Urteil des VerfGH Berlin vom 29.03.2017

VerfGH Berlin: verfassung, ermächtigung, fraktion, juristische person, ordentliche kündigung, genehmigung, gesetzesvorbehalt, erfüllung, extensive auslegung, begriff

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6/01
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 115 GG, § 2 S 1 HGrG, Art
85 Abs 1 S 1 Verf BE, Art 87
Abs 1 Verf BE, Art 88 Abs 2
Verf BE
(VerfGH Berlin: Abschluß einer Zielvereinbarung des Senats mit
Berliner Stadtreinigungsbetrieben zur Zahlung von 805 Millionen
Euro an Land verletzt nicht das Budgetrecht des
Abgeordnetenhauses - keine gesetzliche Ermächtigung iSv Verf
BE Art 87 Abs 1 erforderlich - keine „getarnte Kreditaufnahme“
des Landes)
Tenor
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
A.
Die Antragstellerin begehrt als Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin sowohl in der
14. als auch in der 15. Wahlperiode die Feststellung, daß der Antragsgegner in der 14.
Wahlperiode das Haushaltsrecht des Abgeordnetenhauses im Zusammenhang mit dem
Abschluß einer Zielvereinbarung mit den Berliner Stadtreinigungsbetrieben (BSR) vom 6.
Juli 2000 verletzt hat, auf Grund derer die BSR im Haushaltsjahr 2000 einen Betrag von
805 Mio. DM an das Land Berlin abführten, sich zusammensetzend aus einer
Stammkapitalherabsetzung in Höhe von 350 Mio. DM sowie aus einer diskontierten
Gewinn- und Kapitalzinsabführung in Höhe von 455 Mio. DM. Ferner rügt die
Antragstellerin die Verletzung von Rechten des Abgeordnetenhauses im
Zusammenhang mit einer Haushaltsüberschreitung im Haushalt 2000.
I.
1. Die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) sind eine Anstalt des öffentlichen Rechts
(§ 1 Abs. 1 Nr. 2 des Berliner Betriebegesetzes – BerlBG – vom 9. Juli 1993, zuletzt
geändert durch Gesetz vom 30. Juli 2001, GVBl. S. 313), deren Aufgaben nach § 2 Abs. 4
BerlBG die Abfallentsorgung, die Straßenreinigung für Berlin sowie die Wahrnehmung
verschiedener Sonderdienste sind.
Am 6. Juli 2000 schlossen das Land Berlin, vertreten durch den Senator für Wirtschaft
und Technologie, und die BSR eine Zielvereinbarung, nach der die BSR dem Berliner
Landeshaushalt für das Jahr 2000 einen Betrag von insgesamt 805 Mio. DM zuzuführen
haben. Der Betrag ergibt sich aus einer Herabsetzung des Stammkapitals der BSR in
Höhe von 350 Mio. DM sowie einer Vorauszahlung auf die in den nächsten 15 Jahren
erwarteten Gewinne der BSR in Höhe von 455 Mio. DM (sog. Einmalzahlung). Die
Zielvereinbarung soll nach ihrer Präambel der Verbesserung von Leistungsfähigkeit,
Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität der BSR dienen. Zugleich sollen den BSR
Planungssicherheit verschafft und die Entsorgungssicherheit der Bürger und
Unternehmen gewährleistet werden. In § 2.2 der Zielvereinbarung verpflichten sich die
BSR, nach Maßgabe eines sog. Effizienzsteigerungsprogramms die leistungsmäßige
Wettbewerbsfähigkeit bis zum 31. Dezember 2003 sowie die kostenmäßige
Wettbewerbsfähigkeit spätestens bis zum 31. Dezember 2015 zu erreichen. Im Rahmen
der Umsetzung des ersten Effizienzsteigerungsprogramms sollen die BSR Maßnahmen
durchführen, die bis zum 31. Dezember 2003 zu Einsparungen von mindestens jährlich
170 Mio. DM führen (§ 3.1 bis § 3.3 der Zielvereinbarung). Für die Zeit ab dem 1. Januar
2004 bis zum 31. Dezember 2015 sind weitere Effizienzsteigerungsprogramme zu
entwickeln und umzusetzen (§ 3.4 der Zielvereinbarung).
Die Zielvereinbarung hat im einzelnen auszugsweise folgenden Wortlaut:
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§ 7
Stammkapitalherabsetzung
Das Stammkapital der BSR beträgt derzeit 650 Mio. DM. Die Parteien sind der
Auffassung, daß ein Stammkapital für die Wahrnehmung der der BSR obliegenden
Aufgaben von 300 Mio. DM erforderlich aber auch ausreichend ist. Das Stammkapital
der BSR wird daher auf einen Betrag in Höhe von 300 Mio. DM abgesenkt. Die
Vertragsparteien werden darauf hinwirken, daß die zur Herabsetzung des Stammkapitals
erforderlichen Schritte eingeleitet und durchgeführt werden.
§ 8
Zahlung eines Einmalbetrages
8.1 Innerhalb einer Frist von 6 Wochen nach Wirksamwerden dieser Vereinbarung wird die
BSR an das Land Berlin einen Einmalbetrag in Höhe von 455.000.000,00 DM (in Worten
Deutsche Mark vierhundertfünfundfünfzig Millionen) zahlen.
8.2 Der Einmalbetrag stellt eine Vorauszahlung auf die während der Laufzeit des
Vertrages nach § 2 Abs. 2 BerlBG zu entrichtenden jährlichen
Bilanzgewinnausschüttungen und die nach § 15 Abs. 4 BerlBG zu entrichtenden
jährlichen Kapitalverzinsungsbeträge in abgezinster Form dar. Die Vertragsparteien
haben dafür als Abzinsungsfaktor 5 % p.a. und einen abzuzinsenden Jahresbetrag
(Abzinsungsbetrag) in Höhe von 43,8 Mio. DM zugrunde gelegt.
8.3 Am Ende der vereinbarten Laufzeit des Vertrages ist die Summe der tatsächlich
während der Laufzeit dieses Vertrages erwirtschafteten Bilanzgewinne und der jährlichen
Kapitalverzinsungsbeträge dem sich aus § 8.2 Satz 2 ergebenden Abzinsungsbetrag -
multipliziert mit der Zahl der Jahre der Laufzeit des Vertrages - gegenüberzustellen.
Ergibt sich, daß die Summe der erwirtschafteten Bilanzgewinne und der jährlichen
Kapitalverzinsungsbeträge den sich aus § 8.2 Satz 2 ergebenden Abzinsungsbetrag -
multipliziert mit der Zahl der Jahre der Laufzeit dieses Vertrages - überschreitet, zahlt
die BSR dem Land Berlin den Differenzbetrag. Im Übrigen erfolgen keine
Ausgleichszahlungen.
8.4 Für den Fall einer Beendigung dieses Vertrages vor Ablauf von 15 Jahren vereinbaren
die Vertragsparteien eine Abrechnung des Einmalbetrages pro rata temporis nach
folgender Maßgabe: Zum einen ist der sich zum Zeitpunkt der vorzeitigen
Vertragsbeendigung ergebende Saldo nach Maßgabe von § 8.3 Satz 1 zu ermitteln;
ferner ist eine Berechnung des Betrages durchzuführen, der für die tatsächlich kürzere
Laufzeit zu zahlen gewesen wäre unter Zugrundelegung des Abzinsungsfaktors und des
Abzinsungsbetrages gemäß § 8.2. Der Differenzbetrag zwischen dem so ermittelten
Betrag (zuzüglich Zinsen in Höhe des Abzinsungsfaktors für den Zeitraum seit Zahlung
bis zur Vertragsbeendigung) und dem tatsächlich gezahlten Einmalbetrag ist vom Land
Berlin unter Abzug des Saldos gemäß Satz 2 an die BSR zu zahlen. Im Übrigen erfolgen
keine Ausgleichszahlungen.
8.5 [...]
§ 11
Laufzeit des Vertrages
Kündigungen
11.1 Dieser Vertrag tritt am ersten des Monats in Kraft, der dem Monat folgt, in dem
dieser Vertrag durch die beiden Vertragsparteien rechtsverbindlich unterzeichnet wurde
und sämtliche zu seiner Wirksamkeit notwendigen Voraussetzungen vorliegen.
11.2 Dieser Vertrag wird bis zum 31. Dezember 2015 fest abgeschlossen. Das Recht zur
außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund sowie zur Kündigung gemäß § 11.3
bleibt unberührt.
11.3 Das Land Berlin ist zur vorzeitigen ordentlichen Kündigung dieser Zielvereinbarung
berechtigt, wenn die im Rahmen des qualifizierten Benchmarkprozesses gemäß § 3.6
dieses Vertrages vereinbarten Ziele nicht erreicht werden. Eine Kündigung hat mit einer
Frist von sechs Monaten zum Quartalsende zu erfolgen.
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11.4 Kündigungen haben schriftlich zu erfolgen.
Durch die zur Haushaltsentlastung beitragende Zielvereinbarung wurde - unstreitig - die
ansonsten beabsichtigte Privatisierung der BSR vermieden.
Die BSR entrichteten am 15. September 2000 den aus der Stammkapitalherabsetzung
resultierenden Betrag von 350 Mio. DM sowie im November und Dezember 2000 die
Einmalzahlung in Höhe von 455 Mio. DM an das Land Berlin. Die Zahlungen wurden im
Haushalt 2000 erfaßt.
Das Abgeordnetenhaus von Berlin erhielt vom Abschluß der Zielvereinbarung durch eine
Vorlage des Antragsgegners vom 11. Juli 2000 Kenntnis (Drs 14/562), die am 12. Juli
2000 in der Verwaltung des Abgeordnetenhauses einging und anschließend an die
Fraktionen verteilt wurde. Darin heißt es u.a., daß zentraler Teil der Zielvereinbarung ein
Beitrag der BSR zur Entlastung des Berliner Landeshaushalts in Gestalt der Reduzierung
des Stammkapitals der BSR um 350 Mio. DM und der Zahlung eines Einmalbetrages von
455 Mio. DM als Vorauszahlung auf die während der Laufzeit des Vertrages zu
entrichtenden jährlichen Bilanzausschüttungen sei. Der Abschluß der Zielvereinbarung
führe zu überplanmäßigen Einnahmen im Jahr 2000 in Höhe von 805 Mio. DM bei Kapitel
1320, Titel 121 26 - Kapitalverzinsung bei den Anstalten des öffentlichen Rechts - .
Das Abgeordnetenhaus behandelte die Zielvereinbarung erstmals auf Antrag der
Antragstellerin durch den Ausschuß für Wirtschaft, Betriebe und Technologie in seiner 11.
Sitzung am 25. September 2000 (Wortprotokoll WiBetrTech 14/11). Hierdurch erfuhr die
Antragstellerin durch den Vorstand der BSR, daß die BSR sowohl die
Stammkapitalherabsetzung um 350 Mio. DM als auch die Zahlung des Einmalbetrages
von 455 Mio. DM über Kredite finanzieren wollten. Dabei sah es zunächst danach aus,
daß der Betrag von 805 Mio. DM vollständig durch Kredite finanziert werden sollte.
Letztlich wurden aber 222,5 Mio. DM nicht kreditfinanziert, sondern aus freien Mitteln der
BSR entrichtet.
Der Rechnungshof von Berlin bewertete in seinem Bericht vom 26. Oktober 2000 die
Zahlungsverpflichtungen aus der Zielvereinbarung nicht als (verdeckte) Kreditaufnahme:
Es sei in der Zielvereinbarung nicht festgelegt, ob die Beträge von den BSR durch
Kreditaufnahmen oder auf andere Weise finanziert würden. Außerdem sehe die
Zielvereinbarung Gegenleistungen Berlins vor (insbesondere Aufrechterhaltung der
Abfallentsorgung und Straßenreinigung durch die BSR im Wege des Anschluß- und
Benutzungszwangs für die Dauer der Laufzeit der Zielvereinbarung). Die Beschaffung
von Geldmitteln für Berlin für eine entsprechende Gegenleistung Berlins stelle aber keine
Kreditaufnahme dar.
2. Ferner sind die Vorgänge um die Erfüllung zweier den BSR für die Jahre 1998 und
1999 auf Grund von § 7 Straßenreinigungsgesetz gegen das Land Berlin noch
zustehender Forderungen in Höhe von insgesamt 52.476.040,39 DM im Haushaltsjahr
2000 Gegenstand des vorliegenden Organstreitverfahrens. Die Forderungen erfüllte das
Land Berlin jedenfalls dadurch, daß die BSR anstatt des auf Grund der Zielvereinbarung
zu zahlenden Einmalbetrages von 455 Mio. DM nur einen Betrag von 402.523.959,61 DM
an das Land Berlin zu überweisen hatten. Die Antragstellerin nahm zunächst an, die
Zahlungen der BSR auf Grund der Zielvereinbarung seien vom Antragsgegner mit den
Forderungen der BSR gegen das Land Berlin auch im Haushalt 2000 saldiert worden;
denn die Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie hatte in einer Vorlage an den
Hauptausschuß des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 16. November 2000
ausgeführt, daß die Forderungen aus den Jahren 1998 und 1999 mit dem von den BSR
nach der Zielvereinbarung zu zahlenden Einmalbetrag in Höhe von 455 Mio. DM
aufgerechnet würden. Eine derartige Vorgehensweise hatte ein im Hauptausschuß
vertretener Abgeordneter der Antragstellerin in der nachfolgenden 29. Sitzung des
Hauptausschusses vom 22. November 2000 (Inhaltsprotokoll Haupt 14/29) beanstandet
mit der Begründung, daß statt dessen wegen der Erfüllung der Forderungen durch das
Land Berlin überplanmäßige Ausgaben für das Haushaltsjahr zu beantragen seien.
Dennoch beschloß der Hauptausschuß gegen die Stimmen der Antragstellerin, daß die
Vorlage vom 16. November 2000 zustimmend zur Kenntnis genommen werde.
Allerdings nahm der Antragsgegner in der Folgezeit eine Saldierung tatsächlich nicht vor.
Vielmehr bat die Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie einen Tag nach der
Sitzung des Hauptausschusses in einem an die Senatsverwaltung für Finanzen
gerichteten Schreiben vom 23. November 2000, – wie von der Antragstellerin
befürwortet –
überplanmäßige Ausgaben in Höhe der Forderungen von 52.476.040,39 DM bei Kapitel
1320 Titel 521 36 zuzulassen. Mit Schreiben vom 6. Dezember 2000 stimmte die
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1320 Titel 521 36 zuzulassen. Mit Schreiben vom 6. Dezember 2000 stimmte die
Senatsverwaltung für Finanzen dieser Vorgehensweise zu. Ausweislich einer sog.
(internen) „Haushaltsüberwachungsliste: Ausgaben Haushaltsjahr 2000“ mit Stand
12. Juni 2001 ergibt sich schließlich, daß im Haushalt 2000 anstelle des im Kapitel 1320
Titel 52 136 (Anteil an der Straßenreinigung) zunächst angesetzten Betrages von 120
Mio. DM ein um den Nachforderungsbetrag von 52.476.040,39 DM erhöhter Betrag von
172.476.040,39 DM angesetzt wurde.
In seiner 40. Sitzung am 27. Juni 2001 forderte der Hauptausschuß des
Abgeordnetenhauses die Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie auf
mitzuteilen, in welcher Form die Nachforderungen der BSR erfüllt worden seien und wie
der Hauptausschuß darüber informiert worden sei. Daraufhin führte die
Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie in einem an den Hauptausschuß
gerichteten Schreiben vom 3. Juli 2001 aus, die Forderungen seien durch Zulassung
überplanmäßiger Ausgaben bei Kapitel 1320 Titel 521 36 in Höhe von rd. 52,5 Mio. DM
beglichen worden, nachdem sich herausgestellt habe, daß eine Verrechnung der
Forderungen aufgrund haushaltsrechtlicher Vorschriften (Grundsatz der
Haushaltsklarheit, Bruttonachweis) nicht möglich sei. Unter dem Aspekt, daß der
Hauptausschuß grundsätzlich über die haushaltsmäßigen Auswirkungen der
Forderungen der BSR informiert gewesen sei und die Vorlage vom 16. November 2000
zustimmend zur Kenntnis genommen habe, sei der Senat davon ausgegangen, daß es
keiner weiteren Vorlage zu dieser Thematik bedürfe, zumal die Zulassung
überplanmäßiger Ausgaben allein der ordnungsgemäßen Brutto-Darstellung in der
Haushaltsrechnung 2000 gedient habe und sich im Vergleich zur Verrechnung mit den
Forderungen keine anderen haushaltsmäßigen Auswirkungen ergäben.
Mit Datum vom 25. September 2001 erfolgte durch den Antragsgegner eine Vorlage –
zur Beschlußfassung – an das Abgeordnetenhaus von Berlin über die Genehmigung von
über- und außerplanmäßigen Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen im
Haushaltsjahr 2000 für die Hauptverwaltung (sog. Überschreitungsnachweis, Drs 15/4).
Unter den über- und außerplanmäßigen Ausgaben wurden sächliche
Verwaltungsausgaben in Gestalt der offenen Forderungen der BSR für die Geschäftsjahre
1998 und 1999 in Höhe von 52.476.040,39 Mio. DM bei Kapitel 1320 Titel 521 36
aufgeführt. In der Vorlage wurde ausgeführt, daß im Haushaltsjahr 2000 unabweisbare
und unvorhergesehene Finanzierungsbedürfnisse aufgetreten seien, für deren Erfüllung
die im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen nicht
ausreichten. Nach Art. 88 Abs. 2 VvB sei für Haushaltsüberschreitungen die
nachträgliche Genehmigung des Abgeordnetenhauses einzuholen. Entsprechend Nr. II 3
des Auflagenbeschlusses zum Haushalt 2000 (Drs 14/302) sei bei
Haushaltsüberschreitungen in grundsätzlichen, finanziell bedeutsamen und zweifelhaften
Fällen formlos das Einvernehmen mit dem Hauptausschuß des Abgeordnetenhauses
bereits im Laufe des Jahres 2000 herbeigeführt worden. Das Abgeordnetenhaus
überwies die Vorlage Drs 15/4 über die Genehmigung von über- und außerplanmäßigen
Ausgaben vom 25. September 2001 in seiner 2. Sitzung am 13. Dezember 2001 an den
Hauptausschuß (PlPr 15/2 S. 76 B), der seinerseits am 30. Januar 2002 dem
Abgeordnetenhaus empfahl, die Vorlage anzunehmen (Drs 15/152). Das
Abgeordnetenhaus genehmigte in seiner 4. Sitzung vom 31. Januar 2002 gemäß Art. 88
Abs. 2 VvB nachträglich „die vom Senat zugelassenen Haushaltsüberschreitungen“ (PlPr
15/4 S. 200 A).
II.
Am 11. Januar 2001 hat die Antragstellerin als Fraktion des Abgeordnetenhauses von
Berlin der 14. Wahlperiode beim Verfassungsgerichtshof drei Anträge eingereicht, mit
denen sie im Organstreitverfahren die Verletzung von Rechten des Abgeordnetenhauses
in Prozeßstandschaft geltend macht. Hierbei ist Streitgegenstand die Rüge der
Verletzung des Haushaltsrechts des Abgeordnetenhauses aus Art. 85 Abs. 1 Satz 1, 87
Abs. 1 VvB im Zusammenhang mit der vom Antragsgegner und den BSR
abgeschlossenen Zielvereinbarung. Am 23. August 2001 hat die Antragstellerin die
Anträge um den (Hilfs-)Antrag zu 4. erweitert, mit dem sie rügt, der Antragsgegner habe
das Recht des Abgeordnetenhauses aus Art. 88 Abs. 2 VvB im Zusammenhang mit
einer Überschreitung des Haushalts 2000 infolge der Begleichung von Forderungen der
BSR aus den Jahren 1998 und 1999 verletzt. Nach den Wahlen zum Abgeordnetenhaus
von Berlin und zu den Bezirksverordnetenversammlungen vom 21. Oktober 2001 hat die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aus der 15. Wahlperiode in ihrer Fraktionssitzung am 4.
Dezember 2001 beschlossen, die Rechtsnachfolge der ursprünglich antragstellenden
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aus der 14. Wahlperiode anzutreten und das
Organstreitverfahren fortzuführen.
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Mit ihren Anträgen zu 1. und 2. vertritt die Antragstellerin die Auffassung, der
Antragsgegner habe gegen Art. 87 Abs. 1 VvB verstoßen, indem er sich im
Zusammenhang mit der Zielvereinbarung und der daraus folgenden Zahlung der BSR
von insgesamt 805 Mio. DM zur Entlastung des Berliner Landeshaushalts ohne
gesetzliche Grundlage Kreditmittel beschafft habe.
Die Kreditaufnahme durch die BSR als Anstalt des öffentlichen Rechts stelle eine
Kreditaufnahme des Landes Berlin i.S.v. Art. 87 Abs. 1 VvB dar, die der dort
vorgeschriebenen gesetzlichen Ermächtigung bedurft hätte. Die sich aus dem
Gesetzesvorbehalt ergebenden Pflichten gegenüber dem Abgeordnetenhaus von Berlin
träfen nach der Verfassung nicht mehr allein den Senat von Berlin, sondern alle Bereiche
des Landes, die Kredite aufnehmen könnten oder für die das Land Berlin direkt oder
indirekt hafte, also auch Anstalten des öffentlichen Rechts wie die BSR. Zweck des
Gesetzesvorbehalts sei es nämlich, die Verschuldung des Landes und seiner
Einrichtungen von parlamentarischer Zustimmung in Form einer Gesetzesbestimmung
abhängig zu machen. Art. 87 VvB sehe zudem anders als Art. 115 Abs. 1 Satz 3 GG
nicht vor, daß das Nähere durch Gesetz geregelt werden könne. Deswegen könnten
juristisch selbständige Einrichtungen nicht durch eine gesetzliche Regelung vom
Gesetzesvorbehalt ausgeschlossen werden. Die Kreditaufnahme finde auch keine
gesetzliche Grundlage im Berliner Betriebegesetz, weil sie unter Verstoß gegen
kaufmännische Grundsätze erfolgt sei. Die Kreditaufnahme zeige überdies, daß die BSR
keineswegs überfinanziert seien, sondern daß es sich um eine “getarnte”
Kreditaufnahme des Landes handele, die nur dazu diene, dem Antragsgegner mangels
ausgeglichenen Haushalts dringend benötigte Einnahmen zu verschaffen.
Unmaßgeblich sei, ob der Antragsgegner Kenntnis von der Kreditaufnahme der BSR
gehabt habe. Art. 87 Abs. 1 VvB enthalte nämlich keine subjektive Komponente. Davon
abgesehen sei dem Antragsgegner aber auch bekannt gewesen, daß die BSR diesen
Betrag jedenfalls teilweise durch Kredite finanzieren würden.
Selbst wenn man der Auffassung sein sollte, daß Art. 87 Abs. 1 VvB die Kreditaufnahme
der öffentlichen Hand nicht umfassend unter einen Gesetzesvorbehalt stelle und daher
keine selbständigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts erfasse, so folge eine
Verletzung der Rechte des Abgeordnetenhauses aus der mißbräuchlichen Umgehung
der Verfassungsnorm durch die Kreditaufnahme der BSR zugunsten des Berliner
Landeshaushalts. Es könne nicht richtig sein, daß das Land nur eine juristische Person
gründen und zur Kreditaufnahme ermächtigen müsse, um frei von Bindungen des Art.
87 Abs. 1 VvB die Erfüllung seiner Aufgaben mit Krediten finanzieren zu können. Ein
Mißbrauch sei anerkannt, wenn rechtsfähige Anstalten des öffentlichen Rechts ohne
eigenes Vermögen gegründet würden, die Kredite aufnehmen dürften, für die das Land
entweder ausdrücklich die Garantie übernehme oder kraft seiner Anstaltslast hafte. Der
vorliegende Fall sei vergleichbar. Die Umgehung des Budgetrechts sei insbesondere im
Lichte der durch das Berliner Betriebegesetz klar definierten Aufgaben der BSR
offensichtlich und daher mißbräuchlich. Der Senat verschaffe sich zur Erfüllung eigener
Aufgaben finanzielle Mittel, die ein Dritter aufnehme und begleiche, für den das Land
aber ohnehin die Gewährträgerschaft habe. Das Land Berlin habe nach § 4 Abs. 1 BerlBG
eine gesetzliche und aus § 8.4 der Zielvereinbarung eine vertragliche
Rückzahlungsverpflichtung. Die Kreditaufnahme durch die BSR habe den vorrangigen,
wenn nicht alleinigen Zweck gehabt, dem Land Berlin Kreditmittel zur Verfügung zu
stellen, für die es anderenfalls einer gesetzlichen Ermächtigung bedurft hätte. Die
lediglich formale Mittelbarkeit könne die materielle Unmittelbarkeit des Kredits nicht
verdecken. Es gebe keinen nachvollziehbaren wirtschaftlichen Zweck, den die BSR
verfolgen könnten, als vielmehr dem Land weitere Mittel zur Haushaltssanierung zu
beschaffen. Es handele sich um ein Umgehungsgeschäft, bei dem die BSR bewußt als
Vehikel eingeschaltet worden seien. Das Budgetrecht des Abgeordnetenhauses sei
absichtlich umgangen worden. Würde man eine mit dem Organstreit zu rügende
Rechtsverletzung ablehnen, wäre das Abgeordnetenhaus schutzlos gestellt.
Außerdem hätte es auch deswegen einer gesetzlichen Ermächtigung bedurft, weil das
Land Berlin für die Kreditaufnahme durch die BSR jedenfalls Sicherheiten i.S.v. Art. 87
Abs. 1 VvB geleistet habe. Denn unter den Begriff der Sicherheitsleistungen fielen alle
Eventualverbindlichkeiten, durch die das Land künftige Risiken Dritter übernehme.
Sicherheitsleistungen seien daher als potentielle Schulden zu charakterisieren. Die vom
Land Berlin gegenüber den BSR gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 BerlBG übernommene
uneingeschränkte Haftung für deren Verbindlichkeiten (Gewährträgerhaftung) stelle eine
solche Sicherheitsleistung dar. Die Gewährträgerhaftung sei dogmatisch als
Ausfallbürgschaft zu charakterisieren, die den jeweiligen Anspruch des Gläubigers
wirtschaftlich sichere.
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Hilfsweise vertritt die Antragstellerin mit ihrem Antrag zu 2. die Auffassung, daß der
Antragsgegner Art. 87 Abs. 1 VvB verletzt habe, indem er in § 8.1 der Zielvereinbarung
ohne gesetzliche Grundlage mit den BSR eine Vorauszahlung von künftigen Einnahmen
vereinbart habe, die er im Falle einer vorzeitigen Vertragsbeendigung zurückzahlen
müsse. Haushaltspläne müßten so aufgestellt werden, daß in den nachfolgenden Jahren
noch ein gestalterischer Spielraum bestehe und nicht die Rückführung von Krediten das
Handeln des Gesetzgebers lähme. Art. 87 VvB solle das Entscheidungsrecht der
Legislative über die Deckungsmittel des Haushalts sicherstellen und verhindern, daß
diese Deckungsmittel schon für künftige Jahre vorbelastet würden. Gerade solch eine
Vorbelastung erfolge aber durch den Abschluß der Zielvereinbarung. Die
Zielvereinbarung sei bis zum Jahr 2015 fest abgeschlossen und schränke daher für
diesen Zeitraum den politischen Entscheidungsspielraum hinsichtlich der BSR stark ein.
Dem Haushaltsgesetzgeber stünden die nächsten fünfzehn Jahre weder die
Bilanzgewinne noch die Kapitalverzinsungsbeträge der BSR als Einnahmen zur
Verfügung, obwohl dies in § 2 Abs. 2 Satz 3 und § 15 Abs. 4 BerlBG vorgesehen sei. Zwar
könne die Zielvereinbarung gekündigt bzw. geändert werden. Die dann aber folgende
Rückabwicklung der bereits geflossenen Zahlungen nach § 8.4 der Zielvereinbarung
habe Strafcharakter, der das Land von der Kündigung abhalten solle. Eine ordentliche
Kündigung durch das Land Berlin sei nur möglich, wenn die BSR ihre Effizienz nicht wie in
der Zielvereinbarung vorausgesetzt steigern könnten. Gerade im Falle der mangelnden
Effizienz würde sich eine ordentliche Kündigung für das Land Berlin nicht lohnen, weil es
dann bei einer Privatisierung kaum einen adäquaten Kaufpreis erzielen könnte. Das
Ergebnis wäre also mit der teilweisen Rückzahlung der Einmalzahlung und der
Wertminderung der BSR eine doppelte finanzielle Einbuße. Weil die BSR mit hoher
Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage seien, den veranschlagten Gewinn zu erzielen,
müßte das Land Berlin bei vorzeitiger Vertragsbeendigung erhebliche Beträge
entrichten. Dies binde den Gesetzgeber bei seiner Entscheidungsfreiheit und in der
künftigen Planung des Haushaltes. Deshalb hätte der Senat im Haushaltsplan
Vorkehrungen für den Fall der Vertragskündigung vorsehen müssen. Wenn aber für
potentielle Rückzahlungspflichten haushaltsrechtliche Verpflichtungsermächtigungen
erforderlich seien, bedeute dies nichts anderes, als daß es sich bei der Zielvereinbarung
doch um einen Kredit handele.
Die Antragstellerin hat ferner geltend gemacht, das Budgetrecht des
Abgeordnetenhauses aus Art. 85 Abs. 1 Satz 1 VvB sei verletzt worden, weil der
Antragsgegner das Bruttoprinzip nicht beachtet habe, indem er die nach § 8 der
Zielvereinbarung durch die BSR erfolgte Einmalzahlung von 455 Mio. DM mit den aus
den Jahren 1998 und 1999 bestehenden Restforderungen der BSR von ca. 52,5 Mio. DM
im Haushalt 2000 saldiert habe. Zwischenzeitlich räumt die Antragstellerin allerdings
selbst ein, daß die beanstandete Saldierung nicht stattgefunden habe.
Schließlich rügt die Antragstellerin mit ihrem am 23. August 2001 beim
Verfassungsgerichtshof eingegangenen Schriftsatz, daß die Haushaltsüberschreitung im
Jahr 2000 in Gestalt der Verbuchung der Forderungen der BSR von 52.476.040,39 DM als
überplanmäßige Ausgaben bei Kapitel 1320 Titel 521 36 (Anteil an der Straßenreinigung)
unter Erhöhung des ursprünglichen Ansatzes von 120 Mio. DM auf 172.476.040,39 DM
zu einer Verletzung des Haushaltsrechts des Abgeordnetenhauses aus Art. 88 Abs. 2
VvB führe. Eine derartige Haushaltsüberschreitung bedürfe der Genehmigung des
Abgeordnetenhauses gemäß Art. 88 Abs. 2 VvB. Dabei verwies die Antragstellerin
zunächst darauf, daß das Abgeordnetenhaus diese Genehmigung nie erteilt habe. In
ihrem Schriftsatz vom 17. Juni 2002, eingegangen beim Verfassungsgerichtshof am 19.
Juni 2002, betont die Antragstellerin, daß die nachträgliche Genehmigung des
Abgeordnetenhauses vom 31. Januar 2002 (Drs 15/4) nichts an der
Verfassungswidrigkeit der überplanmäßigen Ausgaben ändere. Die Zustimmung des
Abgeordnetenhauses hätte der Antragsgegner nämlich unverzüglich nach Abschluß des
Haushaltsjahres nach dem 31. Dezember 2000 einholen müssen. Er habe aber erst am
25. September 2001 eine Beschlußvorlage für das Abgeordnetenhaus erstellt. Der
Beschluß des Parlaments vom 31. Januar 2002 könne deswegen nur bewirken, daß die
Ausgabe ab dem Zeitpunkt der Zustimmung nachträglich ihre konstitutive
Ermächtigung erhalte. Im Zeitpunkt der Leistung sei die Ausgabe verfassungswidrig
gewesen. Die nachträgliche Genehmigung des Abgeordnetenhauses vom 31. Januar
2002 sei zudem rechtswidrig, da Haushaltsüberschreitungen gemäß Art. 88 Abs. 1 VvB
nur mit Zustimmung des Senats im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren
Bedürfnisses vorgenommen werden dürften. An diesen Voraussetzungen fehle es.
Die Antragstellerin beantragt,
1. festzustellen, daß der Senat von Berlin das Haushaltsrecht des Abgeordnetenhauses
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1. festzustellen, daß der Senat von Berlin das Haushaltsrecht des Abgeordnetenhauses
von Berlin aus Art. 87 Abs. 1 VvB verletzt hat, indem er es unterlassen hat, für die
Kreditaufnahme der Berliner Stadtreinigungsbetriebe anläßlich der Zahlung eines
Gesamtbetrages von 805 Mio. DM durch die Berliner Stadtreinigungsbetriebe an das
Land Berlin aufgrund der Zielvereinbarung vom 6. Juli 2000 die vorherige Ermächtigung
des Abgeordnetenhauses einzuholen,
2. hilfsweise,
festzustellen, daß der Senat von Berlin das Haushaltsrecht des Abgeordnetenhauses
von Berlin aus Art. 87 Abs. 1 VvB verletzt hat, indem er ohne gesetzliche Grundlage mit
den Berliner Stadtreinigungsbetrieben eine Vorauszahlung von künftigen Einnahmen (§
8.1 der Zielvereinbarung) vereinbart hat, die er im Falle einer vorzeitigen
Vertragsbeendigung zurückzahlen muß,
3. festzustellen, daß der Senat von Berlin das Haushaltsrecht des Abgeordnetenhauses
von Berlin aus Art. 85 Abs. 1 Satz 1 VvB verletzt hat, indem er die Vorauszahlungen auf
die zukünftigen Bilanzgewinne und Kapitalverzinsungsbeträge aus der Zielvereinbarung
mit den Berliner Stadtreinigungsbetrieben vom 6. Juli 2000 mit den Restforderungen der
BSR wegen Straßenreinigung für die Jahre 1998 und 1999 saldiert in den Haushalt 2000
eingestellt hat,
4. hilfsweise,
festzustellen, daß der Senat von Berlin das Haushaltsrecht des Abgeordnetenhauses
von Berlin aus Art. 88 Abs. 2 VvB verletzt hat, indem er für die Erfüllung der
Restforderungen der Berliner Stadtreinigungsbetriebe wegen des Anteils an den Kosten
der Straßenreinigung für die Jahre 1998 und 1999 den Haushalt 2000 überschritten hat,
ohne hierfür die Genehmigung des Abgeordnetenhauses einzuholen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Er stellt die Zulässigkeit des Organstreitverfahrens deswegen in Frage, weil die
Antragstellerin und das Abgeordnetenhaus, dessen Rechte der Organstreit betreffe,
durch die konstituierende Sitzung des Abgeordnetenhauses in der 15. Legislaturperiode
untergegangen seien. Außerdem sei die vermeintlich nicht kaufmännische
Geschäftsführung der BSR kein dem Organstreitverfahren zugänglicher Gegenstand, weil
es nicht um die Auslegung der Verfassung gehe. Im übrigen hält er die Anträge
jedenfalls für unbegründet.
Zu den Anträgen zu 1. und 2. macht der Antragsgegner geltend:
Ihm sei nicht bekannt gewesen, daß die BSR die Kapitalherabsetzung und die
Einmalzahlung mit Kreditmitteln finanzieren würden, zumal die BSR ausreichend über
flüssige Mittel, Wertpapiere im Umlaufvermögen sowie Finanzanlagen im
Anlagevermögen verfügt hätten. Die Entscheidung der BSR für die Finanzierung der
Zahlung durch Kredite sei eine unternehmerische, nach kaufmännischen
Gesichtspunkten getroffene Entscheidung und nicht durch die Zielvereinbarung
vorgegeben.
Für die Kapitalherabsetzung, die diskontierte Gewinnabführung sowie die
Darlehensaufnahme durch die BSR habe es keiner Beteiligung des Abgeordnetenhauses
bedurft.
Art. 87 Abs. 1 VvB beziehe sich auf die Einnahmen des Landes, wie sie im Haushaltsplan
(Art. 85 VvB) darzustellen seien. Gemeint seien hierbei die Einnahmen und Ausgaben
des Landes selbst, nicht die seiner rechtlich selbständigen wirtschaftlichen
Unternehmen, die eigenständige Haushalte aufstellen müßten. Daß das Vermögen des
Landes von dem seiner Gesellschaften und Anstalten zu trennen sei, mache bereits Art.
92 VvB deutlich, der Sonderregelungen nur für nicht rechtsfähige Betriebe enthalte,
nicht aber für die eigenen Haushalten unterliegenden juristischen Personen gelte. Für
landesunmittelbare juristische Personen gelte Art. 87 VvB damit ebensowenig wie Art.
115 GG für bundesunmittelbare juristische Personen. Anderenfalls würde jede
Kreditaufnahme einer Anstalt des öffentlichen Rechts oder einer privaten Gesellschaft,
an der das Land Berlin beteiligt sei, eine vorherige Vorlage an das Abgeordnetenhaus
erfordern, weil die Gewährträgerhaftung zu einer Zahlungspflicht des Anstaltsträgers
führen könnte. Die Gewährträgerhaftung sei ein grundlegendes Strukturmerkmal einer
rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts. Die Aufnahme von Fremdkapital durch
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rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts. Die Aufnahme von Fremdkapital durch
eine rechtsfähige Anstalt sei eine – nicht ungewöhnliche – Maßnahme, die der Vorstand
zu verantworten habe. Festzuhalten sei, daß Gegenstand des Haushaltsplans nicht die
Wirtschaftsführung der rechtlich selbständigen Betriebe des Landes sei. Somit könne es
vorliegend nur um die Einnahmen des Landes Berlin aus der Kapitalherabsetzung und
der Diskontierung von Gewinnansprüchen gehen, nicht aber um die Finanzierung von
Zahlungen der BSR an das Land Berlin durch von ihr getätigte Kreditaufnahmen.
Bei den Einnahmen des Landes Berlin durch die Zahlung eines Betrages durch die BSR
in Höhe von 805 Mio. DM handele es sich nicht um Anleihen i.S.v. Art. 87 Abs. 1 VvB.
Konstitutiv für eine Anleihe sei die Rückzahlungspflicht. Hieran fehle es aber sowohl bei
der Vermögensaktivierung durch Kapitalherabsetzung als auch bei der diskontierten
Gewinnabführung. Das Land habe, soweit es sich um die Rückführung des
Stammkapitals handele, von seinem Recht als Anstaltsträger Gebrauch gemacht, die
Kapitalausstattung der BSR zu überprüfen und den Verhältnissen anzupassen. Aber
auch die Zahlung weiterer 455 Mio. DM stelle sich nicht als kreditähnliches Geschäft dar.
Wirtschaftlich betrachtet aus der Sicht der BSR stelle sich die Zahlung dieses Betrags als
eine Art Unternehmenspacht dar, bei der der Pachtzins – wie geschäftsüblich – nach den
jährlichen Bilanzgewinnen und den jährlichen Eigenkapitalverzinsungen bemessen und
vorliegend durch eine entsprechend abgezinste Einmalzahlung beglichen worden sei. Ein
Umgehungsgeschäft liege auch nicht bereits deswegen vor, weil die Zahlung an das
Land Berlin durch die BSR kreditfinanziert sei. Denn die BSR verfügten über
ausreichende Mittel, aus eigener Kraft die Zahlungen zu erbringen. Eine Umgehung
käme nur in Betracht, wenn ein Kredit zwar formal von den BSR aufgenommen worden
wäre, das Land Berlin aber den Schuldendienst übernommen hätte oder eine
entsprechende Rückzahlungsverpflichtung eingegangen wäre, das Geschäft also den
vorrangigen Zweck hätte, dem Land Kreditmittel zur Verfügung zu stellen, für die es
anderenfalls einer gesetzlichen Ermächtigung bedurft hätte. So verhalte es sich hier
aber nicht. Mit der Zielvereinbarung sei - auf Betreiben der BSR - das Verhältnis
zwischen dem Land Berlin und den BSR auf eine Basis gestellt worden, die eine
Privatisierung entbehrlich mache. Gerade dieser Bezug mache deutlich, weshalb die
Zielvereinbarung kein Umgehungsgeschäft darstellen könne. Eine Privatisierung durch
Umwandlung und Anteilsveräußerung etwa wäre, obwohl sie zu höheren Einnahmen des
Landes geführt hätte, ebenfalls kein Kreditgeschäft gewesen. Die BSR hätten eigene
Interessen mit der Zielvereinbarung verfolgt, nämlich einerseits den Schutz vor einer
Vollprivatisierung, andererseits aber die Sicherung ihrer Arbeitsplätze und vor allem den
Gewinn einer fünfzehnjährigen Planungssicherheit. Deshalb sei auch die Initiative vom
Vorstand der BSR und nicht vom Land ausgegangen. Nicht die Kapitalbeschaffung sei
Anlaß für die Zielvereinbarung gewesen. Die Zielvereinbarung sei damit ein
Regelungsinstrument, durch das das bestehende Anstaltsverhältnis zwischen dem Land
Berlin als Träger und den BSR als landeseigenem Unternehmen auf der Grundlage des
Berliner Betriebegesetzes ergänzt werde.
Eine Regierung dürfe zudem Entscheidungen treffen, die sich über die Zeit ihrer
Regierungsverantwortlichkeit hinaus auswirkten. Die Geltendmachung der vermeintlichen
Verletzung der Haushaltsrechte der Parlamente und Regierungen nachfolgender
Wahlperioden könne zudem nicht Gegenstand des vorliegenden Organstreits sein.
Davon abgesehen erscheine die Wertung der Antragstellerin, daß drohende
Rückzahlungspflichten zukünftige Haushalte belasteten, als unzutreffend. Bei dem von
den Vertragsparteien der Zielvereinbarung vorgestellten normalen Vertragsverlauf
komme es gerade nicht zu einer Zahlungsverpflichtung des Landes, da eine
Rückzahlung aus dem Einmalbetrag nach § 8.4 der Zielvereinbarung ausgeschlossen
sei. Auch habe nur das Land Berlin, nicht aber die BSR ein ordentliches Kündigungsrecht.
Nur im Fall einer vom Land selbst gewollten vorzeitigen Beendigung des Vertrages
könne also eine Rückzahlungspflicht entstehen. Die Übernahme von Nebenpflichten in
einem Vertrag könne im übrigen ebensowenig wie die Rückzahlungsverpflichtungen bei
einer vorzeitigen Vertragsbeendigung als Leistung einer „Sicherheit“ i.S.v. Art. 87 Abs. 1
VvB bezeichnet werden. Denn hiermit seien nur Hauptpflichten aus Verträgen gemeint,
nicht Risikoübernahmen als Annex zu einer Hauptverpflichtung. Die Auffassung der
Antragstellerin würde hingegen zu einer weitgehenden Lähmung fiskalischen
Verwaltungshandelns führen. Denn praktisch jeder Vertrag bedürfte dann einer
gesetzlichen Zustimmung, da das Risiko einer Rückzahlung von Leistungen im
Rücktrittsfall, des Eintritts einer vertraglichen Nebenpflicht zur Gewährleistung und die
Rückzahlung von Vorleistungen im Kündigungsfall immer auf zukünftigen Haushalten
lasteten. Auch sei eine Verpflichtungsermächtigung nicht erforderlich. Sie sei von der
Verfassung bewußt nicht vorgesehen, sondern dem einfachen Haushaltsrecht
überlassen und mithin dem Organstreit nicht zugänglich. Darüber hinaus sei sie
vorliegend ohnehin nicht erforderlich, da eine Rückzahlung der Summen nicht
vorgesehen sei und damit keine Zahlungspflicht für spätere Haushalte ausgelöst werde.
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Der Antrag zu 3. sei unzulässig, weil die mit ihm behaupteten Fehler des Haushaltsplans
in Gestalt einer Verrechnung einzelner Haushaltsposten und die Verletzung des
Bruttoprinzips einem Organstreitverfahren nicht zugänglich seien. Sie beträfen weder die
Auslegung der Verfassung noch die Pflichten und Rechte des Abgeordnetenhauses und
des Senats von Berlin zueinander, sondern die Auslegung und Anwendung einfachen
Gesetzesrechts. Der Antrag zu 3. wäre im übrigen unbegründet, weil die von der
Antragstellerin behauptete Verrechnung der Einnahmen aus der Zielvereinbarung mit
Forderungen der BSR aus den Jahren 1998 und 1999 nicht stattgefunden habe. Vielmehr
seien die Forderungen durch die Zulassung überplanmäßiger Ausgaben bei Kapitel 13 20
Titel 521 36 von rund 52,5 Mio. DM beglichen worden.
Auch der Antrag zu 4. könne keinen Erfolg haben. Der Antragsgegner macht
diesbezüglich geltend, es ergebe sich aus dem Beschlußprotokoll der 29. Sitzung des
Hauptausschusses vom 22. November 2000, daß der Hauptausschuß die beabsichtigte
Begleichung der Forderungen der BSR aus den Jahren 1998 und 1999 noch im
Haushaltsjahr 2000 nicht nur gekannt, sondern dieser auch zugestimmt habe. Die
Zulassung überplanmäßiger Ausgaben habe damit nur der Realisierung des vom
Hauptausschuß mehrheitlich zustimmend zur Kenntnis genommenen Verfahrens der
Abwicklung der gegenseitigen Forderungen im Haushaltsjahr 2000 gedient.
Bedauerlicherweise sei es bei der Erstellung des Überschreitungsnachweises für 2000 zu
zeitlichen Verzögerungen gekommen, so daß er erst am 25. September 2001
beschlossen und dem Abgeordnetenhaus vorgelegt worden sei. Dem Erfordernis der
nachträglichen Genehmigung sei durch den Beschluß des Abgeordnetenhauses vom 31.
Januar 2002 genügt. Außerdem hätten die materiellen Voraussetzungen für die
Zulassung einer überplanmäßigen Ausgabe vorgelegen.
III.
Das Abgeordnetenhaus von Berlin hat gemäß § 38 Abs. 2 VerfGHG von der Einleitung
des Verfahrens Kenntnis erhalten.
Der Richter Dr. Groth ist gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 3 VerfGHG in diesem Verfahren von der
Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen.
Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß § 24 Abs. 1 VerfGHG einstimmig auf die
Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
B.
Die Anträge zu 1. und 2. sind zulässig, jedoch unbegründet. Die Anträge zu 3. und 4.
sind unzulässig.
I.
1. Nach § 14 Nr. 1 VerfGHG entscheidet der Verfassungsgerichtshof über die Auslegung
der Verfassung von Berlin aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und
Pflichten eines obersten Landesorgans oder anderer Beteiligter, die durch die
Verfassung von Berlin oder durch die Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses mit
eigenen Rechten ausgestattet sind. Gemäß § 37 Abs. 1 VerfGHG ist der Antrag nur
zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, daß er oder das Organ, dem er
angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm
durch die Verfassung von Berlin übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder
unmittelbar gefährdet ist. Die Antragsbefugnis setzt voraus, daß nach dem Vortrag der
Antragstellerin die Verletzung eigener Rechte zumindest möglich ist (Beschlüsse vom
22. November 1993 – VerfGH 18/93 – LVerfGE 1, 160 <165> und vom 8. April 1997 –
VerfGH 78/96 – LVerfGE 6, 66 <74>).
Die Antragstellerin als Fraktion im Abgeordnetenhaus und der Antragsgegner als
oberstes Landesorgan sind nach §§ 36, 14 Nr. 1 VerfGHG im Organstreitverfahren, für
das der Rechtsweg zum Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 84 Abs. 2 Nr. 1 VvB, § 14
Nr. 1 VerfGHG gegeben ist, parteifähig. Als Fraktion ist die Antragstellerin gemäß § 37
Abs. 1 VerfGHG auch befugt, im Wege der Prozeßstandschaft die Verletzung von
verfassungsmäßigen Rechten des Abgeordnetenhauses – hier aus Art. 85, 87 und 88
VvB – geltend zu machen (Urteil vom 29. Juli 1993 – VerfGH 65 A/93 – LVerfGE 1, 124
<128>, Beschlüsse vom 22. November 1993, a.a.O., LVerfGE 1, 160 <167> und vom 8.
April 1997, a.a.O., LVerfGE 6, 66 <75 f.>).
Der Zulässigkeit der Anträge steht nicht entgegen, daß nach deren Eingang beim
Verfassungsgerichtshof das Abgeordnetenhaus von Berlin am 21. Oktober 2001 neu
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Verfassungsgerichtshof das Abgeordnetenhaus von Berlin am 21. Oktober 2001 neu
gewählt wurde. Der Unterschied des vorliegenden Verfahrens zu dem vom
Verfassungsgerichtshof entschiedenen und für zulässig gehaltenen Organstreitverfahren
betreffend eine Vereinbarung des Senats von Berlin mit der Investitionsbank Berlin
(Beschluß vom 8. April 1997, a.a.O., LVerfGE 6, 66) liegt darin, daß dort zwar ebenfalls
die Vereinbarung in der alten Legislaturperiode abgeschlossen worden war, der Antrag
auf Durchführung des Organstreitverfahrens aber erst später in der neuen Wahlperiode
von der Fraktion des neuen Abgeordnetenhaus eingereicht wurde. Vorliegend wurden die
Anträge hingegen noch von der Fraktion des alten Abgeordnetenhauses eingereicht. Zu
den Folgen einer während des Organstreitverfahrens eingetretenen Beendigung der
Wahlperiode für die Parteifähigkeit hat das Bundesverfassungsgericht bisher nicht
abschließend Stellung genommen (vgl. dazu auch Pietzcker in Festschrift 50 Jahre
Bundesverfassungsgericht, 2001, Erster Band, S. 597). So hat es das
Bundesverfassungsgericht dahinstehen lassen, ob ein Abgeordneter mit Ablauf der
Wahlperiode die Parteifähigkeit verloren hat (BVerfGE 87, 207 <209>). Allerdings hat
das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß die einmal gegebene Zulässigkeit eines
Normenkontrollantrages eines Drittels der Mitglieder des Deutschen Bundestages auch
unabhängig davon fortbestehe, daß die Antragsteller infolge des Ablaufs der
Wahlperiode ihre Stellung als Abgeordnete verlieren (BVerfGE 79, 311 <327>).
Mit dem Ablauf der Wahlperiode findet zwar nicht das Parlament im Sinne der
verfassungsrechtlichen Institution sein Ende (sog. Organidentität; BVerfGE 4, 144
<152>; Pietzcker, a.a.O., S. 598), wohl aber das durch seine konkret-personelle
Zusammensetzung bestimmte Parlament (sog. personelle Diskontinuität; Klein in
Maunz-Dürig, Grundgesetz, Art. 39 [Stand: November 1997] Rn. 48; Morlok in Dreier
[Hrsg.], Grundgesetz, Band II, 1998, Art. 39 Rn. 22 f.). Grundsätzlich sind die Fraktionen
nur für die Dauer der Legislaturperiode ständige Gliederungen des Parlaments. Mit dem
Ende der Legislaturperiode verliert die Fraktion ihre Rechtsstellung (§ 11 Nr. 3
Fraktionsgesetz; vgl. zum Bundesrecht: § 54 Abs. 1 Nr. 3 AbgG). Daraus schließt ein Teil
der Literatur, daß mit Ablauf der Wahlperiode Fraktionen infolge personeller
Diskontinuität als Verfahrensbeteiligte fortfielen und das Organstreitverfahren unzulässig
werde (Jekewitz DÖV 1976, 657 <659 ff.>; Achterberg, Parlamentsrecht, 1984, S. 212;
Löwer in Isensee/Kirchhof [Hrsg.], Handbuch des Staatsrechts, Band II, 1987, § 56 Rn.
12). Nach anderer Ansicht wird dadurch die Diskontinuität zweckwidrig ausgeweitet.
Deswegen soll die entsprechende Fraktion des neuen Parlaments das Verfahren
fortsetzen können, wenn ein Organstreit, den eine Fraktion beantragt hat, über das Ende
der Legislaturperiode hinaus andauert. Der Organstreit endet danach wegen Wegfalls
der Antragsteller nur, wenn die Partei im neuen Parlament nicht mehr vertreten ist oder
eine Fraktion nicht zu bilden vermag oder wenn die neue Fraktion des neuen Parlaments
erklärt, daß sie den Organstreit nicht fortsetzen werde (Ulsamer in Maunz/Schmidt-
Bleibtreu/Klein/Ulsamer, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, § 63 [Stand: November
1987] Rn. 11; Morlok in Dreier [Hrsg.], a.a.O., Art. 39 Rn. 23; Pestalozza,
Verfassungsprozeßrecht, 3. Aufl. 1991, § 7 Rn. 40; VerfGH NW, Urteil vom 29. April 1997
– VerfGH 9/95 – NVwZ-RR 1998, 478 f.). Diese Ansicht, die im Ergebnis die neue Fraktion
des neu gebildeten Parlaments als Rechtsnachfolgerin der alten Fraktion (vgl. zu diesem
Begriff: § 13 Satz 2 Fraktionsgesetz sowie zum Bundesrecht: § 54 Abs. 7 Satz 2 AbgG)
sieht, ist vorzugswürdig. Entsprechend unterliegt die Zulässigkeit eines
verfassungsrechtlichen Organstreitverfahrens nach §§ 36 ff. VerfGHG keinen Zweifeln,
wenn – wie hier – die neue Fraktion ausdrücklich die Fortsetzung des Verfahrens erklärt
(vgl. zu den Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlungen: Beschluß des
Verfassungsgerichtshofs vom 19. Oktober 1992 – VerfGH 24/92 - LVerfGE 1, 9 <17 f.>).
Es bestehen außerdem keine Bedenken gegen die fortdauernde Zulässigkeit des
Organstreits, weil dieser nur auf eine verfassungsgerichtliche Entscheidung
feststellenden Charakters zielt (§ 39 VerfGHG). Hinzu kommt, daß
verfassungsgerichtliche Verfahren typischerweise einige Zeit in Anspruch nehmen, so
daß die Verfahrensbeteiligten, deren Lebensdauer von der Dauer der Wahlperiode
abhängig ist, weitgehend gehindert wären, die Klärung einer klärungsbedürftigen
verfassungsrechtlichen Rechtsfrage zu betreiben, weil sie Gefahr laufen, vor Beendigung
dieser Auseinandersetzung ihre Parteifähigkeit einzubüßen (Beschluß vom 19. Oktober
1992, a.a.O., LVerfGE 1, 9 <18>). Rechtsschutz im Organstreitverfahren unter
Beteiligung von der Diskontinuität unterliegenden Beteiligten fände ansonsten in der
zweiten Hälfte der Legislaturperiode nicht mehr statt (Morlok in Dreier [Hrsg.], a.a.O.,
Art. 39 Rn. 23 sowie Fn. 56). Zu-gleich kann ein öffentliches Interesse an der Klärung der
Verfassungsfrage befriedigt werden. Als Korrektiv bleibt zudem das Erfordernis des
fortbestehenden Rechtsschutzbedürfnisses (Pietzcker, a.a.O., S. 598). Schließlich ist zu
bedenken, daß die Nachfolgefraktion des neuen Parlaments in der Regel auch keinen
neuen Antrag stellen könnte, weil zumeist die Sechs-Monats-Frist des § 37 Abs. 3
VerfGHG abgelaufen wäre.
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Die am 11. Januar 2001 beim Verfassungsgerichtshof eingegangenen Anträge zu 1. und
2. sind fristgerecht gestellt worden. Gemäß § 37 Abs. 3 VerfGHG muß ein Antrag im
Organstreitverfahren binnen sechs Monaten gestellt werden, nachdem die beanstandete
Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekanntgeworden ist. Diese Frist hat
die Antragstellerin hinsichtlich des Antrags zu 1. einschließlich des unter 2. gestellten
Hilfsantrags gewahrt, da sie von der Zielvereinbarung frühestens durch die am 12. Juli
2000 in der Verwaltung des Abgeordnetenhauses eingegangene Vorlage des
Antragsgegners über den Abschluß der Zielvereinbarung (Drs 14/562) vom 11. Juli 2000
verläßlich Kenntnis erhalten hatte. Von der von den BSR beabsichtigten Kreditaufnahme
erhielt sie zudem erst in der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Betriebe und
Technologie vom 25. September 2000 Kenntnis. Vorherige Presseberichte über die
Zielvereinbarung waren hingegen als sog. private Verlautbarungen ohnehin
grundsätzlich nicht geeignet, die Frist des § 37 Abs. 3 VerfGHG in Gang zu setzen (vgl.
Beschluß vom 8. April 1997, a.a.O., LVerfGE 6, 66 <76>).
Die Antragstellerin hat hinsichtlich ihrer Anträge zu 1. und 2. hinreichend deutlich
dargelegt, daß das Abgeordnetenhaus durch die angegriffenen Maßnahmen in seinem
Recht aus Art. 87 Abs. 1 VvB verletzt sein könnte. Nach dem Vorbringen der
Antragstellerin kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß der
Antragsgegner für den Abschluß der Zielvereinbarung bzw. die von den BSR
aufgenommenen Kredite eine gesetzliche Ermächtigung des Abgeordnetenhauses hätte
einholen müssen.
Der Antragstellerin steht ein Rechtsschutzbedürfnis für die Anträge zu 1. und 2. zu. Auch
der nach den Neuwahlen neu gebildete Antragsgegner hat in seinen Stellungnahmen
zum Ausdruck gebracht, daß nach seiner Rechtsauffassung entsprechende
Rechtsgeschäfte wie die Zielvereinbarung und in diesem Zusammenhang erfolgende
Kreditaufnahmen durch juristische Personen des öffentlichen Rechts keinen
parlamentarischen Vorbehalten unterworfen sind. Damit besteht eine hinreichende
Wahrscheinlichkeit, daß es auch in Zukunft Streitigkeiten zwischen den Beteiligten aus
ähnlichem Anlaß geben kann (vgl. Beschluß vom 8. April 1997, a.a.O.; vgl. zum
Bundesrecht: BVerfGE 87, 207 <209>).
2. Der Antrag zu 3. ist unzulässig, da der Antragstellerin das Rechtsschutzbedürfnis
fehlt. Denn die mit diesem Antrag beanstandete Saldierung von Zahlungen der BSR aus
der Zielvereinbarung mit den Restforderungen der BSR aus den Jahren 1998 und 1999
im Haushalt 2000 hat der Antragsgegner tatsächlich nicht vorgenommen. Obwohl die
Antragstellerin dies mittlerweile selbst einräumt, hält sie ihren Antrag zu 3. weiter
aufrecht.
3. Der (Hilfs-)Antrag zu 4. ist ebenfalls unzulässig.
Für die Frage der Zulässigkeit des Antrags zu 4. ist es zunächst grundsätzlich ohne
Bedeutung, daß das Abgeordnetenhaus von Berlin die im Streit befindlichen
überplanmäßigen Ausgaben am 31. Januar 2002 nachträglich genehmigt hat. Eine
Fraktion als Teil des Parlaments kann dessen Rechte auch dann in einem
Organstreitverfahren geltend machen, wenn das Parlament selbst die Maßnahme
gebilligt hat. Diese Befugnis, Rechte des Abgeordnetenhauses selbst gegen dessen
Willen vor dem Verfassungsgerichtshof geltend zu machen, bringt erst den
Minderheitenschutz zur Geltung, der durch die Zulassung der Prozeßstandschaft in § 37
Abs. 1 VerfGHG beabsichtigt war (Beschlüsse vom 6. Dezember 1994 – VerfGH 65/93 –
LVerfGE 1, 131 <135> und vom 22. November 1993, a.a.O., LVerfGE 1, 160 <167 f.>;
vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 45, 1 <29 f.>).
Die Zulässigkeit muß jedoch aus folgenden Erwägungen verneint werden:
Der Antrag zu 4. enthält seinem Wortlaut nach allein die Beanstandung, daß der
Antragsgegner für die Haushaltsüberschreitung im Jahr 2000 entgegen Art. 88 Abs. 2
VvB keine Genehmigung des Abgeordnetenhauses eingeholt habe. Nachdem das
Abgeordnetenhaus am 31. Januar 2002 seine Genehmigung zu der
Haushaltsüberschreitung erteilt hat, hat der Antrag zu 4. in der gestellten Form seine
Erledigung gefunden.
Im Hinblick auf die Genehmigungserteilung des Abgeordnetenhauses hätte die
Antragstellerin ihren Antrag auf die Feststellung umstellen müssen, der Antragsgegner
habe nicht rechtzeitig, nämlich nicht unverzüglich nach Abschluß des Haushaltsjahres
2000 am 31. Dezember 2000, die nachträgliche Genehmigung des Abgeordnetenhauses
eingeholt. Dies hat sie jedoch innerhalb der Frist des § 37 Abs. 3 VerfGHG, wonach der
Antrag binnen sechs Monaten nach Bekanntwerden der beanstandeten Maßnahme oder
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Antrag binnen sechs Monaten nach Bekanntwerden der beanstandeten Maßnahme oder
Unterlassung eingegangen sein muß, weder ausdrücklich noch konkludent getan. Die
Antragstellerin hatte spätestens am 13. Dezember 2001 von der Absicht des
Antragsgegners, die nachträgliche Genehmigung des Abgeordnetenhauses einzuholen,
Kenntnis, da in der 2. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 13. Dezember 2001 die
Vorlage Drs 15/4 über die Genehmigung von über- und außerplanmäßigen Ausgaben
vom 25. September 2001 durch das Abgeordnetenhaus an den Hauptausschuß
überwiesen wurde (PlPr 15/2 S. 76 B). Dennoch hat die Antragstellerin in ihrem
Schriftsatz vom 6. Mai 2002 weiterhin das Vorhandensein der Beschlußvorlage vom 25.
September 2001 bestritten und ist allein davon ausgegangen, daß die nachträgliche
Genehmigung immer noch nicht erteilt sei. Erstmals mit ihrem beim
Verfassungsgerichtshof am 19. Juni 2002 eingegangenen Schriftsatz hat sie gerügt, der
Antragsgegner habe Art. 88 Abs. 2 VvB verletzt, weil er nicht unverzüglich die
Zustimmung des Abgeordnetenhauses nach Abschluß des Haushaltsjahres nach dem
31. Dezember 2000 eingeholt habe. Unabhängig davon, daß keine entsprechende
Umstellung des Antrags zu 4. erfolgt ist, war zu diesem Zeitpunkt die Sechs-Monats-
Frist des § 37 Abs. 3 VerfGHG bereits abgelaufen.
II.
1. Der Antrag zu 1. ist unbegründet.
Nach Art. 87 Abs. 1 VvB dürfen ohne gesetzliche Grundlage, also ohne vorheriges
Gesetz des Abgeordnetenhauses von Berlin, weder Anleihen aufgenommen noch
Sicherheiten geleistet werden.
Der Begriff der „Anleihe“ in Art. 87 Abs. 1 VvB entspricht dem des „Kredits“, den der
inhaltlich entsprechende Art. 115 Abs. 1 GG sowie alle übrigen Landesverfassungen
verwenden. Der Begriff des „Kredits“ ist in den bundes- und
landesverfassungsrechtlichen Bestimmungen ebensowenig definiert wie der Begriff der
Anleihe in Art. 87 Abs. 1 VvB. Aus dem Zweck dieser Bestimmungen, die Verschuldung
des Staates von parlamentarischer Zustimmung abhängig zu machen, folgt, daß unter
der Aufnahme von Krediten die Beschaffung von Geldmitteln zu verstehen ist, die
zurückgezahlt werden müssen. Auf die Art und Weise und die rechtliche Ausgestaltung
der Kreditaufnahme kommt es für die Notwendigkeit einer gesetzlichen Ermächtigung
nicht an. Eine Kreditaufnahme liegt damit vor, wenn dem Staat unmittelbar oder
mittelbar Geldleistungen zugewandt werden, die er zurückzahlen und in der Regel auch
verzinsen muß, die mithin Finanzschulden begründen (Beschluß vom 8. April 1997 –
VerfGH 78/96 –, a.a.O., m. w. N.).
Das Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigung für Anleihen und Sicherheiten ergänzt
das Ausgabenbewilligungsrecht des Parlaments (Art. 85 VvB) und gehört zum Kern des
parlamentarischen Budgetrechts, indem es verhindert, daß die Exekutive auf dem
Umweg über die Verschuldung die Haushaltsrechte des Parlaments umgeht (vgl. zum
Bundesrecht: BVerfGE 67, 256 <281>; Wiebel in Bonner Kommentar, Grundgesetz, Art.
115 [Stand: April 1978] Rn. 19; Heun in Dreier [Hrsg.], Grundgesetz, Kommentar, Band
III, 2000, Art. 115 Rn. 11). Das Entscheidungsrecht des Parlaments über die
Deckungsmittel des Haushalts soll sichergestellt und verhindert werden, daß diese
Deckungsmittel schon für künftige Jahre vorbelastet werden (Maunz in Maunz-Dürig,
a.a.O., Art. 115 [Stand: 1981] Rn. 19). Die staatliche Kreditaufnahme ist eine
rechtfertigungsbedürftige Zukunftsbelastung. Jede längerfristige staatliche
Kreditaufnahme bedeutet einen Vorgriff auf die Dispositionsmöglichkeiten des jeweiligen
Haushaltsgesetzgebers künftiger Legislaturperioden, der entsprechende Zins- und
Tilgungslasten zu finanzieren hat (Heun in Dreier [Hrsg.], a.a.O., Art. 115 Rn. 7 m.w.N.;
Fischer-Menshausen in v. Münch/Kunig [Hrsg.], Grundgesetz-Kommentar, Band 3, 3.
Aufl. 1996, Art. 115 Rn. 1).
Die gesetzliche Ermächtigung kann im Haushaltsgesetz oder in jedem anderen Gesetz
erteilt werden. Die bloße Einstellung der Einnahmen aus Krediten in den Haushaltsplan
ist dabei noch keine ausreichende gesetzliche Ermächtigung. Dieser wird zwar durch
Gesetz festgestellt, ist aber nicht selbst das von Art. 87 VvB verlangte Gesetz (vgl. zum
Bundesrecht: Wiebel in Bonner Kommentar, a.a.O., Art. 115 Rn. 64 ff., 68; Stern, Das
Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, S. 1240; Maunz in Maunz-
Dürig, a.a.O., Art. 115 Rn. 8; Friauf in Isensee/Kirchhof [Hrsg.], Handbuch des
Staatsrechts, Band IV, 1990, § 91 Rn. 25; Höfling, Staatsschuldenrecht, 1993, S. 19 f.).
Der Antragsgegner hat das Haushaltsrecht des Abgeordnetenhauses von Berlin aus Art.
87 Abs. 1 VvB nicht verletzt. Für die Kreditaufnahme der BSR anläßlich der von ihr
aufgrund der Zielvereinbarung vom 6. Juli 2000 geleisteten Zahlungen an das Land
Berlin mußte der Antragsgegner nicht die vorherige Ermächtigung des
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Berlin mußte der Antragsgegner nicht die vorherige Ermächtigung des
Abgeordnetenhauses einholen.
Die Aufnahme von Krediten durch juristische Personen des öffentlichen Rechts wird vom
Regelungsgehalt des Art. 87 Abs. 1 VvB nicht erfaßt, und zwar selbst dann nicht, wenn
die juristischen Personen vom Land finanziert werden oder das Land kraft ausdrücklicher
Garantie oder seiner Anstaltslast für ihre Verbindlichkeiten haftet (Korbmacher in
Driehaus [Hrsg.], Verfassung von Berlin, 2002, Art. 87 Rn. 8; vgl. zum Bundesrecht:
Kilian, Nebenhaushalte des Bundes, 1993, S. 722 f.; Siekmann in Sachs, Grundgesetz,
Kommentar, 3. Aufl. 2003, Art. 115 Rn. 58; Heun in Dreier [Hrsg.], a.a.O, Art. 115 Rn. 35;
Gröpl in Bonner Kommentar, a.a.O., Art. 110 [Stand: Dezember 2001] Rn. 101; Wendt in
v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner Grundgesetz, Band 3, 4. Aufl. 2001, Art. 115 Rn. 70).
Daraus, daß die Verfassungsnorm – anders als Art. 75 VvB a.F., der bis zum
Inkrafttreten des Achtundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung der Verfassung von Berlin
vom 6. Juli 1994 (GVBl. S. 217) allein den Senat verpflichtete, ohne gesetzliche
Grundlage keine Anleihen aufzunehmen oder Sicherheiten zu leisten – keinen
Normadressaten mehr nennt, kann nicht geschlossen werden, daß der
Gesetzesvorbehalt des Art. 87 Abs. 1 VvB auch für Kreditaufnahmen von juristischen
Personen des öffentlichen Rechts gilt (so aber Pfennig in Pfennig/Neumann [Hrsg.],
Verfassung von Berlin, 3. Aufl. 2000, Art. 87 Rn. 11). Zum einen spricht alles dafür, daß
der Hinweis auf den Senat wegen seiner unklaren und mißverständlichen Bedeutung
gestrichen wurde, um zum Ausdruck zu bringen, daß der Anwendungsbereich der
Vorschrift nicht nur auf den Geschäftsbereich der Senatsverwaltungen beschränkt ist,
sondern vielmehr die gesamte Berliner Verwaltung einschließlich der
Bezirksverwaltungen bindet (so die Begründung zu einem Entwurf zum Neunten Gesetz
zur Änderung der Verfassung von Berlin vom 27. September 1965 [Drs IV/1153 S. 2],
der eine mit Art. 87 Abs. 1 VvB n.F. fast identische Formulierung vorsah, aber
letztendlich nicht beschlossen wurde). Zum anderen ist insbesondere maßgeblich, daß
die Regelung des Art. 87 Abs. 1 VvB in engem Zusammenhang mit Art. 85 Abs. 1 Satz 1
VvB steht. Nach Art. 85 Abs. 1 Satz 1 VvB müssen alle Einnahmen und Ausgaben für
jedes Rechnungsjahr in dem Haushaltsplan veranschlagt werden, der durch das
Haushaltsgesetz festgestellt wird. Art. 85 Abs. 1 Satz 1 VvB betrifft nur die Einnahmen
und Ausgaben des Rechtssubjekts „Land Berlin“ ebenso wie Art. 110 Abs. 1 Satz 1 GG
nur die Einnahmen und Ausgaben des Rechtssubjekts „Bund“ erfaßt. Juristische
Personen des öffentlichen Rechts gehören zwar im weiteren Sinne auch zum „Land“
bzw. „Bund“. Sie sind jedoch rechtlich verselbständigte Rechtssubjekte mit selbständiger
Wirtschaftsführung (vgl. auch § 106 LHO). Ihre Haushaltswirtschaft wickelt sich außerhalb
des staatlichen Haushaltsplans ab. Sie haben einen eigenen Haushalt, der als solcher
vollständig ist (Stern, a.a.O., S. 1240; Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 2. Aufl., Art. 110
GG Rn. 37 [Stand: März 1985]; Siekmann in Sachs, a.a.O., Art. 110 Rn. 95).
Daß unter in den Haushaltsplan einzustellende Einnahmen und Ausgaben nicht solche
der juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu verstehen sind, zeigt auch die
bundesrechtliche Regelung des Art. 110 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG. Danach brauchen bei
Bundesbetrieben und Sondervermögen, die jeweils rechtlich unselbständig sind
(Siekmann in Sachs, a.a.O., Art. 110 Rn. 94; Heun in Dreier [Hrsg.], a.a.O., Art. 110 Rn.
19, Art. 115 Rn. 32; Gröpl in Bonner Kommentar, a.a.O., Art. 110 Rn. 98 ff.; BT-Drs.
V/3040 S. 44), nur die Zuführungen oder die Ablieferungen eingestellt zu werden. Für
rechtlich unselbständige Betriebe und Sondervermögen ist nur deswegen eine Regelung
getroffen worden, weil insofern Einheitlichkeit mit dem Rechtssubjekt Bund besteht (vgl.
auch V/3040 S. 47). Die rechtlich selbständigen Nebenhaushalte des Bundes stellen
hingegen anders als die Sondervermögen des Bundes und die Bundesbetriebe keinen
echten Ausnahmetatbestand dar, sondern sie liegen von vornherein außerhalb des
Regelungsbereiches des Art. 110 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 GG (Hillgruber in v.
Mangoldt/Klein/Starck, a.a.O., Art. 110 Rn. 40). Nichts anderes gilt für die Verfassung von
Berlin, wenn auch Art. 85 VvB nicht wie Art. 110 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG ausdrücklich
einen Ausnahmetatbestand für rechtlich unselbständige Betriebe und Sondervermögen
formuliert. Statt dessen gibt es die Regelung des Art. 85 Abs. 1 Satz 2 VvB, wonach
durch Gesetz in besonderen Ausnahmefällen ein Nachweis von Einnahmen und
Ausgaben außerhalb des Haushaltsplans zugelassen werden kann. Derartige
Ausnahmen von den Grundsätzen der Einheit und Vollständigkeit des Haushaltsplans
erfassen diejenigen Teile der Verwaltung, die – wie z.B. die Eigenbetriebe – wegen ihrer
wirtschaftlichen Zielsetzung in der Form von Betrieben ohne eigene Rechtspersönlichkeit
und überwiegend kaufmännisch geführt werden und bei denen der Haushaltsplan seine
Aufgabe als Planungs-, Bewirtschaftungs- und Kontrollinstrument nicht erfüllen würde,
während die von den juristischen Personen aufzustellenden Haushaltspläne ohnehin
eigenständiger Natur und nicht mit dem Landeshaushaltsplan verzahnt sind (Pfennig,
a.a.O., Art. 85 Rn. 7).
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Der Annahme, daß Art. 85 Abs. 1 Satz 1 VvB nur die Einnahmen und Ausgaben
unmittelbar des Landes meint, steht nicht entgegen, daß diese Verfassungsnorm im
Gegensatz zu Art. 110 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 GG, der ausdrücklich alle Einnahmen und
Ausgaben „des Bundes“ betrifft, nicht von allen Eingaben und Ausgaben „des Landes“
spricht. Denn aus der Begriffswahl „des Bundes“ läßt sich nicht die Ausgrenzung der
Einnahmen und Ausgaben der mittelbaren Bundesverwaltung durch bundesunmittelbare
juristische Personen des öffentlichen Rechts aus dem sachlichen Anwendungsbereich
der Art. 110, 115 GG zwingend folgern. Unter dem Begriff „Bund“ könnten über die
unmittelbare Bundesverwaltung hinaus auch alle sonstigen selbständigen Rechtsträger
in den Formen des öffentlichen wie privaten Rechts, an denen nur der Bund beteiligt ist,
verstanden werden. Eine solche extensive Auslegung entspricht jedoch nicht der
verfassungsgeschichtlichen Tradition, in der Art. 110 GG steht. Es bestand die
allgemeine Auffassung, daß die vorangegangenen vergleichbaren Regelungen von Art.
99 Abs. 1 der Preußischen Verfassung, Art. 69 Satz 1 der Verfassung des Deutschen
Reiches von 1871 sowie Art. 85 Abs. 1 WRV begriffsnotwendig nur die Einnahmen und
Ausgaben des Reiches selbst, nicht aber solche anderer Rechtssubjekte enthielten
(Kilian, a.a.O., S. 241 ff.; Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, 1996, S. 122 ff.;
Hillgruber in v. Mangoldt/Klein/ Starck, a.a.O., Art. 110 Rn. 33 ff.; jeweils m.w.N.). Dies
kommt auch in den Materialien zur Verfassung von Berlin von 1950 zum Ausdruck. So
wurde in der 29. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 26. November 1947
festgehalten, daß die Anstalten des öffentlichen Rechts eine „eigene
Geschäftsgebarung“ haben und selbständig über ihr Vermögen verfügen (Äußerung von
Wildangel [SED], veröffentlicht in Reichhardt [Hrsg.], Die Entstehung der Verfassung von
Berlin, 1990, Band I, Dok 113 S. 1051).
Darüber hinaus steht der Annahme, daß die Verfassung von Berlin anders als das
Grundgesetz auch Einnahmen der selbständigen juristischen Personen des öffentlichen
Rechts dem Landeshaushalt unterstellt, das Haushaltsgrundsätzegesetz entgegen, zu
dessen Erlaß der Bundesgesetzgeber durch Art. 109 Abs. 3 GG ermächtigt wurde, um
für Bund und Länder gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht
aufzustellen. Danach sind der Bund und die Länder verpflichtet, ihr Haushaltsrecht nach
den im Haushaltsgrundsätzegesetz aufgeführten Grundsätzen zu regeln (§ 1 Satz 2
HGrG). Nach § 2 Satz 1 HGrG dient der Haushaltsplan der Feststellung und Deckung des
Finanzbedarfs, der zur Erfüllung der Aufgaben des Bundes oder des Landes im
Bewilligungszeitraum voraussichtlich notwendig ist. Daß juristische Personen des
öffentlichen Rechts nicht Teil des Landeshaushaltsplans sind, ergibt sich auch aus § 42
Abs. 1, § 48 Abs. 2 Satz 1 HGrG: Nach § 42 Abs. 1 HGrG wird die gesamte Haushalts-
und Wirtschaftsführung des Bundes und der Länder einschließlich ihrer Sondervermögen
und Betriebe von Rechnungshöfen überprüft. Auf juristische Personen des öffentlichen
Rechts ist diese Vorschrift jedoch nur entsprechend anwendbar (§ 48 Abs. 2 Satz 1
HGrG). Das Haushaltsgrundsätzegesetz ist Bundesrecht und daher auch für
Landesverfassungsrecht von Bedeutung. Soweit in diesem Bundesgesetz
Haushaltsgrundsätze Aufnahme gefunden haben, erheben sie Geltungsanspruch
gegenüber dem Bund und allen Ländern. Der Landesgesetzgeber darf von diesen
Vorgaben nicht abweichen. Entgegenstehendes Landesrecht – auch
Landesverfassungsrecht – würde wegen Art. 31 GG verdrängt (Gröpl in Bonner
Kommentar, a.a.O., Art. 110 Rn. 78 f.). Dieses Ergebnis kann hier durch eine
bundesrechtskonforme Auslegung des Art. 85 Abs. 1 Satz 1 VvB vermieden werden.
Art. 87 Abs. 1 VvB ergänzt das zentrale, in Art. 85 VvB verankerte parlamentarische
Budgetrecht. Während Art. 85 Abs. 1 VvB nur allgemein die Einstellung von Einnahmen
und Ausgaben in den Haushaltsplan und dessen Feststellung durch Gesetz fordert,
sichert Art. 87 Abs. 1 VvB das Bewilligungsrecht des Parlaments auch im Blick auf solche
Einnahmen und Ausgaben, die sich aufgrund von Kreditaufnahmen ergeben. Der
staatsschuldenrechtliche Gesetzesvorbehalt ergänzt und konkretisiert damit zugleich
das Vollständigkeitsgebot des Haushaltsplans (vgl. zum Bundesrecht bezüglich des
Verhältnisses von Art. 110 GG zu Art. 115 GG: Höfling, a.a.O., S. 16; Piduch, a.a.O., Art.
115 GG Rn. 11 [Stand: Januar 1994]; Gröpl in Bonner Kommentar, a.a.O., Art. 110 Rn.
92).
Der enge Zusammenhang der Regelungen des Art. 85 Abs. 1 Satz 1 VvB und des Art.
87 Abs. 1 VvB läßt allein die Schlußfolgerung zu, daß Art. 87 Abs. 1 VvB nur
Kreditaufnahmen unmittelbar des Landes einem Gesetzesvorbehalt unterzieht, weil nur
unmittelbare Kredite des Landes die Einnahmen und Ausgaben des Landes im
Haushaltsplan betreffen können, während Kreditaufnahmen durch juristische Personen
des öffentlichen Rechts den Landeshaushalt unberührt lassen, da diese eine vom
Haushaltsplan des Landes unabhängige eigene Haushaltsführung haben.
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Rechtlich unerheblich ist schließlich, daß Art. 87 Abs. 1 VvB anders als Art. 115 Abs. 1
Satz 3 GG nicht den Gesetzgeber ermächtigt, im Zusammenhang mit der
Kreditbeschaffung Näheres zu regeln. Denn zu Unrecht geht die Antragstellerin davon
aus, daß Art. 115 Abs. 1 Satz 3 GG für den Bundesgesetzgeber erst die Möglichkeit
eröffne, juristische Personen des öffentlichen Rechts vom Gesetzesvorbehalt für
Kreditaufnahmen auszunehmen. Wie dargelegt, werden juristische Personen des
öffentlichen Rechts von diesem Gesetzesvorbehalt gar nicht erfaßt, so daß es einer
gesetzlichen Ausnahmeregelung nicht bedarf. Eine solche gibt es entsprechend auf
Bundesebene auch nicht. Die Antragstellerin stützt sich für ihre Auffassung im übrigen
allein auf Pfennig, a.a.O., Art. 87 Rn. 11, dessen Hinweise auf BVerfGE 79, 311 <352>
sowie Jarass in Jarass/Pieroth, Art. 115 GG Rn. 1 jedoch nicht einschlägig sind.
Die Tatsache, daß juristische Personen des öffentlichen Rechts als vom Land gesonderte
Rechtssubjekte haushaltsrechtlich selbständig sind und die
haushaltsverfassungsrechtlichen Schranken keine unmittelbare Anwendung auf sie
finden, führt zwar dazu, daß infolge von Kreditaufnahmen dieser juristischen Personen
die Gefahr nicht unerheblicher Staatsverschuldung ohne Beteiligung des Parlaments
durch die sog. Flucht in Nebenhaushalte besteht (vgl. zum Bundesrecht: Gröpl in Bonner
Kommentar, a.a.O., Art. 110 Rn. 101). Dennoch kann nicht ohne weiteres die
Kreditaufnahme einer juristischen Person dem Land zugerechnet werden mit der Folge,
daß eine parlamentarische Mitwirkung erforderlich wäre, und zwar auch dann nicht, wenn
das Land mittelbar finanziell durch die Kreditaufnahme profitieren mag (ablehnend
hinsichtlich einer ausdehnenden Anwendung der Art. 110 ff. GG auf die mittelbare
Bundesverwaltung: Gröpl in Bonner Kommentar, a.a.O., Art. 110 Rn. 101; Hillgruber in v.
Mangoldt/Klein/Starck, a.a.O., Art. 110 Rn. 38 ff.). Das Ziel, eine Staatsverschuldung nur
bei vorheriger parlamentarischer Mitwirkung zuzulassen, mag zwar wünschenswert sein.
Die für das Bundesrecht vertretene Ansicht, daß Art. 115 Abs. 1 Satz 1 GG auch
Geltungsanspruch für rechtlich selbständige juristische Personen verlange, um den
Gesetzesvorbehalt nicht leerlaufen zu lassen (Puhl, a.a.O., S. 512 f.), läßt sich jedoch
aus den haushaltsrechtlichen Verfassungsbestimmungen nicht herauslesen. Rechtlich
handelt es sich allein um eine Kreditaufnahme der juristischen Person.
Die Kreditaufnahme der BSR kann auch nicht als sog. verdeckte Kreditaufnahme dem
Land Berlin zugerechnet werden. Sie stellt keinen Gestaltungsmißbrauch und damit
keine Umgehung von Art. 87 Abs. 1 VvB dar.
Infolge der Risiken, die – da die Kreditaufnahme über Nebenhaushalte oftmals ein
Mehrfaches der direkten Kreditaufnahme beträgt – für die Finanzwirtschaft bestehen,
wird z.T. für bestimmte Fallkonstellationen eine Ausdehnung der schuldenregulierenden
Vorgaben der Verfassung auch auf die mittelbare Bundesverwaltung deswegen
befürwortet, weil es im Ergebnis nicht richtig sein könne, daß der Bund nur eine
juristische Person zu gründen brauche, die er zur Kreditaufnahme ermächtige, um frei
von Bindungen des Art. 115 Abs. 1 GG die Erfüllung seiner Aufgaben mit Krediten
finanzieren zu können (vgl. zum Bundesrecht: Siekmann in Sachs, a.a.O., Art. 110 Rn. 96
f., Art. 115 Rn. 53 f., 58; Wendt in v. Mangoldt/Klein/Starck, a.a.O., Art. 115 Rn. 70). Die
juristische Begründung für eine Ausweitung der haushaltsverfassungsrechtlichen
Schranken bleibt dogmatisch allerdings unklar (vgl. auch Siekmann in Sachs, a.a.O., Art.
115 Rn. 53 f.).
Eine mißbräuchliche Umgehung der haushaltsverfassungsrechtlichen Vorschriften soll
vorliegen, wenn besondere Rechtssubjekte z.B. als sog Finanzierungsgesellschaften
gegründet werden, die weder eigene Sachaufgaben noch eigenes Vermögen haben,
aber Kredite aufnehmen dürfen, für die der Bund bzw. das Land entweder ausdrücklich
die Garantie übernehmen oder kraft der Anstaltslast haften. Derartige juristische
Personen des öffentlichen Rechts, die überwiegend oder ausschließlich
finanzwirtschaftliche Transaktionen durchführen sollen, seien wie ein integraler
Bestandteil des Bundes- bzw. Landeshaushalts zu behandeln (Siekmann in Sachs,
a.a.O., Art. 110 Rn. 96 f., Art. 115 Rn. 59; Wendt in v. Mangoldt/Klein/Starck, a.a.O., Art.
110 Rn. 70; Korbmacher in Driehaus [Hrsg.], a.a.O., Art. 87 Rn. 9). Diese Konstellation ist
indes hier schon deswegen nicht gegeben, weil die BSR eigene Sachaufgaben erfüllen
und über ein eigenes Vermögen verfügen. Die von der Antragstellerin behauptete
Vergleichbarkeit dieser Konstellation mit dem vorliegenden Fall ist daher nicht
nachvollziehbar.
Ferner wird die Anwendung der haushaltsverfassungsrechtlichen Schranken für
Konstellationen der sog. Kreditaufnahme durch Dritte in Betracht gezogen. Bei der
Kreditaufnahme durch Dritte sind zwei Fälle zu unterscheiden. Wird einem Dritten der
Auftrag erteilt, für Rechnung des Bundes bzw. des Landes Kredite zur Finanzierung von
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Auftrag erteilt, für Rechnung des Bundes bzw. des Landes Kredite zur Finanzierung von
Bundes- bzw. Landesaufgaben aufzunehmen, so soll dieser Auftrag der eigenen
Verschuldung gleichzusetzen sein und einer gesetzlichen Ermächtigung bedürfen (vgl.
Patzig, Haushaltsrecht des Bundes und der Länder, Band II, Kommentar, Art. 115 GG
[Stand 1991] Rn. 11). Diese Konstellation liegt hier schon deswegen nicht vor, weil die
unmittelbare Kreditfinanzierung nicht durch das Land Berlin erfolgt. Bei der zweiten
Fallkonstellation handelt es sich um einen Auftrag an einen Dritten, im eigenen Namen
und für eigene Rechnung Kredite zur Finanzierung von Bundes- oder Landesaufgaben
unter interner Übernahme des Schuldendienstes durch den Bund bzw. das Land
aufzunehmen. Zwar ist formalrechtlich auch hier der Tatbestand des Art. 115 Abs. 1 GG
bzw. Art. 87 Abs. 1 VvB nicht gegeben (vgl. Patzig, a.a.O.). Der Haushaltsplan darf
Sachverhalte aber nicht verschleiern. Deshalb gelten als Einnahmen auch Einnahmen
aus Krediten, die von einer juristischen Person, an der das Land maßgeblich beteiligt ist,
in dessen Auftrag aufgenommen und ihm zur Verfügung gestellt werden und für die das
Land den Finanzierungsdienst übernimmt (VerfGH Rh-Pf, Beschluß vom 20. November
1996 – VGH N 3/96 – DÖV 1997, 246; Höfling, a.a.O., S. 53). Aber auch diese
Konstellation ist hier nicht gegeben, da das Land Berlin nicht für die BSR den
Schuldendienst übernommen hat und dies auch in der Zielvereinbarung nicht
vorgesehen war.
Eine über diese geschilderten Fälle hinausgehende weitere Ausdehnung des
Anwendungsbereichs von Art. 87 Abs. 1 VvB kommt nicht in Betracht. Damit hat es das
Land tatsächlich haushaltsverfassungsrechtlich in der Hand, durch Ausgliederung
staatlicher Aufgaben aus der unmittelbaren Staatsorganisation und deren Verlagerung
auf von ihm gesteuerte, selbständige juristische Personen des öffentlichen oder privaten
Rechts Teile seiner Verwaltung und deren Finanzwirtschaft dem parlamentarischen
Budgetbewilligungsrecht durch Flucht in Nebenhaushalte zu entziehen (vgl. Piduch,
a.a.O., Art. 110 [Stand: Januar 1995] Rn. 37; Gröpl in Bonner Kommentar, a.a.O., Art.
110 Rn. 101; Hillgruber in v. Mangoldt/ Klein/Starck, a.a.O., Art. 110 Rn. 38). Die Flucht
des Staates aus dem allgemeinen Budget und seinen Regularien ist keine neue
Erscheinung (Selmer in Verfassungsstaatlichkeit – Festschrift für Klaus Stern zum 65.
Geburtstag, 1997, S. 568 m.w.N.; Patzig, a.a.O., Band I, 1981, S. 116; Heun,
Staatshaushalt und Staatsleitung, 1989, S. 382 ff.). Dennoch bietet der Wortlaut der
Verfassung keinen Anhaltspunkt, seinen Anwendungsbereich auch auf Kreditaufnahmen
durch juristische Personen des öffentlichen Rechts, die eigene Sachaufgaben erfüllen
sowie im eigenen Namen Kredite aufnehmen und finanzieren, auszudehnen. Es fehlen
verallgemeinerungsfähige Kriterien, die eine Rechtssicherheit bietende Abgrenzung
zwischen erlaubter Kreditaufnahme und Umgehung der haushaltsverfassungsrechtlichen
Vorschriften bieten könnten. Letztendlich müßte in jedem Einzelfall die von der
Antragstellerin versuchte Motivforschung für die Kreditaufnahme unternommen werden.
Eine Behauptung wie diejenige der Antragstellerin, für die BSR gebe es keinen
nachvollziehbaren wirtschaftlichen Zweck für die Kreditaufnahme, wird sich zudem kaum
eindeutig belegen lassen. Gerade im vorliegenden Fall spricht einiges dafür, daß ein
nachvollziehbarer wirtschaftlicher Zweck der BSR für den Abschluß der
Zielvereinbarung sowie der daraufhin von ihr getätigten Kreditaufnahmen in der
Abwendung ihrer Privatisierung und einer damit einher gehenden Sicherheit für die
kommenden fünfzehn Jahre liegt, weiterhin ihren Aufgaben unter Gewährleistung des
Anschluß- und Benutzungszwangs (vgl. § 12.1.2 der Zielvereinbarung) nachkommen zu
dürfen.
Schließlich hat das Land Berlin für die Kreditaufnahme der BSR auch keine Sicherheit
i.S.v. Art. 87 Abs. 1 VvB geleistet, so daß es auch insofern einer gesetzlichen
Ermächtigung nicht bedurfte.
Der Begriff der Sicherheit ist im Sinne des 1969 neu gefaßten Art. 115 GG zu verstehen,
der den in Art. 115 GG a.F. verwendeten Begriff der „Sicherheitsleistung“ durch die
Begriffswahl „Bürgschaften, Garantien oder sonstige Gewährleistungen“ ersetzt hat (BT-
Drs. V/3040 S. 47; Pfennig, a.a.O., Art. 87 Rn. 10; Korbmacher in Driehaus [Hrsg.],
a.a.O., Art. 87 Rn. 5). Während es bei den Krediten um tatsächliche Schulden geht,
betreffen Sicherheiten potentielle Schulden (Maunz in Maunz- Dürig, a.a.O., Art.
115 Rn. 19). Diese Gewährleistungen sind dadurch geprägt, daß das Land durch
Rechtsgeschäft gegenüber dem Gläubiger eines Dritten die Haftung für bestimmte
Risiken des Dritten übernimmt. Die Risikoübernahme muß Hauptzweck des Vertrages
sein (vgl. zum Bundesrecht: Wiebel in Bonner Kommentar, a.a.O., Art. 115 Rn. 46 ff.;
Maunz in Maunz-Dürig, a.a.O., Art. 115 Rn. 20 ff.; Piduch, a.a.O., Art. 115 GG Rn. 21
[Stand: Januar 1995]; Siekmann in Sachs, a.a.O., Art. 115 Rn. 21).
Unabhängig davon, ob man die Gewährträgerhaftung des § 4 Abs. 1 Satz 2 BerlBG als
eine Ausfallbürgschaft charakterisieren will (so Thode, BB 1997, 1749), stellt sie
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eine Ausfallbürgschaft charakterisieren will (so Thode, BB 1997, 1749), stellt sie
jedenfalls keine Gewährleistung i.S.v. Art. 87 Abs. 1 VvB dar, weil es sich bei ihr nicht um
eine rechtsgeschäftlich für einen konkreten Fall gegenüber konkreten Kreditgläubigern
der BSR übernommene Haftung des Landes Berlin für Risiken der BSR handelt.
2. Da der Antrag zu 1. keinen Erfolg hat, ist über den als Hilfsantrag gestellten Antrag
zu 2. zu entscheiden. Der Antrag zu 2. ist jedoch ebenfalls unbegründet.
Der Antragsgegner hat durch § 8.1 der mit den BSR geschlossenen Zielvereinbarung
nicht das Haushaltsrecht des Abgeordnetenhauses aus Art. 87 Abs. 1 VvB verletzt.
§ 8.1 der Zielvereinbarung konnte ohne gesetzliche Grundlage getroffen werden, weil
diese Vertragsvorschrift nicht die Aufnahme einer Anleihe durch das Land Berlin in
Gestalt der Vereinbarung eines von den BSR dem Land Berlin zu gewährenden Kredites
zum Gegenstand hat. Wie oben dargelegt, liegt eine Kreditaufnahme vor, wenn dem
Staat unmittelbar oder mittelbar Geldleistungen zugewandt werden, die er zurückzahlen
und in der Regel auch verzinsen muß. Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der in §
8.1 der Zielvereinbarung geregelten Zahlung des Einmalbetrages in Höhe von 455 Mio.
DM an das Land Berlin nicht gegeben.
Der von den BSR gezahlte Betrag von 455 Mio. DM ist vom Land Berlin weder
zurückzuzahlen noch zu verzinsen. Anders als im vom Verfassungsgerichtshof
entschiedenen Fall betreffend die Vereinbarung des Landes Berlin mit der
Investitionsbank Berlin über die Vorfinanzierung von Zins- und Tilgungsleistungen aus
öffentlichen Baudarlehen (Beschluß vom 8. April 1997, a.a.O., LVerfGE 6, 66) besteht als
Folge der Zielvereinbarung mit den BSR keine Rückzahlungsverpflichtung des Landes.
Auch läuft das Land nicht Gefahr, infolge der Zielvereinbarung einen im Vergleich zu den
ihm nach § 2 Abs. 2 Satz 3 BerlBG zustehenden jährlichen Bilanzgewinnen und
Kapitalverzinsungsbeträgen (§ 15 Abs. 4 BerlBG) geringeren Betrag zu erhalten. Denn
nach § 8.3 Satz 2 der Zielvereinbarung findet am Ende der Laufzeit der Zielvereinbarung
ein Ausgleich zugunsten des Landes statt, falls die Summe der tatsächlich von den BSR
erwirtschafteten Bilanzgewinne und der Kapitalverzinsungsbeträge höher als die
Vorauszahlung ausfallen sollte. Von einer Kreditaufnahme des Landes könnte man bei
wirtschaftlicher Betrachtungsweise allenfalls sprechen, wenn das Land am Ende der
Laufzeit für den Fall, daß die tatsächlichen Bilanzgewinne und Kapitalverzinsungsbeträge
niedriger als die von den BSR geleistete Vorauszahlung ausfallen würden, den daraus
resultierenden Differenzbetrag den BSR erstatten müßte. Das Land trägt jedoch nicht
das Risiko einer anderen als in der Vereinbarung angenommenen – nämlich geringeren –
tatsächlichen finanziellen Gewinnentwicklung bei den BSR, da § 8.3 Satz 3 vorsieht, daß -
außer der in § 8.3 Satz 2 geregelten etwa erforderlich werdenden Zahlung der BSR an
das Land – keine Ausgleichszahlungen erfolgen.
Auch § 8.4 der Zielvereinbarung steht der Annahme einer Kreditaufnahme im Sinne von
Art. 87 Abs. 1 VvB entgegen. Diese Vertragsvorschrift sieht nur für den Fall der
Beendigung der Zielvereinbarung vor Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer von
fünfzehn Jahren infolge einer außerordentlichen Kündigung seitens der BSR oder des
Landes (§ 11.2 Satz 2 der Zielvereinbarung) bzw. einer allein dem Land zustehenden
ordentlichen Kündigung (§ 11.3 der Zielvereinbarung) eine Zahlungspflicht des Landes
vor. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine für einen Kredit charakteristische
unbedingte Rückzahlungspflicht des Landes. § 8.4 der Zielvereinbarung ist keine
Hauptabrede, sondern nur eine Regelung über die Modalitäten einer (Rück-)Abwicklung
des Vertrages infolge seiner etwaigen Kündigung. Auch besteht gegenüber den BSR
keine gesetzliche Rückzahlungspflicht. Die Gewährträgerhaftung des § 4 Abs. 1 Satz 2
BerlBG könnte allenfalls gegenüber Dritten zum Tragen kommen. Ob die
Gewährträgerhaftung überhaupt als gesetzliche Rückzahlungspflicht einzuordnen ist,
kann auf sich beruhen. Dies wäre nur dann von Bedeutung, wenn man die
Kreditaufnahme der BSR als Kreditaufnahme des Landes werten würde, was – wie oben
dargelegt – jedoch nicht in Betracht kommt. Ob darüber hinaus die Vereinbarung mit
dem Anstaltsrecht, hier insbesondere mit dem Berliner Betriebegesetz, vereinbar ist, ist
im vorliegenden Organstreitverfahren aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu prüfen,
weil Rechte des Abgeordnetenhauses insofern nicht in Frage stehen.
Auf die umfangreichen Ausführungen der Antragstellerin und auch des Antragsgegners
zur wirtschaftlichen Situation der BSR und weiteren wirtschaftlichen Fragen kommt es
schließlich nicht an. Insbesondere betreffen die Ausführungen der Antragstellerin, daß
die bis zum Jahr 2015 geschlossene Zielvereinbarung den politischen
Entscheidungsspielraum nachfolgender Parlamente stark einschränke, nicht den
Regelungsgehalt des Art. 87 Abs. 1 VvB, sondern allenfalls wäre Art. 85 Abs. 1 VvB
Prüfungsmaßstab, den die Antragstellerin bei ihrem Antrag zu 2. jedoch nicht als verletzt
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Prüfungsmaßstab, den die Antragstellerin bei ihrem Antrag zu 2. jedoch nicht als verletzt
gerügt hat. Bei Art. 87 Abs. 1 VvB geht es nämlich allein um die Frage, ob eine
Kreditaufnahme vorliegt. Die Tatsache, daß das Land Berlin infolge der vereinbarten
Vorauszahlung von 455 Mio. DM in den Folgejahren nicht mehr jährlich die ihm gesetzlich
nach dem Berliner Betriebegesetz zustehenden Bilanzgewinne und
Kapitalverzinsungsbeträge den jeweiligen Haushalten zuführen kann, führt zwar in der
Tat dazu, daß in den nachfolgenden Haushaltsjahren etwa erforderliche Deckungsmittel
nicht zur Verfügung stehen. Allein die Vorbelastung künftiger Haushalte durch eine
Maßnahme führt aber noch nicht zum Vorliegen einer Kreditaufnahme i.S.d.
Haushaltsverfassungsrechts (VerfGH Rh-Pf, Beschluß vom 20. November 1996, a.a.O.,
DÖV 1997, 246 <247>). Wesentliches Kriterium für das Vorliegen staatlicher
Kreditaufnahmen oder der staatlichen Übernahme von Sicherheiten ist vielmehr, daß
das Land finanzielle Risiken eingeht, die zusätzliche Belastungen künftiger
Haushaltsjahre nach sich ziehen können (VerfGH NW, Urteil vom 3. Mai 1994 – VerfGH
10/92 – DVBl. 1994, 860 <861 f.>). Künftige Haushalte werden über die im
Verfassungstext ausdrücklich genannten Fälle der Kreditaufnahme und der
Gewährübernahme hinaus allgemein immer dann vorbelastet, wenn Vorhaben zu
Ausgaben führen, die erst nach dem Ende des laufenden Haushaltsjahres wirksam
werden. Vom Zweck des parlamentarischen Budgetrechts her ist es deshalb
verfassungsrechtlich geboten, daß Verpflichtungsgeschäfte, die sich auf Ausgaben in
künftigen Jahren beziehen und nicht der laufenden Verwaltung zuzurechnen sind, nur mit
parlamentarischer Ermächtigung – ggf. in Gestalt einer haushaltsrechtlichen
Verpflichtungsermächtigung – geschlossen werden (VerfGH Rh-Pf, Beschluß vom 20.
November 1996, a.a.O., DÖV 1997, 246 [248]). Derartige finanzielle Risiken ist das Land
Berlin durch den Abschluß der Zielvereinbarung – wie dargelegt – jedoch nicht
eingegangen. Die Zielvereinbarung stellt vielmehr sicher, daß das Land alle ihm
zustehenden Bilanzgewinne und Kapitalverzinsungsbeträge erhält. Ein Verzicht auf diese
von den BSR nach dem Berliner Betriebegesetz zu leistenden Beträge ist in der
Zielvereinbarung nicht vorgesehen. Die Annahme, Vertragsstörungen würden eine
vorzeitige Beendigung der Zielvereinbarung und eine Rückzahlungspflicht des Landes
auslösen, ist spekulativ und kann nicht dazu führen, die Zielvereinbarung als
Vereinbarung über eine Kreditaufnahme einzuordnen, für die eine Ermächtigung des
Gesetzgebers erforderlich wäre.
Bei der Zielvereinbarung handelt es sich schließlich auch nicht um einen sog.
„Kreditauftrag an Dritte“, der dem Gesetzesvorbehalt des Art. 87 Abs. 1 VvB unterfallen
könnte. Denn weder regelt die Zielvereinbarung, daß die BSR den von ihr an das Land
Berlin zu leistenden Einmalbetrag im Wege eines Kredites zu finanzieren hätten, noch
hat das Land nach der Zielvereinbarung gegenüber den BSR den Finanzierungsdienst für
einen etwa aufgenommenen Kredit zu übernehmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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