Urteil des VerfGH Berlin vom 15.03.2017

VerfGH Berlin: rechtliches gehör, beschlagnahme, verfassungsbeschwerde, befangenheit, anhörung, willkür, zahl, computer, strafanzeige, voreingenommenheit

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
73/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 10 Abs 1 Verf BE, Art 15
Abs 4 Verf BE, Art 15 Abs 5 S 2
Verf BE, § 23 StPO, § 34 StPO
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen
strafgerichtliche Beschlüsse, aufgrund derer sein Befangenheitsantrag gegen einen eine
Beschlagnahme richterlich bestätigenden Amtsrichter erfolglos blieb.
1. Die Beschlagnahme betraf fünf Disketten und eine Computer-Festplatte mit
Bedienungsanleitung. Die Gegenstände waren im Rahmen eines gegen den
Beschwerdeführer ursprünglich wegen des Verdachts der Begehung von Vergehen der
Beleidigung und Bedrohung geführten Ermittlungsverfahrens bereits im Jahre 2003
beschlagnahmt worden. Im Rahmen einer amtsgerichtlich zugelassenen Auswertung der
beschlagnahmten Gegenstände war eine kinderpornografische Bilddatei ermittelt
worden, was zur Einleitung eines weiteren Ermittlungsverfahrens und zu der genannten
Beschlagnahmeentscheidung vom 7. Februar 2005 (351 Gs 513/05) durch den Richter
am Amtsgericht B. führte. Rechtliches Gehör hatte der Amtsrichter dem
Beschwerdeführer zuvor nicht gewährt.
2. Der Beschwerdeführer legte gegen den amtsrichterlichen Beschluss Beschwerde ein,
erstattete Strafanzeige wegen Rechtsbeugung gegen den Richter am Amtsgericht B.
und lehnte den Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung führte er
aus, dass die Nichtgewährung rechtlichen Gehörs willkürlich gewesen sei und bei dem
abgelehnten Richter nicht das erste Mal ihm gegenüber vorkomme. Er habe vielmehr
bereits sieben Strafanzeigen wegen des Verdachts der Rechtsbeugung aufgrund
entsprechenden Verhaltens erstattet.
In der beigefügten Strafanzeige führte der Beschwerdeführer aus, nach der Vorschrift
des § 33 StPO sei er als Betroffener vor einer richterlichen Entscheidung außerhalb der
Hauptverhandlung zu hören, wenn sie zu seinem Nachteil ergehen solle. Die
Beschlagnahme eines fast 1.000 € teuren Computers sei ein gravierender
Grundrechtseingriff. Ein Sonderfall des § 33 Abs. 4 Satz 1 StPO, wonach von einer
Anhörung abgesehen werden könne, wenn die vorherige Anhörung den Zweck der
Anordnung gefährden würde, habe nicht vorgelegen, denn der Computer und die
Disketten befänden sich bereits seit fast zwei Jahren ununterbrochen im Gewahrsam der
Strafverfolgungsbehörden.
Der abgelehnte Richter gab eine dienstliche Äußerung folgenden Inhalts ab:
„Ich fühle mich nicht befangen. Der Beschluss ... entsprach der Sach- und Rechtslage.
Von einer vorherigen Anhörung i.S.d. § 33 Abs. 3 StPO konnte abgesehen werden, da
Tatsachen verwertet wurden, zu denen der Beschuldigte bereits Gelegenheit zur
Stellungnahme hatte ...“
3. Mit Beschluss vom 21. März 2005 wies das Amtsgericht Tiergarten den
Befangenheitsantrag zurück. Nach dem vorgetragenen Sachverhalt sei kein Grund
gegeben, der bei vernünftiger Betrachtung die Annahme rechtfertige, der Richter werde
gegenüber dem Beschuldigten voreingenommen und parteilich entscheiden. Zwar treffe
es zu, dass vorliegend auf die Gewährung rechtlichen Gehörs nicht habe verzichtet
werden können. Allein eine fehlerhafte Entscheidung oder ein Verfahrensverstoß
rechtfertige die Besorgnis der Befangenheit jedoch nicht, selbst wenn es sich um eine
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rechtfertige die Besorgnis der Befangenheit jedoch nicht, selbst wenn es sich um eine
„unhaltbare“ Rechtsansicht eines Richters handele. Etwas anderes müsse bei Willkür
gelten, die vorliegend jedoch nicht schlüssig dargelegt sei. Der Beschwerdeführer habe
in der Tat in anderen Verfahren zu der vorangegangenen Beschlagnahme derselben
Gegenstände Stellung genommen. Auch soweit betont werde, dass bereits eine Vielzahl
von Strafanzeigen des Beschwerdeführers gegen den abgelehnten Richter vorlägen,
vermöge dieser Umstand zu keinem anderen Ergebnis zu führen, weil eigenes Verhalten
des Ablehnenden keinen Ablehnungsgrund darstellen könne.
4. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers
wies das Landgericht Berlin mit Beschluss vom 18. Mai 2005 unter Verweis auf die
Gründe der angefochtenen Entscheidung zurück.
5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seines
Grundrechts auf eine faires, rechtsstaatliches Strafverfahren, die Verletzung des
Willkürverbots, die Entziehung des gesetzlichen Richters sowie die Verletzung der
Rechtsweggarantie des Art. 15 Abs. 4 VvB.
Er begehre in erster Linie, dass der Verfassungsgerichtshof die Fachgerichte veranlasse,
die Verfahrensakte der Staatsanwaltschaft Berlin (56 JS 1831/03) beizuziehen, in der sich
seine zahlreichen Strafanzeigen gegen den Richter am Amtsgericht B. befinden
müssten. Die Auswertung dieser Verfahrensakte werde zeigen, dass der abgelehnte
Richter „in einer unglaublichen Vielzahl von Fällen rechtliches Gehör verweigert“ habe
und „sein Verhalten weiterhin ungeniert“ fortsetze. Aus der Vielzahl der Verstöße des
abgelehnten Richters gegen § 33 StPO werde deutlich, dass dieser ihm gegenüber eine
innere Haltung eingenommen habe, die seine Unvoreingenommenheit und
Unparteilichkeit störend beeinflussen könne. Es sei anerkannt, dass bereits ein Fall der
bewussten Versagung des rechtlichen Gehörs Misstrauen des Betroffenen in die
Unvereingenommenheit rechtfertigen könne. Dies müsse erst recht gelten, wenn ein
Richter bei sachgerechter und verständiger Würdigung hinreichend verdächtig sei, eine
ungewöhnliche Vielzahl von Verbrechen nach § 339 StGB zum Nachteil des Betroffenen
begangen zu haben.
II. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
Der sachlich einschlägige Prüfungsmaßstab für die vom Beschwerdeführer behaupteten
Verletzungen seiner Rechte aus der Verfassung von Berlin (VvB) ist sein Anspruch auf
den gesetzlichen Richter aus Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB. In den angegriffenen
fachgerichtlichen Entscheidungen wird jedoch der Wesensgehalt dieses Grundrechts
nicht verkannt und das fachgerichtliche Vorgehen ist gemessen an dieser Vorschrift
auch nicht willkürlich oder offensichtlich unhaltbar. Nur unter diesen Voraussetzungen
kann der Verfassungsgerichtshof jedoch einen Grundrechtsverstoß durch gerichtliche
Entscheidungen über eine Richterablehnung feststellen (vgl. Beschlüsse vom 7.
Dezember 2004 – VerfGH 122/04 – und vom 12. April 2005 – VerfGH 112/04 –; für das
Bundesrecht, vgl. Degenhart, in: Sachs [Hrsg.], Grundgesetz, 3. Aufl. 2003, Art. 101 GG
Rn. 18).
Das Amtsgericht Tiergarten hat in der angegriffenen erstinstanzlichen Entscheidung
einen Rechtsverstoß des abgelehnten Richters zwar festgestellt, für diesen jedoch in
seiner dienstlichen Erklärung eine Begründung entnommen, die den Vorwurf eines
willkürlichen Verhaltens nicht rechtfertigt. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden, denn in der Tat hatte der Beschwerdeführer zur Beschlagnahme
derselben Gegenstände bereits zuvor in anderem Zusammenhang Stellung genommen.
Soweit der Beschwerdeführer die Voreingenommenheit des abgelehnten Richters unter
Hinweis auf dessen Verhalten in anderen gegen den Beschwerdeführer gerichteten
Verfahren begründet hatte, sah das Amtsgericht diese Ausführungen nicht als schlüssig
an. Auch dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es war weder Aufgabe des
Amtsgerichts noch ist es Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, das Verhalten des
abgelehnten Richters in anderen Verfahren hinsichtlich des ihm jeweils zugrunde
liegenden Sachverhalts und der für die Beurteilung dieses Sachverhalts maßgeblichen
Rechtsfragen im Einzelnen aufzuklären oder gar auf staatsanwaltschaftliche
Ermittlungsakten zurückzugreifen, die nach Angaben des Beschwerdeführers aufgrund
seiner vielen Strafanzeigen existieren müssten. Insoweit ist es vielmehr Sache
desjenigen, der die Besorgnis der Befangenheit eines Richters geltend macht, das
Verhalten dieses Richters in anderen Verfahren hinsichtlich des zugrunde liegenden
Sachverhalts und der von dem abgelehnten Richter getroffenen Entscheidungen so
konkret darzulegen, dass der Vorwurf der Willkür entweder am Beispiel eines anderen
Verfahrens hinreichend deutlich und auf das laufende Verfahren übertragbar wird oder
die Gesamtsumme des Verhaltens des Richters keinen anderen Schluss als den der
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die Gesamtsumme des Verhaltens des Richters keinen anderen Schluss als den der
Voreingenommenheit mehr zulässt. Allein eine größere Zahl möglicherweise nicht
rechtmäßiger Entscheidungen des gleichen Richters gegen den gleichen Beschuldigten
reichen hierzu nicht aus, wenn es dafür eine nachvollziehbare – wenn auch rechtlich nicht
tragfähige – Begründung geben kann. Da der Beschwerdeführer – was dem
Verfassungsgerichtshof seinerseits aus anderen Verfassungsbeschwerdeverfahren des
Beschwerdeführers bekannt ist – eine große Zahl jeweils in den verschiedenen gegen ihn
geführten Ermittlungsverfahren ergangener Beschlagnahmeentscheidungen
angefochten hatte und dementsprechend eine Vielzahl von Äußerungen seinerseits zu
den für die Beurteilung der durch die Beschlagnahme bewirkten Grundrechtseingriffe
maßgeblichen Umständen vorlagen, mussten die Fachgerichte in den angegriffenen
Entscheidungen nicht ohne weitere Darlegungen von Willkür ausgehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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