Urteil des VerfGH Berlin vom 02.04.2017

VerfGH Berlin: unwirksamkeit der kündigung, ordentliche kündigung, rechtliches gehör, gerichtliche medizin, verfassungsbeschwerde, gesetzliche frist, grundrecht, verwaltung, qualifikation, unterlassen

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
76/95
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Anlage I Kap XIX A EinigVtr,
Anlage I Kap XIX A III Nr 1 Abs 4
Nr 2 EinigVtr, Art 12 Abs 1 S 1
GG, Art 11 Verf BE vom
01.09.1950, Art 62 Verf BE vom
01.09.1950
(VerfGH Berlin: Abweisung einer Kündigungsschutzklage einer
an der Charité beschäftigten Ärztin mit Grundrecht auf freie
Arbeitsplatzwahl und rechtlichem Gehör vereinbar - für die
öffentliche Verwaltung spezielle, dem Kündigungsschutz nach
KSchG § 1 Abs 2 S 1 vorgehende ordentliche Kündigung gem
EinigVtr Anlage I Kap XIX A III Nr 1 Abs 4 Nr 2 wegen
mangelndem Bedarf)
Gründe
I.
Die 1938 geborene Beschwerdeführerin wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde
dagegen, daß ihre Kündigungsschutzklage im arbeitsgerichtlichen Verfahren ohne Erfolg
geblieben ist. Die Beschwerdeführerin stand seit 1. September 1962 im Dienst der
Beteiligten, zunächst als Pflichtassistentin, danach als wissenschaftliche Assistentin am
Pathologischen Institut der Medizinischen Fakultät (Charite). Seit dem 1. September
1969 arbeitete sie als Fachärztin für Gerichtliche Medizin am Institut für Gerichtliche
Medizin der Charite. Mit Schreiben vom 24. November 1993 kündigte die Beteiligte das
Arbeitsverhältnis der Beschwerdeführerin wegen mangelnden Bedarfs zum 31. März
1994. Der Kündigungsschutzklage der Beschwerdeführerin hat das Arbeitsgericht Berlin
stattgegeben und festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht
aufgelöst worden sei. Zur Begründung führte es aus: Die Unwirksamkeit der Kündigung
folge entsprechend § 108 Abs. 2 BPersVG daraus, daß die Beteiligte das vor der
Kündigung durchzuführende Mitwirkungsverfahren vor Ausspruch der Kündigung nicht
ordnungsgemäß abgeschlossen habe, weil sie nicht auf die Einwendungen des
Personalrats in seinem die Zustimmung zur Kündigung verweigernden Schreiben
eingegangen sei.
Auf die Berufung der Beteiligten änderte das Landesarbeitsgericht Berlin durch das
angefochtene Urteil das Urteil des Arbeitsgerichts und wies die Klage ab.
Zur Begründung führte es aus: Die am 24. November 1993 fristgerecht ausgesprochene
ordentliche Kündigung habe die beiderseitigen arbeitsvertraglichen Beziehungen
rechtswirksam zum 31. März 1994 beendet.
Nach dem Einigungsvertrag sei die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in
der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnden
Bedarfs nicht mehr verwendbar sei. Der Arbeitsplatz der Beschwerdeführerin sei
aufgrund der Stellenstreichung ersatzlos weggefallen. Die Stelle sei in dem allein
rechtsverbindlichen Stellenplan nicht mehr enthalten. Zu Recht weise die Beteiligte
darauf hin, daß der Beschwerdeführerin auch keine der im Stellenplan ausgewiesenen
Stellen der Besoldungsgruppen C 4, C 3 und C 2 habe zugewiesen werden können. Für
die C 4- und C 3-Stellen fehlten der Beschwerdeführerin die notwendige Qualifikation.
Ebensowenig könne der Beschwerdeführerin aufgrund ihres Lebensalters die Stelle einer
wissenschaftlichen Assistentin nach der Besoldungsgruppe C 1 übertragen werden, da
sie selbst nicht an einer solchen Qualifizierungsstelle interessiert sei. Soweit die
Beteiligte Funktionsstellen an Herrn W. und Frau H. übertragen habe, sei diese
Verfahrensweise kündigungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar könne die
Beschwerdeführerin eine Facharztausbildung vorweisen. Sie habe jedoch bereits seit
Anfang der achtziger Jahre keine Tätigkeiten mehr in der Patientenversorgung und in
anderen ärztlichen Bereichen der Gerichtsmedizin übernommen. Frau H. sei überdies als
Diplomchemikerin am Institut beschäftigt und ausgebildete Fachchemikerin für Analytik
und Spektroskopie sowie Fachchemikerin der Medizin. Sie verfüge über Lehrerfahrungen
und Kenntnisse auf dem Gebiet der forensischen und klinischen Toxikologie. Insoweit sei
die Beteiligte nicht verpflichtet gewesen, die genannten Arbeitsgebiete der
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die Beteiligte nicht verpflichtet gewesen, die genannten Arbeitsgebiete der
Beschwerdeführerin zuzuweisen, um eine Kündigung wegen mangelnden Bedarfs zu
vermeiden. Ebensowenig könne die Beschwerdeführerin mit Erfolg geltend machen, die
Beteiligte habe bei der ausgesprochenen Kündigung keine soziale Auswahl im Sinne von
§ 1 Abs. 3 KSchG vorgenommen, da der Arbeitgeber nach gefestigter Rechtsprechung
hierzu bei einer Kündigung nach dem Sondertatbestand des Einigungsvertrages nicht
verpflichtet sei. Schließlich erweise sich die Kündigung auch nicht deshalb als
rechtsunwirksam, weil nach den Behauptungen der Beschwerdeführerin der Personalrat
vor dem Ausspruch der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört worden sein solle. §
89 Abs. 1 des Berliner Personalvertretungsgesetzes schränke das Mitbestimmungsrecht
in personalrechtlichen Angelegenheiten u.a. für Dienstkräfte mit vorwiegend
wissenschaftlicher Tätigkeit in dem Sinne ein, daß kein Mitbestimmungs-, sondern nur
ein Mitwirkungsrecht bestehe. Die Beschwerdeführerin sei aufgrund ihres Einsatzes in
der wissenschaftlichen Forschung als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer Hochschule
im Sinne von § 2 der Verordnung über wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiter
vom 9. August 1988 einzustufen. Der bei der Charite bestehende Personalrat sei vor
dem Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß beteiligt worden; seiner Zustimmung
habe es nicht bedurft. Selbst wenn man von den Behauptungen der Beschwerdeführerin
ausgehe, die Erörterungen mit dem Personalrat seien nicht ordnungsgemäß
durchgeführt worden, so folge daraus jedenfalls noch nicht die Rechtsunwirksamkeit der
personellen Einzelmaßnahmen.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beschwerdeführern wies das Bundesarbeitsgericht
durch Beschluß vom 7. September 1995 (8 AZN 467/95) mit der Begründung, das
anzufechtende Urteil sei von divergenzfähigen Entscheidungen anderer Gerichte nicht
abgewichen, als unbegründet zurück.
Mit der am 15. November 1995 eingegangenen, gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts vom 8. Mai 1995 gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt die
Beschwerdeführerin eine Verletzung der Grundrechte aus Art. 11 VvB 1950 (freie Wahl
des Arbeitsplatzes) sowie Art. 62 VvB 1950 (rechtliches Gehör). Sie ist der Ansicht: Das
Landesarbeitsgericht habe bei seiner arbeitsgerichtlichen Entscheidung die Drittwirkung
dieser Grundrechte nicht ausreichend berücksichtigt. Indem es die Bevorzugung der
Mitarbeiter W. und H. akzeptiere, habe es ihr Grundrecht auf Schutz des Arbeitsplatzes
verletzt. Bei der Auslegung der Sonderkündigungsvorschriften seien das hohe
Lebensalter und die lange Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Im Sinne der
Warteschleifenrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehöre sie aufgrund ihres
hohen Lebensalters zu einer geschützten Arbeitnehmergruppe. Außer dem sei sie
positiv evaluiert worden. Die ausgewählten Mitarbeiter W. und H. seien nicht besser
qualifiziert als sie.
Zur Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör führt die Beschwerdeführerin aus:
Das Arbeitsgericht Berlin habe in seinem Urteil vom 7. Juli 1994 die Unwirksamkeit der
Kündigung ausschließlich auf die fehlerhafte Personalratsbeteiligung gestützt. Das
Landesarbeitsgericht Berlin habe hingegen eingehend ausgeführt, daß mögliche Fehler
im Rahmen des Mitwirkungsrechts nicht die Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge
habe. Diese Ausführungen stellten ein Abweichen von der gängigen und bekannten
arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zum Betriebsverfassungsrecht und
Personalvertretungsrecht dar. In jedem Fall hätte sie das Landesarbeitsgericht nach den
Grundsätzen des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs auf diesen
Rechtsstandpunkt hinweisen müssen. Ein solcher Hinweis sei um so mehr geboten
gewesen, als das erstinstanzliche Urteil die Kündigung allein wegen Mängeln im
personalvertretungsrechtlichen Verfahren für unwirksam erklärt habe Mithin habe sie
sich darauf einstellen können, daß ohne einen entsprechenden richterlichen Hinweis der
Schwerpunkt des Berufungsverfahrens auch bei der Überprüfung des
personalvertretungsrechtlichen Mitwirkungsverfahrens liegen würde und nicht bei der
Bewertung ihrer fachlichen Qualifikation, ihres beruflichen Werdegangs und der in den
letzten Jahren ausgeübten Tätigkeit. Indem das Landesarbeitsgericht die
entsprechenden Hinweise unterlassen habe, habe es ihr Grundrecht nach Art. 62 VvB
verletzt. Das Urteil beruhe auch auf dieser Grundrechtsverletzung. Bei entsprechenden
Hinweisen hätte sie sich eingehender auf das Berufungsverfahren vorbereiten können
und zu ihrer Qualifikation und Berufspraxis Stellung nehmen und vortragen können.
Die Beteiligte hält die vorliegende Verfassungsbeschwerde für unzulässig: Da es sich bei
dem Kündigungsschutzgesetz um Bundesrecht handele, sei die Prüfungskompetenz des
Berliner Verfassungsgerichtshofs wegen des Vorrangs von Bundesrecht vor Landesrecht
(Art. 31 GG) nicht eröffnet. Die Verfassungsbeschwerde sei im übrigen unbegründet. Die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Warteschleife sei
vorliegend nicht heranzuziehen. Auch ein Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches
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vorliegend nicht heranzuziehen. Auch ein Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches
Gehör sei nicht gegeben. Die Prüfung der ordnungsgemäßen Anhörung der
Personalvertretung erfolge von Amts wegen. Das rechtliche Gehör der
Beschwerdeführerin bestehe nur insofern, als sie die Möglichkeit haben müsse, die
Tatsachen vorzutragen, die Grundlage der rechtlichen Bewertung der
Personalratsbeteiligung seien. Dies sei vorliegend der Fall gewesen. Die Feststellung des
Landesarbeitsgerichts, daß Fehler im Mitwirkungsverfahren nicht zur Unwirksamkeit der
Kündigung führten, gehöre nicht zu den das Urteil tragenden Erwägungen. Dies habe
auch das Bundesarbeitsgericht in seinem die Nichtzulassungsbeschwerde
zurückweisenden Beschluß ausgeführt.
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
a) Die Beschwerdeführerin hat die gesetzliche Frist für die Einlegung der
Verfassungsbeschwerde (§ 51 Abs. 1 VerfGHG) gewahrt. Nach § 51 Abs. 1 Sätze 1 und 2
VerfGHG ist die Verfassungsbeschwerde binnen zweier Monate zu erheben, wobei die
Frist mit der Zustellung der Entscheidung beginnt. Die gegen das am 29. Mai 1995
zugestellte Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 8. Mai 1995 gerichtete
Verfassungsbeschwerde ist zwar erst am 15. November 1995 eingegangen, aber
gleichwohl nicht verfristet. Nach § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG kann die
Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Zur
Erschöpfung des Rechtswegs gehört grundsätzlich auch eine gesetzlich vorgesehene
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (vgl. Urteil vom 19. Oktober 1992 -
VerfGH 24/92 - LVerfGE 1, 9, 19; Beschluß vom 12. Oktober 1994 - VerfGH 53/94 -NJ
1995, S. 373). Wäre die Verfassungsbeschwerde unmittelbar im Anschluß an das Urteil
des Landesarbeitsgerichts erhoben worden, hätte der Zulässigkeit die Nichterschöpfung
des Rechtswegs entgegengestanden. Die Beschwerdeführerin hat somit folgerichtig
zunächst die Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht eingelegt. Daß sie
nicht zeitgleich auch Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erhoben hat
(vgl. Majer, in: Umbach/Clemens, BVerfGG, Kommentar, Rdn. 22 zu § 93), kann ihr nicht
entgegengehalten werden. Vielmehr ist davon auszugehen, daß mit der Zustellung der
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts die Zweimonatsfrist zur Einlegung der
Verfassungsbeschwerde gegen das vorangegangene Berufungsurteil des
Landesarbeitsgerichts erneut in Gang gesetzt worden ist (vgl. Bayerischer
Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 21. Juli 1989 - BayVerfGH 42, 117, 120). Eine
andere Beurteilung käme nur dann in Betracht, wenn die Einlegung der
Nichtzulassungsbeschwerde offensichtlich unzulässig gewesen wäre (vgl. BVerfG NJW
1989, S. 1148). Hiervon kann im vorliegenden Fall schon deshalb keine Rede sein, weil
das Bundesarbeitsgericht die Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet
zurückgewiesen hat. Die durch den am 27. September 1995 zugestellten Beschluß des
Bundesarbeitsgerichts vom 7. September 1995 neu in Gang gesetzte Zweimonatsfrist
war bei Eingang der Verfassungsbeschwerde am 15. November 1995 noch nicht
abgelaufen.
b) Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde bestehen auch im
übrigen nicht. Entgegen der Auffassung der Beteiligten ist die Prüfungskompetenz des
Verfassungsgerichtshofs gegeben. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen eine
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin also einen gemäß § 49 Abs. 1 VerfGHG
grundsätzlich der Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof unterliegenden Akt der
öffentlichen Gewalt des Landes Berlin. Die Prüfungskompetenz besteht grundsätzlich
auch dann, wenn die angegriffene gerichtliche Entscheidung auf der Anwendung von
Bundesrecht - hier auf der Anwendung des Einigungsvertrages und des
Kündigungsschutzgesetzes - beruht. Denn die in der Verfassung von Berlin
gewährleisteten Grundrechte sind auch in diesem Bereich in den Grenzen der Art. 142,
31 GG, nämlich soweit sie in inhaltlicher Übereinstimmung mit Grundrechten des
Grundgesetzes stehen, von der rechtsprechenden Gewalt des Landes Berlin zu
beachten und dem Schutz durch den Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin
anvertraut (st. Rspr., u. a. Beschluß vom 12. Juli 1994 - VerfGH 94/93 LVerfGE 2, 19, 23
= DVBl. 1994, S. 1189).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch nicht begründet. Die Entscheidung des
Landesarbeitsgerichts verletzt weder Art. 11 noch Art. 62 der Verfassung von Berlin in
der im vorliegenden Fall noch anwendbaren Fassung vom 1. September 1950.
Gerichtliche Entscheidungen können im Verfahren der Verfassungsbeschwerde nur in
engen Grenzen überprüft werden. Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und
Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung
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Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung
auf den Einzelfall sind Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der
Nachprüfung durch den Verfassungsgerichtshof entzogen.
In Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs läßt die angefochtene Entscheidung des
Landesarbeitsgerichts einen Verfassungsverstoß zu Lasten der Beschwerdeführerin nicht
erkennen.
a) Art. 11 VvB, der, soweit er die freie Berufswahl und die freie Wahl des Arbeitsplatzes
schützt, inhaltsgleich mit Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG ist und neben dieser
Grundrechtsgewährung des Grundgesetzes in Kraft bleibt (vgl. Beschluß vom
10.November 1993 - VerfGH 78/93 -; Urteil vom 31.Mai 1995 VerfGH 55/93 -JR 1996, S.
146), ist nicht verletzt. Zwar kann ein Eingriff in den Schutzbereich dieser Bestimmung
auch vorliegen, wenn eine fachgerichtliche Entscheidung Auslegungsfehler erkennen
läßt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung des
Grundrechts beruhen. Doch ist zu beachten, daß der Bedeutung der Berufsfreiheit schon
der Gesetzgeber im Rahmen des Kündigungsrechts Rechnung getragen hat. Art. 11 VvB
gewährt ebensowenig unmittelbaren Schutz vor Kündigungen wie Art. 12 Abs. 1 GG, ist
jedoch bei der Auslegung und Anwendung von arbeitsrechtlichen Kündigungen zu
beachten (vgl. BVerfGE 84, 133, 146 f.; siehe auch BVerfGE 92, 140, 153; Jarass in:
Jarass/Pieroth, GG, 3. Aufl., Rdn. 16 zu Art. 12; Gubelt in: von Münch/Kunig, GG,4. Aufl.,
Bd. I Rdn. 25 zu Art. 12).
Im Falle der Beschwerdeführerin war die Kündigung gestützt auf Anlage I, Kapitel XIX,
Sachgebiet A, Abschnitt III Ziff. 1 Abs. 4 Nr. 2 des Vertrages zwischen der
Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die
Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag). Danach ist die ordentliche
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn
der Arbeitnehmer wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist. Das
Landesarbeitsgericht hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts entschieden, daß der Einigungsvertrag mit dieser Regelung
bewußt von den in § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG verankerten restriktiven Voraussetzungen für
den Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung abweicht und daß diese
Kündigungsregelung im Einigungsvertrag § 1 KSchG ersetzt. Es hat im einzelnen
dargelegt, daß die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung im Falle der
Beschwerdeführerin erfüllt waren, da der Arbeitsplatz aufgrund der Stellenstreichung
ersatzlos weggefallen ist. Ferner hat das Landesarbeitsgericht unter Würdigung des
beruflichen Werdegangs der Beschwerdeführerin ausgeführt, die Übertragung von
Funktionsstellen an Herrn W. und Frau H. könne kündigungsrechtlich nicht beanstandet
werden.
Diese Anwendung des einfachen Rechts durch das Landesarbeitsgericht läßt einen
Verstoß gegen das Grundrecht der freien Wahl des Arbeitsplatzes nicht erkennen. Daß
der Einigungsvertrag in Abweichung vom Kündigungsschutzgesetz Kündigungen
ermöglicht, um die Voraussetzungen für den Aufbau einer rechtsstaatlichen Verwaltung
zu schaffen, kann nicht beanstandet werden. Die von der Beschwerdeführerin angeführte
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu sogenannten
Abwicklungssachverhalten rechtfertigt keine andere Beurteilung. Das
Bundesverfassungsgericht hat Regelungen des Einigungsvertrages, nach denen
Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten bei abzuwickelnden öffentlichen Einrichtungen
zum Ruhen gebracht und befristet werden, für nur insoweit mit dem Grundgesetz
unvereinbar gehalten, als dadurch die Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechts
durchbrochen werden; es hat ferner entschieden, daß die besondere Lage von
Schwerbehinderten, älteren Arbeitnehmern, Alleinerziehenden und anderen in ähnlicher
Weise Betroffenen bei der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst berücksichtigt
werden müssen (BVerfGE 84, 133; 85, 360). Abgesehen davon, daß diese
Rechtsprechung Regelungen des Einigungsvertrages betrifft, die unmittelbar kraft
Gesetzes zum Arbeitsplatzverlust führten, kann ihr nicht entnommen werden, daß die
Beendigung der Arbeitsverhältnisse älterer Arbeitnehmer mit langer
Betriebszugehörigkeit generell unzulässig sei.
b) Das in der Verfassung von Berlin vom 1. September 1950 namentlich in Art. 62 VvB
im gleichen Umfang wie bundesrechtlich nach Art. 103 Abs. 1 GG verbürgte
Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör ist ebenfalls nicht verletzt. Die
Beschwerdeführerin sieht einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs in
dem Umstand, daß das Landesarbeitsgericht von dem "allgemeinen arbeitsrechtlichen
Grundsatz" abgewichen sei, wonach Mangel im personalvertretungsrechtlichen wie auch
im betriebsverfassungsrechtlichen Mitwirkungsverfahren zur Unwirksamkeit einer
Kündigung führen, ohne vorher darauf hingewiesen zu haben. Dieses Vorbringen geht
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Kündigung führen, ohne vorher darauf hingewiesen zu haben. Dieses Vorbringen geht
schon im Ansatz fehl. Die Beschwerdeführerin verkennt insoweit, daß das
Landesarbeitsgericht von einer ordnungsgemäßen Beteiligung des bei der Charite
bestehenden Personalrats vor dem Ausspruch der fristgerechten Kündigung
ausgegangen ist, somit einen Mangel im Mitwirkungsverfahren gerade nicht festgestellt
hat. Das Landesarbeitsgericht stellt lediglich in einer zusätzlichen, das Urteil nicht
tragenden, Erwägung darauf ab, daß die Kündigung selbst dann nicht rechtsunwirksam
wäre, wenn man mit der Beschwerdeführerin davon ausginge, die Erörterungen mit dem
Personalrat seien nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Das Bundesarbeitsgericht
hat in der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde die Begründung des
Landesarbeitsgerichts in gleicher Weise rechtlich gewürdigt und ausgeführt, die Frage
der Abweichung könne dahinstehen, da diese Ausführungen im Urteil nicht tragend
seien.
Schließlich kann dem Landesarbeitsgericht ein Unterlassen rechtlich gebotener Hinweise
auch sonst nicht angelastet werden. Die beklagte Universität hatte in ihrer Berufung
gegen das Urteil des Amtsgerichts nicht nur das Problem der ordnungsgemäßen
Anhörung des Personalrats, sondern auch alle übrigen Rechts- und Sachfragen
angesprochen. Im Rahmen der Berufungserwiderung hatte die Beschwerdeführerin
ausreichend Gelegenheit, umfassend Stellung
zu nehmen. Das Landesarbeitsgericht war nicht verpflichtet, die Beschwerdeführerin in
Vorbereitung der mündlichen Verhandlung darauf hinzuweisen, welche der schriftsätzlich
angesprochenen Fragen entscheidungserheblich sein könnten.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 33 f. VerfGHG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar
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