Urteil des VerfGH Berlin vom 29.03.2017

VerfGH Berlin: rechtliches gehör, zahlungsunfähigkeit, recht auf freiheit, verfassungsbeschwerde, persönliche freiheit, rechtskräftiges urteil, berufliches fortkommen, freiheitsentziehung, präsident

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
102/00
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 8 Abs 1 S 2 Verf BE, Art 15
Abs 1 Verf BE, § 96 Abs 1 Nr 2
OWiG, § 96 Abs 1 Nr 4 OWiG, §
104 Abs 3 Nr 1 OWiG
VerfGH Berlin: Anordnung der Erzwingungshaft zur Darlegung
der Zahlungsunfähigkeit bzw zur Beitreibung einer Geldbuße
mit Freiheitsgrundrecht vereinbar - Umfang der
Mitwirkungspflichten des Betroffenen - Verpflichtung zur
Glaubhaftmachung
Gründe
1. Der Beschwerdeführer, von Beruf Rechtsanwalt und Steuerberater, wurde vom
Amtsgericht Tiergarten durch rechtskräftiges Urteil vom 26. Mai 1997 wegen Gefährdung
der Lohnsteuer in 12 Fällen zu 12 Einzelgeldbußen in einer Gesamthöhe von 14.750,--
DM verurteilt. Hiervon sind nach einseitiger Einstellung einer zugelassenen Ratenzahlung
durch den Beschwerdeführer noch 10.750,-- DM nicht bezahlt. Der Beschwerdeführer
berief sich auf Zahlungsunfähigkeit. Mit Beschluss vom 25. April 2000 ordnete das
Amtsgericht Tiergarten daraufhin auf Antrag der Staatsanwaltschaft gegen den
Beschwerdeführer Erzwingungshaft von insgesamt 88 Tagen an. Im hiergegen
gerichteten Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht legte der Beschwerdeführer eine
selbst gefertigte Einnahme-Überschuss-Rechnung für das erste Halbjahr 2000 vor und
eine Erklärung über das Nichtvorhandensein von Vermögen. Ohne Berücksichtigung der
Miete (für die seine Ehefrau aufkomme) stünden ihm nur 750 DM / Monat als
Lebensunterhalt zur Verfügung.
Die Beschwerde verwarf das Landgericht Berlin durch Beschluss vom 7. Juli 2000.
Zur Begründung führte es aus, trotz Aufforderung habe der Betroffene seine Pflicht, die
von ihm behauptete Zahlungsunfähigkeit schlüssig darzulegen und glaubhaft zu
machen, auch im Beschwerdeverfahren nicht erfüllt.
Gegen beide Beschlüsse hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben,
mit der er die Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, bezogen auf seine
persönliche Freiheit (Art. 7, 8, 36 VvB), des Willkürverbots (Art. 10 VvB) und des Rechtes
auf rechtliches Gehör (Art. 15 Abs. 1 VvB) rügt. Er habe alles ihm Mögliche getan, um
seine Zahlungsunfähigkeit ordnungsgemäß darzulegen und glaubhaft zu machen. Seine
Darlegungen seien von den Richtern entweder nicht zur Kenntnis genommen worden
oder willkürlich unter Missachtung der Vorschrift des § 96 Abs. 1 OWiG als irrelevant
angesehen worden. Er sei der ihm obliegenden Darlegungspflicht hinsichtlich seiner
Vermögens- und Einkommenssituation nachgekommen. Dies sei zuletzt mit Schreiben
vom 2. Juli 2000, auf dessen Inhalt in der Verfassungsbeschwerde im Einzelnen
verwiesen wird, geschehen, indem er seine Einnahmesituation im Einzelnen dargelegt
habe. Dort habe er auch gebeten mitzuteilen, wenn noch weitere Darlegungen
erforderlich seien. Die entsprechenden Darlegungen füllen nach Auffassung des
Beschwerdeführers auch den Begriff der Zahlungsunfähigkeit aus, so dass sich schon
unter diesem Gesichtspunkt die Anordnung von Erzwingungshaft verbiete. Das
Landgericht verkenne in nicht mehr vertretbarer Weise den Begriff der Darlegungspflicht
in § 96 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG, indem es eine Glaubhaftmachung verlange, die über eine
substantiierte Darlegung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse hinausgehe. §
96 OWiG sehe weder eine besondere Form der Darlegung noch eine Glaubhaftmachung
überhaupt vor, so dass Zweifel in dieser Richtung vom Gericht von Amts wegen hätten
aufgeklärt werden müssen. Selbst wenn man davon ausginge, dass durchschnittliche
monatliche Einkünfte von 1.600 DM eine Zahlungsunfähigkeit nicht begründeten,
verkenne die landgerichtliche Entscheidung jedoch den Begriff der Zumutbarkeit in § 96
Abs. 2 OWiG, weil sie unterstelle, dass ihm die sofortige Zahlung der gesamten
Geldbuße zumutbar sei und Zahlungserleichterungen daher nicht in Betracht gezogen
werden könnten.
Darüber hinaus würde eine Erzwingungshaft, die fast die gesetzliche Höchstgrenze
erreiche, seine wirtschaftliche Existenz endgültig zerstören. Die Haft sei ihm aufgrund
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erreiche, seine wirtschaftliche Existenz endgültig zerstören. Die Haft sei ihm aufgrund
der im Vollstreckungsverfahren durch Attest belegten gesundheitlichen Folgen einer
Unfallverletzung zur Zeit auch nicht zumutbar.
2. Der Verfassungsgerichtshof hat dem Präsidenten des Landgerichts und dem
Präsidenten des Amtsgerichts Gelegenheit zur Äußerung gegeben und insbesondere
gebeten mitzuteilen, welche Entscheidungspraxis sich bei den zuständigen
Spruchkörpern hinsichtlich der Auslegung und Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 4 OWiG
herausgebildet habe. Der Präsident des Landgerichts hat insoweit mitgeteilt, eine
Nachfrage bei den mit Ordnungswidrigkeiten befassten Strafkammervorsitzenden habe
ergeben, dass allein ein erfolgloser Vollstreckungsversuch grundsätzlich nicht als
ausreichend für die Annahme der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des
Ordnungswidrigkeitengesetzes angesehen werde, weil zum einen die vielfach
überlasteten Vollstreckungsbeamten oftmals nur nachlässig recherchieren würden und
zum anderen an das Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit im Sinne des OWiG höhere
Anforderungen gestellt würden als an die Frage, ob bei einem Schuldner etwas
gepfändet werden könne. Grundsätzlich sei es Sache des Betroffenen; seine
Zahlungsunfähigkeit substantiiert und nachprüfbar darzulegen. Ein Großteil der
Kammern verlange daneben auch eine Glaubhaftmachung dieser Darlegung. Zum Teil
würden die Kammern die glaubhaft gemachten Darlegungen (u. a. auch mit
Unterstützung der Gerichtshilfe) überprüfen oder daneben auch selbst weitere
Ermittlungen anstellen.
Weiterhin hat der Präsident des Landgerichts eine Stellungnahme des Vorsitzenden der
14. Strafkammer übermittelt. Dieser hat ausgeführt, dass die Kammer bei der vom
Beschwerdeführer angegriffenen Entscheidung davon ausgegangen sei, dass der
Beschwerdeführer seiner Darlegungspflicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 2 OWiG nicht in
genügendem Maße nachgekommen sei. Ihm sei durch ein Schreiben des
Berichterstatters Gelegenheit gegeben worden, seine Vermögensverhältnisse detailliert
darzulegen und glaubhaft zu machen. Die Antwort habe sich, wie schon die Darstellung
gegenüber dem Amtsgericht, im Wesentlichen auf die Wiedergabe eigener
Berechnungen zu den Einkommensverhältnissen beschränkt, ohne dass deren
Grundlagen, insbesondere die ungewöhnlich niedrigen Einnahmen, belegt worden wären.
Bei dem als Rechtsanwalt und Steuerberater rechtlich erfahrenen Betroffenen habe die
Kammer - anders als dies bei einem weniger Sachkundigen wohl geschehen wäre - auch
keinen Anlass gesehen, ihn nochmals unter noch genauerer Darlegung geeigneter
Belege (wie z. B. Steuerbescheide) zur Glaubhaftmachung aufzufordern. Die Darstellung
des Betroffenen sei auch im Übrigen der Kammer unschlüssig erschienen. In den
Entscheidungsgründen habe die Kammer die vorstehenden Überlegungen im Hinblick
auf die Unanfechtbarkeit der Entscheidung nur verkürzt dargestellt, was ihr auch
ausreichend erschienen sei, weil nach ihrer Auffassung dem sachkundigen Betroffenen
bewusst gewesen sein dürfte, dass er seine Angaben nicht ausreichend objektiv belegt
hätte.
Der Präsident des Amtsgerichts hat mitgeteilt, dass sich eine einheitliche
Entscheidungspraxis bei den zuständigen Spruchkörpern hinsichtlich der Auslegung und
Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 4 OWiG nicht herausgebildet habe. Grundsätzlich werde
davon ausgegangen, dass in jedem Einzelfall bei Anwendung des § 96 OWiG dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen werde. Ob eine nachweisliche
Zahlungsunfähigkeit des Schuldners vorliege, könne nur im Einzelfall unter
Berücksichtigung der dem Gericht bekannten Umstände festgestellt werden.
II.
1. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts
Tiergarten vom 25. April 2000 richtet, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis. Gegen diese
Entscheidung ist gemäß § 104 Abs. 3 Nr. 1 OWiG die sofortige Beschwerde eingelegt
worden, die zu einer umfassenden erneuten Prüfung der Sach- und Rechtslage führt.
Gegenstand des Angriffs durch die Verfassungsbeschwerde kann dementsprechend nur
die landgerichtliche Entscheidung sein, deren Aufhebung durch den
Verfassungsgerichtshof bei gleichzeitiger Zurückverweisung des Verfahrens an das
Landgericht ausreichen würde, um den Grundrechtsschutz des Beschwerdeführers in
vollem Umfang sicherzustellen.
2. Soweit der Beschwerdeführer rügt, die landgerichtliche Entscheidung verletze sein
Grundrecht auf rechtliches Gehör, weil sie seinen substantiierten Vortrag zur
Vermögens- und Einkommenssituation “schlichtweg übergehe", ist die
Verfassungsbeschwerde mangels Substantiierung unzulässig. Das Grundrecht auf
rechtliches Gehör aus Art. 15 Abs. 1 VvB verpflichtet das Gericht, den Vortrag der
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rechtliches Gehör aus Art. 15 Abs. 1 VvB verpflichtet das Gericht, den Vortrag der
Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen, nicht jedoch, ihm zu folgen
oder in allen Einzelheiten zu begründen, warum es ihm nicht folgt. Ein Beschwerdeführer
der vorträgt, ein Gericht habe seinen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen, ist deshalb
verpflichtet, zumindest Anhaltspunkte dafür vorzutragen, aus denen sich ergibt, das
Gericht habe den Vortrag übersehen oder bewusst übergangen. Solche Darlegungen
sind innerhalb der Frist des § 51 Abs. 1 Satz 1 VerfGHG nicht erfolgt.
III.
Soweit der Beschwerdeführer rügt, die angegriffene Entscheidung des Landgerichts
verletze ihn in seinen sich aus Art. 7, 8 i. V. m. Art. 36 VvB sowie Art. 10 VvB ergebenden
Grundrechten, ist die Verfassungsbeschwerde ebenfalls erfolglos.
1. Die gemäß §§ 96 Abs. 1, 104 Abs. 3 Nr. 1 OWiG ergangene Entscheidung des
Landgerichts ist Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für eine Maßnahme der
Freiheitsentziehung und damit für einen Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VvB
geschützte Recht auf Freiheit. Von diesem Recht und seiner möglichen Verletzung ist
deshalb vorliegend in erster Linie auszugehen. Für eine darüber hinausgehende
Beeinträchtigung der durch Art. 7 VvB geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit ist
dagegen vom Beschwerdeführer nichts vorgetragen worden oder sonst ersichtlich, was
nicht bereits im Zusammenhang mit der Prüfung einer Verletzung des Rechts aus Art. 8
Abs. 1 Satz 2 VvB zu berücksichtigen wäre. Das Gleiche gilt hinsichtlich des vom
Beschwerdeführer ebenfalls in Anspruch genommenen Willkürverbots des Art. 10 VvB.
Auch insoweit ist vom Beschwerdeführer nichts vorgetragen oder sonst ersichtlich, was
über die im Zusammenhang mit einer Verletzung des Rechts aus Art. 8 Abs. 1 Satz 2
VvB festzulegenden Prüfungsvoraussetzungen hinaus eine Rechtsverletzung denkbar
erscheinen lassen könnte.
2. Die landgerichtliche Entscheidung, die vorliegend Gegenstand der
Verfassungsbeschwerde ist, beruht materiell auf § 96 OWiG und damit auf Bundesrecht.
Insoweit besteht die Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs in den Grenzen der
Art. 141, 31 GG hinsichtlich der Behauptung des Beschwerdeführers, durch das
landgerichtliche Urteil in seinem durch Art. 8 Abs. 1 Satz 2 VvB enthaltenen Recht
verletzt zu sein, soweit dieses Recht mit einem vom Grundgesetz verbürgten Grundrecht
übereinstimmt (vgl. Beschluss vom 23. Dezember 1992 - VerfGH 38/92 - LVerfGE 1, 44,
seitdem st. Rspr.) Dies ist in der genannten Entscheidung vom Verfassungsgerichtshof
für das damals in Art. 9 Abs. 1 VvB geregelte Freiheitsrecht im Hinblick auf die mit dem
heutigen Art. 8 Abs. 1 VvB wörtlich identische Formulierung des Art. 2 Abs. 2 GG bejaht
worden und seitdem ebenfalls ständige Rechtsprechung.
3. Die vorliegend vom Landgericht anzuwendende und angewendete Vorschrift des § 96
OWiG war bereits im Jahre 1976 in der noch heute geltenden Fassung Gegenstand einer
verfassungsrechtlichen Bewertung durch das Bundesverfassungsgericht. Dieses hat in
seiner Entscheidung vom 9. November 1976 (- 2 BvL 1/76 - BVerfGE 43, 101-108)
festgestellt, dass diese Regelung, wonach die Erzwingungshaft auch wegen einer
Geldbuße in geringer Höhe angeordnet werden kann und wonach die Vollstreckung der
Erzwingungshaft nicht von der Pflicht zur Zahlung der Geldbuße befreit, mit dem
Grundgesetz vereinbar ist. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verbiete nicht
generell die Erzwingungshaft wegen geringer Geldbußen. Der Gesetzgeber habe insoweit
den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zum Schutze des Betroffenen in verschiedener
Weise ausdrücklich konkretisiert. Darüber hinaus stehe die Anordnung der
Erzwingungshaft im Ermessen des Gerichts, so dass dieses bei der Auslegung und
Anwendung der Norm über die einzelnen gesetzlichen Festlegungen hinaus dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen könne. Dieser Auffassung schließt sich
der Verfassungsgerichtshof an.
4. Die Erzwingungshaft soll nach ihrer in § 96 OWiG niedergelegten gesetzgeberischen
Intention gegen Betroffene angeordnet werden, die zwar zahlungsfähig, aber nicht
zahlungswillig sind. Sie richtet sich gegen den Betroffenen, der sich - obwohl
zahlungsfähig - ohne ersichtlichen Grund weigert, eine rechtskräftig festgesetzte
Geldbuße zu begleichen. Diese Intention hat der Gesetzgeber dadurch zum Ausdruck
gebracht, dass die Erzwingungshaft gemäß § 96 Abs. 1 Ziff. 2 und Ziff. 4 nur zulässig ist,
wenn der Betroffene seine Zahlungsunfähigkeit nicht dargetan hat und keine Umstände
bekannt sind, welche seine Zahlungsunfähigkeit ergeben.
Die Würdigung eines konkreten Sachverhalts unter dem Gesichtspunkt eines einfachen
Gesetzes, das einen konkreten Grundrechtseingriff zulässt und seinerseits
verfassungsgemäß ist, obliegt in erster Linie den dafür zuständigen Fachgerichten.
Deren Beurteilung ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren nur begrenzt darauf
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Deren Beurteilung ist im Verfassungsbeschwerdeverfahren nur begrenzt darauf
nachzuprüfen, ob die angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler erkennen lässt, die
auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts,
insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und die in ihrer Bedeutung
für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.> =
NJW 1964, 1715; seitdem ständige Rechtsprechung aller deutschen
Verfassungsgerichte). Es kann grundsätzlich nicht Aufgabe der Verfassungsgerichte im
Verfassungsbeschwerdeverfahren sein, ihre Würdigung eines konkreten Sachverhalts an
die Stelle derjenigen des zuständigen Fachgerichts zu setzen.
Ausgehend von dieser Rechtsprechung ist im vorliegenden Fall anhand der zulässigen
Rügen des Beschwerdeführers zu prüfen, ob die vom Landgericht getroffene
Entscheidung Auslegungsfehler der genannten Art erkennen lässt. Das Landgericht hat
insoweit seine Entscheidung vor allem damit begründet, dass der Beschwerdeführer
“trotz Aufforderung ... seine Pflicht, die behauptete Zahlungsunfähigkeit schlüssig
darzulegen und glaubhaft zu machen, auch im Beschwerdeverfahren nicht erfüllt" habe.
Insoweit hat der Beschwerdeführer jedenfalls nicht dadurch einen erheblichen
Auslegungsmangel darlegt, dass er darauf verweist, dass das Gesetz die Worte
“glaubhaft zu machen" an dieser Stelle nicht verwendet. Die gesetzliche Formulierung in
§ 96 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG, wonach eine Voraussetzung der Erzwingungshaft ist, dass der
Betroffene seine Zahlungsunfähigkeit “nicht dargetan hat", verlangt mehr als eine bloße
Darlegung. Das Landgericht hat das Gesetz in seiner Verfügung an den
Beschwerdeführer vom 15. Juni 2000 dahingehend konkretisiert, dass die Darlegungen
“durch geeignete Belege glaubhaft zu machen" seien. Es ist nicht ersichtlich, dass diese
Konkretisierung des gesetzlichen Wortlauts mit der Intention des Gesetzgebers, ein
wirksames Beugemittel zur Erzwingung der Zahlung von Geldbußen bereit zu stellen,
nicht vereinbar ist. Auch soweit das Landgericht im Übrigen Anforderungen an die
Konkretisierung und Schlüssigkeit des Vortrags stellt, mit dem die Zahlungsunfähigkeit
darzutun ist, ist ein Auslegungsfehler von dem für die Feststellung eines
Verfassungsverstoßes erforderlichen Gewicht nicht erkennbar. Es ist nicht zu
beanstanden, dass das Landgericht die bloße Darlegung eines Freiberuflers, er habe in
einem bestimmten, relativ kurzen Zeitraum keine erheblichen Überschüsse erzielt und
verfüge über kein Vermögen, nicht als schlüssigen Vortrag im Sinne des § 96 Abs. 1 Nr.
2 OWiG angesehen hat. Hiergegen spricht bereits der Umstand, dass der Freiberufler es
durch eigene Rechnungsstellung weitgehend in der Hand hat, wann er Überschüsse
erzielt.
5. Die entscheidende Rechtsfrage des vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahrens
ist dementsprechend, ob sich das Landgericht auch bei der Auslegung der Vorschrift des
§ 96 Abs. 1 Ziff. 4 OWiG innerhalb des allein den Fachgerichten zustehenden
Auslegungsspielraums gehalten hat. Nach dieser Vorschrift darf Erzwingungshaft auch
bei unzureichender Darlegung der Zahlungsunfähigkeit gleichwohl nur verhängt werden,
wenn “keine Umstände bekannt sind, welche seine (des Betroffenen)
Zahlungsunfähigkeit ergeben". Diese Frage stellt sich zum einen in Richtung auf das
Ergebnis des wohl regelmäßig - und auch im vorliegenden Fall - vor Einleitung des
Erzwingungshaftverfahrens durchzuführenden Pfändungsverfahrens und zum anderen
hinsichtlich der Frage einer Aufklärungspflicht von Amts wegen bei zwar nicht in sich
schlüssigem, aber durchaus auf Zahlungsunfähigkeit hindeutenden Vortrag des
Betroffenen.
Hinsichtlich der Frage des Ergebnisses eines vorlaufenden Vollstreckungsverfahrens hat
der Präsident des Landgerichts mitgeteilt, dass die mit Ordnungswidrigkeiten befassten
Strafkammern einen vergeblichen Vollstreckungsversuch oder die Mitteilung des
Vollstreckungsbeamten, ein Schuldner sei amtsbekannt pfandlose" allein grundsätzlich
nicht für die Annahme der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des
Ordnungswidrigkeitengesetzes für ausreichend erachten. Auch in der Literatur wird es als
zulässig angesehen, trotz erfolgloser Beitreibungsmaßnahmen Erzwingungshaft
anzuordnen, weil diese auch dann noch ein wirksames Mittel sein kann, dem Betroffenen
die Pflicht zur Zahlung oder vollständigen Darlegung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse
vor Augen zu halten (vgl. Göhler, OWiG, 11. Aufl. Rdnr. 9 zu § 96; Boujong in: Karlsruher
Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, Rdnr. 16 zu § 96 OWiG). Der
Verfassungsgerichtshof kann in dieser Handhabung keine grundsätzlich unrichtige
Auffassung von der Bedeutung des Freiheitsgrundrechts erkennen. Wenn der
Gesetzgeber gewollt hätte, dass bereits erfolglos durchgeführte
Beitreibungsmaßnahmen als ausreichender Nachweis der Zahlungsunfähigkeit im Sinne
des § 96 Abs. 1 Ziff. 4 OWiG anzusehen seien, hätte es der gesamten Regelung zur
Erzwingungshaft nicht bedurft. Denn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt
seinerseits wiederum in aller Regel sowieso zunächst die Ausschöpfung der
Möglichkeiten zur Beitreibung der Geldbuße durch den Vollstreckungsbeamten, weil dies
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Möglichkeiten zur Beitreibung der Geldbuße durch den Vollstreckungsbeamten, weil dies
im Verhältnis zur Erzwingungshaft weniger einschneidend ist (vgl. Göhler ebenda sowie
Boujong ebenda).
6. Es ist schließlich auch nicht ersichtlich, dass das Landgericht dadurch einen schweren
Auslegungsfehler begangen hat, dass es die mehrfach durch den Beschwerdeführer -
und zwar jeweils immer erst nach Aufforderung durch das Gericht bzw. im Rahmen eines
zu begründenden Antrags - nachgebesserten Angaben zu seinen Einkommens- und
Vermögensverhältnissen nicht im Einzelnen unter dem Gesichtspunkt, welche weiteren
Ermittlungen und Anforderungen von Glaubhaftmachungen noch geeignet seien
könnten, schließlich die Zahlungsunfähigkeit des Betroffenen zu ergeben, gewürdigt und
sodann entsprechende Ermittlungsmaßnahmen veranlasst hat. Eine so weitgehende
Pflicht zur Amtsermittlung im Rahmen des Erzwingungshaftverfahrens würde dazu
führen, dass Erzwingungshaft praktisch nur gegen diejenigen Betroffenen angeordnet
werden könnte, die ihre Mitwirkung von Anfang an und vollständig verweigern, oder
gegen diejenigen, bei denen die entsprechenden Ermittlungen die zunächst lediglich
nicht substantiiert erscheinenden Angaben, dass sie nicht zahlen können, vollständig
widerlegen. Auch dies würde die Regelung des § 96 OWiG als Beugemittel weitgehend
entwerten. Der Staat käme gegenüber dem Schuldner der Geldbuße letztendlich dann
doch in die Situation eines gewöhnlichen Gläubigers, der nach Art eines Inkassobüros
mit den einem solchen Büro zur Verfügung stehenden Mitteln (und nur mit diesen) seine
Forderungen beitreiben müsste. Die im Rahmen eines rechtsstaatlichen
Ordnungswidrigkeitenverfahrens festgesetzte Geldbuße ist jedoch keine übliche
Geldschuld, sondern darauf ausgerichtet, den Betroffenen künftig zur Einhaltung der
Rechtsordnung anzuhalten (vgl. Göhler, OWiG 11. Aufl. Rdnr. 9 vor § 1). Insoweit wird von
dem Betroffenen eine persönliche Leistung verlangt, die seine gesteigerte Mitwirkung
erfordert. Die Erzwingungshaft soll dementsprechend nicht nur demjenigen gegenüber
zulässig sein, der sich der Zahlung der Geldbuße entziehen will, sondern auch
gegenüber demjenigen, der die entsprechenden Mitwirkungspflichten nicht von sich aus
ausreichend erfüllt.
Der Vorsitzende der 14. Strafkammer hat insoweit in seiner vom Präsidenten des
Landgerichts übermittelten Äußerung zu Recht darauf hingewiesen, dass die
Fachgerichte berechtigt sein müssen, bei der Frage, welche Mitwirkungshandlungen sie
in diesem Zusammenhang für erforderlich halten, konkret auf die Person des
Betroffenen und seine Situation abzustellen. Der Beschwerdeführer ist zugelassener und
nach seinen eigenen Angaben praktizierender Rechtsanwalt und Steuerberater. Von ihm
kann eine sachgerechte Mitwirkung bei der Darlegung einer Zahlungsunfähigkeit in weit
höherem Maße erwartet werden, als von einem Betroffenen, der nach seiner Ausbildung
und seinen Kenntnissen zur Erstellung ordnungsgemäßer Bilanzen und
Vermögensübersichten sowie sachgerechten Glaubhaftmachungen nicht in der Lage ist.
Wenn das Fachgericht in einem solchen Fall nach einem entsprechenden Hinweis im
Rahmen der Gestaltung des weiteren Verfahrens unter Würdigung des nach diesem
Hinweis ergänzten Vorbringens und des sonstigen ihm bekannten Sachverhalts in
Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts zu dem Ergebnis kommt, dass die
vorliegenden Anhaltspunkte nicht ausreichen, um den Tatbestand des § 96 Abs. 1 Ziff. 4
OWiG als gegeben anzusehen, und dies maßgeblich damit begründet, dass eine vom
Betroffenen selbst eingereichte “Einnahme/Überschussrechnung" allein nicht geeignet
sei, glaubhaft zu machen, dass der Betroffene außer Stande ist, die Geldbuße in einem
Betrag oder in Teilbeträgen zu zahlen, so lässt dies eine grundsätzliche Verkennung des
Schutzgehaltes des Art. 8 VvB nicht erkennen. Dass die Begründung der Entscheidung
des Landgerichts insoweit knapp gehalten ist, ist für sich genommen
verfassungsrechtlich unerheblich (vgl. zu einem ebenfalls eine Freiheitsentziehung
betreffenden Fall insoweit den Beschluss vom 17. August 1998 - VerfGH 54 A/98 -
LVerfGE 9, 36 <39>).
7. Soweit sich der Verfassungsbeschwerde entnehmen lässt, dass der Beschwerdeführer
darüber hinaus eine Verletzung seines Rechts aus Art. 8 VvB in Verbindung mit dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dadurch als gegeben ansieht, dass der landgerichtlichen
Entscheidung keine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende
Ermessenserwägung zugrunde liegt, kann die Verfassungsbeschwerde ebenfalls keinen
Erfolg haben. Konkret führt der Beschwerdeführer hier zum einen den Gesichtspunkt an,
eine Freiheitsentziehung würde sein berufliches Fortkommen behindern. Dieser
Gesichtspunkt gilt generell für Freiheitsentziehungen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb
beim Beschwerdeführer Besonderheiten vorliegen, die bei ihm diese Wirkung einer
Freiheitsentziehung einschneidender machen als bei jedem anderen Betroffenen, der
seinen Lebensunterhalt durch Arbeit verdient.
Soweit der Beschwerdeführer gesundheitliche Gründe geltend macht, trägt er selbst
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Soweit der Beschwerdeführer gesundheitliche Gründe geltend macht, trägt er selbst
nicht vor, dass diese generell eine Freiheitsentziehung ausschließen. Ob der
Beschwerdeführer konkret haftfähig ist oder nicht, ist nicht im Verfahren nach § 96 OWiG
zu prüfen, sondern im Rahmen des nachfolgenden Verfahrens zur Vollstreckung der
Erzwingungshaft, das nicht Gegenstand des vorliegenden
Verfassungsbeschwerdeverfahrens ist.
Soweit der Beschwerdeführer rügt, die festgesetzte Dauer der Erzwingungshaft, die nur
knapp unter der Höchstgrenze des § 96 Abs. 3 OWiG liege, sei unverhältnismäßig, kann
auch insoweit kein Verfassungsverstoß festgestellt werden. Der Gesetzgeber hat durch
die Regelungen des § 96 Abs. 3 OWiG den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hinsichtlich der
Dauer der Erzwingungshaft im Einzelnen konkretisiert. Es ist nichts dafür vorgetragen,
aus welchen Gründen die in Anwendung dieser gesetzlichen Vorschriften ergangenen
gerichtlichen Entscheidungen dann ihrerseits unverhältnismäßig sein sollten. Im Übrigen
sieht der Beschwerdeführer selbst die Erzwingungshaft offensichtlich nicht als eine so
einschneidende Maßnahme an. Jedenfalls hat er nichts dafür vorgetragen, warum er z. B.
zwischen dem 19. April 2000 und dem 21. Juni 2000 ausweislich der von ihm dem
Landgericht vorgelegten Kontoauszüge in der Lage war, einen laufenden
Kontokorrentkredit um 6.987,76 DM zurückzuführen, anstatt zuvorderst Zahlungen in
entsprechender Höhe auf die offenen Geldbußen zu leisten, was zu einer erheblichen
Reduzierung der angeordneten Erzwingungshaft hätte führen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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