden und nach beiden Seiten
gute Sicht bestehe. Auch lasse der Umstand, dass auf dem Parkplatz des Q. -Marktes
lediglich 79 Stellplätze für Kunden vorgesehen sein, keinen Rückschluss auf ein
niedriges Verkehrsaufkommen zu dem Markt zu. Es dürfte von ca. 10 Wechseln pro
Parkplatz innerhalb der Öffnungszeit auszugehen sein und dies bedeute eine Prognose
von ca. 400 Linksabbieger bei der Zu-/Abfahrt zu dem Markt.
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Mit Verfügung vom 23. Juli 2003 ordnete der Beklagte gemäß § 45 der
Straßenverkehrsordnung (StVO) die Umsetzung des Beschilderungs- und
Markierungsplanes B 264 E. Straße, "Q. -Verbrauchermarkt", an. Danach kann u. a. von
dem Parkplatz des Q. -Marktes in beide Richtungen auf die E. Straße herausgefahren
werden und ist eine Linksabbiegespur auf der E. Straße zum Parkplatz vorgesehen.
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Im September 2003 wandte sich das Polizeipräsidium B. an den Kreis B., wies auf seine
bisher geäußerten Bedenken gegen die Planung hin und bat um eine Erörterung der
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beteiligten Behörden. Anlässlich einer daraufhin anberaumten Verkehrsbesprechung
bei dem Kreis Aachen im Dezember 2003 unter Beteiligung des Beklagten, der Polizei,
des Landesbetriebes Straßenbau NRW und des Kreises B. wurde festgestellt, dass die
seitens der Polizei frühzeitig aufgezeigten Bedenken keine angemessene
Berücksichtigung gefunden hätten. Der Kreis B. und auch der Landesbetrieb
Straßenbau NRW teilten in der Besprechung die Bedenken der Polizei, ein
uneingeschränktes Linksabbiegen bzw. Linkseinbiegen für die Zufahrt des Q. -Marktes
zuzulassen. Der Beklagte wurde aufgefordert, zur Ausräumung der bestehenden
Verkehrssicherungsbedenken die Anordnung eines Linksabbiegeverbotes (VZ 209-20-
StVO) für den aus der Zufahrt des Verbrauchermarktes ausfahrenden Verkehr in
Kombination mit einer durchgehenden Fahrbahnmittelmarkierung im Zuge der B 264
gemäß VZ 295 StVO zu prüfen. Mit einem Beistrich zur Mittelmarkierung sollte ein
Linksabbiegen von der B 264 zum Verbrauchermarkt zunächst erlaubt bleiben.
Unter dem 26. Januar 2004 teilte der Beklagte dem Kreis B. mit, dass er auf Grund einer
am Dienstag, den 13. Januar 2004 (8.00 Uhr bis 19.00 Uhr), durchgeführten
Verkehrszählung festgestellt habe, dass die Linksabbiegespur in Fahrtrichtung X. auch
in den Spitzenzeiten nicht ausgeschöpft gewesen sei. Eine Behinderung des
Geradeausverkehrs in Richtung X1. sei nicht zu befürchten. Die auf dem Parkplatz des
Q. -Marktes wartenden Linksabbieger würden keine Behinderung darstellen, selbst
wenn es sich dabei um Lastkraftwagen handele. Die Situation sei erst nach Ausbau der
beidseitig geplanten Radwege neu zu betrachten. Ein direkter Vergleich mit den
Grundstückszufahrten auf der B 264 im Bereich B. Straße könne nicht angestellt
werden, da es sich dort um einen vierspurigen Ausbau handele. Die Prognose der
Polizei, wonach innerhalb von 10 Stunden 400 Fahrzeuge als Linksabbieger den
Parkplatz verlassen, könne nicht aufrecht erhalten werden, da bei der Zählung
festgestellt worden sei, dass in 11 Stunden insgesamt 312 Fahrzeuge den Parkplatz
genutzt hätten und davon 128 diesen als Linksabbieger wieder verlassen hätten.
Unfallträchtige Situationen seien nicht festgestellt worden.
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Das Polizeipräsidium B. trat diesen Ausführungen mit Schreiben vom 28. Februar 2004
entgegen und führte aus, dass die durch den Beklagten festgestellten Zahlen nicht
aussagekräftig seien. Zum einen sei mit einem Dienstag der verkehrsärmste Werktag
ausgewählt worden. Zum anderen habe sich das Gefährdungspotenzial für alle
Verkehrsteilnehmer nicht verringert. Aus zwei Kurzzeitbeobachtungen am Freitag, dem
13. Februar 2004 (10.40 Uhr bis 11.10 Uhr), und Samstag, dem 23. Februar 2004 (10.10
Uhr bis 10.35 Uhr), sei zu berichten, dass der Parkplatz zu diesen Zeiten von jeweils 50
Fahrzeugen besetzt gewesen sei. Die Linksabbieger von der B 264 könnten nur
während der Rotlichtphase den Parkplatz relativ ungehindert anfahren, jedoch dann
nicht, wenn in der Rotlichtphase ein Bus die Haltestelle verlasse. Während der
Grünphase auf der B 264 sei es für die Linksabbieger kaum möglich, den Parkplatz zu
erreichen. Die als Linksabbieger den Parkplatz verlassenden Fahrzeuge hätten
permanent Wartezeiten mit den entsprechenden Behinderungen für Rechtsabbieger und
Fußgänger. Mit längerer Wartezeit sei eine zunehmende Risikobereitschaft bei den
Linksabbiegern zur Einfahrt in den fließenden Verkehr zu bemerken. Fahrzeuge aus der
Warteschlange auf dem Parkplatz würden links über die Einfahrtspur an den stehenden
Fahrzeugen vorbeifahren und vor dem ersten Linksabbieger nach rechts auf die B 264
einbiegen. Dies bedeute auch eine Gefährdung und Behinderung der Fußgänger sowie
der einfahrenden Fahrzeuge. Rechtsabbieger könnten den Parkplatz problemlos
verlassen. Ungeregelte Linksabbiegeraktivitäten seien mit einem hohen Gefährdungs-
und Behinderungsgrad für Verkehrsteilnehmer verbunden. Im Übrigen seien
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Verkehrsmaßnahmen mit einer möglichst hohen Präventivqualität zu planen und
anzuordnen, d. h. eventuell schädigende Ereignisse/Verkehrsunfälle dürften nicht
abgewartet werden. Die Verkehrssituation in diesem Bereich der B 264 sei durch die
starke Belastung besonders gefährdungs- und behinderungsevident. Nur dies könne
Ausgangslage für eine Entscheidung gegen die Linksabbiegeraktivitäten sein. Andere -
sachfremde - Erwägungen für die Zulassung von Linksabbiegerverkehr dürften im
Rahmen der Verkehrssicherungspflicht der Anordnungsbehörde keine Rolle spielen.
Auch andere Gefährdungspunkte (Tankstelle und Fruchthof) seien durch Unterbindung
der Linksabbiegermöglichkeit entschärft worden. Eine Unterbindung des
Linksabbiegerverkehrs werde mit Nachdruck gefordert.
In seiner Stellungnahme vom 30. März 2004 sprach sich der Landesbetrieb Straßenbau
NRW ebenfalls für ein Verbot von links ausfahrenden Fahrzeugen aus. Seinerseits sei
ebenfalls am 16. März 2004 (von 16.35 Uhr bis 17.20 Uhr) eine Verkehrsbeobachtung
durchgeführt und festgestellt worden, dass die B 264 in diesem Abschnitt mit einem
durchschnittlichen täglichen Verkehr (DTV) von 16.800 Kfz/24 Stunden belastet sei.
Zwar seien die von dem Beklagten ermittelten Zahlen zum Ein- und Abbiegeverkehr
grundsätzlich bestätigt worden, das Ergebnis sei jedoch um einige wesentliche
Feststellungen zu ergänzen. Die Zufahrt zum Q. sei durch den Rückstau in Fahrtrichtung
X1. wegen der Lichtzeichenanlage - X. - zu 60 % überstaut gewesen. In vier Fällen
hätten sich linksausfahrende Fahrzeuge nach Wartezeiten von über 1 Minute
umentschieden und seien als Rechtseinbieger abgefahren. In einem Fall habe ein
Fahrzeug provokativ den Fahrstreifen in Richtung Zentrum zugesetzt, bis ihm in
Fahrtrichtung X1. eine Lücke gelassen worden sei. In drei Fällen seien Linksabbieger
über die Sperrgatterfläche am Beginn der Linksabbiegespur vor der Kreuzung - X. -
eingebogen und hätten im hinteren Aufstellbereich mit gesetztem Blinker nach rechts
gestanden und das Einfahren in den Linksabbiegestreifen für den Durchgangsverkehr
blockiert und auf eine Lücke im Geradeausfahrstreifen gewartet. An der eigentlichen
Grundstücksgrenze seien keine Sichtweiten nach links oder rechts vorhanden.
Sichtweiten entstünden erst nach dem Vorfahren an die Bordsteinlinie. Durch den
linksausfahrenden Verkehr werde der komplette Gehweg für den Fußgängerverkehr
deutlich länger als durch den rechtsausfahrenden Fahrzeugverkehr gesperrt. Im
Beobachtungszeitraum habe reger Fußgängerverkehr geherrscht. Bei ca. jedem dritten
ausfahrenden Fahrzeug sei es zu Konflikten mit Fußgängern gekommen. In zwei Fällen
seien Fußgänger an den wartenden Fahrzeugen vorbei über die Fahrbahn
vorbeigegangen. Mit Blick auf die heutige Straßenbreite hätten sich für den
linkseinbiegenden Verkehr auf dem Parkplatz keine Probleme ergeben. Da eine
Leistungssteigerung an der Lichtzeichenanlage - X. - und damit eine Vermeidung von
Rückstaus auf der B 264 im notwendigem Maße nicht möglich sei, bleibe nur ein Verbot
für linksausfahrende Fahrzeuge von dem Parkplatz.
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Die Klägerin machte mit Schreiben vom 15. März 2004 gegenüber dem Beklagten
geltend, dass sie bereits bei früheren Verhandlungen auf das Erfordernis einer
uneingeschränkten Zu- und Abfahrt zu dem Grundstück hingewiesen habe. Dies sei vor
dem Hintergrund des doch erheblichen Wettbewerbs in F. absolut notwendig. Sämtliche
Zu- und Abfahrtsoptionen seien in die Genehmigungsunterlagen aufgenommen worden
und die Klägerin habe sich im Übrigen an sämtliche Vereinbarungen und Verträge
hinsichtlich der Umsetzung des Projekts gehalten.
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Anlässlich einer Besprechung bei dem Beklagten am 17. März 2004 mit der Polizei, der
Klägerin und dem Landesbetrieb Straßenbau NRW konnte keine Einigung hinsichtlich
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der Verkehrssituation zum Q. -Markt erreicht werden. Der Kreis B. forderte den
Beklagten unter dem 14. April 2004 unter Hinweis auf die Stellungnahmen der Polizei
und des Landesbetriebes Straßenbau NRW auf, eine verkehrsrechtliche Anordnung
gemäß § 45 StVO mit einem Linksabbiegeverbot für die Ausfahrt des Q. -
Verbrauchermarktes zu treffen. Dies lehnte der Beklagte ab, da er weiterhin eine
Notwendigkeit für ein Linksabbiegeverbot nicht sehe.
Die Klägerin teilte dem Beklagten unter dem 11. Mai 2004 mit, dass eine behördliche
Auflage, die dazu führe, dass die Kunden nicht mehr aus allen Richtungen den Markt
erreichen könnten, ihre Investitionen vernichten würden. Trotz intensiver
Kundenbesuche sei bisher kein Unfallgeschehen bekannt geworden. Der
Verbrauchermarkt könne nur dann dauerhaft funktionieren, wenn die Kunden möglichst
ohne Barrieren den Parkplatz erreichen könnten.
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Der Kreis B. legte den Vorgang der Bezirksregierung L. zur Entscheidung vor. Mit
Verfügung vom 23. Juni 2004 wies die Bezirksregierung L. den Beklagten an, die
Anordnung des Kreises B. vom 14. April 2004 betreffend die verkehrsrechtliche
Anordnung gemäß § 45 StVO für ein Linksabbiegeverbot an der Ausfahrt Q. -Markt
umgehend umzusetzen. Die Anordnung des Kreises B. sei nicht zu beanstanden. Nach
zwei örtlichen Prüfungen durch ihren zuständigen Verkehrsingenieur am 10. und 11.
Mai 2004 sei festgestellt worden, dass die Zu- und Ausfahrt aus Richtung Stadtmitte
zum Q. -Markt an der B 264 unproblematisch sei. Ebenso sei die Zufahrt aus Richtung
X1. unbedenklich. Schwierigkeiten entstünden bei der Ausfahrt vom Verbrauchermarkt
in Richtung X1. . Aufgrund der Verkehrsbelastung der B 264 und der Nähe zur
signalisierten Kreuzung - X. - entstünden für von dem Parkplatz linksabbiegende
Verkehrsteilnehmer größere Wartezeiten. Die Folge sei, dass diese Verkehrsteilnehmer
besonders während der Verkehrsspitzenzeiten provokativ als Linksabbieger ausfahren
und dadurch den Durchgangsverkehr und auch die Fußgänger gefährden würden.
Dieses Gefährdungspotenzial sei bereits im Vorfeld von der Polizei und dem
Landesbetrieb Straßenbau NRW aufgezeigt, aber bei der verkehrsrechtlichen
Anordnung nicht berücksichtigt worden. Verkehrsmaßnahmen seien nicht nur unter dem
Gesichtspunkt der aktuellen Gefährdung zu betrachten, sondern auch mit einer
möglichst hohen Präventivqualität zu planen, anzuordnen und durchzuführen.
Insbesondere im Straßenbereich mit hoher Verkehrsbelastung sei dies zu
berücksichtigen.
14
Der Beklagte ordnete mit Verfügung vom 7. Juli 2004 gemäß § 45 StVO für die B 264/E.
Straße auf dem Gehweg im Bereich der Ausfahrt des Geländes Q. - Markt rechts die
Aufstellung des Verkehrszeichens 209-20 (vorgeschriebene Fahrtrichtung rechts) an.
Zur Begründung führte er aus, dass gemäß der Weisung der Bezirksregierung vom 23.
Juni 2004 die Aufstellung des Verkehrszeichens zur Minimierung des
Gefahrenpotenzials zwingend erforderlich sei.
15
Das Verkehrszeichen wurde am 6. August 2004 aufgestellt.
16
Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies der Kreis B. mit
Widerspruchsbescheid 4. Februar 2005 zurück. Die Anordnung des Verkehrszeichens
erfolge gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO und berücksichtige § 45 Abs. 9 StVO. Danach
seien Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen, wo dies
aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten sei. Die Einrichtung eines
Rechtsabbiegegebotes erfolge zur Minimierung des Gefahrenpotenzials im betreffenden
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Bereich und sei aus diesem Grund zwingend erforderlich. Einer konkreten Gefahr
bedürfe es bei dem Erlass einer verkehrsrechtlichen Anordnung nicht.
Verkehrsrechtliche Maßnahmen seien nicht nur unter dem Gesichtspunkt der aktuellen
Gefährdung zu betrachten, sondern auch mit einer möglichst hohen Präventivqualität zu
planen, anzuordnen und durchzuführen. Insbesondere sei die Verkehrsbelastung im
Bereich der B 264 zu berücksichtigen. Nach zwei örtlichen Prüfungen durch den
zuständigen Verkehrsingenieur habe die Bezirksregierung L. Schwierigkeiten bei der
Ausfahrt vom Verbrauchermarkt in Richtung X1. festgestellt. Nach nochmaliger Prüfung
der Verkehrsanbindung des Q. -Marktes an die B 264 in einem Ortstermin am 14. Januar
2005 durch die Widerspruchsbehörde sei festgestellt worden, dass im Hinblick auf die
kurze Distanz zur bestehenden Lichtzeichenanlage - X. - für linksabbiegende
Fahrzeuge aus dem Verbrauchermarkt in den stehenden Rückstau im Bereich der
Lichtzeichenanlage eine direkte Einfädelung in den Geradeausverkehr in Richtung X1.
ohne eine erhebliche Gefährdung der Verkehrsteilnehmer nicht möglich sei. Durch die
verkehrsrechtliche Anordnung werde zum einen die Gefährdung sowohl für den vom
Verbrauchermarkt ausfahrenden Verkehrsteilnehmer als auch für den sich auf der
vielbefahrenen B 264 befindenden Verkehrsteilnehmer verringert. Überdies werde
dadurch angesichts der Verkehrsbedeutung dieser Straße dem öffentlichen Interesse an
einem möglichst ungehinderten Verkehrsfluss Rechnung getragen.
Die Klägerin hat am 28. Februar 2005 Klage erhoben und ausgeführt, dass die nach §
45 StVO erforderliche konkrete Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des
Straßenverkehrs nicht gegeben sei. Zwar sei die Rechtsprechung bezüglich des
Begriffs der konkreten Gefahr nicht einheitlich, jedoch komme es darauf an, ob im
konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
Schadensfälle eintreten werden. Daran fehle es. Insbesondere in der Besprechung bei
dem Beklagten am 17. März 2004 habe die Polizei lediglich generell auf die Problematik
bei Linkseinbiegebeziehungen hingewiesen. Sie habe keinen Nachweis einer
Gefahrenlage im Einzelfall erbracht, sondern allenfalls eine abstrakte Gefahr aufgezeigt.
Auch die angegriffenen Bescheide ließen keinen Rückschluss auf eine konkrete Gefahr
zu. Beschrieben würden lediglich größere Wartezeiten, die jedoch keinen Rückschluss
im konkreten Einzelfall auf den Eintritt eines Schadensfalles zuließen. Auch habe die
Verkehrszählung des Beklagten keine Auffälligkeiten gezeigt. Ebenfalls habe die
Polizei in dem genannten Gespräch keine Unfälle in den ersten vier Monaten benennen
können. Das Nichtvorliegen von Unfällen sei als Indiz dafür anzusehen, dass in diesem
Einzelfall keine Gefahrenlage bestehe. Neben den fehlenden
Tatbestandsvoraussetzungen für eine Anordnung nach § 45 StVO sei die Anordnung
auch ermessensfehlerhaft. Die Belange des Straßenverkehrs bzw. der Straßennutzer
hätten mit den privaten Belangen der Klägerin und des Q. -Markt- Betreibers sowie
dessen Kunden abgewogen werden müssen. Mit der Anordnung des Verkehrszeichens
sei der Standort des Q. -Marktes E. Straße in seiner Existenz gefährdet. Mit Schreiben
vom 8. Juli 2004 habe die Q. Warenhandelsgesellschaft mbH der Klägerin mitgeteilt,
dass in der Einschränkung der Abfahrtsregelung ein Wegfall der Geschäftsgrundlage für
den Mietvertrag gesehen werde. Die Erreichbarkeit bzw. die Zu- und Abfahrt sei eines
der entscheidensten Kriterien hinsichtlich der Funktionalität von modernen
Handelsstandorten. Die Belange der Klägerin seien vorliegend nicht berücksichtigt
worden. Eine Abwägung habe nicht stattgefunden.
18
Die Klägerin beantragt,
19
den Bescheid des Beklagten vom 7. Juli 2004 und den Widerspruchsbescheid des
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Landrats des Kreises B. vom 4. Februar 2005 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
21
die Klage abzuweisen.
22
Zur Begründung nimmt er Bezug auf die angefochtenen Bescheide.
23
Das Gericht hat die Beteiligten auf seine rechtliche Bedenken im Hinblick auf die nach §
45 StVO erforderliche Ermessensentscheidung hingewiesen. Der Beklagte hat dazu
ausgeführt, dass die Verkehrsanordnung wegen der problematischen Ausfahrtsituation
von dem Verbrauchermarkt in Richtung X1. erforderlich gewesen sei. Aufgrund der
Verkehrsbelastung der B 264 und der Nähe zur signalisierten Kreuzung - X. - hätten für
den Parkplatz des Verbrauchermarktes linksabbiegende Verkehrsteilnehmer größere
Wartezeiten gehabt. Folge sei gewesen, dass diese Verkehrsteilnehmer besonders
während der Verkehrsspitzenzeiten provokativ als Linksabbieger ausgefahren und
dadurch den Durchgangsverkehr und auch die Fußgänger gefährdet hätten. Allein
schon angesichts dieser Sicherheitsaspekte sei ein ungeregeltes Ausfahren vom
Verbrauchermarkt nicht hinzunehmen gewesen. Eine Verkehrsanordnung sei somit
notwendig und auch geeignet gewesen. Handlungsalternativen, die die Klägerin
weniger belastet hätten, seien nicht erkennbar gewesen und auch derzeit nicht
ersichtlich. Die von der Klägerin ins Gespräch gebrachte Anordnung einer
Lichtzeichenanlage sei eine wesentlich gravierendere Maßnahme, die zudem auch
nicht geeignet gewesen wäre, dem Konflikt zwischen dem die Ausfahrt aus dem
Gelände des Verbrauchermarktes begehrenden Verkehr und dem die B 264 nutzenden
Verkehr angemessen zu begegnen. Die Verkehre aus dem Ortsteil X1. in Richtung
Innenstadt wären angesichts der vorgelagerten Ampelsituation an der Kreuzung X.
sowie der sich unmittelbar dahinter befindlichen Bushaltestelle bei Einrichtung einer
weiteren Ampelsituation im Einmündungsbereich des Verbrauchermarktes
unangemessen benachteiligt. Vor diesem Hintergrund stelle sich die Anordnung als
ermessensfehlerfrei und damit rechtmäßig dar.
24
Wegen des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf die beigezogenen
Verwaltungsvorgänge des Beklagten, des Kreises B. und der Bezirksregierung L. Bezug
genommen.
25
Entscheidungsgründe:
26
Die Klage hat Erfolg.
27
Zunächst ist die gegen die Anordnung des Verkehrszeichen gerichtete
Anfechtungsklage zulässig. Verkehrsrechtliche Anordnungen sind nach ständiger
höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung, vgl. etwa Bundesverwaltungsgericht
(BVerwG), Urteile vom 13. Dezember 1979 - 7 C 46/78 -, BVerwGE 59 S. 221, vom 27.
Januar 1993 - 11 C 35/92 -, BVerwGE 92 S. 32 und vom 21. August 2003 - 3 C 15/03 -,
NJW 2004 S. 698; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG
NRW), Beschluss vom 12. Februar 1997 - 25 B 2562/96 -, NJW 1998 S. 329; Sauthoff,
Straße und Anlieger, 2003, § 22 Rz. 1090, 1091; Hentschel, König, Dauer,
Straßenverkehrsrecht, 40. Auflg., 2008, § 41 StVO Rz. 246ff; jeweils m.w.Nw.,
28
Verwaltungsakte in Form einer Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 Satz 2 des
29
Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), wenn sie - wie vorliegend das
Verkehrszeichen 209 (vorgeschriebene Fahrtrichtung) - Gebote oder Verbote nach § 41
der Straßenverkehrsordnung (StVO) aussprechen.
Die Klägerin ist als Eigentümerin eines Gewerbegrundstücks und Anliegerin auch
klagebefugt i.S. von § 42 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da das
angegriffene Verkehrszeichen eine Regelung der Ausfahrt von ihrem Grundstück trifft
und sie das Fehlen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Verkehrsregelung
sowie die Nichtberücksichtigung ihrer Interessen in der Ermessensentscheidung
geltend macht. Verkehrsteilnehmer sowie Anwohner und Anlieger können als eine
Verletzung ihrer Rechte geltend machen, dass die rechtssatzmäßigen Voraussetzungen
für eine auch sie treffende Verkehrsbeschränkung nach einer der in § 45 StVO
enthaltenen Ermächtigungen nicht gegeben seien. Anlieger können grundsätzlich die
Verletzung geschützter Individualinteressen geltend machen. Hinsichtlich der
behördlichen Ermessensausübung können sie allerdings nur verlangen, dass ihre
eigenen Interessen ohne Rechtsfehler abgewogen werden mit den Interessen der
Allgemeinheit und anderer Betroffener, die für die Verkehrsbeschränkung sprechen, vgl.
BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1993 - 2 C 35/92 -, NJW 1993 S. 17 29; OVG NRW,
Urteil vom 9. August 1999 - 8 A 403/99 -, NRWE und Beschluss vom 12. Februar 2007 -
25 B 2562/96 -, NJW 1998 S. 329; Sauthoff, Straße und Anlieger, 2003, § 22 Rz. 1099 ff;
Hentschel, König, Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflg., 2008, § 41 StVO Rz. 247;
jeweils m.w.Nw..
30
Die Klage ist auch begründet.
31
Die verkehrsrechtliche Anordnung des Beklagten betreffend das Verkehrszeichen 209-
20 (vorgeschriebene Fahrtrichtung rechts) vom 7. Juli 2004 und der
Widerspruchsbescheid des Landrates des Kreises B. vom 4. Februar 2005 sind
rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
32
Maßgebend für die rechtliche Beurteilung dieser Anordnung sind nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung die Verhältnisse im Zeitpunkt der mündlichen
Verhandlung, da es sich bei der streitgegenständlichen Anordnung um einen
verkehrsregelnden Dauerverwaltungsakt handelt, vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar
1993 - 2 C 35/92 -, a.a.O. und Sauthoff, Straße und Anlieger, 2003, § 22 Rz. 1106.
33
Nach Auffassung der Kammer sind zwar die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein
Rechtsabbiegegebot bzw. Linksabbiegeverbot - auch derzeit - gegeben, die
Entscheidung ist jedoch ermessensfehlerhaft.
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Rechtsgrundlage für die angefochtene verkehrsrechtliche Anordnung ist § 45 Abs. 1
Satz 1 StVO, wonach die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen
oder Straßenstrecken aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung des
Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten können. Die Vorschrift
setzt eine Gefahrenlage für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs voraus, nach der
irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
Schadensfälle eintreten können. Eines Nachweises, dass jederzeit mit einem
Schadenseintritt zu rechnen ist, bedarf es dafür nicht. Ob eine derartige
Gefahrensituation besteht, beurteilt sich danach, ob die konkrete Situation an einer
bestimmten Stelle oder Strecke einer Straße die Befürchtung nahelegt, dass -
möglicherweise durch Zusammentreffen mehrerer gefahrenträchtiger Umstände - die zu
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bekämpfende Gefahrenlage eintritt. Nicht relevant ist, dass zu bestimmten Zeiten der
Eintritt eines Schadens unwahrscheinlich ist, vgl. BVerwG, Urteil vom 3. April 1996 - 11
B 11/96 - , NJW 1996, 333 m.w.Nw. zur Rspr. des BVerwG; Sauthoff, Straße und
Anlieger, 2003, § 22 Rz. 1050 und 898; Hentschel, König, Dauer, Straßenverkehrsrecht,
40. Auflg., 2008, § 45 StVO Rz. 28; jeweils m.w.Nw..
Zu berücksichtigen ist ferner § 49 Abs. 9 Satz 1 StVO, wonach Verkehrszeichen und -
einrichtungen nur dort anzuordnen sind, wo dies aufgrund der besonderen Umstände
zwingend geboten ist. Die Vorschriften des § 49 Abs. 9 Satz 1 und Satz 2 StVO (der
Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs betrifft) modifizieren und
konkretisieren die Ermächtigungsgrundlage des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO. Sie betreffen
nicht die Ermessensausübung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO, sondern stellen nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung erhöhte Anforderungen an dessen
Tatbestandsvoraussetzungen,
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vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 5. April 2001 - 3 C 23/00 -, NJW 2001, 3139; und Sauthoff,
Straße und Anlieger, 2003, § 22 Rz. 901 f., 903; Hentschel, König, Dauer,
Straßenverkehrsrecht, 40. Auflg., 2008, § 45 StVO Rz. 28, 28 a.
37
Auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 Satz 1 oder 2 StVO steht
daher die Entscheidung weiterhin im Ermessen der Straßenverkehrsbehörde.
38
Eine derartige - auf besonderen Umständen beruhende - Gefahrensituation war durch
die uneingeschränkten Linksabbiegemöglichkeiten im Bereich der Aus- bzw. Zufahrt
des Q. -Marktes von und zur B 264/E. Straße gegeben. Die besondere örtliche Situation
in diesem Bereich stellt aus Sicht der Kammer eine Gefahr für die Sicherheit des
Verkehrs dar, die grundsätzlich eine Unterbindung der Linksabbiegemöglichkeit
rechtfertigt. Die Kammer teilt insoweit die im Verwaltungsverfahren im Einzelnen
dargelegten Einschätzungen der Gefahrenlage durch die Polizei, den Landesbetrieb
Straßenbau NRW, den Landrat des Kreises B. und die Bezirksregierung L. , die
größtenteils auf eigenen Verkehrsbeobachtungen beruhen. Zusätzlich zu dem Umstand,
dass ein Linksabbiegen durch einen Verkehrsteilnehmer bereits dem Grunde nach eine
erhöhte Aufmerksamkeit erfordert, ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der B 264/E.
Straße um eine Straße mit einem hohen Verkehrsaufkommen handelt, die in diesem
Bereich teilweise dreispurig verläuft, wobei es sich bei der dritten Fahrspur jeweils um
eine Linksabbiegespur handelt. Eine erhöhte Unfallgefahr in diesem Bereich folgt aus
der gleichzeitigen Nähe der Ausfahrt des Q. -Marktes zur Kreuzung T.--straße /X. , der in
dieser Richtung befindlichen weiteren Linksabbiegspur sowie der Bushaltestelle in der
Nähe der Ausfahrt des Q. -Marktes. Hinzu kommt, dass die ein- und ausfahrenden
Fahrzeuge zum und vom Q. -Markt den Fußgänger- und zusätzlich den
Radfahrerverkehr auf dem Gehweg vor der Ausfahrt beachten müssen. Nach Angaben
der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung ist der Radweg erst nach Klageerhebung
fertiggestellt worden. Es ist für die Kammer ohne weiteres nachvollziehbar, dass gerade
für die von dem Parkplatz des Q. -Marktes ausfahrenden Linksabbieger in Zeiten
erhöhten Verkehrsaufkommens auf Grund des entstehenden Rückstaus und der
gleichzeitig den Q. -Markt anfahrenden Fahrzeuge nicht unerhebliche Wartezeiten
entstehen und diese Linksabbiegemöglichkeit zu einer Erhöhung der Unfallgefahren
beiträgt. Diese Einschätzung wird auch nicht dadurch entkräftet, dass es in den ersten
Monaten nach Eröffnung des Q. -Marktes und vor Aufstellung des Verkehrszeichens
nicht zu Verkehrsunfällen gekommen ist, da es nur darauf ankommt, ob eine
hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es in diesem Verkehrsbereich
39
ohne die Unterbindung der Linksabbiegemöglichkeit zu Verkehrsunfällen kommen
kann. Dies kann nach den Ausführungen der oben genannten Behörden bejaht werden.
Dabei ist unerheblich, ob auch andere Ursachen zu einer Erhöhung der Unfallgefahr
beitragen; es genügt, dass die Linksabbiegemöglichkeit von der Ausfahrt des Q. -
Marktes mitursächlich für die Gefährdung der Sicherheit des Verkehrs ist.
Die verkehrsrechtliche Anordnung ist jedoch ermessensfehlerhaft.
40
Die der Straßenverkehrsbehörde nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO obliegende
Ermessensentscheidung, ob und mit welchem Mittel sie bei Vorliegen der
Tatbestandsvoraussetzungen eine verkehrsrechtliche Anordnung trifft, unterliegt nur
einer eingeschränkten gerichtlichen Überprüfung, nämlich ob die gesetzlichen Grenzen
des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der
Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist, § 114 Satz 1
VwGO.
41
Zunächst geht das Gericht davon aus, dass kein Fall des Ermessensausfalls, d.h. einer
Nichtausübung des Ermessens vorliegt, obwohl die angefochtene verkehrsrechtliche
Anordnung des Beklagten vom 7. Juli 2004 und die Weisung der Bezirksregierung L.
vom 23. Juni 2004, auf die sich der Beklagte bezieht, keine Ermessensbetätigung
erkennen lassen, vgl. zur Berücksichtigung von Ermessenserwägungen der
Weisungsbehörde: Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Auflg. 2006, § 114 Rz. 115 und
Gerhardt in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Oktober 2008, § 114 Rz.
17.
42
da sich die Weisung ausschließlich mit dem Vorliegen einer Gefahrenlage befasst. Es
lässt sich lediglich dem streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid des Landrates
des Kreises B. vom 4. Februar 2005 eine Ermessensausübung entnehmen.
43
Diese Ermessensausübung ist jedoch unzureichend. Das Gericht hat insoweit zu
prüfen, ob die Behörde die schützenswerten Interessen des Klägers mit den gegen-
überstehenden öffentlichen und privaten Interessen ordnungsgemäß abgewogen hat,
d.h. ob sie die betroffenen Belange der Klägerin erkannt, in die Abwägung mit dem
ihnen zukommenden Gewicht eingestellt hat und ob die Entscheidung dem Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit entspricht. Die geschützten Individualinteressen sind bei der
Anordnung zur Verhinderung des Linksabbiegens in ähnlicher Weise wie bei einer
Planungsentscheidung zu berücksichtigen,
44
vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 10. Dezember 1990 - 1 B 65/90 - , NVwZ-RR 1991,
217; Sauthoff, Straße und Anlieger, 2003, § 22 Rz. 1071, 943.
45
Zu den geschützten Interessen gehören auch das Eigentum i.S. des Art. 14 des
Grundgesetzes (GG) an dem Grundstück, das von der verkehrsrechtlichen Anordnung
betroffen ist, sowie der Anliegergebrauch. Allerdings stellt § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO
insoweit eine lnhalts- und Schrankenbestimmung i.S. des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar,
und der Anlieger muss grundsätzlich die mit § 45 StVO verbundenen
Verkehrsregelungen hinnehmen. Schutzwürdig ist daher nur der Kern des
Anliegergebrauchs, vgl. dazu auch BVerwG, Urteil vom 11. Mai 1999 - 4 VR 7/99 -,
NVwZ 1999, 1341; OVG NRW, Beschluss vom 27. September 2005 - 8 A 2947/03 -,
NRWE; Sauthoff, Straße und Anlieger, 2003, § 22 Rz. 918.
46
Ein Abwehrrecht steht dem Anlieger nur soweit zu, wie die angemessene Nutzung des
Grundeigentums eine Verbindung bzw. Nutzung der Straße erfordert. Welche
Nutzungsmöglichkeiten in diesem Sinne angemessen sind, richtet sich unter
Berücksichtigung der Rechtslage nach den durch die tatsächliche Grundstückssituation
bestimmten Bedürfnissen, vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Mai 1999 - 4 VR 7/99 -, a.a.O. mit
Hinweis auf die frühere Rspr. d. BVerwG etwa mit Urteil vom 29. April 1977 - 4 C 15/75 -,
BVerwGE 54, 1.
47
Grundsätzlich geschützt ist insbesondere die ausreichende Möglichkeit, das Grundstück
mit Kraftfahrzeugen zu erreichen. Bei Gewerbegrundstücken - wie vorliegend - gehört
zum Recht auf Anliegergebrauch, dass das Grundstück auch mit den für das Gewerbe
notwendigen Lastkraftwagen sicher und vorschriftgemäß angefahren bzw. verlassen
werden kann. Dieser Kernbereich des Anliegergebrauchs wird jedoch durch die
streitgegenständliche Unterbindung des Linksabbiegens nicht verletzt, da die
Anbindung an das allgemeine Straßennetz in ausreichender Weise erhalten bleibt.
Insoweit ist ausreichend, dass ein Gewerbegrundstück im "Rechts- rein/Rechts-raus-
Verkehr" angefahren bzw. verlassen werden kann,
48
vgl. etwa OVG Bremen, Beschluss vom 10. Dezember 1990 - 1 B 65/90 -, NVwZ-RR
1991, 217.
49
Allerdings bedeutet der Umstand, dass durch eine verkehrsregelnde Maßnahme der
Anliegergebrauch nicht tangiert ist, nicht, dass schützenswerte sonstige Interessen des
Anliegers nicht in die Abwägung eingestellt werden müssten. So kann etwa das
wirtschaftliche Interesse an der Aufrechterhaltung einer die Erwerbschancen eines
Gewerbebetriebes fördernden Verkehrslage des Gewerbegrundstücks bzw. eine auf
Grund der Verbindung zwischen Grundstück und Straße bestehende werbende und
Kunden anziehende Situation in den Abwägungsprozess aufzunehmen sein. Die
Klägerin hatte insoweit bereits im Verwaltungsverfahren auf die Bedeutung der
Verkehrslage und einer uneingeschränkten An- und Ausfahrt für die wirtschaftliche
Attraktivität des Gewerbegrundstücks, die Wettbewerbsfähigkeit in diesem Gebiet und
die Existenz des Q. -Marktes hingewiesen. Diese Belange sind aber von keiner
behördlichen Entscheidung berücksichtigt oder abgewogen worden.
50
Die unzureichende Ermessensabwägung ist weder nach dem Hinweis des Gerichts -mit
gerichtlicher Verfügung vom 26. September 2008- noch im Anschluss an die
Ausführungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu den aus ihrer Sicht
bestehenden Auswirkungen der Verkehrssituation auf die wirtschaftlichen Lage des Q. -
Marktes durch den Beklagten gemäß § 114 Satz 2 VwGO und schließlich auch nicht auf
erneute Nachfrage des Gerichts ergänzt worden. Der Schriftsatz des Beklagten vom 12.
Januar 2009 lässt nicht erkennen, dass der Beklagte diese Belange der Klägerin
eingestellt und abgewogen hat.
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Zugunsten des Beklagten kann schließlich nicht davon ausgegangen werden, dass sich
das Ermessen auf die Entscheidung für eine Unterbindung der Linksabbiegemöglichkeit
von dem Grundstück der Klägerin als die einzig richtige Entscheidung reduziert hat,
mithin eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Eine derartige
Ermessensschrumpfung auf die hier streitgegenständliche Verkehrsanordnung folgt
auch nicht aus der oben dargelegten Gefahrenlage. Diese mag zwar ein Einschreiten
der Straßenverkehrsbehörde nahe legen. Mit welchen Maßnahmen jedoch die
Straßenverkehrsbehörde diese Gefahrenlage bekämpft, hat sie unter Berücksichtigung
52
der Geeignetheit, der Verhältnismäßigkeit und unter Abwägung der jeweils betroffenen
Belange zu entscheiden. Im Übrigen lässt sich auch den behördlichen Entscheidungen
und den Ausführungen des Beklagten im gerichtlichen Verfahren nicht entnehmen, dass
die an der verkehrsrechtlichen Anordnung beteiligten Behörden von einer derartigen
Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen sind.
Danach war die Klage abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
54
Die übrigen Nebenentscheidungen folgen aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711
der Zivilprozessordnung (ZPO).
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