Urteil des VG Aachen vom 10.04.2007

VG Aachen: wirtschaftliche tätigkeit, wissenschaft und forschung, hilfskraft, eugh, arbeitsmarkt, öffentliches interesse, stationäre behandlung, vorübergehende beschäftigung, hochschule

Verwaltungsgericht Aachen, 8 K 1769/05
Datum:
10.04.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Aachen
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 K 1769/05
Tenor:
Der Beklagte wird verpflichtet, den Klägern eine - deklaratorische -
Aufenthaltserlaubnis zum Nachweis ihres Aufenthaltsrechts nach dem
Assoziationsabkommen EWG/Türkei ab dem 3. Juli 2004 zu erteilen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig
vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der
Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d :
1
Die Kläger sind türkische Staatsangehörige. Der Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. sind
Eheleute, der am 22. März 1996 in der Türkei geborene Kläger zu 3. und der am 20. Juli
2001 in B. geborene Kläger zu 4. sind ihre gemeinsamen Kinder.
2
Der Kläger zu 1. reiste am 15. September 1995 mit einem Visum zu Studienzwecken in
die Bundesrepublik Deutschland ein. In der Folgezeit war er fortlaufend im Besitz von
Aufenthaltsbewilligungen, zunächst zur Teilnahme an einem Deutschkurs,
anschließend zum Studium im Studiengang "Bauingenieurwesen" an der S. -X. U.
Hochschule B. (S1. B. ), an der er seit dem Wintersemester 1997/1998 als Studierender
eingeschrieben ist. Die letzte Aufenthaltsbewilligung war bis zum 30. September 2004
befristet. Seit Oktober 1998 waren die Aufenthaltsbewilligungen jeweils versehen mit
der Auflage: "Nebentätigkeiten bis zu 3 Monaten jährlich erlaubt, arbeitserlaubnisfreie
Tätigkeiten an der Hochschule erlaubt, weitere Erwerbstätigkeit untersagt".
3
Am 25. September 2000 reisten die Klägerin zu 2. und der Kläger zu 3. mit einem Visum
zur Familienzusammenführung ins Bundesgebiet ein. Sie erhielten ebenso wie der
später geborene Kläger zu 4. Aufenthaltsbewilligungen im Rahmen des Aufenthalts des
Ehemannes bzw. Vaters, zuletzt gültig ebenfalls bis zum 30. September 2004.
4
Mit anwaltlichem Schreiben vom 17. Februar 2004 beantragte der Kläger zu 1. die
Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis und ergänzend mit Schreiben vom 5.
März 2004 die Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis gestützt auf das
Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (Assoziationsabkommen EWG/Türkei). Am
27./28. September 2004 beantragten die Kläger darüber hinaus die Verlängerung ihrer
Aufenthaltsbewilligungen. Sämtliche Anträge sind bis heute unbeschieden.
5
Unter dem 22. November 2004 hörte der Beklagte den Kläger zu 1. zur beabsichtigten
Versagung der Erteilung einer befristeten sowie unbefristeten Aufenthaltserlaubnis an.
Zur Begründung führte er aus, ein Anspruch auf unbefristete Aufenthaltserlaubnis
bestehe nicht, weil der Kläger zu 1. nicht seit 5 Jahren im Besitz einer
Aufenthaltserlaubnis sei. Der Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis stehe der
Regelversagungsgrund des § 7 Abs. 2 Nr. 2 des Ausländergesetzes (AuslG) entgegen.
Der Kläger zu 1. sei nämlich lediglich mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 11
Stunden beschäftigt und das dadurch erzielte Einkommen in Höhe von ca. 400 EUR
reiche zur Sicherung des Lebensunterhaltes der Familie nicht aus.
6
Mit anwaltlichem Schreiben vom 12. Mai 2005 beantragten der Kläger zu 1.
wiederholend und die Kläger zu 2. bis 4. erstmals die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) zum
Nachweis eines Aufenthaltsrechts nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei.
Ferner beantragten sie die Gestattung einer Erwerbstätigkeit jeder Art.
7
Ausweislich der im Verfahren vorgelegten Unterlagen war der Kläger zu 1. wie folgt
beschäftigt: Vom 3. Juli 1998 bis 5. September 1998, vom 2. August 1999 bis zum 4.
September 1999 und vom 26. Februar 2001 bis zum 21. April 2001 bei der Firma C1. als
Ferienbeschäftigter mit 35 Stunden/Woche. Daneben war er in der Zeit vom 3. Juli 2000
bis 31. Dezember 2000 sowie vom 1. Januar 2001 bis zum 30. Juni 2001 bei der
Forschungsgesellschaft für biomedizinische Technik e. V. - I. -Institut - als studentische
Hilfskraft zunächst mit 11 Stunden/Woche und ab dem 15. Mai 2001 mit 18
Stunden/Woche beschäftigt. Nach einer Umstrukturierung des I. -Institutes im Juni 2001
wurde er vom Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch den Rektor der S1. B. , im
Fachbereich "Biomedizinische Technologien" der Medizinischen Fakultät der S1. B. als
studentische Hilfskraft weiter beschäftigt. Die Beschäftigung erfolgte aufgrund von
aufeinander folgenden befristeten Dienstverträgen: Vom 1. Juli 2001 bis 30. November
2001, vom 1. Dezember 2001 bis zum 31. Mai 2002 und vom 1. Juni 2002 bis 31.
Dezember 2002 war der Kläger zu 1. weiter mit einer Stundenzahl von 18
Stunden/Woche beschäftigt. Die Wochenstundenzahl wurde in der Zeit vom 1. Januar
2003 bis zum 31. Mai 2003 auf 8 Stunden/Woche reduziert, weil der Kläger zu 1. in der
Zeit von Dezember 2002 bis Februar 2003 zusätzlich als studentische Hilfskraft bei der
Hochschuleinrichtung "Wasserbau und Wasserwirtschaft", und zwar im Dezember mit 1
Stunde/Woche und im Januar sowie Februar mit 11 Stunden/Woche zusätzlich tätig war.
In der Folgezeit, und zwar vom 1. Juni 2003 bis 30. November 2003, vom 1. Dezember
2003 bis 31. Dezember 2003, vom 1. Januar 2004 bis 30. Juni 2004 sowie vom 1. Juli
2004 bis 3. Juli 2004, war er wieder ausschließlich im Fachbereich "Biomedizinische
Technologien" der Medizinischen Fakultät der S1. B. mit 11 Stunden/Woche beschäftigt.
Die Vergütung betrug bei einer Wochenstundenzahl von 11 Stunden zuletzt 383,59
EUR brutto. Nach der Tätigkeit als studentische Hilfskraft war der Kläger zu 1. vom 2.
August 2004 bis zum 31. Juli 2006 bei dem Reinigungsunternehmen "H. O. " aufgrund
drei befristeter Arbeitsverträge beschäftigt. Daneben arbeitete er bis Februar 2006
8
gelegentlich für die Firma L. N. Systems GmbH. Seit Oktober 2006 ist er dort als
geringfügig Beschäftigter mit einer Wochenstundenzahl von 12 Stunden/Woche
angestellt. In der Zeit vom 28. Mai 2006 bis September 2006 war er infolge einer
Erkrankung, die eine stationäre Behandlung mit anschließenden
Rehabilitationsmaßnahmen erforderte, nicht arbeitstätig.
Die Kläger haben am 6. August 2005 Untätigkeitsklage erhoben. Sie machen geltend,
dem Kläger zu 1. stehe ein Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich
des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung einer
Assoziation (ARB 1/80) und den Klägern zu 2. bis 4. ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7
Abs. 1 ARB 1/80 zu. Der Kläger zu 1. habe 4 Jahre lang ununterbrochen
ordnungsgemäß gearbeitet. Aufgrund seiner Tätigkeit als studentische Hilfskraft mit
einer Stundenzahl von 8 bis 18 Stunden wöchentlich sei er als Arbeitnehmer im Sinne
des Gemeinschaftsrechts anzusehen und gehöre aufgrund dessen dem regulären
Arbeitsmarkt an. Die Höhe seines Einkommens, insbesondere die Frage, ob es zur
Deckung des Existenzminimums ausreiche, sei für die Zuerkennung der
Arbeitnehmereigenschaft ebenso unerheblich wie die Tatsache, ob ergänzend
Leistungen aus öffentlichen Mitteln bezogen würden. Er habe auch 4 Jahre lang bei
dem gleichen Arbeitgeber gearbeitet. Bei dem I. - Institut und dem Institut für
biomedizinische Technologien handle es sich um das gleiche wissenschaftliche Institut.
Ausweislich der Bescheinigung des I. -Instituts für biomedizinische Technik, Lehrstuhl
für angewandte Medizintechnik - medizinische Fakultät -, der S1. B. vom 28. August
2006 sei das I. -Institut zunächst als sog. An-Institut der S1. B. geführt worden, dessen
Träger die Forschungsgesellschaft für biomedizinische Technik e. V. gewesen sei.
Wegen Änderungen in der Finanzierung von An-Instituten im Jahre 2001 sei aufgrund
einer Vereinbarung zwischen dem seinerzeitigen Ministerium für Schule, Wissenschaft
und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, der S1. B. , dem Universitätsklinikum
B. und der Forschungsgesellschaft für biomedizinische Technik e. V. das I. -Institut als
An-Institut sowie dessen Trägerverein aufgelöst worden und als fakultätsübergreifende
Einrichtung der S1. B. fortgeführt worden. Weiter sei vereinbart worden, dass allen
Mitarbeitern des bisherigen I. - Instituts zur Fortführung der Tätigkeiten des vormaligen
An-Instituts in dessen ehemaligen Räumlichkeiten von der Medizinischen Fakultät der
S1. B. (wissenschaftliche Beschäftigte) bzw. von dem Universitätsklinikum B. (nicht-
wissenschaftliche Beschäftigte) unter tariflicher Besitzstandswahrung und Wahrung des
bisherigen Tätigkeitsfeldes Anschlussverträge angeboten werden. Die Tätigkeiten des
Klägers zu 1. seien sowohl vor als auch nach Auflösung des An- Instituts und dessen
Trägerverein im Projekt Mikrodiagonalpumpe (MDP) angesiedelt gewesen und hätten
die Vorbereitung, Durchführung und Bewertung von Experimenten, die Anwendung von
dazugehörigen Zeichnungsprogrammen wie CAD und Corel Draw sowie gelegentliche
Handarbeiten zu dem Projekt umfasst. Bei dieser Sachlage könne man nicht von einem
Arbeitgeberwechsel ausgehen, es handle sich vielmehr um einen Fall des
Betriebsübergangs. Die Tätigkeiten des Klägers zu 1. als studentische Hilfskraft seien
auch von den Aufenthaltsbewilligungen und den darin gemachten Auflagen gedeckt und
damit ordnungsgemäß gewesen. Die Arbeitserlaubnisfreiheit der Tätigkeit als
studentische Hilfskraft bei der S1. B. folge aus § 9 Nr. 8 der
Arbeitsgenehmigungsverordnung i.V.m. den Dienstanweisungen der Bundesanstalt für
Arbeit. Danach unterfielen auch die Tätigkeiten studentischer Hilfskräfte der
Arbeitsgenehmigungsfreiheit, wenn sie - wie in seinem Fall - überwiegend
wissenschaftliche Tätigkeiten umfassten. Der Kläger zu 1. sei nach Beendigung seiner
Tätigkeit als studentische Hilfskraft auch nicht aus dem Arbeitsmarkt ausgeschieden. Er
arbeite nach wie vor im Rahmen des ihm durch die Auflagen zur Fiktionsbescheinigung
9
gestatteten Umfangs.
Die Kläger beantragen,
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den Beklagten zu verpflichten, ihnen eine - deklaratorische - Aufenthaltserlaubnis zum
Nachweis ihres Aufenthaltsrechts nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ab
dem 3. Juli 2004 zu erteilen.
11
Der Beklagte beantragt,
12
die Klage abzuweisen.
13
Zur Begründung führt er aus, die vom Kläger zu 1. in der Vergangenheit ausgeübten
Tätigkeiten seien nicht geeignet, Rechte aus Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich ARB
1/80 zu begründen. Er sei nicht mehr als 4 Jahre ordnungsgemäß beschäftigt gewesen.
Die Tätigkeiten bei der Firma C1. könnten keine Berücksichtigung finden, weil sie nicht
mehr als 3 Jahre und zudem nicht ununterbrochen ausgeübt worden seien. Auch die
Beschäftigung bei der Forschungsgesellschaft für biomedizinische Technik e. V. habe
keine Rechte aus Art. 6 ARB 1/80 zu begründen vermocht, weil sie weniger als 1 Jahr
gewährt habe. Die Beschäftigung als studentische Hilfskraft bei der S1. B. bzw. dem
Land Nordrhein-Westfalen erreiche ebenfalls nicht den erforderlichen
Vierjahreszeitraum. Im Übrigen sei der Kläger zu 1. aufgrund dieser Tätigkeit schon
nicht als Arbeitnehmer im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 anzusehen. Die Tätigkeit
sei mit einer Stundenzahl von 8 bis 11 Stunden/Woche lediglich als geringfügig und von
lediglich untergeordneter Natur einzustufen. Jedenfalls aber habe der Kläger zu 1. mit
der Reduzierung der Wochenstundenzahl auf nur noch 8 Stunden/Woche seine
Arbeitnehmereigenschaft verloren und diese auch nicht durch die anschließende
Erhöhung auf 11 Stunden/Woche wieder erworben. Deshalb läge eine Unterbrechung
der anrechenbaren Zeiten vor, die auch nicht nach Art. 6 Abs. 2 ARB 1/80 unschädlich
sei. Selbst wenn man eine Wochenstundenzahl von 11 Stunden/Woche für die
Begründung der Arbeitnehmereigenschaft als ausreichend ansähe, läge eine
ununterbrochene Tätigkeit bei der S1. B. bzw. beim Land Nordrhein-Westfalen nur in der
Zeit von Juni 2003 bis Juli 2004 vor, so dass selbst bei Zusammenrechnung mit den
vorherigen Beschäftigungszeiten keine 4 Jahre erreicht seien. Ungeachtet dessen habe
der Kläger zu 1. einen etwaigen Anspruch aus Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich ARB
1/80 jedenfalls wieder verloren, weil er ab dem 30. Juni 2004 weder eine Beschäftigung
noch etwaige Arbeitsbemühungen nachgewiesen habe. Der für die Suche nach einer
neuen Beschäftigung noch als angemessen anzusehende Zeitraum sei hier jedenfalls
überschritten. Selbst wenn man den Kläger zu 1. noch als Arbeitnehmer betrachte, stehe
einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch entgegen, dass der
Kläger zu 1. nicht in der Lage sei, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie auf
Dauer ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu sichern. Zwar sei § 5 Abs. 1 Nr. 1
AufenthG nicht direkt anwendbar. Nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei sei
jedoch lediglich eine Gleichstellung assoziationsberechtigter türkischer Arbeitnehmer,
jedoch keine Besserstellung gegenüber Unionsbürgern beabsichtigt. Daher könne aus
dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei kein Aufenthaltsrecht abgeleitet werden,
wenn - wie hier - kein ausreichender Krankenversicherungsschutz und keine
ausreichenden Existenzmittel zur Verfügung stünden. Die von den Klägern vorgelegte
Verpflichtungserklärung des Herrn A. reiche für die Annahme der Sicherung des
Lebensunterhaltes einer vierköpfigen Familie nicht aus. Ferner lasse sich der Erklärung
des I. -Instituts vom 28. August 2006 nicht entnehmen, dass es sich bei der
14
Umstrukturierung des Instituts um einen Betriebsübergang in dem Sinne gehandelt
habe, dass von einer ununterbrochenen Tätigkeit des Klägers zu 1. bei dem gleichen
Arbeitgeber auszugehen sei. Nach Auflösung der Forschungsgesellschaft sei dem
Kläger zu 1. nämlich ein neuer Arbeitsvertrag von der S1. B. bzw. dem Land Nordrhein-
Westfalen angeboten worden. Dass es sich um die gleiche Tätigkeit am gleichen
Arbeitsplatz handle, sei unerheblich. Es habe gerade keine Übertragung eines
Betriebsteils und ein Eintritt in bestehende Rechte und Pflichten stattgefunden. Die
Tätigkeiten bei dem I. -Institut bzw. der S1. B. stellten schließlich auch keine
ordnungsgemäße Beschäftigung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 dar. Denn die der
Aufenthaltsbewilligungen beigefügten Auflagen ließen studentische Tätigkeiten an der
Hochschule jeweils nur in geringfügigem Maß zu, um gerade eine Verfestigung des nur
zu Studienzwecken erlaubten Aufenthalts und ein Hineinwachsen in den Arbeitsmarkt
mit der Folge eventueller assoziationsrechtlicher Aufenthaltsansprüche zu verhindern.
Die ganzjährig ausgeübte Tätigkeit des Kläger zu 1. habe die durch die Auflagen
entsprechend § 9 Nr. 9 ArGV maximal erlaubte Beschäftigungszeit von 3 Monaten
jährlich in jedem hier maßgeblichen Jahr überschritten. Die Tätigkeit als studentische
Hilfskraft falle insbesondere auch nicht unter den Anwendungsbereich der Vorschrift des
§ 9 Nr. 8 ArGV.
Am 9./12. Februar 2007 haben auf fernmündliche Nachfrage der Berichterstatterin das
Arbeitsamt B. die frühere Praxis der Arbeitsverwaltung zur Handhabung der
Arbeitserlaubnisfreiheit von Tätigkeiten ausländischer Studierender als studentische
Hilfskräfte sowie die S1. B. und das Universitätsklinikum B. die Verfahrensweise bei der
Einstellung ausländischer Studierender als studentische Hilfskräfte näher erläutert. Auf
den Inhalt des hierüber gefertigten und den Beteiligten zur Kenntnis gegebenen
Vermerks wird Bezug genommen.
15
In dem am 13. Februar 2007 durchgeführten Erörterungstermin haben die Beteiligten ihr
Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch die
Berichterstatterin erklärt.
16
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug
genommen.
17
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
18
Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch die Berichterstatterin
entscheiden, nachdem die Beteiligten sich mit dieser Vorgehensweise einverstanden
erklärt haben, vgl. §§ 87 a Abs. 2 und 3, 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO).
19
Die Klage hat Erfolg.
20
Sie ist als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig. Die Voraussetzungen für eine
abweichend von § 68 VwGO ohne Vorverfahren zulässige Verpflichtungsklage liegen
im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung vor. Die Dreimonatsfrist des § 75
Satz 2 VwGO war bei Klageerhebung am 6. August 2005 zwar zunächst allein
hinsichtlich des Erlaubnisantrags des Klägers zu 1. vom 5. März 2004 verstrichen. Die
Kläger zu 2. bis 4. haben erstmals am 12. Mai 2005 einen Antrag auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei gestellt. Ihre damit
21
verfrüht erhobene Klage ist jedoch mit Ablauf der Dreimonatsfrist in die Zulässigkeit
hineingewachsen. Der Beklagte hat bis heute nicht über die Anträge entschieden.
Die Klage ist auch begründet. Die Kläger haben einen Anspruch auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis zum Nachweis ihres Aufenthaltsrechts nach dem
Assoziationsabkommen EWG/Türkei gemäß § 4 Abs. 5 AufenthG ab dem 3. Juli 2004.
22
I. Dem Kläger zu 1. steht ein Aufenthaltsrecht nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 1 dritter
Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei vom 19.
September 1980 - ARB 1/80 - zu.
23
Nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 hat ein türkischer Arbeitnehmer, der dem regulären
Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat nach einem Jahr
ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei
dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt (erster
Gedankenstrich). Nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung hat er -
vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft
einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem
Arbeitgeber seiner Wahl zu bewerben (zweiter Gedankenstrich). Nach vier Jahren
ordnungsgemäßer Beschäftigung hat er freien Zugang zu jeder von ihm gewählten
Beschäftigung im Lohn- und Gehaltsverhältnis (dritter Gedankenstrich). Wie der
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (Gerichtshof) wiederholt entschieden
hat, erwachsen einem türkischen Arbeitnehmer, der die Voraussetzungen des Art. 6
Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt, nicht nur beschäftigungsrechtliche Ansprüche, sondern zugleich
auch diejenigen aufenthaltsrechtlichen Rechte, deren er bedarf, um seine
beschäftigungsrechtlichen Ansprüche effektiv wahrzunehmen,
24
vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), Urteile vom 19. November
2002 - Rs. C-188/00 - (Kurz), Slg. 2002, I- 10691 und vom 26. November 1998 - Rs. C-
1/97 - (Birden), Slg. 1998, I-7747.
25
Der Kläger zu 1. gehörte als türkischer Arbeitnehmer (1.) dem regulären deutschen
Arbeitsmarkt an (2.), war dort vier Jahre lang ordnungsgemäß beschäftigt (3.), hat zuvor
nacheinander die drei Verfestigungsstufen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 durchlaufen (4.)
und die damit erworbene stärkste Rechtsstellung des dritten Gedankenstrichs auch nicht
nachträglich durch Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt wieder verloren (5.).
26
1. Der Kläger zu 1. ist - jedenfalls seit Juli 2000 - Arbeitnehmer im Sinne des Art. 6 Abs.
1 ARB 1/80. Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung aus dem Wortlaut des Art.
12 des Assoziationsbkommens EWG/Türkei vom 12. September 1963 und des Art. 36
des Zusatzabkommens vom 23. November 1970 sowie aus dem Zweck des
Beschlusses Nr. 1/80 hergeleitet, dass die im Rahmen der Art. 48, 49 sowie 50 EG-
Vertrag (nach Änderung jetzt Art. 39, 40 und 41 EG) geltenden Grundsätze soweit wie
möglich auf die türkischen Arbeitnehmer, die die im Beschluss Nr. 1/80 eingeräumten
Rechte besitzen, übertragen werden sollen. Folglich ist für die Auslegung des Begriffes
des Arbeitnehmers in Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 die Auslegung dieses Begriffes im
Gemeinschaftsrecht heranzuziehen,
27
vgl. EuGH, Urteile vom 19. November 2002 - Rs. C 188/00 - (Kurz), a.a.O.; vom 26.
November 1998 - Rs. C-1/97 - (Birden), a.a.O.; vom 30. September 1997 - Rs. C-36/96 -
(Günaydin), Slg. 1997, I-5143.
28
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs hat der Begriff des Arbeitnehmers
eine gemeinschaftsrechtliche Bedeutung und ist nicht eng auszulegen. Dieser Begriff ist
anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis im Hinblick auf die
Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen. Arbeitnehmer ist jeder,
der eine tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, wobei solche
Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die wegen ihres geringen Umfangs völlig
untergeordnet und unwesentlich sind. Das wesentliche Merkmal des
Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für
einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, die einen gewissen
wirtschaftlichen Wert haben und für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Der
Bereich, in dem die Leistungen erbracht werden, und die Art des Rechtsverhältnisses
zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber sind dagegen für die Frage, ob
jemand Arbeitnehmer im Sinne des Gemeinschaftsrechts ist, unerheblich,
29
vgl. zu Art. 48 EGV: EuGH, Urteile vom 3. Juli 1986 - Rs. 66/85 - (Lawrie-Blum), Slg.
1986, 2121; vom 21. Juni 1988 - Rs. 197/86 - (Brown), Slg. 1988, 3205; vom 26. Februar
1992 - Rs. C- 3/90 - (Bernini), Slg. 1992, I-1071; vom 26. Februar 1992 - Rs. C- 357/89 -
(Raulin), Slg. 1992, I-1027; zu Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80: EuGH, Urteile vom 19. November
2002 - Rs. C 188/00 - (Kurz), a.a.O. und vom 26. November 1998 - Rs. C-1/97 - (Birden),
a.a.O.
30
Ebenso wenig spielt es für die Arbeitnehmereigenschaft eine Rolle, woher die Mittel für
die Vergütung stammen, dass das Beschäftigungsverhältnis nach nationalem Recht ein
Rechtsverhältnis sui generis ist, wie hoch die Produktivität des Betreffenden ist oder
dass sich die Höhe der Vergütung in Grenzen hält,
31
vgl. EuGH, Urteile vom 31. Mai 1989 - Rs. 344/87- (Bettray), Slg. 1989, 1621 und vom
19. November 2002 - Rs. C 188/00 - (Kurz), a.a.O.
32
Weitere Voraussetzungen für die Qualifikation als Arbeitnehmer - etwa zur Dauer oder
zum Umfang der Tätigkeit - stellt das Gemeinschaftsrecht nicht auf.
33
In Anwendung dieser Maßstäbe erfüllt der Kläger zu 1. den gemeinschaftsrechtlichen
Arbeitnehmerbegriff. Er hat im Rahmen seiner Tätigkeit als studentische Hilfskraft im I. -
Institut der S1. B. ausweislich der vorgelegten "Dienstverträge" für seinen Arbeitgeber -
zunächst die Forschungsgesellschaft für Biomedizinische Technik e.V., dann die S1. B.
bzw. das Land Nordrhein-Westfalen - während einer bestimmten Zeit unter Aufsicht und
nach den Weisungen des Hochschullehrers, dem er zugeordnet war, Dienstleistungen
zugunsten der Hochschule erbracht, die die Vorbereitung, Durchführung und Bewertung
von Experimenten, die Anwendung von dazugehörigen Zeichnungsprogrammen sowie
gelegentliche Handarbeiten umfassten und als solche auch von einem gewissen
wirtschaftlichen Wert waren. Denn die Hochschule bietet dem Studenten mit der
Beschäftigung als studentische Hilfskraft nicht nur die Möglichkeit, im Studium
erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten praktisch anzuwenden, sondern macht sich
auch die im Werden begriffene wissenschaftliche Qualifikation des Studenten für die
Erfüllung ihrer Aufgaben - Forschung und Lehre - nutzbar. Für die erbrachten
Dienstleistungen hat der Kläger zu 1. als Gegenleistung eine monatliche
Pauschalvergütung erhalten, die sich aus der Multiplikation eines Stundensatzes von
15,68 DM bzw. 8,02 EUR mit der Anzahl der durchschnittlichen wöchentlichen
Arbeitsstunden und dem Faktor 4,348 ergab. Die Vergütung ist, wie sich aus der
34
Bezugnahme der standardisierten "Dienstverträgen" auf die Richtlinien der
Tarifgemeinschaft deutscher Länder über die Arbeitsbedingungen der
wissenschaftlichen Hilfskräfte ohne abgeschlossene wissenschaftliche
Hochschulausbildung (studentische Hilfskräfte) ergibt, üblicherweise auch an andere
Personen gezahlt worden ist, die die gleiche oder gleichartige Tätigkeit wie der Kläger
zu 1. ausgeübt haben. Dessen berufliche Situation hat sich daher objektiv nicht von
derjenigen anderer Beschäftigter unterschieden, die eine gleiche oder gleichartige
Tätigkeit verrichten. Damit sind vorliegend die wesentlichen Kriterien für das Bestehen
eines Arbeitsverhältnisses im gemeinschaftsrechtlichen Sinne erfüllt.
Die Bezeichnung des der Tätigkeit zugrunde liegende Rechtsverhältnisses durch die
Vertragsparteien bzw. dessen rechtliche Einordnung, ist für die Qualifizierung als
Arbeitnehmer im gemeinschaftsrechtlichen Sinne nach den vorstehenden Grundsätzen
unerheblich. Dass die Beschäftigung des Klägers zu 1. als studentische Hilfskraft im
Bereich "Biomedizinische Technologien" wegen ihres Fachbezugs zum Studiengang
Bauingenieurwesen studienbegleitenden Charakter hatte und damit als eine auf den
Erwerb von praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten gerichtete Tätigkeit im Rahmen
des Hochschulstudiums auch der Berufsausbildung diente, steht der Zuerkennung der
Arbeitnehmereigenschaft ebenfalls nicht entgegen. Der Gerichtshof hat wiederholt
entschieden, dass auch derjenige, der im Rahmen einer Berufsausbildung eine
Tätigkeit ausübt, die als eine mit der eigentlichen Ausübung des Berufs verbundene
praktische Vorbereitung angesehen werden kann, als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist,
wenn diese Tätigkeit unter den Bedingungen einer Tätigkeit im Lohn- oder
Gehaltsverhältnis ausgeübt wird, also - wie hier - auch erwerbsbezogene Elemente
enthält. Maßgeblich ist allein, dass die Tätigkeit den Charakter einer entgeltlichen
Arbeitsleistung hat, unabhängig davon, in welchem Bereich sie erbracht wird,
35
vgl. EuGH, Urteile vom 3. Juli 1986 - Rs. 66/85 - (Lawrie- Blum), a.a.O.; vom 26. Februar
1992 - Rs. C-3/90 - (Bernini), a.a.O. und vom 21. Juni 1988 - Rs. 197/86 - (Brown),
a.a.O.; vom 19. November 2002 - Rs. C 188/00 - (Kurz), a.a.O.;
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 19. September 2000 - 1 C 13/00 -,
DVBl. 2001, 220.
36
Schließlich scheitert die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft aufgrund der Tätigkeit
als studentische Hilfskraft auch nicht daran, dass der Kläger zu 1. lediglich mit einer
durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit zwischen 8 und 18 Stunden beschäftigt
gewesen ist und die Tätigkeit - wie der Beklagte meint - deshalb als völlig untergeordnet
und unwesentlich einzustufen wäre. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist geklärt,
dass auch eine Teilzeitbeschäftigung, selbst wenn die aus ihr erzielten Einkünfte nicht
ausreichen, um das jeweilige Existenzminimum zu gewährleisten, die
Arbeitnehmereigenschaft begründen kann. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass es
sich um eine tatsächliche und echte Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis handelt.
Insoweit haben Tätigkeiten außer Betracht zu bleiben, die einen so geringen Umfang
haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Hinter dieser
Bedingung steht die Erwägung, dass durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit nur die
Freizügigkeit von Personen gewährleistet ist, die im Wirtschaftsleben tätig sind oder
sein wollen,
37
vgl. EuGH, Urteil vom 23. März 1982, - Rs. 53/81 - (Levin), Slg. 1982, 1035.
38
Die Arbeitnehmereigenschaft wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der
39
Beschäftigte die unter dem Existenzminimum liegenden Einkünfte aus der Teilzeitarbeit
durch andere zulässige Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts aufstockt. Dabei
kommt es auch nicht darauf an, woher die ergänzenden Mittel stammen, ob aus
Einkünften aus anderen Tätigkeiten, aus eigenem Vermögen, aus Unterhaltsleistungen
Dritter oder selbst aus öffentlichen Mittel,
vgl. EuGH, Urteile vom 3. Juni 1986 - Rs. 139/85 - (Kempf), Slg. 1986, 1741.
40
Der Gerichtshofs hat weiterhin festgestellt, dass der Umstand, dass die Produktivität
eines Beschäftigten schwach ist, dass er nur eine geringe Anzahl von Wochenstunden
Arbeit leistet und dass er infolgedessen nur eine beschränkte Vergütung erhält, der
Zuerkennung der Arbeitnehmereigenschaft nicht entgegensteht, wenn die
Beschäftigung unter den Bedingungen einer tatsächlichen und echten wirtschaftlichen
Tätigkeit durchgeführt wird,
41
vgl. EuGH, Urteile vom 3. Juli 1986 - Rs. 66/85 - (Lawrie- Blum), a.a.O. und vom 26.
Februar 1992 - Rs. C-3/90 - (Bernini), a.a.O.
42
Bei der Beurteilung der Frage, ob es sich jeweils um eine tatsächliche und echte
Tätigkeit handelt, ist sowohl der Umfang der ausgeübten Tätigkeit - insbesondere ob der
Betroffene im Rahmen des Arbeitsverhältnisses nur sehr wenige Stunden gearbeitet hat
- als auch die Dauer der im Rahmen des Vertrags tatsächlich verrichteten Tätigkeit zu
berücksichtigen. Von Bedeutung sein kann auch die Regelmäßigkeit der erbrachten
Leistungen sowie der Umstand, dass sich der Betroffene zur Arbeit auf Abruf des
Arbeitgebers zur Verfügung halten muss,
43
vgl. EuGH, Urteil vom 26. Februar 1992 - C-357/89 - (Raulin), a.a.O.
44
Maßgeblich ist danach, ob bei einer Gesamtwürdigung aller die jeweilige
Arbeitstätigkeit kennzeichnenden Umstände die Beschäftigung ein solches Gewicht hat,
dass sie sich nicht als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt und sich damit
dem Wirtschaftsleben zuordnen lässt.
45
Vorliegend war der Kläger zu 1. im Rahmen seiner Tätigkeit als studentische Hilfskraft
in der Zeit vom 3. Juli 2000 bis zum 2. Juli 2004 mit einer durchschnittlichen
wöchentlichen Arbeitszeit von 8 bis 18 Stunden beschäftigt und hat je nach vereinbarter
wöchentlicher Stundenzahl für seine erbrachten Dienstleistungen eine Vergütung in
Höhe von 278,97 EUR (bei 8 Wochenstunden) bis 627,68 EUR (bei 18
Wochenstunden) erhalten. Diese Tätigkeit war - entgegen der Auffassung des
Beklagten -, sowohl was den zeitlichen Umfang und die Regelmäßigkeit der erbrachten
Arbeits- bzw. Dienstleistungen anbetrifft als auch was die Dauer des
Beschäftigungsverhältnisses und die Höhe der Vergütung angeht, nicht von so
geringem Umfang, dass sie als völlig untergeordnet und unwesentlich anzusehen wäre.
Während der insgesamt vierjährigen Tätigkeit war der Kläger zu 1. fast die Hälfte der
Beschäftigungszeit (23 Monate) mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von 11
Wochenstunden und die andere Hälfte (22 Monate) mit einer regelmäßigen Arbeitszeit
von 18 bzw. sogar 19 Wochenstunden beschäftigt. Allein während eines Zeitraums von
3 Monaten (März bis Mai 2003) betrug die Arbeitszeit durchschnittlich nur 8
Stunden/Woche. Bei der Bewertung des Umfangs und des Gewichts einer
Beschäftigung ist aber im Regelfall der gesamte Zeitraum der Beschäftigung in den
Blick zu nehmen und als Ganzes zu betrachten, weil es letztlich auf die im Rahmen des
46
Arbeitsverhältnisses insgesamt tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung ankommt. Insoweit
ist die lediglich kurzfristige Reduzierung der Wochenstundenzahl auf 8 Stunden
gemessen an der gesamten Beschäftigungsdauer von insgesamt 4 Jahren nicht
geeignet, die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers zu 1. wegen völliger Geringfügigkeit
der Beschäftigung durchgreifend in Frage zu stellen. Dies gilt um so mehr, als die
Absenkung der Stundenzahl darin begründet lag, dass der Kläger zu 1. vorübergehend
(von Dezember 2002 bis Februar 2003) an zwei Instituten der Hochschule gleichzeitig
beschäftigt war und die Wochenstundenzahl im Hinblick auf die für studentische
Hilfskräfte zulässige Arbeitszeit von höchstens 19 Stunden/Woche (vgl. § 61 Abs. 2 Satz
2 des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen - HG NRW -)
entsprechend angepasst werden musste, und damit ein sachlicher Grund für die
kurzfristige Reduzierung der Arbeitszeit vorlag. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass
der Kläger zu 1. bezogen auf die Gesamtdauer seiner Tätigkeit als studentische
Hilfskraft im Durchschnitt mit einer Arbeitszeit von etwa 14 Stunden/Woche beschäftigt
gewesen ist. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist aber bereits eine Tätigkeit
mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 11 Stunden ihrem zeitlichen Umfang nach
geeignet, den Arbeitnehmerstatus zu begründen. So hat der Gerichtshof etwa die
Tätigkeit eines Studienreferendars, der im zweiten Jahr des Vorbereitungsdienstes an
der Schule, der er zugewiesen war, bis zu 11 Stunden Unterricht erteilte, dem Umfang
nach für die Zuerkennung der Arbeitnehmereigenschaft als ausreichend angesehen.
Auch im Fall eines Musiklehrers, der einer Teilzeitbeschäftigung von 12 Stunden
wöchentlich nachging, hat der Gerichtshof die Einschätzung des nationalen Gerichts,
dass die betreffende Tätigkeit keinen so geringen Umfang hat, dass sie sich als
untergeordnet und unwesentlich darstellt, nicht in Frage gestellt,
vgl. EuGH, Urteile vom 3. Juli 1986 - Rs. 66/85 - (Lawrie- Blum), a.a.O. und vom 3. Juni
1986 - Rs. 139/35 - (Kempf). a.a.O.
47
Dementsprechend ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass grundsätzlich
auch geringfügige Beschäftigungen - im Rahmen sozialversicherungsfreier
Arbeitsverhältnisse - die Arbeitnehmereigenschaft und damit auch aufenthaltsrechtliche
Ansprüche aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 vermitteln können,
48
vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 10. September 1998 - B 7 AL 70/97 R -,
InfAuslR 1999, 136 (Nebentätigkeit als wissenschaftliche Hilfskraft mit 20
Stunden/Woche); Hessischer Verwaltungsgerichtshof (VGH Hessen), Beschluss vom 4.
Dezember 1995 - 12 TG 3096/95 -, InfAuslR 1996, 133 (geringfügige Beschäftigung mit
18 Wochenstunden); Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG
NRW), Beschluss vom 21. Oktober 1998 - 18 B 2762/97 -, InfAuslR 1999, 38
(Teilzeitbeschäftigung von monatlich 55 = wöchentlich 12,69 Stunden bei einem
Verdienst von monatlich 550,- DM); OVG Berlin, Beschluss vom 25. September 1996 -
OVG 8 S 35.96 -, InfAuslR 1997, 189 (geringfügige Beschäftigung mit 7,5
Wochenstunden); OVG Niedersachsen, Beschluss vom 24. April 2001 - 11 M 4041/00 -,
InfAuslR 2001, 317 (geringfügige Beschäftigung); VG Freiburg, Urteil vom 24. Juni 2003
- 6 K 245/02 -, InfAuslR 2003, 365 (geringfügige Beschäftigung mit 9 Wochenstunden);
VG München, Urteil vom 2. Februar 1999 - M 21 K 98.750 -, InfAuslR 1999, 223
(Nebentätigkeit eines Studenten zwischen 7,5 und 15,2 Stunden/Woche im Semester
und 35,5 Stunden/Woche während der Semesterferien); Gutmann in
Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz (GK-AufenthG), Stand: Februar 2007,
Band 5, Art. 6 ARB 1/80, Rdnr. 45 mit weiteren Nachweisen; Huber in Huber, Handbuch
des Ausländer- und Asylrechts, Stand: Mai 2006, Band 2, B 402, Art. 6 ARB 1/80, Rdnr.
49
11, 16 f.
Das vom Kläger zu 1. aus der Tätigkeit als studentische Hilfskraft erzielte Einkommen
war mit 278,97 EUR (bei 8 Wochenstunden) bis 627,68 EUR (bei 18 Wochenstunden)
auch nicht so unbedeutend, dass es die Annahme rechtfertigte, es sei für eine völlig
unwesentliche und belanglose Tätigkeit gezahlt worden. Für die Frage, ob die
ausgeübte Tätigkeit einen so geringen Umfang hat, dass sie nicht mehr als echte
wirtschaftliche Tätigkeit anzusehen ist und die Zuerkennung des Arbeitnehmerstatus
ausschließt, ist entgegen der Allgemeinen Anwendungshinweise des
Bundesministeriums des Innern zum ARB 1/80 vom 2. Mai 2002, wonach hinsichtlich
der Vergütung eine Mindestgrenze in Höhe der jeweils gültigen Geringfügigkeitsgrenze
im Sozialversicherungsrecht zugrunde zulegen ist (vgl. Ziff. 2.2.2), die
sozialversicherungsrechtliche Einstufung als "geringfügige Beschäftigung" (vgl. § 8
SGB IV) ohne Bedeutung. Abgesehen davon, dass die Vorschriften des deutschen
Sozialversicherungsrechts andere Ziele als die gemeinschaftsrechtlichen
Bestimmungen zur Freizügigkeit bzw. zum Assoziationsabkommen verfolgen und schon
deshalb nicht zur Klärung der Frage herangezogen werden können, ob eine
tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit vorliegt, ist es den Mitgliedstaaten auch
verwehrt, den gemeinschaftsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff, was Mindesteinkommen
und Mindeststundenzahl angeht, durch Verweisung auf nationale Rechtsvorschriften
einschränkend zu bestimmen und damit den Anwendungsbereich des
Gemeinschaftsrecht zu begrenzen,
50
vgl. nur EuGH, Urteil vom 23. März 1982, - Rs. 53/81 - (Levin), a.a.O.
51
Ungeachtet dessen lagen die vom Kläger zu 1. erzielten Einkünfte bis Februar 2003 und
damit die überwiegende Beschäftigungszeit auch oberhalb der im
Sozialversicherungsrecht geltenden Geringfügigkeitsgrenze (ab April 1999: 630 DM, ab
Januar 2002: 325 EUR und ab April 2003: 400,- EUR). Im Übrigen zeigen sowohl die
Höhe der dem Kläger zu 1. nach Maßgabe der Richtlinien der Tarifgemeinschaft
deutscher Länder über die Arbeitsbedingungen der wissenschaftlichen Hilfskräfte ohne
abgeschlossene wissenschaftliche Hochschulausbildung (studentische Hilfskräfte)
gezahlten Vergütung als auch die gängige Praxis der Hochschulen, sich zur Erfüllung
ihrer Aufgaben gerade auch der - günstigeren - Arbeitskraft von noch in der
wissenschaftlichen Ausbildung befindlichen studentischen Hilfskräften zu bedienen,
dass die von diesen im Rahmen eines entsprechenden Beschäftigungsverhältnisses
erbrachten Arbeits- bzw. Dienstleistungen auch einen gewissen wirtschaftlichen Wert
haben und damit ohne weiteres dem Wirtschaftsleben zuzuordnen sind.
52
Schließlich hindert auch der Umstand, dass die Einkünfte des Klägers zu 1. aus der
Tätigkeit als studentische Hilfskraft nicht zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes der
gesamten Familie ausgereicht haben und die Kläger infolgedessen ergänzend auf die
finanzielle Unterstützung durch Verwandte bzw. Bekannte angewiesen waren, die
Zuerkennung des Arbeitnehmerstatus nicht. Denn nach den vorstehenden
Ausführungen ist auch derjenige, der aus einer Erwerbstätigkeit wegen der begrenzten
Anzahl geleisteter Wochenstunden lediglich Einkünfte erzielt, die unterhalb des
jeweiligen Existenzbedarfs liegen und daher zur Ergänzung auf die Inanspruchnahme
anderer finanzieller Mittel angewiesen ist, Arbeitnehmer im gemeinschaftsrechtlichen
Sinne, soweit er - wie der Kläger zu 1 - eine tatsächliche und echte wirtschaftliche
Tätigkeit ausübt. Danach ist die begrenzte Höhe der Vergütung für die
Arbeitnehmereigenschaft im gemeinschaftsrechtlichen Sinne gerade nicht
53
ausschlaggebend. Wegen der in diesem Zusammenhang vom Beklagten wiederholt
geäußerten Bedenken sei zudem darauf hingewiesen, dass die Kläger während des
gesamten in Rede stehenden Zeitraums bis heute zu keinem Zeitpunkt öffentliche Mittel
in Anspruch genommen haben, wobei selbst dieser Umstand nach den dargelegten
Grundsätzen für die Zuerkennung des Arbeitnehmerstatus unschädlich wäre.
Soweit nach alledem auch eine Teilzeitbeschäftigung, mit der keine zur Sicherung des
Lebensunterhalts ausreichenden Existenzmittel erwirtschaftet werden, genügt, um den
Arbeitnehmerstatus und damit auch beschäftigungs- und aufenthaltsrechtliche
Ansprüche aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 zu begründen, liegt darin - entgegen der
Auffassung des Beklagten - schließlich auch keine unzulässige, da nicht von den Zielen
des Assoziationsabkommens EWG/Türkei gedeckte Besserstellung türkischer
Arbeitnehmer gegenüber freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgern. Denn wie die
einheitliche Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs durch den Gerichtshof im Rahmen des
EG-Vertrages einerseits und des Assoziationsabkommens EWG/Türkei andererseits
gerade zeigt, gelten die dargelegten Grundsätze für Unionsbürger, die von dem Recht
der Arbeitnehmerfreizügigkeit Gebrauch machen, in gleicher Weise. Insoweit ist zu
berücksichtigen, dass auch im Anwendungsbereichs des Art. 39 EG neben der
Arbeitnehmereigenschaft keine weiteren Voraussetzungen oder Bedingungen - wie
etwa das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie ausreichenden
Krankenversicherungsschutzes - für die Wahrnehmung der Freizügigkeitsrechte
bestehen. Diese Beschränkungen gelten, wie aus Art. 7 Abs. 1 a) und b) der Richtlinie
2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 -
Unionsbürgerrichtlinie - folgt ("Arbeitnehmer oder ausreichende Existenzmittel"), allein
für nicht erwerbstätige Unionsbürger, die nicht bereits nach den besonderen
Vorschriften der Art. 39, 43 oder 49 EG Freizügigkeit genießen (vgl. Art. 18 Abs. 1 EG).
Demnach genießen türkische Arbeitnehmer, die unter den Anwendungsbereich des
Beschlusses Nr. 1/80 fallen, keine bessere Behandlung als Unionsbürger, sondern sind
diesen in dem vom Assoziationsabkommen EWG/Türkei vorgegebenen Rahmen
gleichgestellt, was auch der ausdrücklichen Zielsetzung der Bestimmungen des
Beschlusses Nr. 1/80 entspricht,
54
vgl. u.a. EuGH, Urteil vom 30. September 1997 - Rs. C-36/96 - (Günaydin), a.a.O.
55
2. Der Kläger zu 1. gehörte in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer auch dem regulären
deutschen Arbeitsmarkt an. Für die Zugehörigkeit eines Arbeitnehmers zum regulären
Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 kommt es zum
einen darauf an, ob das Arbeitsverhältnis im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats
lokalisiert werden kann oder eine hinreichend enge Verknüpfung mit diesem Gebiet
aufweist, wobei insbesondere der Ort der Einstellung des türkischen Staatsangehörigen,
das Gebiet, in dem oder von dem aus die Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis
ausgeübt wurde, und die nationalen Vorschriften im Bereich des Arbeitsrechts und der
sozialen Sicherheit zu berücksichtigen sind,
56
vgl. EuGH, Urteile vom 19. November 2002 - Rs. C 188/00 - (Kurz), a.a.O. und vom 26.
November 1998 - Rs. C-1/97 - (Birden), a.a.O.
57
Diese Voraussetzung ist gegeben, weil der Kläger zu 1. im Rahmen seines Studiums an
der S1. B. dort zugleich eine Tätigkeit als studentische Hilfskraft aufgenommen und
ausgeübt hat und diese Beschäftigung den hiesigen nationalen Rechtsvorschriften
unterlag.
58
Zum anderen bezeichnet der Begriff "regulärer Arbeitsmarkt" die Gesamtheit der
Arbeitnehmer, die den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des
Aufnahmemitgliedstaates über die Einreise in sein Hoheitsgebiet und über die
Beschäftigung nachkommen und somit das Recht haben, eine Berufstätigkeit in diesem
Staat auszuüben. Der Begriff "regulär" ist synonym mit legal bzw. rechtmäßig zu
verstehen und stellt insoweit keine über das weitere Erfordernis der "ordnungsgemäßen
Beschäftigung" hinausgehende zusätzliche Voraussetzung auf. Erforderlich ist allein,
dass die Beschäftigung in Übereinstimmung mit den Rechtsvorschriften des
Aufnahmemitgliedstaates - namentlich des Aufenthaltsrechts und des Arbeitsrechts -
ausgeübt wird, dass also alle für die Berufsausübung erforderlichen Genehmigungen
vorliegen,
59
vgl. EuGH, Urteile vom 19. November 2002 - Rs. C 188/00 - (Kurz), a.a.O.; vom 26.
November 1998 - Rs. C-1/97 - (Birden), a.a.O.
60
Auch diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Der Kläger zu 1. ist im Jahre 1995
rechtmäßig mit einem Visum zu Studienzwecken in das Bundesgebiet eingereist und
seitdem fortlaufend bis zum 30. September 2004 im Besitz von befristeten
Aufenthaltsbewilligungen zum Zwecke des Studiums im Studiengang
"Bauingenieurwesen" an der S1. B. gewesen. Durch entsprechende Auflagen zu den
Aufenthaltsbewilligungen waren ihm ab Oktober 1998 "Nebentätigkeiten bis zu 3
Monaten jährlich" sowie "arbeitserlaubnisfreie Tätigkeiten an der Hochschule" erlaubt,
eine weitere Erwerbstätigkeit hingegen untersagt worden. Die vom Kläger zu 1.
ausgeübte Tätigkeit als studentische Hilfskraft war als arbeitsgenehmigungsfreie
Beschäftigung nach Maßgabe von § 9 der Verordnung über die Arbeitsgenehmigung für
ausländische Arbeitnehmer vom 17. September 1998 (Arbeitsgenehmigungsverordnung
- ArGV) auch von dem seinerzeit maßgeblichen Arbeitsrecht gedeckt. Die Zugehörigkeit
zum regulären Arbeitsmarkt im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 ist ebenso wie das
Erfordernis der ordnungsgemäße Beschäftigung auch dann gegeben, wenn der
türkische Arbeitnehmer nach den einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts für
die Ausübung der Beschäftigung eine Arbeitserlaubnis nicht benötigt. Denn Art. 6 Abs. 1
ARB 1/80 setzt für den Erwerb der durch diese Bestimmung eingeräumten Rechte allein
eine legale, d.h. eine den jeweiligen nationalen Rechtsvorschriften entsprechende
Beschäftigung voraus, erfordert jedoch nicht, dass der Mitgliedstaat zum Nachweis der
Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung ein spezielles Verwaltungsdokument - wie etwa
eine Arbeitserlaubnis - ausstellt,
61
vgl. EuGH, Urteil vom 6. Juni 1995, - Rs. C-434/93 - (Bozkurt), Slg. 1995, I-1475.
62
a) Die Arbeitserlaubnisfreiheit der Tätigkeit des Klägers zu 1. als studentische Hilfskraft
folgt allerdings nicht schon aus § 9 Nr. 9 ArGV. Danach bedürfen keiner
Arbeitserlaubnis u.a. Studenten an Hochschulen und Fachschulen im Inland für eine
vorübergehende Beschäftigung, wenn die Beschäftigung insgesamt drei Monate im Jahr
nicht übersteigt. Dabei kann hier dahinstehen, ob es sich bei der vom Kläger zu 1.
ganzjährig und über mehrere Jahre hinweg ausgeübten Tätigkeit als studentische
Hilfskraft überhaupt um eine vorübergehende Beschäftigung im Sinne der Vorschrift
handelt. Denn die Beschäftigungszeiten überschritten die zulässige Höchstgrenze der
arbeitsgenehmigungsfreien Beschäftigung jedenfalls in den Jahren 2001 und 2002, und
zwar unabhängig davon, ob man entsprechend Ziff. 2.9.914 zu § 9 Nr. 9 ArGV der
Dienstanweisungen der Bundesanstalt für Arbeit zur Arbeitsgenehmigungsverordnung
63
(DA AGR, Stand: 07/2004) bei der Berechung der Dreimonatsfrist 90 Arbeitstage zu
jeweils 8 Stunden oder 180 halbe Tage zu jeweils 4 Stunden, insgesamt also höchstens
720 Stunden im Jahr, zugrunde legt: Im Jahre 2001 war der Kläger zu 1. zum einen bei
der Firma C1. vom 26. Februar 2001 bis 21. April 2001 (8 Wochen) mit einen Arbeitszeit
von 35 Stunden/Woche als Ferienbeschäftigter und zum anderen bei der
Forschungsgesellschaft für Biomedizinische Technik e.V. bzw. beim Land Nordrhein-
Westfalen vom 1. Januar 2001 bis 14. Mai 2001 (19 Wochen) mit einer Arbeitszeit von
11 Stunden/Woche und vom 15. Mai 2001 bis 31. Dezember 2001 (33 Wochen) mit 18
Stunden/Woche als studentische Hilfskraft beschäftigt, womit die zulässige
Beschäftigungsdauer von insgesamt 720 Stunden jährlich mit 1.083 Stunden/Jahr bei
weitem überschritten war. Dies gilt auch für die Beschäftigungszeiten im Jahre 2002
allein als studentische Hilfskraft beim Land Nordrhein-Westfalen mit einer Arbeitzeit von
18 Stunden/Woche in der Zeit vom 1. Januar 2002 bis 30. November 2002 (48 Wochen)
und mit 19 Stunden/Woche im Dezember 2002 (4 Wochen), insgesamt also 940
Stunden/Jahr.
War die Beschäftigung des Klägers zu 1. aber wegen Überschreitens des zulässigen
zeitlichen Höchstrahmens in den Jahren 2001 und 2002 nicht gemäß § 9 Nr. 9 ArGV
arbeitsgenehmigungsfrei, erfüllen die in dieser Zeit ohne erforderliche Arbeitserlaubnis
ausgeübten Tätigkeiten weder die Voraussetzung der Zugehörigkeit zum regulären
Arbeitsmarkt noch des insoweit synonym gebrauchten Erfordernisses einer
ordnungsgemäßen Beschäftigung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 und können
damit als Beschäftigungszeiten für den Erwerb der Rechte aus der dritten
Verfestigungsstufe dieser Vorschrift auch keine Berücksichtigung finden.
64
b) Die Tätigkeit des Klägers zu 1. als studentische Hilfskraft erweist sich jedoch auf der
Grundlage von § 9 Nr. 8 ArGV als arbeitsgenehmigungsfrei und damit regulär sowie
ordnungsgemäß im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Nach dieser Vorschrift bedürfen
u.a. keiner Arbeitserlaubnis Lehrpersonen, wissenschaftliche Mitarbeiter und
Assistenten an Hochschulen oder wissenschaftliche Mitarbeiter an öffentlich-
rechtlichen Forschungseinrichtungen oder an Forschungseinrichtungen, deren
Finanzbedarf ausschließlich oder überwiegend von der öffentlichen Hand getragen wird
oder an privaten Forschungseinrichtungen, wenn an der Beschäftigung des Ausländers
wegen seiner besonderen fachlichen Kenntnisse auch ein öffentliches Interesse
besteht. Der Kläger zu 1. unterfällt mit der von ihm ausgeübten Tätigkeit als studentische
Hilfskraft dem Anwendungsbereich dieser Bestimmung.
65
Nach Ziff. 2.9.810 der DA AGR zu § 9 Nr. 8 ArGV ist im Einzelfall zu entscheiden, ob
und inwieweit es sich um eine arbeitsgenehmigungsfreie Tätigkeit im Sinne dieser
Vorschrift handelt. Als arbeitsgenehmigungsfrei eingestuft werden danach zunächst
Tutoren und wissenschaftliche Hilfskräfte mit Hochschulabschluss, da beide
Personenkreise nach Arbeitsverträgen mit genau abgegrenzten Tätigkeitsmerkmalen,
die überwiegend wissenschaftliche Hilfstätigkeiten beinhalten, beschäftigt werden. Bei
wissenschaftlichen Hilfskräften ohne Hochschulabschluss und studentischen Hilfs- und
Aushilfskräften - wie dem Kläger zu 1. - ist Arbeitsgenehmigungsfreiheit nach § 9 Nr. 8
ArGV dann gegeben, wenn überwiegend wissenschaftliche Hilfstätigkeiten zu verrichten
sind. Auf § 53 des Hochschulrahmengesetzes (HRG) - wissenschaftliche und
künstlerische Mitarbeiter - wird ergänzend hingewiesen. Soweit für wissenschaftliche
Hilfskräfte ohne Hochschulabschluss oder studentische Hilfs- und Aushilfskräfte
Arbeitsgenehmigungsfreiheit geltend gemacht wird, ist von der Hochschule bzw.
Forschungseinrichtung eine schriftliche Bestätigung darüber zu fordern, dass die
66
Arbeitsgenehmigungsfreiheit begründende Tätigkeit überwiegt. Nach Ziff. 2.9.814 DA
AGR wiederum ist Arbeitsgenehmigungsfreiheit bei den in § 9 Nr. 8 ArGV aufgezählten
Personen gegeben, wenn das Arbeitsverhältnis direkt mit der Hochschule oder
Forschungseinrichtung besteht und der Arbeitsvertrag unmittelbar zwischen diesen und
den Arbeitnehmern abgeschlossen ist.
Laut Auskunft des Arbeitsamtes B. vom 9. Februar 2007 ist in der Vergangenheit
bezüglich der Frage der Arbeitsgenehmigungsfreiheit von Tätigkeiten ausländischer
Studierender als studentische Hilfskräfte nach Maßgabe der Dienstanweisungen zur
Arbeitsgenehmigungsverordnung verfahren und eine Arbeitsgenehmigungsfreiheit
immer dann angenommen worden, wenn die Tätigkeit überwiegend wissenschaftliche
Hilfstätigkeiten beinhaltete. Die Beurteilung der Frage, ob im Einzelfall eine
überwiegend wissenschaftliche Tätigkeit vorgelegen habe, sei allerdings auf der
Grundlage einer internen Absprache zwischen dem Arbeitsamt und der S1. B. aus
Gründen der Verwaltungsvereinfachung sowie größerer Sachnähe der Hochschule zur
Prüfung in eigener Zuständigkeit übertragen worden. Soweit diese eine überwiegend
wissenschaftliche Tätigkeit bestätigt habe, sei man von der Arbeitsgenehmigungsfreiheit
der Tätigkeit ausgegangen, wobei den ausländischen Studierenden seitens des
Arbeitsamtes - ebenfalls aus verwaltungsökonomischen Gründen - kein Dokument zum
Nachweis der Arbeitsgenehmigungsfreiheit mehr ausgestellt worden sei.
67
Die in den Dienstanweisungen der Bundesanstalt für Arbeit zu § 9 Nr. 8 ArGV
vorgenommene Auslegung der Vorschrift und die auf dieser Grundlage geübte
Verwaltungspraxis ist entgegen der - nunmehr - vom Beklagten vertretenen Auffassung
rechtlich nicht zu beanstanden. Zwar mag die in § 9 Nr. 8 ArGV verwendete
Begrifflichkeit "Lehrpersonen, wissenschaftliche Mitarbeiter und Assistenten" auf die
hochschulrechtlichen Personalkategorien und deren dienstrechtliche Stellung im Sinne
des Hochschulrahmengesetzes hinweisen und ein entsprechendes Verständnis in
Bezug auf die genannten Personengruppen nahe legen. Insoweit wäre daran zu
denken, dass allein das in § 42 HRG aufgeführte hauptberufliche wissenschaftliche
Personal vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst ist. Die Auslegung von
Rechtsbegriffen hat jedoch in erster Linie unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck
der jeweiligen Rechtsvorschrift sowie ihres Regelungskontextes zu erfolgen. § 284 Abs.
1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) in der bis zum 31. Dezember 2004
geltenden Fassung sah für die Beschäftigung von Ausländern ein präventives
Beschäftigungsverbot mit Erlaubnisvorbehalt vor. Nach § 1 Abs. 1 ArGV i.V.m. § 285
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung
konnte eine Arbeitserlaubnis grundsätzlich nur erteilt werden, wenn sich durch die
Beschäftigung von Ausländern nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt,
insbesondere hinsichtlich der Beschäftigungsstruktur, der Regionen und der
Wirtschaftszweige, nicht ergaben (Nr. 1) und für die Beschäftigung deutsche
Arbeitnehmer sowie Ausländer, die diesen hinsichtlich der Arbeitsaufnahme rechtlich
gleichgestellt waren, nicht zur Verfügung standen (Nr. 2). Zweck dieser Regelung war
es, deutschen - oder diesen gleichgestellten ausländischen - Arbeitnehmern bei der
Arbeitsvermittlung einen Vorrang einzuräumen (sog. Vorrangprinzip). § 9 ArGV enthält
als Ausnahmevorschrift zur Erlaubnispflicht eine verbindliche enumerative Aufzählung
solcher Beschäftigungen, die keiner Arbeitsgenehmigung bedürfen, wobei den
einzelnen Bestimmungen sehr unterschiedliche Erwägungen für die Freistellung von
der Erlaubnispflicht zugrunde liegen. § 9 Nr. 8 ArGV begründet
Arbeitsgenehmigungsfreiheit für "Lehrpersonen, wissenschaftliche Mitarbeiter und
Assistenten" an Hochschulen bzw. an den weiter aufgeführten Forschungseinrichtungen
68
und damit im Wesentlichen für wissenschaftliches Personal. Die Hochschulen und
Forschungseinrichtungen bedienen sich dieses wissenschaftlichen Personals zur
Erfüllung ihres Auftrags in Wissenschaft, Forschung und Lehre und der ihnen insoweit
obliegenden Aufgaben. An dieser Aufgabenerfüllung besteht aber zur Förderung von
Wissenschaft und Forschung ein erhebliches öffentliches Interesse, das es rechtfertigt,
in diesem speziellen Arbeitsmarktsegment auf die Einhaltung des Vorrangprinzips zu
verzichten. Da die Auswahl des wissenschaftlichen Personals unter Berücksichtigung
von Qualifikation und Eignung, die sich wegen der regelmäßig internationalen
Ausrichtung und Kooperation von Hochschulen und Forschungseinrichtungen auch auf
ausländische Bewerber erstreckt (vgl. nur § 2 Abs. 5 HRG sowie § 3 Abs. 8 HG NRW),
den Hochschulen - schon zur Wahrung ihrer Personalhoheit - und den
Forschungseinrichtungen in eigener Verantwortlichkeit zuzugestehen ist und der
Bundesanstalt für Arbeit daher insoweit keine Vermittlungskompetenz zukommt, ist das
für "Normalarbeitsverhältnisse" geltende arbeitserlaubnisrechtliche Vorrangprinzip in
diesem Beschäftigungssektor nicht berührt. Diese dem § 9 Nr. 8 ArGV
zugrundeliegende Interessenlage gebietet es aber, die Personengruppe der
"Lehrpersonen, wissenschaftlichen Mitarbeiter und Assistenten" nicht im Sinne der
Personalkategorien des Hochschulrechts zu bestimmen, sondern vielmehr funktional
unter Berücksichtigung der wissenschaftlichen Qualität der Tätigkeit und
wissenschaftlichen Qualifikation des Beschäftigten sowie deren Bedeutung für die
Aufgabenerfüllung der Hochschule bzw. Forschungseinrichtung und der damit
einhergehenden verminderten Bedeutung für den "allgemeinen" Arbeitsmarkt. Gegen
eine Auslegung im Sinne der Personalkategorien des Hochschulrechts spricht zudem
unter systematischen Gesichtspunkten, dass diese jedenfalls bei den in der Vorschrift
auch genannten privaten Forschungseinrichtungen keine Anwendung finden. Auch
deshalb erscheint ein Rückgriff auf diese Kategorien zur Bestimmung des
Anwendungsbereichs der Vorschrift nicht geeignet. Wenn es danach aber maßgeblich
auf die wissenschaftliche Qualität der Tätigkeit und die wissenschaftliche Qualifikation
des Beschäftigten, also dessen Zuordnung zum wissenschaftlichen Personal der
Hochschule bzw. Forschungseinrichtung ankommt, fällt auch die Tätigkeit einer
studentischen Hilfskraft unter den Anwendungsbereich der Vorschrift, soweit diese die
genannten Kriterien erfüllt.
Dieses unter Berücksichtigung des Normzwecks des § 9 Nr. 8 ArGV gefundene
Auslegungsergebnis wird dadurch bestätigt, dass die Ausübung studentischer
Nebentätigkeiten an Hochschulen oder an anderen wissenschaftlichen Einrichtungen -
ohne zeitliche Einschränkung - nunmehr auch ausdrücklich in § 16 Abs. 3 AufenthG
gestattet wird, und zwar kraft Gesetzes durch den Aufenthaltstitel, ohne dass die
Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit und damit eine Vorrangprüfung nach §§ 39 ff.
AufenthG erforderlich ist (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1 und 3 AufenthG). Damit wird gerade der
beschriebenen Interessenlage Rechnung getragen. Soweit in der Gesetzesbegründung
zu § 16 AufenthG (BT-Drucks. 15/420, S. 74) ausgeführt ist, dass diese
Beschäftigungsmöglichkeit für ausländische Studenten "künftig neu" ermöglicht wird,
gebietet dies ebenfalls keine andere Betrachtung. Denn die Motive des Gesetzgebers
des heutigen Aufenthaltsgesetzes können nicht zur Auslegung der vom seinerzeitigen
Verordnungsgeber geschaffenen Arbeitserlaubnisverordnung herangezogen werden,
zumal es sich dabei auch um unterschiedliche Rechtssetzungsorgane handelt.
69
In Anwendung der vorstehenden - rechtlich nicht zu beanstandenden - Maßstäben ist
die vom Klägers zu 1. ausgeübte Tätigkeit als studentische Hilfskraft auch als eine -
überwiegend - wissenschaftliche Tätigkeit einzustufen. Aus der Bescheinigung des I. -
70
Instituts für Biomedizinische Technik vom 28. August 2006 geht hervor, dass die
Tätigkeiten des Klägers zu 1. - vor und gleichermaßen nach Auflösung der
Forschungsgesellschaft für Biomedizinische Technik e.V. - im Projekt
Mikrodiagonalpumpe (MDP) angesiedelt waren und die Vorbereitung, Durchführung und
Bewertung von Experimenten, die Anwendung von dazugehörigen Zeichenprogrammen
wie CAD und Corel Draw sowie gelegentliche Handarbeiten zu dem Projekt umfassten.
Diese Tätigkeitsbeschreibung lässt erkennen, dass der Kläger zu 1. bei einem
speziellen Forschungsprojekt am I. -Institut, nämlich einem Projekt zur Entwicklung von
Rotations-Blutpumpen, die als implantierbares System zur Herzunterstützung
(künstliches Herz) dienen sollen, eingesetzt war und dass sein diesbezügliches
Tätigkeitsfeld nach Art und Umfang experimentelle wissenschaftliche (Hilfs-)Tätigkeiten
zur Unterstützung des Instituts bei der Erfüllung der Forschungs- und
Entwicklungsaufgaben der Hochschule beinhaltete, die auch ein gewisses Maß an
Fachkenntnissen und Fertigkeiten erforderten. Dementsprechend ist laut Auskunft der
S1. B. und des Universitätsklinikums B. vom 9. bzw. 12. Februar 2007 mit Blick darauf,
dass Studenten bei den Instituten des Universitätsklinikums, namentlich bei dem
interdisziplinär ausgerichteten I. -Institut regelmäßig in Forschungsprojekten eingesetzt
werden, seine Tätigkeit entsprechend der allgemeinen Verwaltungspraxis auch als
studienbegleitende Tätigkeit zum seinem Studiengang "Bauingenieurwesen" und damit
auch als überwiegend wissenschaftliche Tätigkeit angesehen worden.
In diesem Zusammenhang ist weiter zu berücksichtigen, dass der Beklagte, wie die den
Aufenthaltsbewilligungen zu Studienzwecken seit Oktober 1998 beigefügten Auflagen
("Nebentätigkeiten bis zu 3 Monate jährlich erlaubt, arbeitserlaubnisfreie Tätigkeit an der
Hochschule erlaubt") zeigen, seinerzeit selbst von der Arbeitsgenehmigungsfreiheit
studentischer Nebentätigkeiten an der Hochschule im Sinne des - wie dargelegt auch
gesetzeskonformen - Normverständnisses der Dienstanweisungen der Bundesanstalt
für Arbeit zu § 9 Nr. 8 ArGV ausgegangen ist. Insoweit hat er - ebenso wie die
Arbeitsverwaltung - durch die auf dieser Grundlage in der Vergangenheit geübte
Verwaltungspraxis einen Vertrauenstatbestand geschaffen und sich in Bezug auf die
Sachbehandlung der vom Anwendungsbereich des § 9 Nr. 8 ArGV erfassten
Sachverhalte selbst gebunden. Auch wenn die in den Dienstanweisungen enthaltene
Gesetzesauslegung mangels Außenwirkung keine unmittelbare Verbindlichkeit entfaltet,
weil es sich um eine an die Verwaltung gerichtete interne Handlungsanweisung der
übergeordneten Behörde zur Sicherstellung einer einheitlichen Gesetzesanwendung
handelt, muss der Beklagte sich aber aus Gründen des Vertrauensschutzes sowie aus
Gründen der Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 des
Grundgesetzes (GG) an der in der Vergangenheit tatsächlich geübten
Verwaltungspraxis festhalten lassen.
71
3. Der Kläger zu 1. hat ferner auch vier Jahre lang ordnungsgemäß eine Beschäftigung
im Sinne von Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich ARB 1/80 ausgeübt. Nach der
Rechtsprechung des Gerichtshofs erfordert die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung
nicht nur, dass die Beschäftigung in Übereinstimmung mit den Rechts- und
Verwaltungsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaates über die Einreise in sein
Hoheitsgebiet und über die Beschäftigung ausgeübt wird, was hier - wie im Einzelnen
dargelegt - der Fall war. Sie setzt darüber hinaus auch eine gesicherte und nicht nur
vorläufige Rechtsposition auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates und damit ein
nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht voraus,
72
vgl. EuGH, Urteile vom 20. September 1990 - Rs. C-192/89 - (Sevince), Slg. 1990, I-
73
3461; vom 26. November 1998 - Rs. C- 1/97 - (Birden), a.a.O. und vom 19. November
2002 - Rs. C- 188/00 - (Kurz), a.a.O.
Auch diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Dem Kläger zu 1. war gestattet worden,
zu Studienzwecken in das Bundesgebiet einzureisen und sich hier zur Durchführung
des Studiums "Bauingenieurwesen" mit Aufenthaltsbewilligungen, die zuletzt bis zum
30. September 2004 verlängert wurden, aufzuhalten. Während dieses Studiums war er
vom 3. Juli 2000 bis zum 2. Juli 2004, also genau vier aufeinander folgende Jahre,
rechtmäßig als studentische Hilfskraft beim I. Institut an der S1. B. beschäftigt. Unter
diesen Umständen war das Aufenthaltsrecht während der Zeit seiner Beschäftigung
unbestritten. Er befand sich - aufenthaltsrechtlich - nicht in einer nur vorläufigen
Situation, die jederzeit in Frage gestellt werden konnte. Seine Rechtsstellung war
vielmehr während des gesamten Zeitraums ordnungsgemäß.
74
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass dem Kläger zu 1. der Aufenthalt nach dem
Inhalt der Aufenthaltsgenehmigungen ("nur zum Studium" - "Nebentätigkeiten bis zu drei
Monaten jährlich erlaubt, arbeitserlaubnisfreie Tätigkeit an der Hochschule erlaubt")
ausschließlich zu Studienzwecken gestattet worden war, also nur die
Hochschulausbildung, nicht aber die lediglich zur - teilweisen - Finanzierung des
Studienaufenthaltes erlaubte Nebenerwerbstätigkeit den seinen Aufenthalt
legitimierenden Grund bildete. Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 macht nämlich die in ihm
vorgesehenen Rechte nicht von dem Grund abhängig, aus dem den türkischen
Arbeitnehmern ursprünglich die Einreise, eine Arbeitstätigkeit und der Aufenthalt
gestattet worden sind,
75
vgl. EuGH, Urteile vom 26. November 1998 - Rs. C-1/97 - (Birden), a.a.O.; vom 30.
September 1997 - Rs. C-36/96 - (Günaydin), a.a.O.; vom 16. Dezember 1992 - Rs. C-
237/01 (Kus), Slg 1992, I- 6781.
76
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass dem Kläger zu 1. jeweils nur
befristete Aufenthaltsgenehmigungen erteilt worden sind, oder daraus, dass die
Ausübung einer Erwerbstätigkeit durch Auflagen auf bestimmte zeitlich begrenzte bzw.
an einen bestimmten Arbeitgeber gebundene Nebentätigkeiten beschränkt war. Denn
die durch Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 den türkischen Arbeitnehmern eingeräumten Rechte
stehen diesen unabhängig davon zu, ob die Behörden des Aufnahmemitgliedstaates ein
spezielles Verwaltungsdokument wie eine Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis
ausstellen,
77
vgl. EuGH, Urteile vom 26. November 1998 - Rs. C-1/97 - (Birden), a.a.O.; vom 30.
September 1997 - Rs. C-36/96 - (Günaydin), a.a.O.; vom 6. Juni 1995 - Rs. C-434/93
(Bozkurt), a.a.O.; vom 30. September 1997 - Rs. C-98/96 - (Ertanir), Slg. 1997, I-5179.
78
Der Ordnungsgemäßheit der Beschäftigung steht auch nicht entgegen, dass die - elf -
Arbeitsverträge, die der Kläger zu 1. in den Jahren 2000, 2001, 2002 und 2004 über
seine Tätigkeit als studentische Hilfskraft geschlossen hat, in Anwendung des
nationalen Rechts (vgl. die Sonderregelungen der §§ 57 a ff. HRG) - zum Teil auch nur
auf wenige Monate - befristet waren. Solange - wie hier - fortlaufend Anschlussverträge
abgeschlossen worden sind und damit im Ergebnis eine durchgängige Beschäftigung
vorliegt, kann von einer vorläufigen und ungesicherten Position auf dem Arbeitsmarkt
nicht die Rede sein. Würde nämlich eine solche zeitliche Befristung des
Arbeitsverhältnisses genügen, um die Ordnungsgemäßheit der vom Betroffenen
79
rechtmäßig ausgeübten Beschäftigung in Frage zu stellen, so könnten die
Mitgliedstaaten türkischen Arbeitnehmern, denen sie die Einreise in ihr Hoheitsgebiet
gestattet haben und die dort eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt haben, die den
Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 entspricht, zu Unrecht die graduell
umfangreicher werdenden Rechte vorenthalten, die die Betroffenen unmittelbar aus
dieser Bestimmung herleiten können. Jede andere Auslegung würde den Beschluss Nr.
1/80 aushöhlen und jeder praktischen Wirksamkeit berauben,
vgl. EuGH, Urteile vom 19. November 2002 - Rs. C-188/00 - (Kurz), a.a.O. und vom 26.
November 1998 - Rs. C-1/97 - (Birden), a.a.O.
80
4. Der Kläger zu 1. hatte vor Erreichen der letzten - und stärksten - Rechtsposition des
dritten Gedankenstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 auch zuvor nacheinander die
Voraussetzungen des ersten und zweiten Gedankenstrichs der Vorschrift verwirklicht.
Der Gerichtshof hat nunmehr ausdrücklich klargestellt, dass die Inanspruchnahme der
Rechte, die einem türkischen Arbeitnehmer nach Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich
ARB 1/80 zustehen, grundsätzlich voraussetzt, dass dieser zuvor auch den Tatbestand
des ersten und zweiten Gedankenstrichs des Absatzes 1 der Vorschrift erfüllt hat. Denn
die Rechte, die den türkischen Arbeitnehmern in dem Bereich der Beschäftigung und
damit einhergehend im Bereich des Aufenthalts durch die Bestimmungen in den drei
Gedankenstrichen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 verliehen werden, werden nach der
Dauer einer ordnungsgemäßen Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltverhältnis in
abgestufter Weise erweitert und bezwecken, die Situation der Betroffenen im
Aufnahmemitgliedstaat schrittweise zu festigen. Aus der Systematik und der praktischen
Wirksamkeit dieses mit Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 geschaffenen Systems einer abgestuften
Eingliederung der türkischen Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt des
Aufnahmemitgliedstaats hat der Gerichtshof gefolgert, dass die in den drei
Gedankenstrichen dieser Bestimmung jeweils aufgestellten Bedingungen von den
Betroffenen nacheinander erfüllt werden müssen. Daher kann ein türkischer
Wanderarbeitnehmer generell ein Recht nach Art. 6 Abs. 1 dritter Gedankenstrich ARB
1/80 nicht allein aufgrund der Tatsache geltend machen, dass er im
Aufnahmemitgliedstaat mehr als vier Jahre lang rechtmäßig eine Tätigkeit im Lohn- oder
Gehaltsverhältnis ausgeübt hat, wenn er nicht, erstens, mehr als ein Jahr bei demselben
Arbeitgeber und, zweitens, zwei weitere Jahre für diesen gearbeitet hat,
81
vgl. EuGH, Urteil vom 10. Januar 2006 -Rs. C-230/03 - (Sedef), Slg. 2006, I-157.
82
Vorliegend hatte der Kläger zu 1. vor Erreichen der letzten Verfestigungsstufe des Art. 6
Abs. 1 ARB 1/80 zunächst die ersten beiden Stufen der schrittweisen Eingliederung in
den Arbeitsmarkt durchlaufen, insbesondere auch die Voraussetzungen des ersten
Gedankenstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfüllt. Der Umstand, dass er die ersten
beiden Dienstverträge als studentische Hilfskraft für die Zeit vom 3. Juli 2000 bis zum
30. Juni 2001 mit der Forschungsgesellschaft für Biomedizinische Technik e.V. - I. -
Institut - abgeschlossen hat, die folgenden Dienstverträge ab dem 1. Juli 2001 bis zum
2. Juli 2004 - also vor Erreichen von einem bzw. drei Jahren ordnungsgemäßer
Beschäftigung - jedoch mit dem Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch den Rektor
der S1. B. , ist dabei unschädlich.
83
Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich ARB 1/80 setzt grundsätzlich die Ausübung einer
ordnungsgemäßen Beschäftigung bei ein- und demselben Arbeitgeber während eines
ununterbrochenen Zeitraums von einem Jahr voraus. Ein türkischer Arbeitnehmer kann
84
sich daher nicht auf die durch diese Bestimmung verliehenen Rechte berufen, wenn er
vor Ablauf des ersten Jahres ordnungsgemäßer Beschäftigung bei einem bestimmten
Arbeitgeber eine Beschäftigung bei einem neuen Arbeitgeber aufnimmt. In einem
solchen Fall kann das in Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehene Recht auf Erneuerung der
Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis allenfalls nach Ablauf eines neuen Zeitraums
ordnungsgemäßer Beschäftigung von einem Jahr entstehen, vorausgesetzt, die
nationalen Behörden haben dem türkischen Arbeitnehmer gestattet, vor Erreichen eines
Jahres ordnungsgemäßer Beschäftigung den Arbeitgeber zu wechseln,
vgl. EuGH, Urteil vom 29. Mai 1997 - Rs. C-386/95 - (Eker), Slg. 1997, I-2697.
85
Aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles ist allerdings nicht davon
auszugehen, dass angesichts der Tatsache, dass die Verträge des Klägers zu 1. über
seine Tätigkeit als studentische Hilfskraft mit unterschiedlichen Arbeitgebern bestanden,
ein den Erwerb der Rechte aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 hindernder Wechsel des
Arbeitgebers vorlag. Zu berücksichtigen ist insoweit nämlich, dass der Kläger zu 1.
faktisch 4 Jahre lang ununterbrochen bei dem der S1. B. angegliederten I. -Institut als
studentische Hilfskraft beschäftigt gewesen ist und dass infolge einer grundlegenden
Umstrukturierung noch vor Ablauf des ersten Beschäftigungsjahrs des Klägers zu 1. ein
Wechsel in der Rechtsträgerschaft dieses Institutes stattgefunden hat. Ausweislich der
Bescheinigung des I. -Instituts für Biomedizinische Technik der S1. B. vom 28. August
2006 war Träger dieses interdisziplinären Forschungsinstituts, das als sog. An-Institut
der S1. B. angegliedert war, zunächst die Forschungsgesellschaft für Biomedizinische
Technik e.V. Als aufgrund von Änderungen in der Finanzierung von An-Instituten im
Jahre 2001 von einer zu geringen finanziellen Ausstattung des An-Instituts auszugehen
war, wurde zur Aufrechterhaltung des I. -Instituts zwischen dem seinerzeitigen
Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen,
der S1. B. , dem Universitätsklinikum B. und der Forschungsgesellschaft für
Biomedizinische Technik e.V. vereinbart, dass das An-Institut und der Trägerverein zum
30. Juni 2001 aufgelöst werden. Das I. -Institut wurde sodann als fakultätsübergreifende
Arbeitsgemeinschaft mehrerer Fachbereiche der S1. B. - Fakultät für Mathematik,
Informatik und Naturwissenschaften, Fakultät für Maschinenwesen, Fakultät für
Elektrotechnik und Informationstechnik sowie der Medizinischen Fakultät/dem
Universitätsklinikum B. - eingerichtet, die das Institut nunmehr gemeinsam tragen,
86
vgl. auch www.hia.rwth-B. .de.
87
Im Rahmen der Umstrukturierung des I. -Instituts wurde zwischen den beteiligten
Parteien außerdem vereinbart, dass allen Mitarbeitern des bisher als An- Institut
geführten I. -Instituts zur Fortführung der Tätigkeiten des Instituts in dessen ehemaligen
Räumlichkeiten von der Medizinischen Fakultät der S1. B. (wissenschaftliche
Mitarbeiter) bzw. von dem Universitätsklinikum B. (nichtwissenschaftliche Mitarbeiter)
Anschlussverträge unter tariflicher Besitzstandswahrung und Wahrung des bisherigen
Tätigkeitsfeldes angeboten werden. Nach dieser Umstrukturierung des I. -Instituts war
der Kläger beim Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch den Rektor der S1. ,
angestellt und in der Medizinischen Fakultät der S1. B. , dem Lehrstuhl
"Biomedizinische Technik", als eine der Trägerfakultäten des I. -Institut beschäftigt. Die
Beschäftigung aufgrund des Anschlussvertrages mit dem Land Nordrhein-Westfalen
erfolgte, insbesondere was die Arbeitszeit, die Dienstobliegenheiten, die zu
verrichtenden Tätigkeiten sowie die Vergütung angeht, entsprechend der
standardisierten Verträge für studentische Hilfskräfte unter den gleichen Bedingungen
88
wie zuvor bei der Forschungsgesellschaft für Biomedizinische Technik e.V. .
Ausweislich der Bescheinigung vom 28. August 2006 war die Tätigkeit des Klägers zu
1. sowohl vor als auch nach der Umgestaltung des I. -Instituts im Projekt
"Mikrodiagonalpumpe" mit den dort näher beschriebenen Tätigkeitsaufgaben
angesiedelt.
Eine unter diesen besonderen Umständen erfolgte, mit einem Wechsel des
Rechtsträgers einhergehende Umstrukturierung auf Seiten des Arbeitgebers ist jedoch
nicht als ein die Entstehung der Rechte aus Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich ARB
1/80 hindernder Arbeitgeberwechsel anzusehen, wenn - wie hier - das Arbeitsverhältnis
mit dem türkischen Arbeitnehmer aufgrund einer besonderen Vereinbarung nach Art,
Inhalt, Umfang und Vergütung unverändert fortgesetzt wird. Dass es bei dem Erfordernis
einer ununterbrochenen Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber während eines
Zeitraums von einem Jahr nicht allein auf eine formale Betrachtung der (Rechts-) Person
des Arbeitgebers, sondern maßgeblich auf den Fortbestand des konkreten
Beschäftigungsverhältnisses ankommt, lässt sich bereits dem Sinn und Zweck des Art. 6
Abs. 1 erster Gedankenstrich ARB 1/80 entnehmen. Nach der Auslegung des
Gerichtshofs liegt der Bestimmung nämlich die Prämisse zugrunde, dass grundsätzlich
nur eine vertragliche Beziehung, die ein Jahr lang aufrechterhalten wird, eine
Verfestigung des Arbeitsverhältnisses erkennen lässt, die ausreicht, um dem
Arbeitnehmer die Fortsetzung seiner Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber zu
gewährleisten,
89
vgl. EuGH, Urteil vom 29. Mai 1997 - Rs. C-386/95 - (Eker), a.a.O.
90
Wenn vorliegend mit der Vereinbarung der an der rechtlichen Umgestaltung des I. -
Instituts beteiligten Parteien zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs des Instituts
eine Fortsetzung der Beschäftigungsverhältnisse sämtlicher Mitarbeiter mit dem
bisherigen Träger des I. -Instituts in unveränderter Form und zu unveränderten
Bedingungen bezweckt war und durch den Abschluss von Anschlussverträgen auch
umgesetzt worden ist, dann ist aber die von Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich ARB
1/80 vorausgesetzte hinreichende Verfestigung des Arbeitsverhältnisses nach einem
Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung trotz des Wechsel des Rechtsträgers des Instituts
und damit der Person des Arbeitgebers während des ersten Beschäftigungsjahrs des
Klägers zu 1. gerade gewährleistet gewesen. Dass dem Kläger zu 1. die rechtliche
Umgestaltung des I. -Institutes im Rahmen von Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich ARB
1/80 nicht rechtshindernd entgegengehalten werden kann, ergibt sich auch aus der
Erwägung, dass es sich hierbei um einen Umstand handelt, der allein in der Sphäre des
Arbeitgebers liegt und dem Einflussbereich der betroffenen Arbeitnehmer entzogenen
ist. Dem daraus folgenden Schutzbedürfnis der Beschäftigten ist mit der Vereinbarung
anlässlich der Umstrukturierung des I. -Instituts über die Gewährleistung der Kontinuität
der Beschäftigungsverhältnisse gerade Rechnung getragen worden. Die der
Umgestaltung des Instituts zugrundeliegende Interessenlage ist insoweit der Situation
im Falle eines Unternehmens- oder Betriebsübergangs vergleichbar, bei der in gleicher
Weise eine wirtschaftliche Einheit im Sinne einer organisatorischen Zusammenfassung
von Ressourcen durch vertragliche Übertragung oder Verschmelzung übergeht. Daher
ist unabhängig davon, ob - wie der Prozessbevollmächtigte der Kläger meint - die
Bestimmungen über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang
von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen - namentlich die
Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 - auf den vorliegenden Fall
unmittelbar Anwendung finden, bei der Frage der Beschäftigung bei demselben
91
Arbeitgeber im Sinne von Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich ARB 1/80 jedenfalls der
diesen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zugrunde liegende allgemeine
Rechtsgedanke des Arbeitnehmerschutzes als maßgeblicher Gesichtspunkt
heranziehen. Wenn danach bei einem Wechsel des Inhabers oder Rechtsträgers einer
wirtschaftlichen Einheit die Rechte der Beschäftigten durch den Fortbestand des
bisherigen Beschäftigungsverhältnisses zu wahren sind und dieser Schutz im
vorliegenden Fall auch durch eine ausdrückliche Vereinbarung gewährleistet wurde,
kann dieser Umstand hier nicht gegen eine hinreichende Verfestigung der
Vertragsbeziehungen des Klägers zu 1. angeführt und damit im Rahmen von Art. 6 Abs.
1 erster Gedankenstrich ARB 1/80 als rechtshindernd gewertet werden. Gegen eine
formale Betrachtung allein der (Rechts-) Person des Vertragspartners des türkischen
Arbeitnehmers im Rahmen dieser Bestimmung spricht im Übrigen auch die
Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Arbeitnehmerbegriff, wonach es für die Frage, ob
jemand als Arbeitnehmer anzusehen ist, auch nicht auf die Art oder die Bezeichnung
des Rechtsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber, sondern
vielmehr maßgeblich auf die materiellen, den Arbeitnehmerstatus inhaltlich
kennzeichnenden Kriterien ankommt. Auch steht die Tatsache, dass der Kläger zu 1.
anlässlich der Umgestaltung des I. -Institutes formal einen neuen (Anschluss-) Vertrag
mit dem Land Nordrhein-Westfalen bzw. der S1. B. als neuen Rechtsträger
abgeschlossen hat, der Annahme einer ununterbrochenen Beschäftigung im Sinne von
Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich ARB 1/80 nicht entgegen. Abgesehen davon, dass
der Abschluss eines Folgevertrages bereits durch die Befristung des
Beschäftigungsverhältnisses bedingt war, ist nämlich nach der Rechtsprechung des
Gerichtshofs auch für die Frage der Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung unerheblich,
ob der ihr zugrunde liegende Arbeitsvertrag befristet war. Entscheidend ist danach
vielmehr, dass der Arbeitnehmer tatsächlich ordnungsgemäß die erforderliche Zeit
gearbeitet hat,
vgl. EuGH, Urteile vom 19. November 2002 - Rs. C-188/00 - (Kurz), a.a.O. und vom 26.
November 1998 - Rs. C-1/97 - (Birden), a.a.O.
92
Schließlich hat der Gerichtshof auch in der Rechtssache "Güzeli" zu erkennen gegeben,
dass es im Rahmen von Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich ARB 1/80 nicht allein auf
die Person des Betriebsinhabers, sondern vielmehr auf den Betrieb als wirtschaftliche
Einheit und damit auf die Kontinuität des Arbeitsverhältnisses mit diesem ankommt,
wenn er in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall den (ersten) Betrieb, bei
dem der türkische Arbeitnehmer gearbeitet hatte, trotz des mehrfachen Inhaberwechsel
als Arbeitgeber angesehen und aufgrund der Beschäftigung dort einen Erwerb des
Rechts aus Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich ARB 1/80 in Betracht gezogen hat,
93
vgl. EuGH, Urteil vom 26. Oktober 2006 - Rs. C-4/05 - (Güzeli), Inf-AuslR 2007, 1.
94
Nach alledem hat der Kläger zu 1. die in Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 vorgesehenen
Integrationsstufen nacheinander durchlaufen und nach vier Jahren ordnungsgemäßer
Beschäftigung als studentische Hilfskraft zum 3. Juli 2004 das in Art. 6 Abs. 1 dritter
Gedankenstrich verliehene Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten
Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis erworben.
95
5. Der Kläger zu 1. hat diese umfassende Rechtsposition - im insoweit maßgeblichen
Zeitpunkt der Entscheidung - auch nicht wieder verloren. Wie bereits aus dem Wortlaut
und aus dem Zweck des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 folgt, nämlich die schrittweise
96
Eingliederung türkischer Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt zu gewährleisten, ist der
Erwerb der dort vorgesehenen Rechte grundsätzlich an die Ausübung einer
ununterbrochenen ordnungsgemäßen Beschäftigung - von einem, drei oder vier Jahren
- und damit an die Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt gebunden. Jedoch führt nicht jede
Abwesenheit des türkischen Arbeitnehmers vom Arbeitsmarkt automatisch zum Verlust
der aufgrund von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erworbenen Rechte,
vgl. EuGH, Urteile vom 10. Februar 2000 - Rs. C-340/97 - (Nazli), Slg. 2000, I-957 und
vom 6. Juni 1995 - Rs. C-434/93 - (Bozkurt), a.a.O.
97
Vielmehr umfasst die im dritten Gedankenstrich der Vorschrift eingeräumte
Rechtsstellung eines Arbeitnehmers, der - wie der Kläger zu 1. - bereits ordnungsgemäß
in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates integriert ist, auch das Recht, ein
Arbeitsverhältnis vorübergehend zu unterbrechen oder eine Erwerbstätigkeit
aufzugeben, um eine andere zu suchen. Trotz einer derartigen Unterbrechung der
Arbeitstätigkeit gehört der Arbeitnehmer für den Zeitraum, der angemessen ist, um eine
andere Beschäftigung zu finden, weiterhin im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB dem
regulären Arbeitsmarkt an. Dies gilt auch unabhängig davon, welchen Grund die
Abwesenheit des Betroffenen vom Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates hat,
sofern die Abwesenheit vorübergehender Natur ist,
98
vgl. EuGH, Urteile vom 7. Juli 2005 - Rs. C-383/03 - (Dogan), Slg. 2005, I-6237 und vom
10. Februar 2000 - Rs. C-340/97 - (Nazli), a.a.O.
99
Vorliegend gehörte der Kläger zu 1. auch nach Beendigung seiner - schon gesetzlich -
auf vier Jahre begrenzten Tätigkeit als studentische Hilfskraft (vgl. § 57 e HRG)
weiterhin dem regulären deutschen Arbeitsmarkt an. Wie sich aus den im
Prozesskostenhilfeverfahren vorgelegten Einkommensunterlagen und aus den -
unbestrittenen - Angaben des Klägers zu 1. im Erörterungstermin vom 13. Februar 2007
ergibt, war er in der Zeit von 4. August 2004 bis 31. Juli 2006 bei dem
Reinigungsunternehmen "H. O. " mit 80,5 Stunden/Monat und einem Bruttolohn von
684,25 EUR beschäftigt und hat außerdem bis Februar 2006 unregelmäßig bei der
Firma L. N. Systems GmbH gearbeitet. Seit Oktober 2006 ist er bei dem letztgenannten
Unternehmen als geringfügig Beschäftigter mit einer Arbeitszeit von 12 Stunden/Woche
angestellt und beabsichtigt, im Rahmen dieser Tätigkeit auch seine Diplomarbeit zu
fertigen. Soweit der Kläger zu 1. in der Zeit von Mai 2006 bis September 2006 infolge
einer Erkrankung, die ausweislich der vorgelegten ärztlichen Atteste eine stationäre
Behandlung mit anschließenden Rehabilitationsmaßnahmen erforderte, an der
Ausübung einer Beschäftigung gehindert war, ist diese Unterbrechung der
Beschäftigung nach den vorstehenden Grundsätzen unerheblich, weil sie die
Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt nicht in Frage gestellt hat. Wenn nach Art. 6 Abs. 2 ARB
1/80 bereits in der Phase der Entstehung der Rechte aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine
Abwesenheit wegen kurzer Krankheit den Zeiten einer ordnungsgemäßen
Beschäftigung gleichgestellt wird (Satz 1) und eine Abwesenheit wegen langer
Krankheit die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeiten erworbenen Ansprüche
nicht berührt (Satz 2),
100
vgl. EuGH, Urteil vom 7. Juli 2005 - Rs. C-383/03 - (Dogan), a.a.O.,
101
gilt dies erst recht für einen türkischen Arbeitnehmer, der - wie der Kläger zu 1. - bereits
ein uneingeschränktes Recht auf Beschäftigung nach Art. 6 Abs. 1 dritter
102
Gedankenstrich ARB 1/80 erworben hat und wegen einer Erkrankung lediglich eine
vorübergehende Zeit an der Ausübung einer Beschäftigung gehindert war.
II. Demgemäß steht auch den Klägern zu 2. bis 4. ein von dem Kläger zu 1. abgeleitetes
Aufenthaltsrecht nach Maßgabe von Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 zu.
103
Nach dieser Bestimmung haben die Familienangehörigen eines dem regulären
Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die
Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen, vorbehaltlich des den Arbeitnehmern
aus den anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs das
Recht, sich auf jedes Stellenangebot zu bewerben, wenn sie dort seit mindestens drei
Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz gehabt haben (erster Gedankenstrich), sowie
im Anschluss daran das Recht auf freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten
Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis, wenn sie dort seit mindestens fünf
Jahren ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz gehabt haben (zweiter Gedankenstrich). Wie
bereits aus dem Wortlaut des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 folgt, hängt die Inanspruchnahme
der in dieser Vorschrift vorgesehenen Rechte zunächst von zwei nebeneinander zu
erfüllenden Voraussetzungen ab, und zwar muss die betreffende Person zum einen
Familienangehöriger eines bereits dem regulären Arbeitsmarkt des
Aufnahmemitgliedstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers sein, und zum
anderen muss sie von den zuständigen Behörden dieses Staates die Genehmigung
erhalten haben, zu diesem Arbeitnehmer zu ziehen.
104
Diese Voraussetzungen sind vorliegend in der Person der Kläger zu 2. bis 4. erfüllt. Sie
sind als Ehefrau bzw. Kinder des Klägers zu 1., der nach den vorstehenden
Ausführungen zu I. seit Juli 2000 als Arbeitnehmer dem regulären Arbeitsmarkt
angehört, Familienangehörige eines türkischen Wanderarbeitnehmers. Auch ist der
Klägerin zu 2. und dem Kläger zu 3. im September 2000 durch ein Visum zum Zwecke
der Familienzusammenführung die Genehmigung erteilt worden, zu dem Kläger zu 1. zu
ziehen. Der Umstand, dass der Kläger zu 4. im Bundesgebiet geboren worden ist und
seitdem hier mit dem Kläger zu 1. in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, ist in
erweiternder Auslegung des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 der dort allein genannten
Genehmigung des Zuzug zum türkischen Arbeitnehmer gleichzustellen,
105
vgl. EuGH, Urteil vom 11. November 2004 - Rs. C-467/02 - (Cetinkaya), Slg. 2004, I-
10944.
106
Der Erwerb der in Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 vorgesehenen Rechte setzt weiterhin voraus,
dass der Familienangehörige des türkischen Arbeitnehmers während des im ersten und
zweiten Gedankenstrich der Vorschrift vorgesehenen Zeitraums seinen
ordnungsgemäßen Wohnsitz im Aufnahmemitgliedstaat hatte. Die Ordnungsgemäßheit
des Wohnsitzes erfordert dabei grundsätzlich auch, dass der Familienangehörige
jedenfalls bis zum Ablauf des im ersten Gedankenstrich vorgesehenen ersten Zeitraums
von drei Jahren im Besitz eines Aufenthaltstitels war,
107
vgl. EuGH, Urteil vom 17. April 1997 - Rs. C-351/95 - (Kadiman), Slg. 1997, I-2133.
108
Auch diese Erfordernis ist vorliegend erfüllt. Die Kläger zu 2. bis 4. waren seit ihrer
Einreise bzw. Geburt durchgängig im Besitz von Aufenthaltsbewilligungen zum Zwecke
der Herstellung bzw. Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem Kläger zu 1.,
zuletzt befristet bis zum 30. September 2004. Damit haben sie seit jedenfalls drei Jahren
109
ihren ordnungsgemäßen Wohnsitz im Bundesgebiet gehabt, mit der Folge, dass ihnen
nach Ablauf des Dreijahreszeitraums das im ersten Gedankenstrich der Vorschrift
eingeräumte Recht zusteht, sich - vorbehaltlich des für Arbeitnehmer aus den
Mitgliedstaaten der Gemeinschaft geltendenden Vorrangs - auf jedes Stellenangebot zu
bewerben, mit dem zwangsläufig auch ein entsprechendes Aufenthaltsrecht zur
Verwirklichung der beschäftigungsrechtlichen Rechtsposition einhergeht. Da diese
Rechte den Familienangehörigen, die - wie hier - die tatbestandlichen Voraussetzungen
des Art. 7 Satz 1 erster Gedankenstrich ARB 1/80 erfüllen, unmittelbar aufgrund des
Beschluss Nr. 1/80 durch das Gemeinschaftsrecht gewährt werden, unabhängig davon,
ob die Behörden des Aufnahmemitgliedstaates ein Dokument zum Nachweis dieser
Rechtsstellung ausstellen,
vgl. EuGH, Urteile vom 7. Juli 2005 - Rs. C-373/03 - (Aydinli), Slg. 2005, I-6181; vom 11.
November 2004 - Rs. C-467/02 - (Cetinkaya), a.a.O.; vom 22. Juni 2000 - Rs. C-65/98 -
(Eyüp), Slg. 2000, I-4747; vom 16. März 2000 - Rs. C-329/97 - (Ergat), Slg. 2000, I-1487,
110
ist auch für die darauf folgende Aufenthaltszeit der Kläger zu 2. bis 4. im Bundesgebiet -
ungeachtet des Umstandes, dass ihr Aufenthalt wegen des noch unbeschiedenen
Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung lediglich aufgrund der
Fiktionswirkung des § 69 Abs. 3 AuslG als erlaubt galt und gilt - von einem
ordnungsgemäßen Wohnsitz im Sinne von Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 auszugehen. Daher
haben die Kläger zu 2. bis 4. im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung auch die in
Art. 7 Satz 1 zweiter Gedankenstrich ARB 1/80 eingeräumte Rechtsstellung erworben,
die ihnen das Recht auf freien Zugang zu jeder von ihnen gewählten Beschäftigung im
Lohn- oder Gehaltsverhältnis verleiht.
111
Nach alledem war der Klage stattzugeben.
112
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der
Zivilprozessordnung (ZPO).
113
Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen
nicht vor.
114