Urteil des VerfGH Berlin vom 02.04.2017

VerfGH Berlin: vergütung, öffentliche gewalt, pflichtverteidiger, verfassungsbeschwerde, berufsfreiheit, wahlverteidiger, berufsausübung, grundrecht, ddr, vormundschaft

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13/94
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 6 Abs 1 Verf BE, Art 11 Verf
BE, § 97 BRAGebO, § 99 Abs 1
BRAGebO, § 100 Abs 1
BRAGebO
(VerfGH Berlin: Keine Verletzung des Willkürverbots durch
Rechtsauffassung des KG, wonach die
Wahlverteidigervergütung die absolute Höchstgrenze auch für
die Pflichtverteidigerpauschvergütung nach BRAGebO § 99 Abs
1 darstellt)
Gründe
I.
Mit der Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, der ihm aus
seiner anwaltlichen Tätigkeit als Pflichtverteidiger des Angeklagten E... M..., des früheren
... der ehemaligen DDR, in einem Verfahren vor dem Landgericht Berlin
(Schwurgerichtskammer) zustehende Vergütungsanspruch gegen die Landeskasse sei
vom Kammergericht unter Verstoß gegen Grundrechte der Verfassung von Berlin
erheblich zu niedrig bemessen worden.
Die Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht, wo sich der Beschwerdeführer bereits
unter dem 9. April 1992 als Wahlverteidiger für E... M... gemeldet hatte, reichte unter
dem 12. Mai 1992 eine umfangreiche, auch weitere Angeschuldigte betreffende
Anklageschrift beim Landgericht Berlin ein. Der Beschwerdeführer wurde auf seinen
Antrag vom 22. Mai 1992 durch Verfügung des Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer
vom 2. Juni 1992 als Pflichtverteidiger für E... M... beigeordnet, und zwar neben dem
weiteren Pflichtverteidiger Rechtsanwalt G.... Zur Frage der Verhandlungsfähigkeit
wurden medizinische Sachverständigengutachten eingeholt, und die Verteidigung
überreichte in dem Zwischenverfahren eine Schutzschrift. Nach der Eröffnung des
Hauptverfahrens mit Beschluß der 27. Strafkammer vom 19. Oktober 1992 begann die
Hauptverhandlung am 12. November 1992. Der Angeklagte E... M... nahm lediglich an
zwei relativ kurzen Sitzungstagen teil. Danach wurde das gegen ihn gerichtete Verfahren
abgetrennt und vorläufig eingestellt, da er mit Rücksicht auf eine in einem gegen ihn
gerichteten weiteren Strafverfahren laufende Hauptverhandlung als für diese Sache
verhandlungsunfähig angesehen wurde.
Auf den ohne Bezifferung gestellten Antrag des Beschwerdeführers, ihm für seine
Tätigkeit als Pflichtverteidiger in dieser besonders umfangreichen und schwierigen
Strafsache eine Pauschvergütung gemäß § 99 BRAGO zu bewilligen, setzte der 4.
Strafsenat des Kammergerichts mit Beschluß vom 29. November 1993 den
Vergütungsanspruch auf 4.120,- DM fest und wies in der Begründung darauf hin, daß die
Pauschvergütung keinesfalls höher ausfallen dürfe als diese Höchstgebühr eines
Wahlverteidigers.
Gegen diesen am 3. Dezember 1993 zugegangenen Beschluß wendet sich der
Beschwerdeführer mit seiner am 3. Februar 1994 eingegangenen
Verfassungsbeschwerde.
Er führt zur Begründung im wesentlichen aus:
Das Kammergericht habe den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 6 Abs. 1 VvB verletzt,
indem es in Abweichung von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte die
Vergütung nur nach der Tätigkeit in dem Verfahrensabschnitt nach der Beiordnung als
Pflichtverteidiger bemessen habe, ohne die schon vor Anklageerhebung erbrachte
Tätigkeit als Wahlverteidiger miteinzubeziehen. Soweit das Kammergericht eine die
Höchstgebühr für den Wahlverteidiger übersteigende Vergütung für "keinesfalls"
angemessen halte, sei ebenfalls der Gleichheitsgrundsatz verletzt, ferner auch das
durch Art. 11 VvB garantierte Grundrecht auf Freiheit der Berufsausübung. Er - der
Beschwerdeführer - habe wegen seiner Tätigkeit insbesondere im Vor- und
Zwischenverfahren in der Sache gegen E... M... viele Mandate ausschlagen müssen, und
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Zwischenverfahren in der Sache gegen E... M... viele Mandate ausschlagen müssen, und
die Begrenzung der Vergütung auf den bisher bewilligten Betrag würde für ihn zu einer
schwerwiegenden Beeinträchtigung der Berufsausübung führen.
II.
Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Entgegen der Annahme des Beschwerdeführers hat das Kammergericht bei der
Festsetzung seiner Pflichtverteidigervergütung die vor Eröffnung des Hauptverfahrens
erbrachte Tätigkeit als Wahlverteidiger im Rahmen der Bemessung der Pauschvergütung
nach § 99 BRAGO berücksichtigt. Auf der vom Kammergericht gewählten Grundlage der
Vergütung eines Wahlverteidigers setzt sich der festgesetzte Betrag von 4.120,- DM -
die Gebühren eines Pflichtverteidigers würden demgegenüber 1.355,- DM betragen - aus
folgenden Bestandteilen zusammen:
Für die Tätigkeit im vorbereitenden Verfahren gem. § 84 Abs. 1
BRAGO die Hälfte des Höchstsatzes nach § 83 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO 1
030,-- DM
Für die Hauptverhandlung der in § 83 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO genannte
Höchstbetrag von 2.060,-- DM
sowie gemäß § 83 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BRAGO für den zweiten
Verhandlungstag weitere 1.030,-- DM 4.120,-- DM
Da somit die Tätigkeit des Beschwerdeführers im vorbereitenden
Verfahren vom Kammergericht berücksichtigt worden ist, liegt der
von dem Beschwerdeführer insoweit gerügte Verstoß gegen den
Gleichheitssatz schon aus tatsächlichen Gründen nicht vor.
2. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, die Beschränkung
der ihm gewährten Vergütung auf die höchstmögliche gesetzliche
Vergütung eines Wahlverteidigers verletze den
Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 6 Abs. 1 VvB und das
Grundrecht der Berufsfreiheit aus Art. 11 VvB, ist die
Verfassungsbeschwerde ebenfalls nicht begründet. Zwar sind die
als verletzt gerügten Grundrechte inhaltsgleich mit den in Art. 3
Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG enthaltenen bundesrechtlichen
Verbürgungen und sind daher nach der ständigen Rechtsprechung des
Verfassungsgerichtshofs durch die öffentliche Gewalt des Landes
Berlin zu beachten sowie in Verfassungsbeschwerdeverfahren beim
Verfassungsgerichtshof rügefähig, auch wenn die angegriffene
Maßnahme - wie im vorliegenden Fall - in Anwendung von
Bundesrecht ergangen ist (vgl. die Entscheidungen VerfGH, NJW
1993, 513 und 1994, 436). Eine Verletzung dieser Grundrechte bei
der Bemessung der dem Beschwerdeführer vom Kammergericht
bewilligten Pauschvergütung ist jedoch nicht ersichtlich. Eine
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Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes kann schon im Ansatz nicht
darin liegen, daß ein Gericht bei der Auslegung eines Gesetzes
der Auffassung anderer Gerichte nicht folgt, es sei denn, seine
Entscheidung ist nicht mehr verständlich und beruht offenbar auf
sachfremden Erwägungen (Beschluß vom 23.2.1993 - VerfGH 43/92-),
ist also willkürlich. Einen Fehler dieser Art läßt die
beanstandete Festsetzung der Pauschvergütung nicht erkennen.
Jedenfalls im Grundsatz entnehmen auch andere Oberlandesgerichte
seit jeher der Regelung in § 100 Abs. 1 BRAGO, daß die
Staatskasse bei der Vergütung eines Pflichtverteidigers nach §§
97, 99 BRAGO die Erstattung echter Auslagen des Angeklagten
übernimmt und daher die Höchstgebühren des Wahlverteidigers
grundsätzlich auch die Höchstgrenze bei der Bemessung der
Pauschgebühr aus der Staatskasse darstellen (vgl. BayObLG,
JurBÜRO 1977, 690). Hiermit stimmt überein, daß nach dem
Kostenverzeichnis (GKG Anlage 1) unter Nr. 1906 die an
Rechtsanwälte zu zahlenden Beträge in voller Höhe dem zur
Kostentragung verpflichteten Verurteilten zur Last fallen. Ob
entgegen der Auffassung des Kammergerichts für bestimmte Fälle
außergewöhnlich umfangreicher und schwieriger Strafsachen eine
Überschreitung dieser Höchstgrenze in Auslegung des einfachen
Rechts möglich oder einfachgesetzlich gar geboten ist, hat der
Verfassungsgerichtshof nicht zu entscheiden. Jedenfalls kann die
Auslegung des Kammergerichts, wonach eine absolute Grenze
zwingend vorgegeben ist, nicht als willkürlich und damit nicht
als Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 VvB angesehen werden.
Auch eine Verletzung des Grundrechts der Berufsfreiheit (Art. 11
VvB) liegt nicht vor. Der Beschwerdeführer hat hierzu
substantiiert nichts vorgetragen. Sein Vortrag, eine
Nichtberücksichtigung des Verteidigeraufwands im Vor- und
Zwischenverfahren - der, wie dargelegt, in Wirklichkeit vergütet
wurde - führe angesichts der Tatsache, daß er in dieser Zeit sein
Büro weiter habe finanzieren und viele Mandate ausschlagen
müssen, zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung seiner
Berufsausübung, reicht für die Annahme einer Verletzung des
Grundrechts der Berufsfreiheit nicht aus. Das
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Bundesverfassungsgericht hat in der von dem Beschwerdeführer zur
Stützung seiner Auffassung herangezogenen Entscheidung BVerfGE
54, 251, die die Vergütung eines mit einer Vormundschaft
betrauten Rechtsanwalts betraf, eine Verletzung des Grundrechts
der Berufsfreiheit nur angenommen, weil dem dortigen
Beschwerdeführer zugemutet wurde, in großem Umfang
Vormundschaften ohne jegliches Entgelt und nur gegen Erstattung
einer geringfügigen Unkostenpauschale zu führen. Der vorliegende
Fall ist damit nicht vergleichbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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