Urteil des VerfGH Berlin vom 02.04.2017

VerfGH Berlin: subjektives recht, verfassungsbeschwerde, richterliche gewalt, öffentliche gewalt, unverzüglich, behinderung, rechtsnachfolger, mauer, ddr, arbeitsgericht

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
68/94
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 6 Abs 1 S 1 Verf BE, Art 62
Verf BE, Art 63 Abs 1 Verf BE,
Art 64 Abs 1 Verf BE, § 1 Abs 2
ArbRSchG BE
VerfGH Berlin: Arbeitsgerichtliche Ablehnung des Anspruchs auf
Fortsetzung eines wegen Mauerbaus ruhenden
Arbeitsverhältnisses aufgrund verspäteter Arbeitsaufnahme
nach Mauerfall verstößt nicht gegen das Willkürverbot
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer stritt vor dem Arbeitsgericht Berlin und dem Landesarbeitsgericht
Berlin gegen seinen früheren Arbeitgeber, die D. F. für L. e.V. in B.-C. über die Frage, ob
sein infolge des Mauerbaus 1961 ruhendes Arbeitsverhältnis fortbestehe. Der
Beschwerdeführer war seit 1956 bei dem Rechtsvorgänger der D. F. für L. u. R. e.V. als
wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt. Durch die Errichtung der Berliner Mauer am
13. August 1961 war er gehindert, seine Tätigkeit weiter auszuüben, weil er seinen
Wohnsitz im Ostsektor in Berlin hatte. Er war dann ab September 1961 im Z. für
wissenschaftlichen G. der A. der DDR beschäftigt. Nach der Öffnung der Mauer im
November 1989 kam es Anfang 1990 zwischen beiden Institutionen zu
wissenschaftlichen Kontakten. Im Mai 1990 bewilligte der Vorstand der D. F., für L.- und
R. e.V. ein Projekt mit einer Gastwissenschaftlerstelle. Diese erhielt der
Beschwerdeführer, der sie am 1. September 1990 angetreten hat.
Der Beschwerdeführer erhielt nach seinen Angaben erstmals im Oktober 1990 Kenntnis
davon, daß es ein Gesetz zum Schutze der Rechte aus Arbeitsverhältnissen von
Arbeitnehmern mit Wohnsitz im Sowjetsektor von Berlin oder in der sowjetischen
Besatzungszone gebe, und wandte sich mit Schreiben erstmals am 20. Dezember 1990
an die D. F. für L. e.V., um auch nach Ablauf seiner Beschäftigung als
Gastwissenschaftler eine Dauerbeschäftigung aufgrund seines früheren
Arbeitsverhältnisses zu erhalten, was die Forschungsanstalt ablehnte.
Die beim Arbeitsgericht Berlin erhobene Klage auf Feststellung, daß das
Arbeitsverhältnis des Beschwerdeführers zur D. F. für L. e.V. fortbestehe, wies das
Arbeitsgericht Berlin mit Urteil vom 16. November 1992 - ... - zurück. Die dagegen
erhobene Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Urteil des Landesarbeitsgerichts
Berlin vom 11. April 1994 - ... - zurückgewiesen.
In den Entscheidungen das Arbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts Berlin wird
darauf abgestellt, daß der Beschwerdeführer nach dem Gesetz zum Schutze der Rechte
aus Arbeitsverhältnissen von Arbeitnehmern mit Wohnsitz im Sowjetsektor von Berlin
oder in der sowjetischen Besatzungszone vom 8. November 1961 (GVBl. 1961, S. 1611)
zwar dem Grunde nach einen Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses habe,
weil dieses Gesetz das Ruhen der Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten aus dem Osten
aufgrund das Mauerbaus angeordnet habe, daß aber das Arbeitsverhältnis erloschen
sei, weil sich der Beschwerdeführer nicht entsprechend § 1 Abs. 2 des Gesetzes nach
Wegfall der Behinderung unverzüglich zur Wiederaufnahme der Arbeit zurückgemeldet
habe. Für den Streitfall bedeute dies nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Berlin,
daß der Beschwerdeführer sich entweder unverzüglich nach Wegfall des Hindernisses
"Mauer" oder aber spätestens nach Wirksamwerden des ersten Staatsvertrages
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik
zum 1. Juli 1990 hätte zurückmelden müssen. Der Beschwerdeführer habe dies nicht
getan, sondern sich erstmals im Dezember 1990 bei dem früheren Arbeitgeber bzw.
dessen Rechtsnachfolger gemeldet und den Anspruch auf Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses geltend gemacht. Bis zu diesem Zeitpunkt habe er, auch in seiner
Funktion als Gastwissenschaftler, sich nach außen als Beschäftigter der A. der W. der
ehemaligen DDR dargestellt. Sein früheres Arbeitsverhältnis sei deshalb wegen nicht
unverzüglicher Geltendmachung seiner früheren Rechte gemäß § 1 Abs. 2 des Gesetzes
vom 8. November 1961 erloschen.
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Das Landesarbeitsgericht hat in seinem Urteil die Revision zum Bundesarbeitsgericht
nicht zugelassen. Das Urteil wurde dem Prozeßbevollmächtigten des Beschwerdeführers
am 1. Juni 1994 zugestellt. Mit seiner am 29. Juli 1994 beim Verfassungsgerichtshof des
Landes Berlin eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine
Verletzung des Art. 62 der Verfassung von Berlin, weil das Urteil des
Landesarbeitsgerichts nicht im Geiste der Verfassung von Berlin ergangen sei. Auch
verstoße das Urteil gegen Art. 62 VvB, weil es nicht im Geiste eines sozialen
Verständnisses ergangen sei. Das Urteil verstoße auch gegen Art. 63 Abs. 1 und Art. 64
VvB, da die Rechtsprechung dem Gesetz verpflichtet und damit dem Willen des
Gesetzgebers verpflichtet sei. Insofern komme es bei der Auslegung des Gesetzes vom
8. November 1961 darauf an, was der Gesetzgeber seinerzeit mit der Dauer der
Behinderung durch den Mauerbau und dem Wegfall der Behinderung gemeint habe.
Diese Behinderung sei frühestens mit dem 1. Juli 1990 entfallen. Nach Auffassung des
Beschwerdeführers hätte seine unbefristete Wiedereinstellung schon durch seinen
früheren Arbeitgeber bzw. dessen Rechtsnachfolger erfolgen müssen.
Von seinem früheren Arbeitgeber bzw. dessen Rechtsnachfolger sei selber in einem
Schreiben vom 8. Mai 1990 darauf hingewiesen worden, daß er, der Beschwerdeführer,
bis zum 13. August 1961 wissenschaftlicher Mitarbeiter gewesen sei. Hier hätte aus dem
Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht eine Wiedereinstellung erfolgen müssen. Insoweit
beruft sich der Beschwerdeführer auch auf den Gleichheitssatz des Art. 6 Abs. 1 VvB.
Der Verfassungsgerichtshof hat die Gerichtsakten des Arbeitsgerichts Berlin und des
Landesarbeitsgerichts Berlin beigezogen.
II.
Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Gemäß § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche
Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen
Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof
erheben.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit der Beschwerdeführer vorträgt, durch
die Urteile des Arbeitsgerichts Berlin und des Landesarbeitsgerichts Berlin werde gegen
Art. 62 VvB und die darin enthaltene Bindung der Rechtspflege an den Geist der
Verfassung und an das soziale Verständnis verstoßen. Die Verfassungsbeschwerde ist
ferner unzulässig, soweit der Beschwerdeführer vorträgt, durch die Entscheidungen des
Arbeitsgerichts Berlin und des Landesarbeitsgerichts Berlin werde gegen die
Bestimmungen der Art. 63 Abs. 1 VvB (Unterwerfung der richterlichen Gewalt unter das
Gesetz) und Art. 64 VvB (Bindung der Richter an die Gesetze) verstoßen.
Die in Art. 64 Abs. 1 VvB enthaltene Bindung der Richter an die Gesetze begründet kein
subjektives Recht das einzelnen Bürgers, sondern beinhaltet eine rechtsstaatliche
Aussage mit objektiv- rechtlichem Gehalt. Demzufolge kann die Einhaltung dieser
Vorschrift nicht mit der Verfassungsbeschwerde eingefordert werden (vgl. Beschluß vom
9. Juni 1993 - VerfGH 49/92-). Das gleiche gilt für die Bestimmung des Art. 63 Abs. 1
VvB, nach der die richterliche Gewalt durch unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene
Gerichte im Namen des Volkes ausgeübt wird (vgl. Beschluß vom 13. September 1993 -
VerfGH 73/93 -).
Nichts anderes gilt auch für die Bestimmung des Art. 62 VvB, soweit es um das darin
hervorgehobene soziale Verständnis bei der Ausübung der Rechtspflege geht. Mit der
Aufgabe, die Rechtspflege im Geist des sozialen Verständnisses auszuüben (vgl. auch
Art. 69 Abs. 1 Satz 1 VvB), korrespondiert gerade im Hinblick auf ihre
Gesellschaftsbezogenheit kein entsprechendes subjektives Recht des Einzelnen. Art. 62
VvB bietet vielmehr insoweit lediglich eine richterliche Verhaltens- und eine
Auslegungsregel wie sie sich auch dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes
entnehmen lassen (vgl. hierzu Schnapp in: von Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar,
4. Aufl., 1992, Art 20, Rdnr. 20; vgl. auch Pfennig in: Pfennig/Neumann, Verfassung von
Berlin, 2. Aufl., 1987, Art. 62, Rdnr. 3). Ein grundrechtlicher Anspruch läßt sich aus
diesem Gebot, soweit es für sich allein genommen wird, nicht herleiten.
Zulässig ist die Verfassungsbeschwerde nur, soweit sich der Beschwerdeführer auf Art. 6
Abs. 1 Satz 1 VvB und das darin enthaltene Gleichbehandlungsgebot, in dem ein auch
zugunsten des Beschwerdeführers wirkendes Willkürverbot enthalten ist (vgl. Beschluß
vom 23. Februar 1993 - VerfGH 43/92 -), beruft.
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Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde jedoch unbegründet. Eine gerichtliche
Entscheidung verletzt das verfassungsrechtliche Willkürverbot ausschließlich, wenn die
gerichtliche Entscheidung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und
sich daher der Schluß aufdrängt, daß die gerichtliche Entscheidung auf sachfremden
Erwägungen beruht. Hierbei ist eine fehlerhafte Auslegung eines Gesetzes oder die
fehlerhafte Würdigung eines Tatbestandes allein noch nicht willkürlich Willkür liegt erst
dann vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt worden ist, d. h. wenn bei
objektiver Würdigung der Gesamtumstände die Annahme geboten ist, die vom Gericht
vertretene Rechtsauffassung sei im Bereich des schlechthin Abwegigen anzusiedeln (vgl.
Beschluß vom 25. April 1994 - VerfGH 34/94 -). Ein derartiger Fall ist beim
Beschwerdeführer nicht gegeben.
Das Arbeitsgericht Berlin und das Landesarbeitsgericht Berlin gehen in den
angefochtenen Entscheidungen davon aus, daß das Arbeitsverhältnis des
Beschwerdeführers nach dem Mauerbau geruht habe. Sie gehen ferner davon aus, daß
der Beschwerdeführer sich nach Wegfall der Behinderung nicht unverzüglich zur
Wiederaufnahme der Arbeit zurückgemeldet habe, so daß das Arbeitsverhältnis nach § 1
Abs. 2 des Gesetzes vom 8. November 1961 (GVBl. 1961, S. 1611) erloschen sei.
Hierbei läßt das Landesarbeitsgericht in seiner Entscheidung offen, ob der Wegfall der
Behinderung bereits mit der Öffnung der Mauer am 9. November 1989 oder spätestens
mit den Regelungen des ersten Staatsvertrages zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik ab 1. Juli 1990 anzunehmen
sei. Der Beschwerdeführer habe sich jedenfalls nicht unverzüglich nach Wegfall zur
Wiederaufnahme der Arbeit zurückgemeldet. Die erste Kontaktaufnahme durch seine
Dienststelle im Februar 1990 sei keine Rückmeldung gewesen. Der Beschwerdeführer sei
bei den entsprechenden Gesprächen nicht als Arbeitnehmer des früheren Arbeitgebers
aufgetreten, sondern als Mitglied einer Delegation der A. der W. der DDR. Dies sei auch
nach dem 1. Juli 1990 der Fall gewesen. Der Beschwerdeführer habe ab September 1990
als Gastwissenschaftler gearbeitet und sich weiter als Beschäftigter der A. der W. der
DDR angesehen. Erst ab 14. Dezember 1990 habe er Ansprüche aus dem alten
Arbeitsverhältnis geltend gemacht. Selbst dann, wenn man das Vorbringen des
Beschwerdeführers als richtig unterstelle, daß er erst im Oktober 1990 davon Kenntnis
erhalten habe, daß er aufgrund des Gesetzes vom 8. November 1961 einen Anspruch
auf Weiterbeschäftigung habe, habe er sich nicht unverzüglich zurückgemeldet, sondern
dies frühestens mit Wirkung vom 14. Dezember 1990 getan. Er habe nach seinem
eigenen Vorbringen ab Kenntnis von der Gesetzeslage fast zwei Monate verstreichen
lassen, bevor er gegenüber seinem früheren Arbeitgeber bzw. dessen Rechtsnachfolger
Ansprüche angemeldet habe.
Nichts anderes folge aus vom Beschwerdeführer vorgetragenen Gesprächen im April
und Mai 1990 mit einem - nicht zu Personalentscheidungen befugten - Abteilungsleiter
der D. F., bei denen er als Mitglied seiner zur A. der W. gehörenden Forschungsgruppe,
nicht aber als sich zur Arbeit zurückmeldender Arbeitnehmer aufgetreten sei.
Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts Berlin, daß der Beschwerdeführer sich nicht
unverzüglich um seine Weiterbeschäftigung nach Wegfall des Hindernisses seiner
früheren Beschäftigung, die durch den Mauerbau am 13. August 1961 unterbrochen
wurde, bemüht habe, sind jedenfalls nicht als willkürlich anzusehen. Ob die Ausführungen
des Landesarbeitsgerichts mehr oder weniger überzeugen, ist vom
Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin nicht zu entscheiden, der kein
Rechtsmittelgericht ist, sondern nur über Verfassungsverstöße zu befinden hat. Die
Rechtsausführungen des Landesarbeitsgerichts und die darin getroffenen Wertungen der
tatsächlichen Vorgänge einschließlich der vom Beschwerdeführer vorgetragenen
Gespräche mit einem Mitarbeiter des Rechtsnachfolgers des früheren Arbeitgebers sind
nachvollziehbar. Letztlich geht es dem Beschwerdeführer mit seiner
Verfassungsbeschwerde um eine Überprüfung der Anwendung und Auslegung des
einfachen Rechts, nämlich des Gesetzes vom 8. November 1961, auf seinen Fall. Diese
Anwendung und Auslegung einfachen Rechts durch die Fachgerichte ist der Überprüfung
durch den Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin entzogen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Die Entscheidung ist unanfechtbar.
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