Urteil des VerfGH Berlin vom 02.04.2017

VerfGH Berlin: gegendarstellung, meinungsfreiheit, anmerkung, verfassungsbeschwerde, entwertung, persönlichkeitsrecht, anschluss, zwangsvollstreckung, werturteil, grundrecht

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
82/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 2 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 GG,
Art 14 Abs 1 Verf BE, Art 7 Verf
BE, § 30 Abs 1 VGHG BE
VerfGH Berlin: Verfassungsbeschwerde: Verletzung des
Anspruchs auf Meinungsfreiheit durch fehlende zivilgerichtliche
Berücksichtigung des Schutzbereichs des Grundrechts auf
Meinungsfreiheit bei Ausstrahlung einer redaktionellen
Erwiderung im Anschluss an eine Gegendarstellung durch den
Sender RBB in der Magazinsendung "Klartext"
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen einen
Beschluss des Landgerichts Berlin vom 11. Mai 2006, mit dem ihr Antrag auf einstweilige
Einstellung der Zwangsvollstreckung im Hinblick auf eine von ihr erhobene und noch
nicht entschiedene Vollstreckungsgegenklage vom 29. März 2006 zurückgewiesen
wurde. Diesem Verfahren liegt ein rechtskräftiger Beschluss des Landgerichts vom 5.
Januar 2006 zugrunde, womit der Beschwerdeführerin auf Antrag des Beteiligten zu 2.
aufgegeben wurde, im Rahmen der nächsten erreichbaren KLARTEXT-Sendung folgende
Gegendarstellung verlesen zu lassen und auszustrahlen:
"Gegendarstellung
Am 14.12. 2005 wurde in der Sendung KLARTEXT im Rahmen eines Beitrages über IM-
Vorwürfe gegen einen meiner Mandaten u. a. wie folgt berichtet:
"Leipziger Stasi-Zentrale. Hier liegen auch die Akten über (…). I. H. hat 1990 mit
anderen dafür gesorgt, dass diese Unterlagen nicht vollständig vernichtet wurden -
obwohl D., damals I., das verlangte."
Darüber hinaus wurde ich in dem Beitrag als 'Aktenvernichter von 1990' bezeichnet.
Hierzu stelle ich fest:
1990 bestätigte ich ein Verlangen auf Herausgabe von Leipziger Stasi-Unterlagen zu
deren Vernichtung. Das geschah aber aufgrund eines Beschlusses des Zentralen
Runden Tisches. Auf meine Veranlassung wurden 1990 keine Stasi-Unterlagen
vernichtet.
Z., den 3.1. 2006
D."
Die Beschwerdeführerin strahlte die Gegendarstellung in der KLARTEXT-Sendung vom
22. März 2006 aus und ließ im Anschluss daran folgenden Text verlesen:
"Hierzu bemerkt die Redaktion:
Dr. D. sagt die Unwahrheit. Den von ihm behaupteten Beschluss des Zentralen Runden
Tisches hat es nie gegeben. Dies ist ihm sogar schon von einem Oberlandesgericht
bescheinigt worden und ergibt sich im Übrigen aus den vollständig dokumentierten
Wortprotokollen des Zentralen Runden Tisches, in denen kein derartiger Beschluss
enthalten ist."
Mit Schreiben vom 24. März 2006 ließ der Beteiligte zu 2. der Beschwerdeführerin
mitteilen, dass er die Zwangsvollstreckung aus der einstweiligen Verfügung vom 5.
Januar 2006 weiter betreiben werde, da die verlesene Gegendarstellung durch die
redaktionelle Anmerkung entwertet worden sei. Die Beschwerdeführerin erhob darauf hin
unter dem 29. März 2006 Vollstreckungsgegenklage und beantragte die einstweilige
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unter dem 29. März 2006 Vollstreckungsgegenklage und beantragte die einstweilige
Einstellung der Zwangsvollstreckung. Das Landgericht wies den Antrag durch Beschluss
vom 30. März 2006 mit der Begründung zurück, die Beschwerdeführerin sei ihrer
Verpflichtung zum Abdruck der Gegendarstellung nicht ordnungsgemäß
nachgekommen. Auf die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin hin hob der
Verfassungsgerichtshof diese Entscheidung durch Beschluss vom 25. April 2006 -
VerfGH 59/06 - wegen Verletzung des Grundrechts der Meinungsfreiheit der
Beschwerdeführerin auf und verwies die Sache an das Landgericht zurück.
Durch Beschluss vom 11. Mai 2006 wies das Landgericht den Antrag der
Beschwerdeführerin erneut zurück und führte zur Begründung aus, die verlesene
Glossierung genüge auch in Ansehung der grundrechtlich verbürgten Meinungsfreiheit
der Beschwerdeführerin nicht dem Grundsatz der Waffengleichheit. Die
Gegendarstellung werde allein durch den Einleitungssatz, wonach der Beteiligte zu 2. die
Unwahrheit sage, "erschlagen". Es hätte der Beschwerdeführerin frei gestanden, darauf
hinzuweisen, dass die Gegendarstellung unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt zu
veröffentlichen gewesen sei und sodann entsprechende Tatsachen anzuführen. Die
gewählte Formulierung richte das Augenmerk des Zuschauers nicht auf die genannten
Tatsachen, sondern in erster Linie plakativ auf die Unwahrheit der Gegendarstellung.
Eine solche Hervorhebung des Unwahrheitsgehalts der Gegendarstellung sei nicht mehr
zulässig.
Mit der gegen den Beschluss des Landgerichts erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt
die Beschwerdeführerin erneut eine Verletzung ihres Grundrechts auf Meinungsfreiheit.
Das Landgericht habe den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 25. April 2006
ignoriert und die dort geforderte Grundrechtsabwägung nicht vorgenommen. Das
Landgericht habe nur mit anderen Worten seine bereits in dem aufgehobenen Beschluss
geäußerte Auffassung wiederholt, dass die Gegendarstellung durch die Hervorhebung
der Unwahrheit entwertet werde. Inhalt und Gewicht der Meinungsfreiheit der
Beschwerdeführerin würden nicht einmal erwähnt, eine inhaltliche Auseinandersetzung
mit den vom Verfassungsgerichtshof hieraus abgeleiteten Anforderungen fehle.
Die Beteiligten haben gemäß § 53 Abs. 1 und 2 VerfGHG Gelegenheit zur Stellungnahme
erhalten.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Zweifel an der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde bestehen nicht; der
Verfassungsgerichtshof verweist insoweit auf seine Ausführungen zur
Rechtswegerschöpfung und Grundrechtsfähigkeit der Beschwerdeführerin in den
Beschlüssen vom 5. April 2006 (VerfGH 59 A/06) und 25. April 2006 (VerfGH 59/06), die
auch im vorliegenden Verfahren Gültigkeit haben.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Die angegriffene Entscheidung des
Landgerichts vom 11. Mai 2006 enthält entgegen § 30 Abs. 1 VerfGHG die vom
Verfassungsgerichtshof im Beschluss vom 25. April 2006 (VerfGH 59/06) geforderte
nachvollziehbare Grundrechtsabwägung nicht und verletzt deshalb erneut die in Art. 14
Abs. 1 der Verfassung von Berlin - VvB - verbürgte Meinungsfreiheit der
Beschwerdeführerin.
Der Verfassungsgerichtshof hat dazu im Beschluss vom 25. April 2006 ausgeführt:
"Bei der Prüfung und Anwendung der die Meinungsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 VvB
beschränkenden Normen, hier § 9 des Staatsvertrages über die Errichtung einer
gemeinsamen Rundfunkanstalt der Länder Berlin und Brandenburg - BlnBraRStV - (GVBl.
2003, S. 222), der die Rechtsgrundlage des gegen die Beschwerdeführerin gerichteten
Gegendarstellungsanspruchs des Beteiligten zu 2. bildet, ist durch die Fachgerichte
regelmäßig eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter vorzunehmen. Im vorliegenden
Fall hatte das Landgericht demnach bei der - mangels ausdrücklicher gesetzlicher
Glossierungsbeschränkung im BlnBraRStV - auslegungsbedürftigen Frage, ob es sich bei
der redaktionellen Anmerkung der Beschwerdeführerin zu der am 22. März 2006
ausgestrahlten Gegendarstellung des Beteiligten zu 2. um eine zulässige Erwiderung
oder wegen des Inhalts oder der Art und Weise der Erwiderung um eine unzulässige
'Entwertung' der Gegendarstellung handelte, eine Abwägung zwischen dem durch die
Gegendarstellung geschützten Persönlichkeitsrecht des Beteiligten zu 2. sowie der
Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin zu treffen (vgl. zum Abwägungsgebot in
Gegendarstellungsfällen BVerfGE 97, 125 (150 f.); 97, 157 (167); NJW 2004, 1235 f.).
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Hierbei begegnet der rechtliche Ausgangspunkt des Landgerichts, dass (auch ohne
gesetzliche Glossierungsbeschränkung) bei "Entwertung" der Gegendarstellung durch
Inhalt oder Form einer redaktionellen Anmerkung der entsprechende Anspruch noch
nicht erfüllt sei, sondern die Gegendarstellung erneut - und zwar ohne den unzulässigen
Zusatz - auszustrahlen sei, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken… Eine Entwertung
der Gegendarstellung durch redaktionelle Anmerkungen wird demnach vor allem bei
wertenden Stellungnahmen, etwa hämischen Kommentaren oder sonst herabsetzenden
Pauschalurteilen (die Gegendarstellung sei "irreführend" oder "frei erfunden", vgl. etwa
OLG Hamburg, AfP 1971, 91 f; LG Frankfurt, NJW-RR 1988, 1022 f.; Soehring, a. a. O., S.
608; Wenzel, a. a. O., S. 745; Prinz/Peters, a. a. O., S. 449 f.) angenommen. Angaben
tatsächlicher Art im Anschluss an die Gegendarstellung sollen dagegen grundsätzlich
zulässig sein; insbesondere sollen die Medien berechtigt bleiben, auch im Rahmen einer
Anmerkung auf der Richtigkeit ihrer früheren Darstellung zu bestehen oder sie zu
wiederholen und zu vertiefen (vgl. OLG Dresden, AfP 2001, 523; Soehring, a. a. O., S.
609). Dieses auf Mitteilung von Tatsachen bezogene Erwiderungsrecht wird unter
anderem daraus gefolgert (vgl. OLG Dresden a. a. O.), dass im Verfahren über den
Anspruch auf eine Gegendarstellung eine Prüfung der Wahrheit der in ihr enthaltenen
Behauptungen nicht stattfindet (so schon BGH, NJW 1964, 1132 ff.; st. Rspr.).
Für die Frage, ob die streitgegenständliche redaktionelle Anmerkung der
Beschwerdeführerin im Anschluss an die verlesene Gegendarstellung danach eine
zulässige, vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützte Erwiderung oder in Kollision
mit dem Persönlichkeitsrecht des Beteiligten zu 2. eine unzulässige Entwertung dessen
Gegendarstellungsanspruchs war, hätte das Landgericht seine Abwägung
nachvollziehbar darlegen müssen.
Der Beschluss enthält keine ausdrückliche Abwägung. Das Landgericht hat sein
Ergebnis, die Gegendarstellung des Beteiligten zu 2. sei durch die Anmerkung entwertet
worden, lediglich darauf gestützt, dass die Beschwerdeführerin die "Unwahrheit" der
Gegendarstellung "hervorgehoben" habe, "noch dazu" mit "detaillierter Begründung".
Diese Ausführungen lassen nicht erkennen, ob das Landgericht (allein) wegen des
Begriffs der "Unwahrheit" im ersten Satz der Anmerkung ein herabsetzendes Werturteil
angenommen hat - insofern hätte sich allerdings eine Abgrenzung zur
Tatsachenbehauptung aufgedrängt (nach OLG Hamburg, AfP 1971, 91 (92) soll der
Begriff "unwahr" etwas anderes darstellen als das unzulässige "Werturteil", die
Gegendarstellung sei "irreführend"). Ebenfalls bleibt unklar, ob - wie die Formulierung im
Beschluss "noch dazu mit detaillierter Begründung" nahe legt - der Vorhalt der
"Unwahrheit" insbesondere in Verbindung mit den nachfolgenden
Tatsachenbehauptungen der Beschwerdeführerin zur fehlenden Existenz eines
Beschlusses des "Runden Tisches" als entwertend angesehen wurde (wobei ebenfalls
nicht deutlich wird, ob wegen der Ausführlichkeit der Begründung als solcher oder wegen
ihres Inhalts). Um dem Grundrecht der Beschwerdeführerin auf Meinungsfreiheit im
Rahmen der Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht des Beteiligten zu 2. gerecht zu
werden, wäre jedoch eine genauere Darlegung und Begründung erforderlich gewesen,
zumal Tatsachenbehauptungen in redaktionellen Anmerkungen - wie oben dargestellt -
ganz überwiegend als zulässig angesehen werden. Hier kommt noch hinzu, dass die
Gegendarstellung des Beteiligten zu 2. erstmals Tatsachenbehauptungen zu einem
Beschluss des "Runden Tisches" enthielt, die in der Ausgangsmitteilung der
Beschwerdeführerin keine Entsprechung gefunden hatten, so dass ein nachvollziehbares
Bedürfnis der Beschwerdeführerin bestand, sich erstmalig auch zu diesen neu
eingeführten und im voran gegangenen gerichtlichen Gegendarstellungsverfahren
lediglich auf offensichtliche Unrichtigkeit geprüften Tatsachenbehauptungen des
Beteiligten zu 2. zu äußern. Soweit in der redaktionellen Anmerkung zur Erläuterung der
Auffassung der Beschwerdeführerin wiederum neue, den Beteiligten zu 2. betreffende
Tatsachenbehauptungen aufgestellt wurden (etwa zum Inhalt einer obergerichtlichen
Entscheidung), wäre bei der Abwägung auch zu bedenken gewesen, dass insoweit erneut
ein Anspruch auf Gegendarstellung durch den Beteiligten zu 2. in Betracht kam (vgl. OLG
München, NJW-RR 1999, 965 f., LG Oldenburg, AfP 1986, 80; Wenzel, a. a. O., S. 745;
Prinz/Peters, a. a. O., S. 450; Seitz/Schmidt/Schoener, a. a. O., Rn. 437). Die Begründung
des Landgerichts lässt mithin nicht erkennen, dass es bei seiner Entscheidung den
Umfang des Schutzbereichs der durch Art. 14 Abs.1 VvB verbürgten Meinungsfreiheit
der Beschwerdeführerin hinreichend berücksichtigt und erwogen hat."
Auch der Beschluss des Landgerichts vom 11. Mai 2006 enthält die geforderte
begründete Grundrechtsabwägung nicht. Das Landgericht hebt hierin einseitig - auch
durch Einfügung eines Zitats aus einer älteren Entscheidung des Kammergerichts -
lediglich das durch den Gegendarstellungsanspruch zu schützende Persönlichkeitsrecht
des Beteiligten zu 2. hervor, ohne auch die grundrechtliche Position der
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des Beteiligten zu 2. hervor, ohne auch die grundrechtliche Position der
Beschwerdeführerin in nachvollziehbarer Weise herauszuarbeiten und abzuwägen. Dazu
wäre es erforderlich gewesen, den Abwägungsmaßstab für die Frage einer "Entwertung"
der Gegendarstellung verständlich aufzuzeigen, die Grenzen einer von der
Meinungsäußerungsfreiheit noch geschützten redaktionellen Anmerkung - ggf. in
Auseinandersetzung mit der hierzu veröffentlichten Rechtsprechung - darzulegen, in
diesen Kontext den vom Landgericht monierten Begriff der "Unwahrheit" im ersten Satz
der Anmerkung - auch unter Berücksichtigung der nachfolgenden Erläuterungen -
nachvollziehbar als Tatsachenbehauptung oder Werturteil einzuordnen und hieraus eine
den Schutzbereich beider Grundrechte vertretbar abwägende rechtliche Folgerung zu
ziehen.
Der Beschluss des Landgerichts erschöpft sich jedoch darin, eine Entwertung der
Gegendarstellung wegen "Hervorhebung des Unwahrheitsgehalts" ohne nachvollziehbare
Auseinandersetzung mit den im Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 25. April
2006 aufgeführten und oben nochmals beschriebenen Abwägungskriterien nur zu
behaupten. Die Begründung des Landgerichts lässt mithin wiederum nicht erkennen,
dass es bei seiner Entscheidung den Umfang des Schutzbereichs der durch Art. 14
Abs.1 VvB verbürgten Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin hinreichend
berücksichtigt und erwogen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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