Urteil des VerfGH Rheinland-Pfalz vom 11.02.2008

VerfGH Rheinland-Pfalz: erlass, verfassungsbeschwerde, rauchverbot, betreiber, aussetzung, gaststätte, führer, hauptsache, stamm, belastung

VerfGH
Rheinland-Pfalz
11.02.2008
VGH A 32/07
Verfassungsrecht
Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz
Beschluss
Im Namen des Volkes
In den Verfahren
betreffend die Verfassungsbeschwerden
1. des Herrn T.,
- VGH A 32/07 -,
2. des Herrn K.
- VGH A 1/08 -,
3. der Frau N.,
- VGH A 4/08 -,
4. der Frau A.,
- VGH A 7/08 -,
5. der Frau K.,
- VGH A 10/08 -,
6. des Herrn L.,
- VGH A 12/08 -,
g e g e n § 7 des Nichtraucherschutzgesetzes Rheinland-Pfalz - NRSG - vom 5. Oktober 2007 (GVBl. S.
188)
hier: Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung vom 11. Februar 2008,
an der teilgenommen haben
Präsident des Verfassungsgerichtshofs Prof. Dr. Meyer
Präsident des Oberlandesgerichts Dury
Präsident des Oberlandesgerichts Bartz
Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling
Präsidentin des Verwaltungsgerichts Dr. Freimund-Holler
Bürgermeister Dr. Saftig
Universitätsprofessor Dr. Hufen
Universitätsprofessor Dr. Robbers
Historikerin Meier-Hussing
beschlossen:
1. Der Antrag des Beschwerdeführers zu 1) auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
2. Auf die Anträge der Beschwerdeführer zu 2) bis 6) wird das Inkrafttreten von § 7 des
Nichtraucherschutzgesetzes Rheinland-Pfalz vom 5. Oktober 2007 (GVBl. S. 188) bis zur Entscheidung
über die Verfassungsbeschwerden insoweit einstweilen ausgesetzt, als die Vorschrift sich auch auf Ein-
Raum-Gaststätten erstreckt, die ausschließlich inhabergeführt sind. Derartige Gaststätten dürfen
einstweilen in der bisherigen Art weiterbetrieben werden, wenn neben der Betreiberin/dem Betreiber
keine weiteren Personen als Beschäftigte oder als Selbständige im laufenden Gastronomiebetrieb tätig
sind, es sei denn, dass es sich hierbei lediglich um eine Mithilfe von volljährigen Familienmitgliedern der
Betreiberin/des Betreibers handelt. Diese Gaststätten müssen ferner am Eingangsbereich deutlich
sichtbar auf die Raucherlaubnis hinweisen.
Diese einstweilige Anordnung gilt mit der Möglichkeit der Verlängerung gemäß § 19a VerfGHG zunächst
für die Dauer von drei Monaten.
A.
Der Beschwerdeführer zu 1), ein Raucher, wendet sich gegen die mit dem Nichtraucherschutzgesetz
Rheinland-Pfalz – NRSG – vom 5. Oktober 2007 (GVBl. S. 188), verknüpfte Einschränkung, im öffentlichen
Raum nicht rauchen zu dürfen. Die als Gastwirte tätigen Beschwerdeführer zu 2) bis 6) beanstanden
unmittelbar die Regelung des § 7 NRSG, soweit sie in Verbindung mit § 1 Abs. 2 NRSG ein uneinge-
schränktes Rauchverbot für alle Personen vorsieht, die sich in einer Ein-Raum-Gaststätte aufhalten, deren
räumliche Voraussetzungen die Einrichtung abgetrennter Raucherbereiche nicht zulassen. Sämtliche
Beschwerdeführer erstreben im Hinblick auf die mit dem Inkrafttreten des Nichtraucherschutzgesetztes
Rheinland-Pfalz zum 15. Februar 2008 befürchteten Nachteile den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
I.
Nach § 1 Abs. 2 NRSG besteht für Einrichtungen, die nach den Bestimmungen dieses Gesetzes rauchfrei
sind, ein Rauchverbot für alle Personen, die sich dort aufhalten, soweit in den nachfolgenden
Bestimmungen keine abweichenden Regelungen getroffen sind. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 NRSG sind
Gaststätten im Sinne des Gaststättengesetzes rauchfrei. Eine Ausnahme hiervon lässt § 7 Abs. 2 Satz 1
NRSG zu. Danach kann die Betreiberin oder der Betreiber einer Gaststätte mit mehreren, durch ortsfeste
Trennwände voneinander getrennten Räumen in einzelnen entsprechend gekennzeichneten Räumen
das Rauchen erlauben.
Gemäß seinem § 13 tritt das Nichtraucherschutzgesetz Rheinland-Pfalz am 15. Februar 2008 in Kraft.
II.
Der Beschwerdeführer zu 1) rügt, das vorgesehene generelle Rauchverbot verletze ihn in seinem Recht
auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Auch stelle es eine willkürliche Ungleichbehandlung dar, wenn
gegen die mit dem Rauchen verbundenen Gefährdungen vorgegangen werde, gegen andere
gesundheitsgefährdende Stoffe wie Alkohol oder Feinstaub hingegen gesetzgeberische Maßnahmen
unterblieben. Zudem werde Betreibern kleiner Gaststätten, die aus baulichen Gründen keinen separaten
Raucherraum einrichten könnten, die Existenzgrundlage entzogen.
Die Beschwerdeführer zu 2) bis 6) sind Betreiber von Ein-Raum-Gaststätten bzw. ‑Cafés, deren bauliche
Anordnung nach ihren Angaben die räumliche Abtrennung eines separaten Raucherbereichs ausschließt.
Sie rügen eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit und ihres Eigentumsrechts, da bis zu 80 % (und mehr) ihrer
Stammkundschaft Raucher seien. Infolge der gesetzlichen Neuregelung müssten sie deshalb mit
gravierenden Umsatzrückgängen rechnen, die sie in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedrohten.
III.
1. Der Landtag Rheinland-Pfalz hält die Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen für unbegründet.
Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer zu 1) in der Hauptsache erhobenen Verfassungsbeschwerde
bestünden bereits Bedenken gegen ihre Zulässigkeit wegen seines wenig substantiierten Vorbringens.
Jedenfalls sei die Verfassungsbeschwerde offensichtlich unbegründet, was den Erlass einer einstweiligen
Anordnung ausschließe. Der Gesetzgeber habe den gebotenen Ausgleich zwischen der allgemeinen
Handlungsfreiheit des Einzelnen und den Interessen der Allgemeinheit in verhältnismäßiger Weise vor-
genommen. Auch eine Interessen- und Folgenabwägung falle zu Ungunsten des Beschwerdeführers zu
1) aus. Dauerhafte, nicht mehr rückgängig zu machende Nachteile drohten ihm infolge des
grundsätzlichen Rauchverbots in den Innenräumen gastronomischer Betriebe nicht. Hingegen würden
höchstrangige Rechtsgüter beeinträchtigt, wenn der durch ein Rauchverbot bewirkte Schutz von Gästen
und Beschäftigten in der Gastronomie einstweilen hinausgeschoben werde und sich die
Verfassungsbeschwerde später als unbegründet erweise. Die damit verbundenen Nachteile wögen
deutlich schwerer als die dem Beschwerdeführer zu 1) entstehenden geringfügigen Beeinträchtigungen.
Auch hinsichtlich der Beschwerdeführer zu 2) bis 6) falle die gebotene Interessenabwägung zu ihren
Ungunsten aus. Nachteile bei Inkrafttreten des Rauchverbots und späterem Erfolg der
Verfassungsbeschwerde seien allenfalls in Form eines temporären Umsatzrückgangs vorstellbar. Die
Beschwerdeführer hätten jedoch Umsatzrückgänge von existenzbedrohendem Ausmaß nicht nachvoll-
ziehbar dargelegt. Hingegen seien erhebliche Nachteile zu befürchten, die dem Schutz von Nichtrauchern
bei einer vorläufigen Aussetzung der gesetzlichen Regelung und späterer Zurückweisung der
Verfassungsbeschwerde erwachsen könnten.
2. Die Landesregierung misst dem Antrag des Beschwerdeführers zu 1) auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung wegen der offensichtlichen Unbegründetheit der Verfassungsbeschwerde keine
Erfolgsaussichten bei. Der Eingriff in seine allgemeine Handlungsfreiheit sei gerechtfertigt, da die
angegriffene Regelung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genüge.
Auch die Anträge der Beschwerdeführer zu 2) bis 6) auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hält sie für
unbegründet, da eine solche Entscheidung nicht zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten sei.
Ob die von den Beschwerdeführern befürchteten erheblichen wirtschaftlichen Konsequenzen nach
Inkrafttreten des Nichtraucherschutzgesetzes tatsächlich eintreten würden, sei äußerst zweifelhaft. Ihnen
stünden die wissenschaftlich erwiesenen Gefahren schwerster Gesundheitsschäden bis hin zum Tod
gegenüber, die Nichtrauchern dadurch entstünden, dass sie sich Tabakrauch in Gaststätten aussetzen
müssten. Deren gesundheitlichen Interessen sei deshalb Vorrang zu gewähren im Vergleich zu
wirtschaftlichen Nachteilen, die eventuell die Beschwerdeführer zu 2) bis 6) treffen würden.
3. Zu den Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat der Bundesverband des Deutschen
Hotel- und Gaststättenverbands e.V. – DEHOGA – Stellung genommen: Im Gegensatz zu größeren
Restaurants befürchteten Ein-Raum-Gaststätten durch ein Rauchverbot Umsatzeinbußen bis hin zur
Existenzgefährdung. Die durch den Getränkekonsum geprägte Ein-Raum-Gaststätte generiere ihre
Umsätze fast ausschließlich über einen Kundenstamm, dem zu durchschnittlich 70 % Raucher
angehörten. Erfahrungen in Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen zeigten, dass ein Rauch-
verbot in diesem Branchensegment zu erheblichen Umsatzverlusten führe. Da Ein-Raum-Gaststätten
ohnehin nur einen geringen Gewinn abwerfen würden, stelle ein solch erheblicher Umsatzrückgang ihre
Rentabilität in Frage. Dies gelte auch deshalb, weil finanzielle Verpflichtungen aus Pacht- und
Bierlieferungsverträgen unverändert blieben und vielfach nicht mehr bedient werden könnten. Viele Ein-
Raum-Gaststätten stünden daher schon kurz nach Einführung von Rauchverboten vor dem wirtschaft-
lichen Ruin.
B.
Der zulässige Antrag des Beschwerdeführers zu 1) auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist
unbegründet. Hingegen sind die Anträge der Beschwerdeführer zu 2) bis 6) auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung – in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang – zulässig und begründet.
I.
Gemäß § 19a des Landesgesetzes über den Verfassungsgerichtshof–VerfGHG –kann der
Verfassungsgerichtshof in einem anhängigen Verfahren einen Zustand durch einstweilige Anordnung
vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus
einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die
für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Hoheitsakte vorgetragen werden, grundsätzlich außer
Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig
oder offensichtlich unbegründet (
II.
muss der Verfassungsgerichtshof die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung
nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegen die Nachteile abwägen, die
entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde
aber der Erfolg zu versagen wäre (VerfGH RP, AS 33, 118 [119]).
Zielt der Antragsinhalt – wie hier – auf die Aussetzung des Inkrafttretens eines förmlichen Gesetzes, so ist
bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 19a VerfGHG ein besonders strenger Maßstab anzulegen.
Die Achtung vor der demokratisch gefundenen Entscheidung des Landtags gebietet es nämlich, eine
Rechtsnorm grundsätzlich so lange als rechtsgültig zu beachten, bis in dem dafür vorgesehenen
Verfahren ihre Verfassungswidrigkeit mit Gesetzeskraft festgestellt worden ist (§ 26 Abs. 1 und 2
VerfGHG). Die Aussetzung des Vollzugs eines Gesetzes ist daher nur dann gerechtfertigt, wenn sie aus
schwerwiegenden Gründen dringend geboten ist.
II.
Die Verfassungsbeschwerden sind hinsichtlich sämtlicher Beschwerdeführer weder unzulässig (1.) noch
offensichtlich unbegründet (2.).
1. Die Beschwerdeführer können geltend machen, durch die angegriffene gesetzliche Regelung selbst,
gegenwärtig und unmittelbar in ihren Grundrechten betroffen zu sein (vgl. hierzu: VerfGH RP, AS 25, 194
[195]; 31, 348 [350]; 34, 169 [180]).
a) Der Beschwerdeführer zu 1) kann sich jedenfalls darauf berufen, aufgrund des Nicht-
raucherschutzgesetzes in seinem durch Art. 1 Abs. 1 Satz 2 der Landesverfassung – LV – verbürgten
Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit eingeschränkt zu sein. Die allgemeine Handlungsfreiheit
schützt nicht nur einen begrenzten Bereich der Persönlichkeitsentfaltung, sondern jede Form mensch-
lichen Handelns ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigung für die Persönlichkeitsentfaltung
zukommt (BVerfGE 80, 137 [152]).
Die Beschwerdeführer zu 2) bis 6) können geltend machen, in ihrer durch Art. 58 LV gewährleisteten
Freiheit der Berufsausübung betroffen zu sein. Ob unter dem Gesichtspunkt der Existenzgefährdung durch
die in Art. 52 LV gesondert geschützte Wirtschafts- und Gewerbefreiheit sowie die
Eigentumsgewährleistung des Art. 60 Abs. 1 LV weitergehende Schutzbereiche eröffnet sind, wird im Ver-
fassungsbeschwerdeverfahren zu klären sein.
b) Die Beschwerdeführer sind durch die gesetzliche Regelung auch gegenwärtig betroffen. Zwar tritt das
Nichtraucherschutzgesetz gemäß § 13 NRSG erst am 15. Februar 2008 in Kraft. Von einem verkündeten,
wenngleich noch nicht in Kraft getretenen Gesetz kann aber dann eine gegenwärtige Beschwer
ausgehen, wenn bereits aktuell klar abzusehen ist, dass und auf welche Weise die Beschwerdeführer von
der angegriffenen Vorschrift betroffen sein werden (BVerfG, NVwZ 2006, 324 [325]). Das ist hier der Fall,
da die Beschwerdeführer ab dem genannten Zeitpunkt in Gaststätten grundsätzlich nicht mehr rauchen
bzw. in Ein-Raum-Gaststätten ein Rauchen nicht mehr zulassen dürfen.
2. Die Verfassungsbeschwerden der Beschwerdeführer zu 2) bis 6) sind im Hinblick auf Art. 58 LV nicht
offensichtlich unbegründet.
Die Begründung eines Rauchverbots in Ein-Raum-Gaststätten stellt für die Gastwirte eine
Berufsausübungsregelung im Sinne des Art. 58 LV dar. Derartige Regelungen werden grundsätzlich,
sofern sie im Übrigen verhältnismäßig sind, bereits durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls
legitimiert (BVerfGE 111, 10 [32]). Zwar rechtfertigt die Möglichkeit, dass eine gesetzliche Maßnahme im
Einzelfall zur Existenzgefährdung oder gar -vernichtung führen könnte, im Allgemeinen noch nicht, sie
unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit von Verfassungs wegen zu beanstanden (BVerfGE 70, 1
[30]; 77, 84 [112]). Selbst wenn aber eine Berufsausübungsregelung für einen Großteil der Betroffenen
den Erfordernissen entspricht, kann sie im Hinblick auf die unterschiedliche Situation Betroffener – hier:
der Betreiber großer und derjenigen von Ein-Raum-Gaststätten – mit Art. 58 LV in Verbindung mit Art. 17
Abs. 1 LV unvereinbar sein, falls sie damit Ungleichheiten außer acht lässt, die typischerweise innerhalb
eines Berufs bestehen, und deshalb einen Teil der Berufsgruppe ohne zureichenden Grund
unverhältnismäßig belastet (vgl. BVerfGE 34, 71 [78 f.]; 59, 336 [356]).
Ob die Regelung des § 7 NRSG den hieraus folgenden Anforderungen entspricht, bedarf der Überprüfung
im Verfassungsbeschwerdeverfahren. Die Beschwerdeführer zu 2) und 6) gehören nach ihren Angaben
derjenigen Gruppe von Gastwirten an, die als Betreiber einer Ein-Raum-Gaststätte aufgrund der örtlichen
Gegebenheiten nicht über die Möglichkeit verfügen, einen von dem rauchfreien Gastraum abgetrennten
Raucherbereich einzurichten. Zugleich ist es ihnen verwehrt, sich – unter entsprechend deutlich
sichtbarem Hinweis an etwaige Nichtraucher – für ein Gestatten des Rauchens zu entscheiden. Dies
unterscheidet sie von der Gruppe der Betreiber räumlich größerer Gaststätten, denen eine solche
Möglichkeit offen steht und die insoweit von der Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 2 Satz 1 NRSG
Gebrauch machen können. Das Rauchverbot in Gaststätten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit §
1 Abs. 2 NRSG führt demnach tendenziell zu einer stärkeren Belastung derjenigen Gruppe, der die
Beschwerdeführer zu 2) bis 6) angehören. Insbesondere ist ihre Befürchtung nicht von der Hand zu
weisen, rauchende Gäste würden zukünftig verstärkt solche Gaststätten aufsuchen, die über zulässige
Raucherbereiche verfügen. Eine hinreichende Legitimation dieser ungleichgewichtigen Belastung ist
gegenwärtig jedenfalls nicht offensichtlich.
Unter diesen Umständen ist aber auch die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 1) nicht
offensichtlich unbegründet. Beruht nämlich ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit – wie hier – auf
einer Rechtsnorm, erstreckt sich die verfassungsgerichtliche Prüfung auch auf die Frage, ob die zur
Nachprüfung gestellte Vorschrift insgesamt formell und materiell mit der Landesverfassung in Einklang
steht (VerfGH RP, AS 29, 23 [27] m.w.N.). Es wird daher im Verfahren der Verfassungsbeschwerde zu
klären sein, ob ein gegenwärtig nicht auszuschließender Verstoß der Vorschrift des § 7 NRSG gegen Art.
58 LV in Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 LV auch zu einer jedenfalls teilweisen Begründetheit der von dem
Beschwerdeführer zu 1) erhobenen Verfassungsbeschwerde führt.
III.
Die hiernach gebotene Folgenabwägung führt hinsichtlich des Beschwerdeführers zu 1) zur Ablehnung,
hinsichtlich der Beschwerdeführer zu 2) bis 6) jedoch zum Erlass der beantragten einstweiligen
Anordnung.
1. Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich später aber die Verfassungsbeschwerde als
begründet, so entstünden dem Beschwerdeführer zu 1) mit Inkrafttreten der Regelung über ein
Rauchverbot in Ein-Raum-Gaststätten und eine nur ausnahmsweise Zulässigkeit des Rauchens in
Nebenräumen größerer Gaststätten keine besonders schweren und praktisch nicht wieder gut zu machen-
den persönlichen Nachteile. Er würde zu keinerlei später nur schwer korrigierbaren Entscheidung
gezwungen. Vielmehr hätte er bis zur Entscheidung im Verfassungsbeschwerdeverfahren lediglich eine
seine allgemeine Handlungsfreiheit in einem Grenzbereich berührende Beeinträchtigung hinzunehmen:
Er müsste beim Besuch von Gaststätten, welche die Einrichtung eines Raucherbereichs aus baulichen
Gründen nicht zulassen, im Inneren der Gaststätte auf das Rauchen verzichten. In sonstigen Gaststätten
stünde ihm hingegen die Möglichkeit offen, eingerichtete Raucherbereiche aufzusuchen.
Im Vergleich zu dieser zeitlich begrenzten und mit keinem irreparablen Rechtsverlust verbundenen
Beeinträchtigung wiegen die Nachteile, die entstehen, wenn eine einstweilige Anordnung erlassen wird,
die Verfassungsbeschwerde später aber keinen Erfolg hat, schwerer. Der Gesetzgeber hat vor dem
Hintergrund gefestigter medizinischer Erkenntnisse insbesondere im Hinblick auf die Nutzung eines
gastronomischen Angebots durch Familien mit Kindern, durch Menschen mit bestimmten chronischen
Erkrankungen sowie durch Jugendliche und die dringliche Sicherung des gesundheitlichen Schutzes der
Beschäftigten die Einführung einer weitgehenden Rauchfreiheit in den Gaststättenräumen mit
Publikumsverkehr für erforderlich erachtet (LT-Drucks. 15/11005, S. 8 und 11). Er hat dabei in Wahr-
nehmung seines Auftrags gemäß Art. 1 Abs. 2 LV gehandelt, sich schützend und fördernd vor die den
Bürgern verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsgüter zu stellen (vgl. VerfGH RP, AS 32, 244 [246]).
Hierzu zählt auch ihre Gesundheit, die durch das Passivrauchen gefährdet wird. Angesichts der hohen
Bedeutung dieses Schutzguts überwiegen die Risiken eines auch nur vorübergehenden Aussetzens des
Nichtraucherschutzes in Gaststätten deutlich die den Beschwerdeführer zu 1) durch das Inkrafttreten der
Regelung treffenden Beeinträchtigungen.
2. Hinsichtlich der Beschwerdeführer zu 2) bis 6) überwiegen die Folgen, welche eintreten würden, wenn
die die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerden aber Erfolg hätten, diejenigen
Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, den
Verfassungsbeschwerden aber der Erfolg zu versagen wäre. Dies gilt auch bei Anlegung des besonders
strengen Prüfungsmaßstabs für die Aussetzung des Vollzugs eines förmlichen Gesetzes, den der Respekt
vor der demokratisch gefundenen Entscheidung des Parlaments verlangt. Die danach erforderlichen
besonders gewichtigen Gründe liegen hier vor.
Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiesen sich aber die Verfassungsbeschwerden später als
begründet, so können den Beschwerdeführern zu 2) bis 6) mit Inkrafttreten des
Nichtraucherschutzgesetzes Rheinland-Pfalz besonders schwere und praktisch nicht wieder gut zu
machende wirtschaftliche Nachteile entstehen. Ihre Prognose, sie müssten angesichts eines
Raucheranteils von 80 % (und mehr) unter ihren Stammkunden mit erheblichen Umsatzeinbußen
rechnen, die zur Bedrohung oder sogar Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz führen könnten, ist so
substantiiert begründet, wie dies zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur möglich ist. Sie erscheint vor dem
Hintergrund des spezifischen soziokulturellen Milieus, das gerade die Kleingaststätten seit jeher prägt,
nachvollziehbar. So hat auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband e.V. auf marktforschungs-
gestützte Erfahrungen in Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen hingewiesen, wo
vergleichbare Rauchverbote im Branchensegment der Ein-Raum-Gaststätten zu Umsatzverlusten bei ca.
50 % der Kneipen und Bars in teilweise erheblicher Höhe geführt hätten. Darüber hinaus hat er
nachvollziehbar dargelegt, ein erheblicher Umsatzverlust gerade bei den in erster Linie vom
Getränkeabsatz geprägten Ein-Raum-Gaststätten könne zu einer rapiden Verschlechterung ihrer
wirtschaftlichen Situation binnen kurzer Zeit führen, vor allem auch angesichts zunächst gleichbleibender
vertraglicher Verpflichtungen aus Bierlieferungsverträgen und Pachtzinsvereinbarungen. Im Hinblick auf
diese plausibel dargelegte Möglichkeit des Eintritts einer existenzgefährdenden Situation für eine nicht
nur geringe Zahl von Ein-Raum-Gaststätten innerhalb eines kurzen Zeitraums sprechen gewichtige
Gründe der Gewährung eines effektiven Grundrechtsschutzes im Verfassungsbeschwerdeverfahren (vgl.
hierzu BVerfG [1. Kammer des Zweiten Senats], NVwZ 2007, 1178; NVwZ 2008, 70) dagegen, zunächst
die Widerlegung oder den tatsächlichen Eintritt der prognostizierten Folgen abzuwarten. Im letzteren Fall
käme der Grundrechtsschutz in der Hauptsache wegen irreparabler Nachteile zu spät.
Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung lediglich für einen
überschaubaren Zeitraum und einen eng begrenzten Anwendungsbereich des
Nichtraucherschutzgesetzes Rheinland-Pfalz die Fortgeltung der bisherigen und seit jeher geltenden
Rechtslage fortschreiben würde. Der gebotene Respekt vor der demokratisch gefundenen Entscheidung
des Gesetzgebers bliebe damit gewahrt.
Erginge die einstweilige Anordnung hingegen – in der aus dem Tenor ersichtlichen Eingrenzung – und
hätten die Verfassungsbeschwerden später keinen Erfolg, sind die damit verbundenen drohenden
Nachteile weniger gewichtig. Wie schon aufgezeigt, verfolgt der Gesetzgeber mit der allgemeinen
Einführung der Rauchfreiheit in Gaststätten ein aus seiner Verpflichtung zum Schutz der den Bürgern ver-
fassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsgüter (Art. 1 Abs. 2 LV) folgendes legitimes Ziel. Dabei ist sein
Motiv zu berücksichtigen, insbesondere Familien mit Kindern, Menschen mit chronischen
Atemwegserkrankungen und Jugendlichen die Wahrnehmung eines gastronomischen Angebots zu
ermöglichen, ohne sie einer Passivrauchbelastung auszusetzen. Gleichzeitig bezweckt er, durch Rauch-
verbote in Gaststätten gesundheitliche Gefährdungen der Beschäftigten durch Tabakrauch erheblich zu
verringern (LT-Drucks. 15/11005, S. 8 und 11). Für den angesprochenen Personenkreis sind jedoch die
Folgen einer kurzfristig zunächst fortbestehenden Möglichkeit, in Ein-Raum-Gaststätten das Rauchen
zuzulassen, begrenzt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich um inhabergeführte Gaststätten handelt, die
– außer volljährigen Familienmitgliedern – keine weiteren Personen beschäftigen. Denn Familien mit
Kindern und Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen gehören nicht typischerweise zum
Gästekreis solcher Ein-Raum-Gaststätten mit erfahrungsgemäß hohem Raucheranteil.
Das Festhalten an der bisherigen Rechtslage in dem angesprochenen Bereich bis zu einer Entscheidung
in den Verfassungsbeschwerdeverfahren begründet daher noch keinen Nachteil, der die den
Beschwerdeführern zu 2) bis 6) drohenden existenzgefährdenden Konsequenzen aufwiegen würde.
Voraussetzung hierfür ist allerdings, die inhabergeführten Ein-Raum-Gaststätten, in denen bis zur
Entscheidung in den Verfassungsbeschwerdeverfahren das Rauchen zulässig bleibt, an ihrem Eingang
deutlich sichtbar als nicht rauchfreie Gaststätten zu kennzeichnen. Nichtraucher können so vorab eine
selbständige und bewusste Entscheidung treffen, ob sie eine solche Gaststätte aufsuchen wollen.
Der Verfassungsgerichtshof betont, dass diese auf inhabergeführte Ein-Raum-Gaststätten beschränkte
einstweilige Aussetzung von § 7 NRSG aufgrund einer reinen Folgenabwägung ergeht und damit keine
Aussage über den Ausgang der Hauptsacheverfahren verbunden ist.
IV.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Das Verfahren ist gemäß § 21 Abs. 1 VerfGHG kostenfrei. Von
einer gemäß § 21a Abs. 3 VerfGHG möglichen Anordnung zur Erstattung der Auslagen der
Beschwerdeführer zu 2) bis 6) wird abgesehen, da diese nicht anwaltlich vertreten und sonstige nen-
nenswerte Auslagen nicht angefallen sind.
gez. Prof. Dr. Meyer gez. Dury gez. Dr. Freimund-Holler