Urteil des VerfGH Berlin vom 02.04.2017

VerfGH Berlin: verfassungsbeschwerde, strafverfahren, vorführung, zivilprozess, zivilverfahren, rechtsschutz, ermittlungsverfahren, gewalt, inhaftierung, androhung

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
107 A/06, 107/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 19 Abs 4 GG, Art 5 Abs 1 S
1 GG, § 201 Abs 2 S 2 StPO, §
203 StPO, § 210 Abs 1 StPO
VerfGH Berlin: Aus Subsidiaritäts- und Substantiierungsgründen
unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen strafgerichtlichen
Eröffnungsbeschluss und Ladung zum Termin sowie Androhung
der Vorführung und Inhaftierung - Verfassungsbeschwerde
gegen Zwischenentscheidungen
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. Er ist Beklagter in einem Zivilrechtsstreit, den
Rechtsanwalt N. R. im Namen des Vaters des Beschwerdeführers zunächst als bestellter
Betreuer und Prozessbevollmächtigter, nach dessen Tod als Nachlasspfleger wegen der
Rückforderung von Geldbeträgen aus dem Vermögen des Vaters gegen den
Beschwerdeführer führt. Nach Endurteil des Landgerichts Berlin vom 18. Oktober 2005
(36 O 530/04) ist der Rechtsstreit auf die Berufung des Beschwerdeführers vor dem
Kammergericht (26 U 2/06) anhängig. Dort ist ein Termin zur mündlichen Verhandlung
auf den 13. September 2006 anberaumt.
Gegen den Beschwerdeführer war nach einer Strafanzeige des Rechtsanwalts N. R. von
der Staatsanwaltschaft Berlin zunächst ein Ermittlungsverfahren (63 Js 4301/05)
eingeleitet worden, dem der Verdacht der Untreue zum Nachteil des Vaters des
Beschwerdeführers, als dessen Betreuer der Beschwerdeführer bis zu seiner Entlassung
und Bestellung des Rechtsanwalts N. R. eingesetzt gewesen war, zugrunde lag. In
Ermangelung eines Strafantrages des Vaters bzw. dessen Betreuers ist das
Ermittlungsverfahren eingestellt worden.
In der Folge führte die Staatsanwaltschaft Berlin gegen den Beschwerdeführer ein
weiteres Ermittlungsverfahren (63 Js 4881/05) wegen des Verdachts der Verleumdung
und Beleidigung des Rechtsanwalts N. R. durch mehrere schriftsätzliche Äußerungen, die
der Beschwerdeführer im Rahmen des oben genannten Zivilrechtsstreits vor dem Land-
und dem Kammergericht sowie in einer Schutzschrift im Rahmen dieses
Ermittlungsverfahrens abgegeben hatte. Unter dem 13. März 2006 erhob die
Staatsanwaltschaft Anklage, die das Amtsgericht Tiergarten mit Beschluss vom 20. Juni
2006 unter Eröffnung des Hauptverfahrens zur Hauptverhandlung zuließ. Unter dem
gleichen Datum lud das Gericht den Beschwerdeführer als Angeklagten zum Termin am
30. August 2006 und wies zugleich darauf hin, dass im Falle seines Ausbleibens ohne
genügende Entschuldigung seine Vorführung anzuordnen oder ein Haftbefehl zu
erlassen sei.
Mit einem am 26. Juni 2006 beim Amtsgericht Tiergarten eingegangenen Schreiben
legte der Beschwerdeführer gegen die Vorführungs- und Haftandrohungsverfügung des
Amtsgerichts Beschwerde ein, die vom Landgericht Berlin mit Beschluss vom 5. Juli 2006
(525 Qs 81/06) unter Hinweis auf § 305 Satz 1 der Strafprozessordnung - StPO -
verworfen wurde.
Mit seiner am 22. Juli 2006 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der
Beschwerdeführer gegen den Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten, seine
Ladung zum Termin am 30. August 2006 und die Androhung der Vorführung und
Inhaftierung im Falle des Nichterscheinens und macht eine Verletzung seiner
Grundrechte aus Art. 14 und Art. 15 der Verfassung von Berlin - VvB - geltend. Zugleich
beantragt er, im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung das Strafverfahren bis
zum Abschluss des kammergerichtlichen Verfahrens 26 U 2/06 auszusetzen und den
Termin am 30. August 2006 einstweilen aufzuheben.
Zur Begründung führt er im Wesentlichen an, die Verfassungsbeschwerde sei zulässig,
weil es keinen fachgerichtlichen Rechtsschutz gegen Eröffnungsbeschlüsse gebe. Sie sei
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weil es keinen fachgerichtlichen Rechtsschutz gegen Eröffnungsbeschlüsse gebe. Sie sei
auch begründet, denn das Justizgrundrecht des effektiven Rechtsschutzes verbiete den
externen Eingriff seitens der Staatsanwaltschaft in zivilrechtlichen anwaltlichen Vortrag.
Im laufenden Zivilprozess brauche er sich keinen "Maulkorb" anlegen und seine
Schriftsätze nicht von der Staatsanwaltschaft genehmigen zu lassen. Er dürfe sich zwar
nicht "zur Schlüssigkeit durchlügen", könne aber sehr wohl auch Vermutungen mit
niedrigem Überzeugungsgrad äußern, wenn es hierfür Anhaltspunkte gebe. Ein solches
Pönalisierungsrecht im laufenden Zivilprozess bedeute faktisch auch eine Zensur von
Schriftsatzinhalten. Zudem könne der Wahrheitsgehalt seiner anwaltlichen Äußerungen
vor Abschluss eines Zivilverfahrens nicht abschließend überprüft werden. Aus diesen
Gründen finde auch ein zivilrechtlicher Ehrenschutz im laufenden Verfahren nicht statt.
Anderes dürfe nur dann gelten, wenn er nicht veranlasste Formalbeleidigungen verwandt
oder abschätzige Ausführungen ohne jeden Sachbezug gemacht hätte. Dies sei hier
erkennbar nicht der Fall.
Er werde auch bereits durch die Durchführung der mündlichen Verhandlung belastet,
denn so könne er beispielsweise zu einer Aussage über seine Einkommens- und
Vermögensverhältnisse gezwungen werden, die für die zivilrechtliche Prozessführung des
Rechtsanwalts N. R. von höchstem Nutzen sein könne. Müsste er sich während eines
laufenden Zivilverfahrens zu seinem eigenen Vortrag strafrechtlich verantworten,
gewinne die Strafjustiz letztlich Einfluss auf die Zivilverfahren und könne Art und Weise
der Verfahrensführung steuern. Die erhobenen Vorwürfe seien im Übrigen
weitestgehend harmlos und die Beleidigungswirkung sei von der Staatsanwaltschaft
überwiegend selbst induziert.
Das Amtsgericht Tiergarten hat am 26. Juli 2006 den Termin vom 30. August 2006
aufgehoben und unter Ladung der Beteiligten einen neuen Termin zur Hauptverhandlung
auf den 11. September 2006 anberaumt.
II.
Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg; sie ist unzulässig.
1. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht bereits der in § 49 Abs. 2 VerfGHG
zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Dieser verlangt von
dem Beschwerdeführer, vor einer Anrufung des Verfassungsgerichtshofs alle ihm bei den
Fachgerichten zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu ergreifen, um auf diese Weise
eine Korrektur des geltend gemachten Verfassungsverstoßes zu erwirken oder eine
Grundrechtsverletzung zu verhindern (st. Rspr., vgl. Beschluss vom 16. Dezember 1993
- VerfGH 104/93 - LVerfGE 1, 199 ; Urteile vom 31. Oktober 1996 - VerfGH 54/96 -,
LVerfGE 5, 49 und 12. Juli 2001 - VerfGH 152/00 -, LVerfGE 12, 40 ).
Danach können Zwischenentscheidungen eines erkennenden Gerichts, die nach § 201
Abs. 2 Satz 2, § 210 Abs. 1, § 305 StPO nicht der gewöhnlichen Beschwerde unterliegen,
grundsätzlich auch nicht selbständig mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen
werden. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 1,
9 ; 1, 322 ; 25, 336 ; 53, 109 ; 58, 1 ; st. Rspr.), der der Verfassungsgerichtshof folgt,
jedenfalls dann, wenn etwaige Verfassungsverstöße noch mit der Anfechtung der
Endentscheidung gerügt werden können. Ausnahmen kommen in Betracht, wenn durch
die Zwischenentscheidung für den Betroffenen ein bleibender rechtlicher Nachteil
entsteht, der durch das Rechtsmittel gegen die Endentscheidung nicht mehr behoben
werden kann, wie dies bei Entscheidungen in selbständigen Zwischenverfahren der Fall
ist, die über eine wesentliche Rechtsfrage abschließend befinden und in weiteren
Instanzen nicht mehr nachgeprüft werden können. Unzulässig ist danach eine
Verfassungsbeschwerde, die - wie hier − gegen einen Eröffnungsbeschluss nach § 203
StPO (Beschlüsse vom 22. März 2001 - VerfGH 63/00 - und 30. August 2002 - VerfGH
106/02, 106 A/02 -; vgl. auch BayVerfGH, NJW 2000, 3705) oder gegen die Anberaumung
eines Termins zur Hauptverhandlung und die Terminsladung nach §§ 213, 214 StPO
(BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 1998 - 2 BvQ 36/98 -, juris; NStZ-RR 2002, 113)
gerichtet ist.
Der Beschwerdeführer hat auch weder im Hinblick auf den Eröffnungsbeschluss des
Amtsgerichts Tiergarten noch auf seine Ladung zum Termin - davon ausgehend, dass
seine Verfassungsbeschwerde sich auch auf den verschobenen
Hauptverhandlungstermin am 11. September 2006 erstreckt − einschließlich der
Androhung seiner Vorführung und Inhaftierung im Falle des Nichterscheinens rechtliche
Nachteile geltend gemacht, die nicht im Strafverfahren vor dem Amtsgericht selbst oder
im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens korrigiert werden könnten. So steht dem
Beschwerdeführer etwa die Möglichkeit offen, unter Hinweis auf eine Vorgreiflichkeit des
zivilgerichtlichen Verfahrens zunächst die Aussetzung der Hauptverhandlung gemäß §
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zivilgerichtlichen Verfahrens zunächst die Aussetzung der Hauptverhandlung gemäß §
228 Abs. 1 Satz 1, § 262 Abs. 2 StPO zu beantragen. Soweit er der Auffassung ist, dass
im Rahmen des Zivilverfahrens getroffene Tatsachenfeststellungen für das
Strafverfahren von Bedeutung seien, kann er diese gegebenenfalls im Wege des
Beweisantrages einführen. Abgesehen davon ist das Strafgericht ebenso wenig an die
zivilgerichtliche Würdigung des Sachverhalts gebunden wie dies umgekehrt der Fall ist.
Der Beschwerdeführer wäre auch nicht gezwungen, im Strafverfahren seine
Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu Ungunsten seiner zivilrechtlichen
Prozessführung offen zu legen, denn ihm steht insoweit ein Aussageverweigerungsrecht
zu (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl. 2006, § 243 Rn. 12 m. w. N.). Ein rechtlicher
Nachteil aufgrund des in der Terminsladung enthaltenen Hinweises, dass im Falle des
Ausbleibens des Beschwerdeführers ohne genügende Entschuldigung seine Vorführung
anzuordnen oder ein Haftbefehl zu erlassen sei, ist bereits deshalb ausgeschlossen, weil
es sich nach § 216 Abs. 1 StPO lediglich um eine Warnung handelt, ohne dass damit
bereits über die Anwendung eines Zwangsmittels gemäß § 230 Abs. 2 StPO entschieden
worden wäre.
2. Selbst wenn der Verfassungsbeschwerde der Grundsatz der Subsidiarität nicht
entgegenstünde, wäre sie auch deshalb unzulässig, weil ihre Begründung nicht den
gesetzlichen Erfordernissen entspricht.
§ 49 Abs. 1 und § 50 des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof - VerfGHG - setzen
voraus, dass der Beschwerdeführer die konkrete Möglichkeit darlegt, er könne durch die
beanstandete Maßnahme der öffentlichen Gewalt des Landes Berlin in einem seiner
Rechte verletzt sein. Von dem Beschwerdeführer ist der Lebenssachverhalt, aus dem die
vermeintliche Verletzung eines subjektiven Rechts hergeleitet wird, aus sich heraus
verständlich wiederzugeben und die ursächliche Verknüpfung zwischen dem
beanstandeten Verhalten des Hoheitsträgers und dem geltend gemachten
Rechtsnachteil konkret und nachvollziehbar darzulegen (st. Rspr.; vgl. Beschlüsse vom
23. Februar 1993 - VerfGH 43/92 - LVerfGE 1, 68 ; 7. September 1994 - VerfGH 69/94 -
LVerfGE 2, 64 und 25. April 1996 - VerfGH 21/95 - LVerfGE 4, 46 ). Diesen
Voraussetzungen genügt die Verfassungsbeschwerde nicht.
a) Die Möglichkeit einer Verletzung seines Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz, das
aus der in Art. 15 Abs. 4 VvB enthaltenen Rechtsweggarantie folgt, hat der
Beschwerdeführer weder im Hinblick auf den Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts
Tiergarten noch auf seine Ladung zur Hauptverhandlung und die darin enthaltene
Vorführungs- und Haftandrohung hinreichend nachvollziehbar begründet.
Art. 15 Abs. 4 Satz 1 VvB garantiert nicht nur das formelle Recht und die theoretische
Möglichkeit, gegen einen Akt der öffentlichen Gewalt die Gerichte anzurufen, sondern
auch die Effektivität des Rechtsschutzes; er begründet einen substanziellen Anspruch
des Bürgers auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle, bevor vollendete
Tatsachen eintreten, die den Rechtsschutz ins Leere laufen lassen (Beschluss vom 8.
Juni 1994 - VerfGH 72/93 -). Nicht zur öffentlichen Gewalt im Sinne dieser Vorschrift
gehören aber Akte der Rechtsprechung (Beschluss vom 13. Dezember 2001 - VerfGH
138/01 −; vgl. zum inhaltsgleichen Art. 19 Abs. 4 GG: BVerfGE 15, 275 ; 49, 329 ); auch
ein Urteil in einem Zivilprozess ist nicht am Maßstab des Abs. 4 Satz 1 zu messen
(Beschluss vom 21. Februar 2002 - VerfGH 74/98 -).
Soweit der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen, er müsse seine Schriftsätze im
Zivilverfahren nicht von der Staatsanwaltschaft genehmigen lassen, sondern dürfe darin
(ohne Gefahr der Strafbarkeit) auch Vermutungen mit niedrigem Überzeugungsgrad
äußern, geltend zu machen beabsichtigt, er sei in seiner Möglichkeit einer effektiven
Verfahrensführung im Berufungsverfahren vor dem Kammergericht beeinträchtigt,
unterfällt dies danach nicht dem Schutzbereich des Art. 15 Abs. 4 Satz 1 VvB. Soweit
sich der Beschwerdeführer indessen gegen die Anklageerhebung durch die
Staatsanwaltschaft noch während des Laufs des zivilgerichtlichen Verfahrens wenden
will, hat er seine Verfassungsbeschwerde hiergegen nicht ausdrücklich gerichtet. Eine
Rechtsverletzung wäre im Übrigen bereits deshalb nicht dargelegt, weil effektiver
Rechtsschutz gerade im Wege der Durchführung der Hauptverhandlung vor dem
Amtsgericht mit den unter 1. genannten Möglichkeiten, sachdienliche Anträge zu stellen,
gewährleistet werden kann.
b) Der Beschwerdeführer hat auch die Möglichkeit einer Verletzung seines Grundrechts
auf freie Meinungsäußerung durch die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen nicht
den Erfordernissen der § 49 Abs. 1, § 50 VerfGHG entsprechend dargelegt.
Gemäß Art. 14 Abs. 1 VvB hat jedermann das Recht, innerhalb der Gesetze seine
Meinung frei und öffentlich zu äußern, solange er die durch die Verfassung
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Meinung frei und öffentlich zu äußern, solange er die durch die Verfassung
gewährleistete Freiheit nicht bedroht oder verletzt. Der Begriff der Meinung ist - in
Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 5
Abs. 1 Satz 1 GG - grundsätzlich weit zu verstehen. Art. 14 Abs. 1 VvB schützt die
Meinungsfreiheit allerdings nur "innerhalb der Gesetze". Einschränkungen der
verfassungsrechtlich gewährleisteten Meinungsäußerungsfreiheit ergeben sich u. a. aus
den Strafvorschriften der §§ 185 ff. des Strafgesetzbuches - StGB -, wobei eine derartig
grundrechtsbeschränkende Vorschrift ihrerseits im Lichte des eingeschränkten
Grundrechts ausgelegt werden muss, damit dessen wertsetzende Bedeutung für das
einfache Recht auch auf der Ebene der Rechtsanwendung zur Geltung kommen kann
(Beschluss vom 20. Dezember 1999, LVerfGE 10, 129 ; zum Bundesrecht BVerfGE 7,
198 ; 93, 266 ; st. Rspr.). Letztgenanntem Erfordernis trägt § 193 StGB Rechnung, indem
er eine Bestrafung wegen einer Äußerung dann ausschließt, wenn diese in
Wahrnehmung berechtigter Interessen getätigt worden ist (BVerfGE 93, 266 ). Handelt
es sich um eine Äußerung in einem gerichtlichen Verfahren, die der Rechtsverfolgung
oder Rechtsverteidigung dient, sind missbräuchliche Einlassungen, die in keinem inneren
Zusammenhang zur Verteidigung stehen oder offenbar unhaltbar sind, jedoch nicht
gemäß § 193 StGB gerechtfertigt (BVerfG, NJW 1991, 2074 ; NJW 2000, 3196 ; vgl.
Beschluss vom 20. Dezember 1999, a. a. O.).
Einen inneren Zusammenhang zwischen dem anhängigen Zivilverfahren und den ihm im
Strafverfahren vorgeworfenen, der Anklageschrift zu entnehmenden Äußerungen hat der
Beschwerdeführer nicht näher substanziiert und nachvollziehbar begründet. Auch für
sich genommen lassen seine im Rahmen des Zivilverfahrens vor dem Land- und dem
Kammergericht erfolgten schriftsätzlichen Äußerungen über den Verfahrensgegner,
Rechtsanwalt N. R., nicht erkennen, in welchem konkreten Zusammenhang sie mit dem
Inhalt des Verfahrens, den von den Parteien geltend gemachten Ansprüchen und
insbesondere der vom Beschwerdeführer beabsichtigten Rechtsverfolgung stehen. Erst
recht gilt dies für den Anklagevorwurf zu 2., der sich auf Äußerungen des
Beschwerdeführers in einer an die Staatsanwaltschaft gerichteten Schutzschrift im
Rahmen des Ermittlungsverfahrens bezieht.
Dass bereits die Eröffnung der Hauptverhandlung und die Ladung zum Termin den
Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 14 Abs. 1 VvB verletzen könnten, ist
auch deshalb nicht ersichtlich, weil er sich zu den Anklagevorwürfen bereits mit
Schriftsatz vom 28. April 2006 umfänglich im Einzelnen geäußert hatte. Weitergehende
konkrete Rechtsbeeinträchtigungen allein durch die Durchführung des
Verhandlungstermins hat er nicht geltend gemacht. Sofern er davon ausgeht, dass zu
diesem Zeitpunkt der Wahrheitsgehalt seiner Behauptungen im Zivilverfahren noch nicht
abschließend festgestellt worden sei, zeigt er ebenfalls nicht die Möglichkeit einer
Verletzung seiner Meinungsäußerungsfreiheit auf; denn es bestehen keine
Anhaltspunkte für die Annahme, dass sich das Strafgericht einer vollständigen
Sachaufklärung, gegebenenfalls nach Aussetzung der Hauptverhandlung, verschließen
könnte.
Ebenso wenig hätte der Beschwerdeführer einen möglichen Grundrechtsverstoß
begründet, sollte er sich im Zivilprozess vor dem Kammergericht an weiteren
Tatsachenbehauptungen, Vermutungen oder Werturteilen gehindert sehen. Etwaige dort
beabsichtigte Aussagen, die Anlass zu neuer strafrechtlicher Verfolgung bieten oder im
anhängigen Strafverfahren von Bedeutung sein könnten, hat er mit der
Verfassungsbeschwerde nicht benannt.
Soweit der Beschwerdeführer schließlich eine faktische Zensur von Schriftsatzinhalten
geltend macht, zeigt er keine Grundrechtsverletzung auf. Denn das in Art. 14 Abs. 3 VvB
enthaltene Zensurverbot stellt kein zu den in Abs. 1 und 2 aufgeführten Freiheitsrechten
hinzutretendes Grundrecht dar (vgl. Driehaus, in: Verfassung von Berlin, 2. Aufl. 2005,
Art. 14 Rn. 10).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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