Urteil des VerfGH Berlin vom 07.12.1995

VerfGH Berlin: rechtliches gehör, öffentliche gewalt, rechtskräftiges urteil, gesetzlicher vertreter, grundrecht, verspätung, einspruch, verfassungsbeschwerde, berufungskläger, vollmacht

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
21/96
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 15 Abs 1 Verf BE, § 88 Abs
1 ZPO, § 296 Abs 1 ZPO, § 340
ZPO, § 523 ZPO
(VerfGH Berlin: Verletzung rechtlichen Gehörs durch
Zurückweisung eines Sachverständigengutachtens in der
Berufungsinstanz als verspätet nach ZPO §§ 523, 296 Abs 1 -
Überraschungsentscheidung zur Kostentragung)
Tenor
1. Das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. Dezember 1995 - 67 ... - verletzt das
Grundrecht der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör und wird aufgehoben, soweit zu
ihrem Nachteil entschieden worden ist.
2. ...
3. ...
4. ...
Gründe
Mit der am 1. März 1996 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wenden sich die
Beschwerdeführer gegen das Urteil einer Mietberufungskammer des Landgerichts vom
7. Dezember 1995. Sie rügen eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 15 Abs. 1 VvB. Das
Landgericht habe sie unter Verletzung unabdingbarer Grundsätze rechtlichen Gehörs
verurteilt.
1.
Der Entscheidung des Landgerichts liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Beteiligte ist seit 1992 Mieter einer in der T...straße, gelegenen Wohnung. Der
Vermieter verstarb am 3. April 1993, worauf seine minderjährigen Töchter im Wege der
Gesamtrechtsnachfolge in das Mietverhältnis eintraten. Zum Testamentsvollstrecker
wurde der Beschwerdeführer zu 1) bestellt. Im Jahre 1994 erhob der Beteiligte vor dem
Amtsgericht Wedding Klage gegen die minderjährigen Erben, "vertreten durch den
Testamentsvollstrecker", sowie gegen den Beschwerdeführer zu 1) als
Testamentsvollstrecker auf Zahlung von 14.513,68 DM nebst 4 % Zinsen seit
Klageerhebung. Er machte geltend, die von ihm in der vereinbarten Höhe entrichtete
Miete sei überhöht; die Mietzinsvereinbarung verstoße gegen § 5 WiStG. Das
Amtsgericht Wedding verurteilte die Beklagten antragsgemäß auf Rückzahlung von
überzahltem Mietzins.
Gegen das amtsgerichtliche Urteil legte der Beschwerdeführer zu 2), Rechtsanwalt M... ,
namens der Beklagten am 2. März 1995 Berufung ein. Auf seinen Antrag wurde die Frist
zur Begründung der Berufung bis zum 13. April 1995 verlängert. In der am 12. April 1995
bei dem Landgericht eingegangenen Berufungsbegründung wurde ausgeführt, es sei
zweifelhaft und rechtlich nicht haltbar, einen Rückzahlungsanspruch ausschließlich auf
den Berliner Mietspiegel 1992 bis 1994 zu stützen. § 5 WiStG sei wegen Verstoßes gegen
Art. 103 Abs. 2 GG verfassungswidrig. Zu dem Ausstattungsstandard der
streitbefangenen Wohnung wurde vorgetragen, das gesamte Haus T...straße sei in den
Jahren 1991/1992 umfassend modernisiert worden. Für die Umstellung von Ofenheizung
auf Fernwärme einschließlich Warmwasserversorgung habe ein Betrag von 1 Mio. DM
aufgewandt werden müssen. Ferner seien die Wohnungen mit voll verfliesten Bädern
ausgestattet und diverse andere, im einzelnen aufgeführte Modernisierungsmaßnahmen
durchgeführt worden. Allein für die streitbefangene Wohnung hätten die Aufwendungen
58.140 DM betragen. Zum Beweis wurde auf ein einzuholendes
Sachverständigengutachten sowie auf "anliegende Rechnungen über die Aufwendungen"
verwiesen. Zum Beweis dafür, daß der geforderte Mietzins nach Größe, Art, Ausstattung
und Beschaffenheit sowie Lage der streitbefangenen Wohnung angemessen sei und der
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und Beschaffenheit sowie Lage der streitbefangenen Wohnung angemessen sei und der
orts-üblichen Vergleichsmiete für vergleichbare Wohnungen entspreche, bezogen sich
die Beklagten ebenfalls auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Mit Verfügung vom 26. April 1995 beraumte der Vorsitzende Verhandlungstermin für
den 10. Juli 1995 an; den Berufungsklägern wurde gemäß § 273 ZPO aufgegeben,
innerhalb von zwei Wochen die in dem Schriftsatz vom 12. April 1995 erwähnten
Rechnungen vorzulegen, die dem Schriftsatz nicht beigelegen hatten. Dem Kläger und
Berufungsbeklagten wurde aufgegeben, bis zum 6. Juni 1995 auf die
Berufungsbegründung zu erwidern.
Der Beteiligte ließ als Berufungsbeklagter vortragen, die Angaben der Beklagten über die
Modernisierung des Hauses seien unsubstantiiert. Zwar sei die Mietwohnung unstreitig
modernisiert worden. Wann und vor allem mit welchem Kostenaufwand dies geschehen
sei, entziehe sich jedoch vollständig der Kenntnis des Klägers.
Im Termin am 10. Juli 1995 erschien für die Berufungskläger niemand. Das Landgericht
erließ Versäumnisurteil und wies die Berufung der Beklagten gegen das am 1. Februar
1995 verkündete Urteil des Amtsgerichts Wedding auf deren Kosten zurück.
Am 31. Juli 1995 legte der Beschwerdeführer zu 2) für die Beklagten Einspruch gegen
das Versäumnisurteil ein. In der Einspruchsschrift wurde ausgeführt, die in der
Berufungsbegründung vom 12. April 1995 angebotenen Rechnungen über getätigten
Aufwendungen seien versehentlich nicht beigefügt worden. Dies werde nunmehr
nachgeholt.
Am 31. August 1995 erließ das Landgericht einen Beweisbeschluß über die Einholung
eines Sachverständigengutachtens betr. die ortsübliche Netto-Vergleichsmiete für die
streitbefangene Wohnung. Das für die Beklagten und Berufungskläger positive
Gutachten des Sachverständigen vom 19. Oktober 1995 ging am 24. Oktober 1995 bei
Gericht ein. Der Prozeßbevollmächtigte des Beteiligten erhielt es am 27. Oktober 1995,
der Beschwerdeführer zu 2) am 30. Oktober 1995. In dem am selben Tag stattfindenden
Termin zur mündlichen Verhandlung erklärten beide Anwälte übereinstimmend, daß sie
sich heute zu dem Gutachten das Sachverständigen nicht äußern würden. Das Gericht
gab dem Prozeßbevollmächtigten des Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu
dem Gutachten bis zum 16. November 1995 und beraumte im übrigen
Verkündungstermin für den 7. Dezember 1995 an. Im Verkündungstermin wurde der
namens der Beklagten zu 1) (der minderjährigen Erben) eingelegte Einspruch als
unzulässig verworfen; das am 10. Juli 1995 verkündete Versäumnisurteil wurde im
wesentlichen aufrechterhalten. Die weiteren Kosten des Rechtsstreits wurden dem
Beklagten zu 2) und Rechtsanwalt M..., also den Beschwerdeführern des vorliegenden
Verfahrens, auferlegt. In der Begründung heißt es: Der namens der Beklagten zu 1)
eingelegte Einspruch sei gemäß § 341 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Denn
Rechtsanwalt M... sei nicht berechtigt gewesen, namens der Beklagten zu 1) den
Einspruch zu erheben. Er habe in der mündlichen Verhandlung selbst geltend gemacht,
daß die Beklagten zu 1) nicht durch den Testamentsvollstrecker gesetzlich vertreten
würden. Wer deren gesetzlicher Vertreter sei, wisse er nicht. Er sei nicht von ihnen
bevollmächtigt worden, sondern habe lediglich eine Vollmacht des
Testamentsvollstreckers. Die Haftung des Rechtsanwalts M... ergebe sich unter dem
Gesichtspunkt der Veranlassung der Kosten, weil er als vollmachtloser Vertreter
aufgetreten sei.
Der Anspruch des Klägers gegen den Beklagten zu 2) ergebe sich aus § 812 Abs. 1 Satz
1 BGB i.V.m. § 134 BGB, § 5 Abs. 2 WiStG, weil die in dem Mietvertrag vereinbarte Netto-
Kaltmiete die ortsübliche Vergleichsmiete zuzüglich der Wesentlichkeitsgrenze von 20 %
übersteige. Die Kammer sehe keine durchgreifenden Bedenken, die ortsübliche
Vergleichsmiete für den hier in Rede stehenden Mietzeitraum anhand der Mietspiegel
1992 und 1994 zu ermitteln. Da die Rechnungen über den Modernisierungsaufwand von
dem Beklagten entgegen einer ihnen mit der Ladungsverfügung gesetzten Frist
verspätet vorgelegt worden seien, sei der diesbezügliche Vortrag gemäß §§ 523, 296
Abs. 1 ZPO nicht zuzulassen, weil die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits
verzögern würde und die Partei die Verspätung nicht genügend entschuldigt habe. Eine
Verzögerung des Rechtsstreits wäre auf jeden Fall dadurch eingetreten, daß die Kammer
gehalten gewesen wäre, nach Einlegung des Einspruchs im Termin am 30. Oktober 1995
über die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu beschließen. Ohne die
Einholung eines solchen Gutachtens wäre der Rechtsstreit im Termin am 30. Oktober
1995 entscheidungsreif gewesen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
bestehe indessen die Pflicht, die Folgen verspäteten Vorbringens der Parteien durch
vorbereitende Maßnahmen nach § 273 ZPO nach Möglichkeit auszugleichen. In Erfüllung
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vorbereitende Maßnahmen nach § 273 ZPO nach Möglichkeit auszugleichen. In Erfüllung
dieser Verpflichtung seien die Beklagten mit Verfügung vom 7. August 1995 aufgefordert
worden, einen Kostenvorschuß einzuzahlen und sei sodann am 31. August 1995 gemäß
§ 358 a ZPO beschlossen worden, ein Gutachten über die Frage der ortsüblichen
Vergleichsmiete einzuholen. Vor der Beauftragung des betreffenden Sachverständigen
sei dieser gefragt worden, ob er sich in der Lage sehe, das Gutachten rechtzeitig zu
erstellen. Trotz beschleunigter Arbeitsweise des Sachverständigen habe es der Kammer
erst am 24. Oktober 1995 vorgelegen, so daß es erst mit der Verfügung vom 26.
Oktober 1995 habe übersandt werden können. Die Kammer sei gehalten gewesen, dem
Kläger gemäß § 411 Abs. 4 ZPO auf dessen Antrag eine Gelegenheit zur Stellungnahme
einzuräumen. Mit einem fristgerecht eingegangenen Schriftsatz habe der Kläger
beantragt, den Sachverständigen zu einer ergänzenden schriftlichen Erläuterung seines
Gutachtens im Hinblick auf die Frage aufzufordern, wie die im einzelnen in seinem Gut-
achten angeführten Mietdaten von vergleichbaren Wohnungen gewonnen worden seien.
Dieses Verlangen des Klägers sei berechtigt gewesen, da der Sachverständige gehalten
sei, die Grundlage seiner Sachkunde darzulegen. Die Einholung einer ergänzenden
gutachterlichen Stellungnahme führe zwangsläufig zu einer Verzögerung des
Rechtsstreits. Diese Verzögerung habe wiederum zur Folge, daß der verspätete Vortrag
der Beklagten über den Umfang der vorgenommenen Modernisierungsmaßnahmen
wegen Verspätung zurückgewiesen werden müsse und das Gutachten nicht bei der
Entscheidungsfindung berücksichtigt werden könne.
2.
Die Beschwerdeführer tragen zur Begründung ihrer Rüge der Verletzung rechtlichen
Gehörs vor:
Es sei nicht hinnehmbar, wenn die Entscheidungsgründe ausführten, die Einreichung der
Nachweise der Modernisierungsarbeiten "erst" mit Schriftsatz vom 31. Juli 1995 sei für
eine "Verspätung" ursächlich und führe zur Nichtverwertung des Gutachtens vom 19.
Oktober 1995. Die Handhabung der Terminsvorbereitung durch den Vorsitzenden sei
ungewöhnlich und lasse dem Gericht völlig freie Hand, die Beschwerdeführer in eine
"Verspätungsfalle" laufen zu lassen.
Auch wenn sie die fehlenden Anlagen innerhalb der zweiwöchigen Frist nachgereicht
hätten, hätte es selbst bei Erlaß eines Beweisbeschlusses nicht zu einem Beweistermin
am 10. Juli 1995 und damit zum Abschluß des Verfahrens kommen können. Denn bis
zum 10. Juli 1995 hätte das Gutachten nicht vorliegen können.
Unabhängig davon hätte sich nach den Urteilsgründen auch für das Gericht selbst
gemäß § 411 Abs. 3 ZPO die Notwendigkeit zur Vorladung des Sachverständigen
ergeben und damit zur Ansetzung eines neuen Termins. Die mutmaßliche Verzögerung
des Rechtsstreites sei nicht durch einen verspäteten Vortrag des Beschwerdeführers,
sondern allenfalls durch die Verfahrensweise des Gerichts eingetreten, die den
Beklagten nicht angelastet werden könne.
Schließlich sei dem Beschwerdeführer zu 1) jede weitere Stellungnahme sowohl zur
mündlichen Verhandlung als auch zum Gutachten selbst sowie der Stellungnahme des
Klägervertreters vom 16. November 1995 abgeschnitten worden, indem lediglich dem
Klägervertreter Schriftsatzfrist gewährt und für den 7. Dezember 1995
Verkündungstermin anberaumt worden sei.
Bei der Verurteilung des Beschwerdeführers zu 2) zur Tragung der Kosten des
Rechtsstreits handele es sich eindeutig um eine Überraschungsentscheidung, zumal mit
dem rechtlichen Hinweis vom 7. August 1995 lediglich dem Prozeßbevollmächtigten des
Klägers aufgegeben worden sei, die Rechtsverhältnisse hinsichtlich des Passiv-Rubrums
der Beklagten zu 1) klarzustellen. Hinzu komme, daß der Kläger selbst niemals einen
Vollmachtsmangel gerügt habe. Wäre die Auffassung des Landgerichts bezüglich der
Vertretungsverhältnisse zutreffend, hätte ein Versäumnisurteil gegen die minderjährigen
Beklagten nicht ergehen dürfen. Dem Beschwerdeführer zu 2) sei im Termin am 30.
Oktober 1995 keine Gelegenheit gegeben worden, etwaige Bedenken des Gerichts
gegen die Wirksamkeit seiner Bevollmächtigung auszuräumen. Aufgrund eines
entsprechenden Hinweises hätte er nach Rücksprache mit dem im Termin nicht
anwesenden Testamentsvollstrecker die Vertretungsverhältnisse darlegen können.
Gelegenheit hierzu sei nicht gegeben worden.
3.
Der Beteiligte sowie die Senatsverwaltung für Justiz haben gemäß § 53 VerfGHG
Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
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II.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
Nach § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche
Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen
Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof
erheben. Soweit, wie hier, Gegenstand der Verfassungsbeschwerde die Anwendung von
Bundesrecht ist, besteht die Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs in den
Grenzen der Art. 142, 31 GG allein hinsichtlich solcher Grundrechte der Verfassung von
Berlin, die mit im Grundgesetz verbürgten Grundrechten übereinstimmen (st. Rspr., u.a.
Beschluß vom 2. Dezember 1993 - VerfGH 89/93 - LVerfGE 1, 169). Vor diesem
Hintergrund können sich die Beschwerdeführer auf das durch die Verfassung von Berlin
in Art. 15 Abs. 1 VvB inhaltsgleich mit Art. 103 GG gewährleistete Grundrecht auf
rechtliches Gehör berufen. Der Beschwerdeführer zu 1) macht geltend, eine Verletzung
des Art. 15 Abs. 1 VvB liege darin, daß das aufgrund seines Beweisantritts eingeholte
Sachverständigengutachten durch das Landgericht nicht verwertet worden ist. Der
Beschwerdeführer zu 2) rügt eine Verletzung des Art. 15 Abs. 1 VvB unter dem
Gesichtspunkt der Überraschungsentscheidung, weil das Landgericht ihm ohne
richterlichen Hinweis teilweise die Kosten auferlegt habe. Die Begründungen der
Beschwerden genügen § 50 VerfGHG.
2.
Die Verfassungsbeschwerden sind auch begründet. Das angegriffene Urteil des
Landgerichts Berlin beruht auf einer Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör
und ist daher gemäß § 54 Abs. 3 VerfGHG aufzuheben.
a) Das Landgericht hat das Vorbringen der Berufungskläger zu den
Modernisierungsaufwendungen in Anwendung der §§ 523, 296 Abs. 1 ZPO als verspätet
zurückgewiesen mit der Folge, daß das zu dieser Frage eingeholte und für die
Berufungskläger positive Sachverständigengutachten bei der Entscheidungsfindung
nicht berücksichtigt wurde. Diese Zurückweisung war verfahrensrechtlich unter keinem
rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt, erfolgte unter grob fehlerhafter, jedenfalls von
gefestigter Rechtsprechung begründungslos abweichender Anwendung von
Präklusionsvorschriften und verletzt deshalb das Grundrecht des Beschwerdeführers zu
1) auf rechtliches Gehör (vgl. Beschluß vom 21. Juni 1995 - VerfGH 73/94 - zum
Bundesrecht: BVerfGE 81, 97, 106).
Das Landgericht stützt die Zurückweisung auf § 296 Abs. 1 ZPO, weil der
Beschwerdeführer und seine Streitgenossen die im Rahmen des gegenbeweislichen
Antrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gemachten Angaben über die
Höhe wertverbessernder Investitionen erst mit dem Einspruch gegen das
Versäumnisurteil vom 10. Juli 1995 durch Einreichung von Kostenangebots- und
Rechnungsabschriften illustriert haben, obwohl der Vorsitzende der Berufungskammer
ihnen hierfür schon zusammen mit der Ladungsverfügung zum frühen ersten Termin
vom 10. Juli 1995 eine am 2. Mai 1995 beginnende Zweiwochenfrist gesetzt hatte.
aa) Zweifelhaft ist bereits, ob im Falle einer streitigen Verhandlung am 10. Juli 1995 die
Fristversäumung zum Übergehen des Beweisantritts der Beklagten berechtigt hätte. Da
es nicht etwa um einen vorgezogenen Urkundenbeweis ging, sondern darum ob der
Beweisantritt das zur prozessualen Beachtlichkeit an Spezifizierung aufwies, hätte das
Landgericht diese Frage vor einer Entscheidung über den Beweisantrag prüfen müssen.
Denn eine Ablehnung des Beweises für eine beweiserhebliche Tatsache ist nur zulässig,
wenn ihre Erheblichkeit mangels näherer Bezeichnung der unter Beweis gestellten
Tatsachen überhaupt nicht beurteilt werden kann (vgl. BGH NJW 1991, 2707 und 1992,
1967; NJW-RR 1995, 724 sowie 1996, 56 und 1996, 1212). Es erscheint zweifelhaft, ob
nach diesen Grundsätzen ein Beweisbeschluß von der vorgängigen Einreichung der
Unterlagen hätte abhängig gemacht werden dürfen.
Zweifelhaft ist ferner, ob eine Präklusion nach § 296 Abs. 1 ZPO nicht schon deshalb von
vornherein ausschied, weil nach Art des Streitstoffes eine abschließende Klärung und
Entscheidung im Termin am 10. Juli 1995 nicht zu erwarten war. Zwar ist eine Präklusion
bei Versäumung gerichtlicher Fristen vor dem ersten Termin nicht generell
ausgeschlossen (vgl. BGHZ 86, 31 = NJW 1983, 575). Wenn aber eine zur
Gewährleistung streitiger Entscheidung noch in diesem Termin geeignete
Verfahrensvorbereitung nicht vorlag und es sich um einen sogenannten Durchlauftermin
handelte, so lag in der Zurückweisung des späteren Vorbringens ein Mißbrauch der
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handelte, so lag in der Zurückweisung des späteren Vorbringens ein Mißbrauch der
Präklusionsvorschriften (vgl. BVerfGE 69, 126 = NJW 1985, 1149).
In solchen Fällen kann die Zurückweisung nicht auf einen "absoluten"
Verzögerungsbegriff gestützt werden, weil dann, wenn sich ohne weitere Erwägungen
aufdrängt, daß dieselbe Verzögerung auch bei rechtzeitigem Vortrag eingetreten wäre,
eine offenkundige Zweckverfehlung der Präklusionsvorschriften vorliegt (vgl. auch
BVerfGE 75, 302 = NJW 1987, 2733). Nach der Sach- und Rechtslage spricht vieles dafür,
daß im vorliegenden Fall eine abschließende Entscheidung ohne Einholung eines
Sachverständigen-gutachtens nicht in Betracht kam, so daß der frühe erste Termin nur
eine Vorbereitungsfunktion haben konnte (vgl. BGHZ OB, 368 = NJW 1987, 500).
bb) Ob tatsächlich eine Verspätung vorlag, mag indes dahinstehen. Denn selbst wenn
man mit dem Landgericht eine Verspätung im Sinne von § 296 Abs. 1 ZPO annimmt,
konnte diese für die aufgrund Späterer Verhandlung zu treffende Endentscheidung
rechtlich nicht mehr erheblich sein.
Wenn es, wie im vorliegenden Fall, im früheren Termin zu einem Versäumnisurteil
gekommen ist, wird die Möglichkeit eröffnet, das Verteidigungsmittel noch in der
Einspruchsbegründung gemäß § 340 ZPO in rechtlich zulässiger und für das weitere
Verfahren beachtlicher Weise erstmals vorzubringen (vgl. BGHZ 76, 173 = NJW 1980,
1105). Die dem Einspruch eigene Verzögerung des Rechtsstreits nimmt das geltende
Gesetz in Kauf. Der Einspruchsführer braucht die Terminssäumnis weder zu erklären
noch zu ent-schuldigen. Daraus folgert die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, daß
die zweite gemäß § 296 Abs. 1 ZPO anerkannte Alternative, eine Fristversäumung zu
heilen, wenn nämlich die Erledigung des Rechtsstreits sich durch Berücksichtigung des
verspäteten Vorbringens nicht verzögert, auch den Fall der sogenannten Flucht in die
Säumnis erfaßt. Das Landgericht hat sich über diese gefestigte höchstrichterliche
Rechtsprechung begründungslos hinweggesetzt. Weiter hat das Landgericht völlig außer
Betracht gelassen, daß die nach seiner Auffassung notwendige ergänzende mündliche
Anhörung des Gutachters, die einen weiteren Termin erforderlich gemacht habe, nicht
mehr in einem adäquaten Zusammenhang mit der von ihm angenommenen
Verspätung stand. Der Sach-ständige Dr. K.... hatte den gemäß Beweisbeschluß vom
31. August 1995 mit Ablieferungstermin 16. Oktober 1995 erteilten Gutachtenauftrag
übernommen, das Gutachten dann aber doch erst unmittelbar vor dem zum 30.
Oktober 1995 anstehenden Verhandlungstermin abgeliefert. Die durch die verspätete
Einreichung des Gutachtens verursachte Verzögerung war den Beklagten nicht
zuzurechnen. Sofern das Gericht das Gutachten nicht ohne ergänzende mündliche
Anhörung für verwertbar hielt, hätte im übrigen nahegelegen, noch bei
Gutachtenübersendung am 26. Oktober 1995 die Ladung des Sachverständigen zum
Termin am 30. Oktober 1995 zu veranlassen. Schließlich hätte die Möglichkeit
bestanden, den Verkündungstermin vom 7. Dezember 1995 zur Durchführung der
Beweisaufnahme und zur mündlichen Anhörung des Gutachters zu bestimmen. Denn
wenn die Klärung durch gerichtliche Maßnahmen im Rahmen der Förderungspflicht noch
rechtzeitig hätte veranlaßt werden können, ist die Anwendung der
Verspätungsvorschriften nach gefestigter BGH-Rechtsprechung unzulässig (siehe BGHZ
75, 138 = NJW 1979, 1988; BGHZ 76, 133 = NJW 1980, 945; BGHZ 86, 31 = NJW 1983,
575).
Schließlich hat sich das Landgericht mit seiner Entscheidung, die durchgeführte
Beweisaufnahme nachträglich als rechtlich unbeachtlich zu behandeln, über die
Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. Januar 1981, NJW 1981, 928 f.
hinweggesetzt. Danach kann, wenn etwa die Nichtanwendung der
Verspätungsvorschriften in einem früheren Termin rechtlich fehlerhaft war, die später
dennoch durchgeführte Beweisaufnahme nachträglich nicht als rechtlich unbeachtlich
behandelt werden, da in einem solchen Fall der mit den Präklusionsvorschriften erstrebte
Zweck der Verfahrensbeschleunigung dann endgültig unerreichbar geworden ist. Einen
Beweisbeschluß zu erlassen, die Beweisaufnahme durchzuführen, um dann am Schluß
festzustellen, daß die gesamte Beweisaufnahme unbeachtlich war, ist mit dem
Grundrecht auf rechtliches Gehör nicht vereinbar.
cc) Die Entscheidung des Landgerichts stellt schließlich eine mit dem Grundrecht auf
rechtliches Gehör unvereinbare und deshalb unzulässige Überraschungsentscheidung
dar. Gemäß Protokoll haben beide Anwälte im Termin am 30. Oktober 1995 erklärt, "daß
sie sich heute zu dem Gutachten des Sachverständigen nicht äußern" würden, worin die
Erwartung der Möglichkeit späterer schriftlicher Äußerung zum Ausdruck kommt. Mit
einer Unwirksamerklärung der gesamten Begutachtung und einer Zurückweisung des
Beweisantritts allein aufgrund der Nichteinreichung von Rechnungsabschriften vor dem
frühen ersten Termin vom 10. Juli 1995 brauchten die Beklagten und Berufungskläger in
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frühen ersten Termin vom 10. Juli 1995 brauchten die Beklagten und Berufungskläger in
Anbetracht der vorstehenden Ausführungen nicht zu rechnen, und ihr Terminsverhalten
beruhte im Zweifel auch darauf.
b) Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 2) ist ebenfalls begründet.
Soweit das Landgericht den Beschwerdeführer zu 2) zur (anteilmäßigen) Tragung der
Kosten des Rechtsstreits verurteilt hat, handelt es sich um eine unzulässige
Überraschungsentscheidung, welche das Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt.
Wenn das Gericht im Termin am 30. Oktober 1995 aus eigener Initiative den Weg der
Vollmachtserteilung zur Sprache brachte, und die Protokollerklärung veranlaßte, daß
Rechtsanwalt M... "den Testamentsvollstrecker S... vertrete", so war daraus für den
Beschwerdeführer zu 2) nicht erkennbar, daß seine persönliche Kostenbelastung in Rede
stand. Die Erörterung betraf nur die Frage, ob er mit einem gesetzlichen Vertreter der
minderjährigen Erbinnen Kontakt hatte, was er verneinte. Ob der Beschwerdeführer zu
1), an den die Klage aufgrund der Vertretungsangaben des Klägers auch insoweit
zugestellt worden war, einen solchen Kontakt hatte, wurde nicht geklärt und konnte im
Termin auch nicht erfragt werden, da der Beschwerdeführer zu 1) lt. Protokoll nicht
anwesend war. Eine Einspruchsverwerfung und persönliche Kostenauferlegung lag unter
diesen Umständen nicht etwa nahe, sie war sogar gesetzlich ausgeschlossen.
Der Kläger hatte im Klageverfahren niemals die Rüge eines Vollmachtsmangels erhoben,
es wäre angesichts seiner Angaben in der Klageschrift und der hierdurch veranlaßten Art
der Klagezustellung auch widersinnig gewesen, und selbst ein erstrittenes
rechtskräftiges Urteil würde gemäß § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO der Nichtigkeitsklage
unterliegen. Nach § 88 Abs. 1 ZPO war das Gericht in einem solchen Fall nicht
berechtigt, von sich aus die Anwaltsvollmacht zu prüfen.
Im übrigen hätte das Gericht selbst bei Zulässigkeit einer Amtsprüfung dem
Beschwerdeführer zu 2) (und den vertretenen Parteien) Gelegenheit zu einem Nachweis
der Vollmacht gemäß § 80 Abs. 1 ZPO geben müssen. Der Beschwerdeführer zu 2) hat
nicht etwa erklärt, daß er das Innenverhältnis des Testamentsvollstreckers zum
gesetzlichen Vertreter der Erbinnen genau kenne und unter Verzicht auf eine
Nachweisfrist schon sicher erklären könne, der Nachweis der Vollmachtkette sei nicht
erbringbar. Im übrigen ist bei einem Vollmachtsmangel grundsätzlich die rückwirkende
Heilung durch Genehmigung möglich, solange nicht ein das Rechtsmittel als unzulässig
verwertendes Prozeßurteil vorliegt (vgl. GemS OGB in NJW 1984, 2149), und jedenfalls
wäre eine Fristgewährung nach
§ 89 Abs. 1 ZPO vor dem Verkündungstermin in Betracht gekommen.
Ein Endurteil in der Hauptsache im Verhältnis zu den minderjährigen Erbinnen wäre bei
endgültigem Fehlen der Vollmacht des Beschwerdeführers zu 2) auch deshalb nicht
aufgrund des Verhandlungstermins am 30. Oktober 1995 in Betracht gekommen, weil
das Gericht dann diese Parteien nicht wirksam geladen hätte und zu einer Vertagung
unter Ladung des gesetzlichen Vertreters gehalten gewesen wäre. Schließlich lagen
auch für den Fall, daß der Beschwerdeführer zu 1), der auch namens der Beklagten zu 1)
die Prozeßvollmacht an den Beschwerdeführer zu 2) erteilt hatte, nicht dazu berechtigt
war und insbesondere nicht mit Einverständnis des gesetzlichen Vertreters handelte,
jedenfalls nicht die Voraussetzungen für eine persönliche Kostenbelastung des insoweit
gutgläubigen Beschwerdeführers zu 2) vor. Insoweit hat nach dem
"Veranlassungsprinzip" ggf. ein zwischengeschalteter (fehlerhaft handelnder)
Vollmachtgeber zu haften (vgl. KG in
WuM 1996, 377 = KG-Report 1996, 119; ferner betr. ungeklärte Prozeßfähigkeit BGHZ
121, 400 = NJW 1993, 1865). Als Veranlasser kam hier allenfalls der Beschwerdeführer
zu 1) oder evtl. sogar der Kläger selbst aufgrund der von ihm mit den
Vertretungsangaben in der Klageschrift veranlaßten Art der Klagezustellung in Betracht,
nicht aber der Beschwerdeführer zu 2).
Bei einer derartigen Sach- und Rechtslage mußte der Beschwerdeführer unter keinen
Umständen damit rechnen, ohne vorherigen rechtlichen Hinweis und ohne Gelegenheit
zur Heilung des angeblichen Vollmachtsmangels zu den Kosten verurteilt zu werden. Die
Entscheidung des Landgerichts stellt insoweit eine mit dem Grundrecht auf Gewährung
rechtlichen Gehörs unvereinbare Überraschungsentscheidung dar.
c) Die Verfassungsverstöße führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung,
soweit zum Nachteil der Beschwerdeführer entschieden worden ist und in diesem
Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
39 Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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