Urteil des VerfGH Berlin vom 30.06.2002
VerfGH Berlin: gerichtshof der europäischen gemeinschaften, öffentliche gewalt, höhere gewalt, allgemeine geschäftsbedingungen, verfassungsbeschwerde, agb, mietvertrag, rüge, eingriff, auszug
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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
207/03
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 7 Verf BE, Art 10 Verf BE,
Art 15 Verf BE, Art 23 Verf BE,
EWGRL 13/93
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I. 1. Der Beschwerdeführer ist nach seinen Angaben Eigentümer von 28
Mehrfamilienhäusern und begehrte im Ausgangsverfahren von dem Mieter einer Zwei-
Zimmer-Wohnung in einem dieser Häuser nach Beendigung des Mietvertrages zum 30.
Juni 2002 Schadensersatz in Höhe von insgesamt 9.831,79 € für nicht ordnungsgemäß
ausgeführte Schönheitsreparaturen und weitere angeblich vom Mieter verursachte
Schäden. Der Mietvertrag datiert vom 16. Oktober 1980 und enthält hinsichtlich der
Schönheitsreparaturen in § 4 folgende Regelungen:
1. … bei Auszug sind die Räume renoviert zu übergeben.
2. Schönheitsreparaturen trägt der Mieter (vgl. § 13). Auch solche, die durch
Reparaturen oder höhere Gewalt erforderlich werden, ferner Fensteranstriche (weiß).
Zusätzlich wird in der Anlage zum Mietvertrag unter Nr. 7 bis 9 folgendes geregelt:
Der Mieter hat die Wohnung vor Mietvertragsabschluss eingehend besichtigt. Er
verzichtet wegen dieses Zustandes auf einen etwaigen Anspruch gegen den Vermieter
auf Durchführung der Schönheitsreparaturen gemäß § 536 BGB und auf etwaige
Mietminderungsansprüche gemäß § 437 BGB und Ansprüche aus § 538 BGB. Der
Vermieter nimmt den Verzicht an.
Der Mieter verpflichtet sich, bei Rückgabe der Räume diese zu renovieren, sofern sie
nicht einem durchschnittlichen Geschmacksempfinden entsprechen. Insbesondere Türen
und Fenster sind weiß zu streichen bzw. in der im Haus üblichen Farbgebung wieder
herzustellen. Naturholztüren oder -Fenster sind in jedem Fall wieder in Natur
herzustellen. Diese Vereinbarungen (Punkt 7 und 8) sind eine Ergänzung zu den übrigen
Vereinbarungen über Schönheitsreparaturen.
Bei der Bemessung der Miete ist berücksichtigt, dass die Kosten der
Schönheitsreparaturen vom Mieter getragen werden.
2. Das Amtsgericht Schöneberg gab der Klage mit Teilurteil und Versäumnisschlussurteil
vom 10. Januar 2003 zunächst teilweise statt, wies sie jedoch unter Aufhebung des
Versäumnisschlussurteils mit Schlussurteil vom 15. April 2003 insgesamt ab. Die
hiergegen gerichtete Berufung des Beschwerdeführers wies das Landgericht
überwiegend zurück und sprach dem Beschwerdeführer im Ergebnis nur einen Betrag in
Höhe von 669,21 € zu. Zur Begründung führte es aus, dass die Klage hinsichtlich der
Schadensersatzforderung für nicht ordnungsgemäß ausgeführte Schönheitsreparaturen
keinen Erfolg haben könne, weil die Parteien des Mietvertrages die Übertragung von
Schönheitsreparaturen nicht wirksam vereinbart hätten.
Bei den entsprechenden Klauseln handele es sich um allgemeine Geschäftsbedingungen
(AGB) des Klägers. Als AGB unterlägen diese der gerichtlichen Inhaltskontrolle. Diese
führe vorliegend zur Unwirksamkeit der Regelungen, weil nach der bestätigten
Rechtsprechung des BGH eine unbedingte Übernahme einer Endrenovierung unwirksam
sei und aufgrund des Summierungseffektes die gesamte Übernahme von
Schönheitsreparaturen unwirksam werden lasse. Entscheidend sei hier die weite
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Schönheitsreparaturen unwirksam werden lasse. Entscheidend sei hier die weite
Formulierung in § 4 des Mietvertrages, die nach dem objektiven Empfängerhorizont
dahingehend zu verstehen sei, dass der Mieter in jedem Fall vor Auszug renovieren
müsse.
Auch eine andere Rechtsgrundlage für den Anspruch sei nicht ersichtlich.
Hinsichtlich der übrigen Schadensersatzansprüche fehle es mit Ausnahme des
zugesprochenen Betrages an einem hinreichend substantiierten Vortrag.
Die Revision ließ das Landgericht nicht zu.
3. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die fachgerichtlichen Entscheidungen mit
der Verfassungsbeschwerde und rügt die Verletzung der Artikel 7, 10, 23 und Art. 15
Abs. 1 bis 5 VvB sowie der Richtlinie 93/13/EWG des Rates der EG vom 5. April 1993 über
missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen.
Die Rechtsauffassung des Landgerichts erschwere die gerichtliche Durchsetzung des
Anspruchs auf die gesetzlich zulässige Miete unzumutbar und verletze damit sein
Eigentumsrecht. Darüber hinaus habe das Landgericht verkannt, dass es sich bei der
Streichung der Verpflichtung des Mieters zur Durchführung der Schönheitsreparaturen
um den Eingriff in eine Preisvereinbarung handele, die gemäß § 8 AGBG, § 307 Abs. 3
BGB gerade nicht der Inhaltskontrolle durch das Gericht unterliege. Entsprechendes
Vorbringen habe das Landgericht überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. Indem die
Rechtsprechung rückwirkend - nämlich hier bereits im Jahre 1980 - vereinbarte
Lebenssachverhalte erfasse, verstoße sie auch gegen die Rechtsschutzgarantie gemäß
Art. 15 Abs. 4 VvB. Schließlich liege eine Verletzung des Art. 15 Abs. 5 VvB vor. Durch
den Eingriff des Landgerichts entstehe in dem Mietvertrag, der ein Verbrauchervertrag
sei, zum Nachteil des Vermieters ein erhebliches ungerechtfertigtes Missverhältnis der
vertraglichen Rechte und Pflichten, weil er wirtschaftlich den gesamten Mietanteil
verliere, auf den er wegen der Übernahme der Schönheitsreparaturen durch den Mieter
verzichtet habe. Bei einem solchen Eingriff sei das Landgericht aufgrund der
Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung verpflichtet gewesen, eine
Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs gemäß Art. 234 EGV einzuholen.
II. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit eine Verletzung der Artikel 7, 15
Abs. 2 bis 5, Art. 23 VvB sowie der Richtlinie 93/13/EWG des Rates der EG vom 5. April
1993 gerügt wird. Im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Eine Verfassungsbeschwerde ist gemäß § 49 Abs. 1 VerfGHG nur zulässig, wenn der
Beschwerdeführer behauptet, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem
seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein. Die Rüge, ein
Gericht des Landes habe EG-Recht nicht beachtet, scheidet deshalb von vornherein aus.
2. Auch die Rüge, durch Missachtung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorlagepflicht an
den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften habe das Landgericht entgegen Art.
15 Abs. 5 Satz 2 VvB den Beschwerdeführer seinem gesetzlichen Richter entzogen, führt
nicht zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde. Die Richtlinie 93/13/ EWG des Rates
vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. EG Nr. L
95, S. 29) musste nach ihrem Art. 10 Abs. 1 nur für solche Verträge umgesetzt werden,
die nach dem 31. Dezember 1994 abgeschlossen wurden. Für Verträge, die - wie der
hier in Rede stehende Mietvertrag - vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen worden waren,
bestand demgemäß keine Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung, die
Gegenstand einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs hätte sein können.
3. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann auch der Schutzbereich des
Art. 23 VvB nicht berührt sein. In dem fachgerichtlichen Rechtsstreit ging es nicht um die
Durchsetzung eines Anspruchs auf die gesetzlich zulässige Miete, sondern um einen
konkreten Schadensersatzanspruch aus einem konkreten Mietverhältnis. Die
gerichtliche Beurteilung solcher ausschließlich dem Vermögen des Beschwerdeführers
zuzurechnender Ansprüche kann sich nicht als Verletzung des Eigentumsgrundrechts
darstellen. Der Beschwerdeführer wurde durch die fachgerichtlichen Entscheidungen
auch nicht verpflichtet, regelmäßig Schönheitsreparaturen durchzuführen, so dass seine
gesamten Ausführungen zu den mietpreisrechtlichen Auswirkungen einer solchen ihn
„rückwirkend“ treffenden Verpflichtung nichts mit dem fachgerichtlich entschiedenen Fall
zu tun haben. Die Frage, welche Rechte aus der Verfassung von Berlin verletzt sein
könnten, wenn es einem Mieter gestattet würde, sich während eines noch andauernden
Mietverhältnisses auf die Nichtigkeit der umstrittenen Vertragsklauseln zu berufen, ohne
dass es zur Anpassung der vereinbarten Miethöhe käme, stellt sich im vorliegenden
Verfahren nicht.
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4. Auch für eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 7 VvB fehlt es bei dem
vorliegenden Streitgegenstand an jeglichem Anhaltspunkt. Worin eine Verletzung der
Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 15 Abs. 2 bis 4 VvB im vorliegenden Fall liegen
könnte, lässt sich der Verfassungsbeschwerde ebenfalls nicht entnehmen.
5. Soweit ein Verstoß gegen Art. 10 VvB in Form des Willkürverbots gerügt wird, kann die
Verfassungsbeschwerde in der Sache keinen Erfolg haben.
Der Beschwerdeführer wendet sich insoweit im Kern gegen die Rechtsauffassung des
Landgerichts, eine AGB-Klausel, die der Inhaltskontrolle nicht standhalte, sei in vollem
Umfang unwirksam; an ihre Stelle trete die gesetzliche Regelung, und zwar auch dann,
wenn eine über die gesetzliche Regelung hinausgehende Regelung wirksam zu Gunsten
des AGB-Verwenders hätte vereinbart werden können. Das Landgericht hält sich damit
im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu vergleichbaren Klauseln (vgl.
zuletzt Urteil vom 25. Juni 2003 - VIII ZR 335/02 - m. w. N.). Für eine willkürliche
Rechtsanwendung sind schon deshalb keine Anhaltspunkte ersichtlich.
Es ist auch nicht willkürlich, wenn das Landgericht die Regelung zur Tragung von
Schönheitsreparaturen im Rahmen eines Mietverhältnisses nicht als „Preisvereinbarung“
ansieht, die gemäß § 8 AGB, § 307 Abs. 3 BGB nicht der Inhaltskontrolle durch das
Gericht unterliegen würde. Zwar kann die Frage, wer im Mietverhältnis die
Schönheitsreparaturen zu tragen hat, unzweifelhaft Einfluss auf die Miethöhe haben. Das
gilt im Rahmen eines Austauschvertrages aber für alle vertraglichen Regelungen mit
wirtschaftlichen Auswirkungen. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn
das Landgericht keine „Preisvereinbarung“ in einer Klausel sieht, die keine geldliche
Gegenleistung regelt, sondern einen anderen Gegenstand hat. Gerade wenn die
Verpflichtung zur Durchführung von Schönheitsreparaturen eine eigenständige
Hauptpflicht ist, wie der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf den Beschluss des
Bundesgerichtshofs vom 20. Oktober 1984 (VIII ARZ 1/84) ausführt, liegt es nicht nahe,
dass es sich gleichzeitig um eine „Preisvereinbarung“ über die in Geld zu zahlende Miete
handelt.
6. Ohne Erfolg bleibt auch die Rüge der Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen
Gehörs nach Art. 15 Abs. 1 VvB. Das Landgericht hat sich in seiner Begründung mit der
vom Beschwerdeführer bereits im fachgerichtlichen Verfahren aufgeworfenen Frage, ob
es sich bei der Pflicht zur Durchführung von Schönheitsreparaturen um eine
Hauptleistungspflicht handelt, nicht ausdrücklich auseinandergesetzt. Hierzu bestand
nach seiner Rechtsauffassung aber auch kein Anlass, weil für die zu treffende
Entscheidung hieraus zu Gunsten des Beschwerdeführers nichts hergeleitet werden
konnte. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verlangt vom erkennenden Gericht nicht,
sich mit jedem Vorbringen eines Beteiligten in den Gründen seiner Entscheidung
auseinanderzusetzen. Nur wenn aus der Sicht des Gerichts auf entscheidungserhebliche
und unter diesem Gesichtspunkt für die Beteiligten wesentliche Rechtsfragen in der
Begründung nicht eingegangen wird, kann dies ein Indiz dafür sein, dass das Gericht die
entsprechenden Ausführungen des Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen oder nicht
gewürdigt hat. Hierfür ist vorliegend nichts ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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