Urteil des VerfGH Berlin vom 15.03.2017

VerfGH Berlin: garage, vorgarten, genehmigung, grundstück, willkürverbot, verordnung, verfassungsbeschwerde, ortsbild, grundeigentum, eigentumsgarantie

1
2
3
4
5
Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
114/93
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 6 Abs 1 S 1 Verf BE, Art 15
Abs 1 S 2 Verf BE, § 39h BBauG
(VerfGH Berlin: Versagung der beantragten Baugenehmigung
aufgrund einer gemäß BBauG § 39h erlassenen
Erhaltungsverordnung für eine Garage verstößt nicht gegen
Willkürverbot und Eigentumsgarantie)
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer begehrt als Eigentümer des Grundstücks D. die Erteilung einer
Baugenehmigung für den Einbau einer Garage in das Kellergeschoß des im Jahre 1900
auf diesem Grundstück errichteten vierstöckigen, mit einem 6 m tiefen Vorgarten
versehenen Mietwohnhauses. Das Grundstück wird erfaßt von der aufgrund des § 39h
BBauG erlassenen Verordnung über die Erhaltung baulicher Anlagen im Bezirk
Schöneberg, Ortsteil Friedenau, vom 24. Juni 1986 (GVBl. S. 1048) -
Erhaltungsverordnung 1986 -.
Durch Bescheid vom 31. Mai 1988 lehnte das Bezirksamt Schöneberg von Berlin den
Antrag auf Genehmigung der begehrten Garage mit der Begründung ab, das Vorhaben
führe insbesondere wegen der notwendigen Rampe im Vorgarten zu Veränderungen, die
sich mit der Erhaltungsverordnung 1986 nicht vereinbaren ließen. Die nach erfolglosem
Widerspruchsverfahren erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 1.
März 1991 abgewiesen. Die Berufung des Beschwerdeführers hat das
Oberverwaltungsgericht durch Urteil vom 26. April 1993 zurückgewiesen; zur
Begründung hat es ausgeführt, die in ihrer rechtlichen Wirksamkeit unbedenkliche
Erhaltungsverordnung 1986 rechtfertige die Verweigerung der beantragten
Genehmigung. Die gegen dieses Urteil eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat das
Bundesverwaltungsgericht durch Beschluß vom 12. August 1993 mangels Erfüllung des
Darlegungserfordernisses gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO als unzulässig verworfen.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen das Urteil
des Oberverwaltungsgerichts und sinngemäß das ihm vorangegangene Urteil das
Verwaltungsgerichts. Er begehrt unter Aufhebung dieser Entscheidungen sowie der
ablehnenden Verwaltungsentscheidungen die beantragte Baugenehmigung und rügt
eine Verletzung des in Art. 6 der Verfassung von Berlin (VvB) gewährleisteten Rechte auf
Gleichbehandlung sowie des in Art. 15 VvB garantierten Eigentumsrechts. Er meint, ihm
dürfe die Genehmigung zur beabsichtigten Errichtung der Garage nicht verwehrt werden,
weil eine Garage auf dem Grundstück heute angesichts der durch die Überbelastung des
Straßenraums grundsätzlich fehlenden Möglichkeit, einen Personenkraftwagen dort in
der Nähe seines Grundstücks abzustellen, für eine angemessene verkehrliche
Zugänglichkeit dieses Grundstücks unverzichtbar sei.
II.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers verletzt die Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts nicht das in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 VvB verbürgte Recht auf
Gleichbehandlung, das inhaltlich dem durch Art. 3 Abs. 1 GG garantierten Recht auf
Gleichbehandlung entspricht und dem mit Blick auf gerichtliche Entscheidungen in erster
Linie ein Willkürverbot zu entnehmen ist. Eine gerichtliche Entscheidung verletzt das
Willkürverbot nur dann, wenn sie bei verständiger Würdigung der die Verfassung
beherrschenden Grundsätze nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß
aufdrängt, daß sie sich nicht im Rahmen des geltenden Rechts bewegt, sondern auf
sachfremden Erwägungen beruht (vgl. u.a. Beschluß vom 10. November 1993 - VerfGH
105/93 - m.w.N.). Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, mit der es ebenso wie
zuvor das Verwaltungsgericht die vom Bezirksamt Schöneberg von Berlin
6
7
8
9
10
zuvor das Verwaltungsgericht die vom Bezirksamt Schöneberg von Berlin
ausgesprochene Versagung der beantragten Baugenehmigung bestätigt hat, ist nicht
objektiv willkürlich in dem bezeichneten Sinne.
Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, § 1 Satz 1 der Erhaltungsverordnung
1986 rechtfertige die Versagung von Genehmigungen u.a. für die Änderung von
baulichen Anlagen, die vor dem 31. Dezember 1939 errichtet worden sind, wenn die
bauliche Anlage erhalten bleiben solle, weil sie allein oder im Zusammenhang mit
anderen baulichen Anlagen das Ortsbild präge oder von städtebaulicher Bedeutung sei.
Aufgrund einer Augenscheinseinnahme hat das Oberverwaltungsgericht erkannt, daß
mit dem vom Beschwerdeführer beabsichtigten, städtebaulich relevanten Vorhaben das
Ortsbild des Erhaltungsgebiets erheblich verändert werden würde. Zur Wahrung der
städtebaulichen Funktion des über 90 Jahre alten, die Eigenart des Erhaltungsgebiets
prägenden Mietwohnhauses sei es unerläßlich, daß die Fassade auch im Kellergeschoß,
in dem der Kläger die Garage errichten wolle, erhalten bleibe. Der Eingriff in die Fassade
und - durch die beabsichtigte Anlegung einer Zufahrt - in den Vorgarten des
Mietehauses des Beschwerdeführers würde die vorhandene Stadtstruktur und die
städtebauliche Funktion der baulichen Anlage nachhaltig beeinträchtigen. Diese
Auslegung und Anwendung d. § 1 Satz 1 d. Erhaltungsverordnung 1986 hält sich
zweifelsfrei innerhalb der verfassungsrechtlich durch das Willkürverbot vorgegebenen
Grenzen. Sie ist in sich verständlich und ohne weiteres nachvollziehbar. Das gilt im
übrigen auch hinsichtlich des Vorbringens des Beschwerdeführers, auf anderen
Grundstücken an der sein Grundstück anschließenden Dickhardtstraße seien Zufahrten
angelegt worden. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des
Oberverwaltungsgerichts trifft das nur für Grundstücke mit Neubauten, auf die sich die
Verordnung vom 24. Juni 1986 ausweislich ihres § 1 Satz 1 nicht bezieht, nicht aber auch
für Grundstücke mit Altbauten wie das des Beschwerdeführers zu.
Es ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, daß das Oberverwaltungsgericht
- insoweit ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Verwaltungsgericht - die aufgrund des
39h BBauG erlassene Erhaltungsverordnung 1986 auch nach dem Maßstab der
grundrechtlichen Eigentumsgarantie für unbedenklich hält. Es handelt sich bei den
Regelungen dieser Erhaltungsverordnung nicht um enteignungsrechtliche Vorschriften,
sondern um solche, die gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 2 VvB Inhalt und Schranken des
Eigentums bestimmen. Dem steht nicht entgegen, daß Art. 15 Abs. 1 Satz 2 VvB die
Bestimmung von Inhalt und Schranken den "Gesetzen" vorbehält, es hier jedoch um
eine (Erhaltungs-)Verordnung geht. Denn "Gesetz" i.S. des Art. 15 Abs. 1 Satz 2 VvB ist
ebenso wie im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur das förmliche Gesetz,
sondern jedes Gesetz im materiellen Sinne, d. h. jeder gültige Rechtssatz (vgl. zu Art. 14
Abs. 1 Satz 2 GG u. a. BVerfGE 8, 71 <79>).
Die Regelungen in der Erhaltungsverordnung 1986 nehmen die Bestimmungen von
Inhalt und Schranken des Eigentums in einer Art und Weise vor, die der Verfassung von
Berlin entspricht. Zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, die
angeordnete Genehmigungspflicht solle der Bauaufsichtsbehörde ermöglichen, die
bauliche Entwicklung in einem schützenswerten Erhaltungsgebiet unter Kontrolle zu
halten und dabei auch dem Gleichbehandlungsgebot Rechnung zu tragen. Entgegen der
Ansicht des Beschwerdeführers wird durch die Versagung der begehrten Genehmigung
nicht sein Grundeigentum in der Substanz berührt, es bleibt ihm vielmehr voll erhalten.
Er kann dies weiter nutzen, wie er es vor dem Erlaß der Erhaltungsverordnung getan hat.
Verloren hat er lediglich die Möglichkeit, den vorhandenen Baubestand in einer Art u.
Weise abzuändern, die den Vorschriften des § 39h BBauG i.V.m. d.
Erhaltungsverordnung 1986 widerspricht, und so den aus seinem Grundeigentum durch
die Errichtung einer Garage im Kellergeschoß seines Mietshauses oder eines Stellplatzes
im Vorgarten zu ziehenden Nutzen noch zu erhöhen. Diese Belastung kann ihm
indessen im Interesse der Erreichung der mit § 39h BBauG verfolgten Zwecke, die nach
der zutreffenden Auffassung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. im einzelnen zur
Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften über die Erhaltungssatzung nach § 39h BBauG
Beschluß vom 26. Januar 1987 - 1 BvR 969/83 - ZfBR 1987, 203 f.) nicht gering zu
veranschlagen. sind, auferlegt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 33 f. VerfGHG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum