Urteil des VerfGH Berlin vom 15.03.2017

VerfGH Berlin: aufschiebende wirkung, aufenthaltserlaubnis, grad des verschuldens, bundesamt für migration, verfassungsbeschwerde, hauptsache, öffentliche gewalt, innere sicherheit, ausweisungsgrund

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
103/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 19 Abs 4 S 1 GG, Art 6 Abs
1 GG, Art 6 Abs 2 GG, § 54 Nr
5a Alt 4 AufenthG, § 54 Nr 6
AufenthG
VerfGH Berlin: Verletzung des Grundrechts auf Gewährung
effektiven Rechtsschutzes aus Art 15 Abs 4 Verf BE durch
Unterlassen einer umfassenden Interessen- und
Folgenabwägung durch das OVG im Verfahren nach § 80 Abs 7
VwGO - Ablehnung der Herstellung der aufschiebenden Wirkung
der Aufenthaltsklage trotz günstiger Entscheidung in der
Hauptsache - Versagung vorläufigen Rechtsschutzes
Leitsatz
Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen
(hier: sofort vollziehbare Versagung der Aufenthaltserlaubnis und Abschiebungsandrohung)
haben die Verwaltungsgerichte zur Wahrung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art.
15 Abs. 4 VvB) regelmäßig im Einzelfall eine Interessen- und Folgenabwägung vorzunehmen.
Dabei kommt einer bereits ergangenen Hauptsacheentscheidung maßgebliche Bedeutung
zu.
Tenor
1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Juni 2007 -
OVG 3 S 36.07 - verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 15 Abs. 4 der
Verfassung von Berlin. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.
2. ...
3. ...
4. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit der
Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers wird in dem Verfahren VerfGH
103/07 auf 4.000 EUR und in dem Verfahren VerfGH 103 A/07 auf 2.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der 1974 geborene Beschwerdeführer ist jemenitischer Staatsangehöriger. Er reiste
1996 zu Studienzwecken ins Bundesgebiet ein. Er besuchte zunächst
studienvorbereitende Kollegien und begann danach mit dem Studium der
Humanmedizin an der Universität Greifswald. Im Jahr 1999 wechselte er an die Freie
Universität Berlin. Für die Durchführung des Studiums wurden ihm wiederholt
Aufenthaltsbewilligungen erteilt, zuletzt verlängert bis zum 21. April 2004. Im November
2006 bestand der Beschwerdeführer die ärztliche Prüfung. Im Januar 2007 wurde ihm
vom Landesamt für Gesundheit und Soziales die Erlaubnis zur vorübergehenden
Ausübung des ärztlichen Berufes im Land Berlin erteilt. Der Beschwerdeführer heiratete
im Juli 2003 eine deutsche Staatsangehörige, mit der er inzwischen zwei gemeinsame -
2004 und 2007 geborene - Kinder hat, die ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit
besitzen.
Mit Bescheid vom 18. November 2005 lehnte der Beteiligte zu 2. den Antrag des
Beschwerdeführers vom 1. Oktober 2003 auf Erteilung einer ehebedingten
Aufenthaltserlaubnis ab, wies ihn auf der Grundlage von § 54 Nr. 5a (1. und 2. Alt.) sowie
§ 54 Nr. 6 AufenthG aus dem Bundesgebiet aus und drohte ihm die Abschiebung an.
Der Beteiligte zu 2. begründete seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt: Der
Beschwerdeführer sei Mitglied der Hochschulgruppe für Kultur und Wissenschaft - AQIDA
- gewesen, bei der es sich um eine unselbständige universitäre Organisation der
islamistischen Hizb-ut-Tahrir (HuT) handele. Die HuT sei am 10. Januar 2003 durch das
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islamistischen Hizb-ut-Tahrir (HuT) handele. Die HuT sei am 10. Januar 2003 durch das
Bundesministerium des Innern verboten worden, weil sie sich gegen die
verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richte,
Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele befürworte und damit
durch ihre Betätigung die innere Sicherheit sowie sonstige Belange der Bundesrepublik
Deutschland gefährde. Der Beschwerdeführer sei als Vorstandsmitglied in führender
Rolle bei der AQIDA aktiv gewesen.
Am 12. August 2005 habe er als Vorbeter das Freitagsgebet in dem Gebetsraum der
Technischen Universität abgehalten. Vor ca. 150 gläubigen muslimischen Studenten
habe er die Geschichte von Moses und dem Pharao zum Anlass genommen, Parallelen
zum heutigen Irak zu ziehen und hierbei den amerikanischen Präsidenten Bush und den
(damaligen) britischen Premierminister Blair mit dem Pharao zu vergleichen. Er habe
ihnen das gleiche Schicksal wie dem Pharao angedroht und sie als Unterdrücker der
Muslime bezeichnet. Er habe die momentane "Schwäche" der Muslime beklagt und den
Wunsch ausgerufen, Allah möge die Feinde der Muslime vernichten. In der
herausgehobenen Stellung als Vorbeter seien diese Äußerungen geeignet, Zuhörer zu
gleich gelagerten propagandistischen Handlungen und anderen
Unterstützungshandlungen zu motivieren. Seine Äußerungen ließen sich auch nicht zu
einer bloßen Kritik an der Vorgehensweise der USA und Großbritanniens im Irak
herunterspielen.
Ferner habe der Beschwerdeführer mehrfach, zuletzt anlässlich eines am 12. Oktober
2005 mit ihm geführten Sicherheitsgesprächs, unrichtige bzw. unvollständige Angaben
dazu gemacht, dass er einen der mutmaßlichen Flugzeugattentäter vom 11. September
2001 gekannt habe. Deshalb sei auch der Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 6
AufenthG erfüllt. Bei Abwägung der öffentlichen Sicherheitsinteressen mit den privaten
Belangen des Beschwerdeführers überwiege das öffentliche Interesse an der
Ausweisung. Die beantragte Aufenthaltserlaubnis sei schon deshalb zu versagen, weil
der Ausweisungsgrund des § 54 Nr. 5a AufenthG vorliege.
Der Beschwerdeführer stellte daraufhin seine bereits am 4. Dezember 2004 beim
Verwaltungsgericht Berlin erhobene (Untätigkeits-)Klage um und beantragte, den
Beteiligten zu 2. unter Aufhebung des Bescheides vom 18. November 2005 zur Erteilung
der Aufenthaltserlaubnis zu verpflichten. Seinem Antrag, im Wege des vorläufigen
Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, gab das
Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 24. Mai 2006 statt. Auf die Beschwerde des
Beteiligten zu 2. wies das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg nach
Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Beschluss vom 11. Januar 2007 den
Antrag des Beschwerdeführers mit der Begründung zurück, es bestünden keine
ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Versagung der beantragten
Aufenthaltserlaubnis sowie an der Abschiebungsandrohung. Ganz Überwiegendes
spreche dafür, dass der Beschwerdeführer mit der Verwendung der "Pharao-Chiffre"
anlässlich des Freitagsgebets am 12. August 2005 den Ausweisungsgrund des
öffentlichen Aufrufs zur Gewaltanwendung (§ 54 Nr. 5a 4. Alt. AufenthG) erfüllt habe. Der
Beteiligte zu 2. habe mit seinem Beschwerdevorbringen aufgezeigt, dass der Vergleich
des amerikanischen Präsidenten Bush und des (damaligen) britischen Premierministers
Blair mit dem Pharao als Mordaufruf zu werten sei. Der Verweis auf den "Pharao" sei eine
insbesondere unter Islamisten übliche Chiffre, mit der Muslime zur Tötung von
Staatsoberhäuptern aufgerufen würden. Der Beschwerdeführer sei dieser
überzeugenden Interpretation seiner Predigt nicht entgegengetreten. Für die bewusste
Bezugnahme des Beschwerdeführers auf den Gewaltaufruf im "Pharao-Vergleich"
spreche außerdem seine Nähe zum islamistischen Umfeld der HuT. Die Verwirklichung
des Ausweisungstatbestandes gemäß § 54 Nr. 5a AufenthG habe zur Folge, dass dem
Beschwerdeführer gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auch keine Aufenthaltserlaubnis
erteilt werden dürfe. Der Beteiligte zu 2. sei auch nicht zu Ermessenserwägungen
verpflichtet gewesen.
Der Beschwerdeführer stellte im Januar 2007 einen Asylantrag, den das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 5. März 2007 als offensichtlich unbegründet
ablehnte und zugleich feststellte, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG
offensichtlich nicht vorlägen. Sein Asylbegehren verfolgte der Beschwerdeführer mit
einer am 14. März 2007 erhobenen Klage beim Verwaltungsgericht Berlin zunächst
weiter. Im Juli 2007 hat er seine Asylklage zurückgenommen.
Im aufenthaltsrechtlichen Verfahren beantragte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz
vom 23. April 2007 beim Verwaltungsgericht, unter Aufhebung des Beschlusses des
Oberverwaltungsgerichts vom 11. Januar 2007 nach § 80 Abs. 7 VwGO die aufschiebende
Wirkung der Klage erneut anzuordnen, und begründete dies im Wesentlichen mit
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Wirkung der Klage erneut anzuordnen, und begründete dies im Wesentlichen mit
"umfangreichen Erkenntnissen und Stellungnahmen", wonach von dem
Beschwerdeführer "keinerlei Gefahr" ausgehe und auch strafrechtliche
Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden seien.
Den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 24. April 2007, dem Beteiligten zu 2. im
Wege der Zwischenverfügung zu untersagen, vor der abschließenden Entscheidung über
den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes Abschiebungsmaßnahmen
durchzuführen, hob das Oberverwaltungsgericht auf die Beschwerde des Beteiligten zu
2. am selben Tag auf.
Am 26. April 2007 fand vor dem Verwaltungsgericht die mündliche Verhandlung im
Hauptsacheverfahren statt, in der der Sachverständige Dr. B. - ein ehemaliger
Lehrstuhlinhaber für Politik und Zeitgeschichte des Vorderen Orients - eingehend zur
Bedeutung der "Pharao-Chiffre" im Islam befragt wurde. Er äußerte sich hierbei u. a.
dahingehend, dass aus dem Wortlaut des (Predigt-)Textes, wie er ihm vorliege, auch
nicht "anspielungsweise" auf einen Mordaufruf zu schließen sei. Allerdings müsse er
hierzu noch mehr über den Kontext und darüber wissen, wie sich der Kreis der
Zuhörerschaft zusammengesetzt habe, um zu sagen, ob bei diesen Menschen ein
anderes Verständnis möglich wäre.
Durch Urteil vom selben Tag verpflichtete das Verwaltungsgericht den Beteiligten zu 2.
unter Aufhebung des Bescheides vom 18. November 2005, dem Beschwerdeführer eine
Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, der
Beschwerdeführer habe Anspruch auf die begehrte Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke
des Familiennachzugs, weil ihrer Erteilung die im Bescheid aufgeführten
Ausweisungsgründe nicht entgegenstünden. Insbesondere habe der Beschwerdeführer
nicht den Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5a AufenthG erfüllt, da mangels
ausreichender Kenntnisse der konkreten Umstände nicht feststünde, dass seine
Äußerungen anlässlich des Freitagsgebets am 12. August 2005 einen Aufruf zur Gewalt
darstellten. Das Verwaltungsgericht verwies auf den erhobenen
Sachverständigenbeweis, wonach allein aus dem Wortlaut der Predigt - soweit dieser
bekannt sei - kein derartiger Aufruf gefolgert werden könne.
Der Beschwerdeführer habe auch durch seine unrichtige Erklärung anlässlich der
Sicherheitsbefragung vom 12. Oktober 2005, keine Terroristen zu kennen oder Kontakt
zu ihnen zu haben, nicht den Regelausweisungsgrund des § 54 Nr. 6 AufenthG erfüllt.
Seine Angaben seien zwar objektiv falsch gewesen, weil der Beschwerdeführer - wie er in
einer Befragung durch das Bundeskriminalamt am 9. Oktober 2001 eingeräumt habe -
einen der Flugzeugattentäter des 11. September 2001 gekannt habe; das Verschulden
des Beschwerdeführers, der nur dem Rat seiner Rechtsanwältin gefolgt sei, müsse
jedoch als gering eingestuft werden. Angesichts des geringen Unrechtsgehalts der
falschen Angabe sei der Ausweisungstatbestand nicht als erfüllt anzusehen.
Mit Beschluss vom 26. April 2007 ordnete das Verwaltungsgericht unter Aufhebung des
Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts vom 11. Januar 2007 gemäß § 80 Abs. 7
VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis sowie
bezüglich der Abschiebungsandrohung an und führte zur Begründung aus, die
Prozesslage des Hauptsacheverfahrens habe sich aufgrund neuer Erkenntnisse in der
mündlichen Verhandlung, insbesondere durch Vernehmung des Sachverständigen Dr.
B., verändert; zudem sei der Klage stattgegeben worden.
Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2. hob das Oberverwaltungsgericht mit dem
angefochtenen Beschluss vom 28. Juni 2007 diese Entscheidung auf. Zur Begründung
führte es aus, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts rechtfertigten weder
das Ergebnis der Vernehmung des Sachverständigen Dr. B. in der mündlichen
Verhandlung vom 26. April 2007 noch die stattgebende erstinstanzliche Entscheidung in
der Hauptsache die Annahme veränderter entscheidungserheblicher Umstände i. S. von
§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO. Das Vorliegen des Ausweisungstatbestandes des § 54 Nr. 5a
4. Alt AufenthG werde durch die Äußerungen des Sachverständigen Dr. B. in der
mündlichen Verhandlung nicht in Zweifel gezogen. Zwar habe der Sachverständige dem
vom Beschwerdeführer bei seiner Predigt am 12. August 2005 verwendeten "Pharao-
Vergleich" die Eignung eines Gewaltaufrufs abgesprochen und ausdrücklich erklärt, aus
dem Wortlaut des (Predigt-)Textes, so wie er ihm vermittelt worden sei, könne man auch
nicht anspielungsweise auf einen Mordaufruf schließen. Diese Feststellung beruhe jedoch
auf allgemeinen, vom konkreten Fall losgelösten Betrachtungen. So habe der
Sachverständige seine Feststellung durch die Bemerkung eingeschränkt, er habe hierbei
die Hintergründe der HuT und die Verbindung des Beschwerdeführers zu dieser
Vereinigung auslassen müssen, weil der Beweisbeschluss dies nicht erfordert habe. Die
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Vereinigung auslassen müssen, weil der Beweisbeschluss dies nicht erfordert habe. Die
Äußerungen des Sachverständigen beträfen daher nicht die tragende, auf den konkreten
Fall des Beschwerdeführers bezogene Erwägung des Beschlusses vom 11. Januar 2007.
Soweit der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem
Verwaltungsgericht in Abrede gestellt habe, davon gewusst zu haben, dass der Begriff
des Pharao von terroristischen Organisationen als Chiffre (im Sinne eines verdeckten
Gewaltaufrufs) verwendet werde, erfülle auch dies die Voraussetzungen des § 80 Abs. 7
Satz 2 VwGO nicht. Bei den dahingehenden Einlassungen handele es sich nicht um
Umstände, die im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht hätten geltend
gemacht werden können. Der Beschwerdeführer habe in der mündlichen Verhandlung
vor dem Senat am 11. Januar 2007 ausreichend Gelegenheit gehabt, seine - angebliche
- Unkenntnis vom Bedeutungsgehalt des Pharaovergleichs vorzubringen. Diese
Gelegenheit habe er nicht wahrgenommen, obwohl es sich ihm habe aufdrängen
müssen, alle ihn vom Vorwurf eines öffentlichen Gewaltaufrufs entlastenden Umstände
darzutun.
Weitere Erkenntnisse, die die Annahme nachträglich veränderter Umstände gegenüber
dem Beschluss vom 11. Januar 2007 rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich. Allein
die Tatsache, dass das Verwaltungsgericht der Klage des Beschwerdeführers
stattgegeben habe, stelle einen solchen Umstand nicht dar. Das Urteil sei noch nicht
rechtskräftig, und es sei zu erwarten, dass Rechtsmittel dagegen eingelegt würden.
Es bestehe auch kein Grund, den Beschluss vom 11. Januar 2007 von Amts wegen zu
ändern. Der Senat habe in dem genannten Beschluss dargelegt, dass der
Beschwerdeführer den Ausweisungsgrund des § 54 Nr. 5a 4. Alt AufenthG mit der Folge
verwirklicht habe, dass ihm auch im Lichte des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG der begehrte
Aufenthaltstitel versagt bleiben müsse (§ 5 Abs. 4 AufenthG). Eine davon abweichende
Einschätzung erlaube insbesondere das Ergebnis der vom Verwaltungsgericht
vorgenommenen Beweisaufnahme nicht.
Abgesehen davon sei eine Änderung des Beschlusses vom 11. Januar 2007 nach § 80
Abs. 7 Satz 1 VwGO deswegen nicht veranlasst, weil das anhängige Asylverfahren
gemäß § 10 Abs. 1 AufenthG der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zwingend
entgegenstehe und der Klage damit keine Aussicht auf Erfolg zukomme. Dem
Beschwerdeführer stehe insbesondere kein gesetzlicher Anspruch (auf Erteilung eines
Aufenthaltstitels) zur Seite. Zwar begehre er die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur
Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet mit seiner deutschen
Ehefrau und seinen beiden ebenfalls deutschen Kindern, was gemäß §§ 27 Abs. 1, 28
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 AufenthG an sich einen gesetzlichen
Aufenthaltserlaubnisanspruch begründe. Dem stehe jedoch entgegen, dass es an der
Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, dem Nichtvorliegen eines
Ausweisungsgrundes, fehle, so dass dem Beschwerdeführer nach § 27 Abs. 3 Satz 2
AufenthG lediglich ein für § 10 Abs. 1 AufenthG nicht genügender Anspruch auf
ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Absehen von dieser
Regelerteilungsvoraussetzung und damit über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis
zustehe.
Der Beschwerdeführer müsse sich - unabhängig von der zwischen den Beteiligten
strittigen Frage, ob der Ausweisungsgrund des § 54 Nr. 5a 4. Alt. AufenthG gegeben sei -
den Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 6 AufenthG entgegenhalten lassen. Diesen
Ausweisungsgrund habe er dadurch erfüllt, dass er im Rahmen des
Sicherheitsgesprächs am 12. Oktober 2005 eine vom 7. Mai 2004 stammende Erklärung
vorgelegt und weitere Angaben verweigert habe, obwohl er entgegen dem objektiven
Inhalt der Erklärung zumindest einen der (mutmaßlichen) Attentäter des 11. September
2001 gekannt habe. Dies habe auch das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt.
Entgegen der Auffassung im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 26. April 2007 komme
es für die Erfüllung des Tatbestandes insoweit auf ein Verschulden des
Beschwerdeführers nicht an, da das Ausländerrecht Teil des Gefahrenabwehrrechts sei.
Der Grad des Verschuldens könne zwar bei der Prüfung einer auf § 54 Nr. 6 AufenthG
gestützten Ausweisung berücksichtigt werden, hier komme es im Rahmen von § 5 Abs. 1
Nr. 2 AufenthG jedoch allein auf die Erfüllung des Ausweisungstatbestandes an. Im
Übrigen sei der Beschwerdeführer zu Beginn des Sicherheitsgesprächs ausdrücklich über
den Inhalt von § 54 Nr. 6 AufenthG belehrt worden. Ihn könne daher auch die
behauptete, der Belehrung zuwiderlaufende Beratung durch seine Rechtsanwältin nicht
entlasten. Dies gelte auch im Hinblick auf die intellektuelle Befähigung des
Beschwerdeführers.
Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss
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Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss
des Oberverwaltungsgerichts vom 28. Juni 2007 und rügt eine Verletzung seiner
verfassungsrechtlich geschützten Rechte aus Art. 8 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1
sowie Art. 15 Abs. 1 und Abs. 4 der Verfassung von Berlin - VvB -.
Zur Begründung trägt der Beschwerdeführer vor: Die Verfassungsbeschwerde sei
zulässig, da er bereits durch die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes in seinen
verfassungsmäßigen Rechten verletzt sei und wegen der drohenden Abschiebung nicht
darauf verwiesen werden könne, das Hauptsacheverfahren abzuwarten.
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verletze ihn in seinem Recht auf Gewährung
effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 15 Abs. 4 VvB, weil das Gericht die aufschiebende
Wirkung der Aufenthaltsklage abgelehnt habe, obgleich es bereits eine für den
Beschwerdeführer günstige Entscheidung in der Hauptsache gebe. Bei einer solchen
Konstellation bedürfe es eines besonderen öffentlichen Interesses am Sofortvollzug der
angegriffenen Maßnahme, das vom Oberverwaltungsgericht nicht dargelegt worden sei.
Zudem habe das Oberverwaltungsgericht wegen der positiven Hauptsacheentscheidung
des Verwaltungsgerichts nur eine eingeschränkte Prüfungskompetenz, die lediglich bei
der Feststellung eines überragenden öffentlichen Interesses und akuter
Sicherheitsrisiken eine Änderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts
rechtfertigen könne. Feststellungen dazu, dass sich die vom Beschwerdeführer
ausgehende, mit der Ausweisung und der Versagung der Aufenthaltserlaubnis
bekämpfte Gefahr bereits vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren werde,
fehlten im angegriffenen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts.
Zudem habe das Oberverwaltungsgericht Art. 15 Abs. 4 VvB auch deshalb verletzt, weil
es sich im summarischen Verfahren über die stattgebende Hauptsacheentscheidung
des Verwaltungsgerichts hinweggesetzt habe, ohne sich in der gebotenen Ausführlichkeit
und Gründlichkeit mit dieser Entscheidung auseinander zu setzen. Es sei bereits nicht
haltbar, dass das Oberverwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 80 Abs. 7 VwGO
verneint habe, obwohl eine umfangreiche Beweisaufnahme stattgefunden habe und eine
positive erstinstanzliche Hauptsacheentscheidung vorliege.
Auch soweit das Oberverwaltungsgericht sich in der angegriffenen Entscheidung
erstmals auf das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes nach § 54 Nr. 6 AufenthG stütze,
fehle es an einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Regelungsinhalt und dem
Schutzbereich der Vorschrift. Zutreffend habe das Verwaltungsgericht festgestellt, dass
sich aus dem systematischen Zusammenhang der Vorschrift ergebe, dass die
"unrichtigen oder unvollständigen Angaben" einen den sonstigen Fällen des § 54
AufenthG vergleichbaren Unrechtsgehalt aufweisen müssten. Daran aber fehle es hier:
Die schriftliche Erklärung des Beschwerdeführers sei von seiner
Verfahrensbevollmächtigten in Kenntnis seiner Angaben beim Bundeskriminalamt zu
einem der mutmaßlichen Attentäter des 11. September 2001 bewusst aufgesetzt
worden. Darin erkläre der Beschwerdeführer, dass er keine entsprechenden Personen
"kennt" und nicht "gekannt habe". Dem Beschwerdeführer sei von seiner
Verfahrensbevollmächtigten versichert worden, dass damit der Erklärungsinhalt
zutreffend sei und die flüchtige Bekanntschaft mit einer solchen Person gerade nicht
entgegenstehe. Damit liege bereits der Tatbestand des § 54 Nr. 6 AufenthG nicht vor.
Das Oberverwaltungsgericht hätte sich mit den entsprechenden Ausführungen des
Verwaltungsgerichts auseinandersetzen müssen. Im Übrigen sei - mit Blick auf den
Versagungsgrund des § 10 Abs. 1 AufenthG - die Asylklage mittlerweile
zurückgenommen worden.
Im Hinblick auf den vom Oberverwaltungsgericht bejahten Ausweisungsgrund des § 54
Nr. 5a 4. Alt. AufenthG rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte
aus Art. 14 Abs. 1 und Art. 29 Abs. 1 VvB.
Zudem verletze der Beschluss den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Achtung
des Privat- und Familienlebens aus Art. 12 Abs. 1 VvB, da das Oberverwaltungsgericht
die Verhältnismäßigkeit der angegriffenen ausländerrechtlichen Maßnahmen im Hinblick
auf die familiären und wirtschaftlichen Bindungen des Beschwerdeführers im
Bundesgebiet nicht geprüft habe.
Die Beteiligten haben gemäß § 53 Abs. 1 VerfGHG Gelegenheit zur Stellungnahme
erhalten.
Mit Beschluss vom 27. September 2007 hat der Verfassungsgerichtshof einem Antrag
des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben (VerfGH
103 A/07).
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II.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, insbesondere ist der Rechtsweg im Sinne von
§ 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG erschöpft. Der Beschwerdeführer kann nicht auf die noch
ausstehende rechtskräftige Entscheidung im Hauptsacheverfahren verwiesen werden,
denn der geltend gemachte Grundrechtsverstoß beruht gerade auf der Versagung von
Eilrechtsschutz (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 35, 382 <397 f.>). Bereits die
Versagung vorläufigen Rechtsschutzes hat die Möglichkeit einer Abschiebung des
Beschwerdeführers und damit u. a. die Vereitelung des von ihm beanspruchten Rechtes
auf ein ununterbrochenes familiäres Zusammenleben aus Art. 12 Abs. 1 VvB zur Folge.
Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht ebenfalls nicht entgegen, dass der
Beschwerdeführer nach Rücknahme seiner Asylklage - soweit bekannt - keinen erneuten
Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO gestellt hat. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht
die Versagung von Eilrechtsschutz im angegriffenen Beschluss auch mit einer durch das
- zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossene - Asylverfahren ausgelösten
Sperrwirkung für die Erteilung der begehrten Aufenthaltserlaubnis begründet, so dass im
Hinblick darauf durch die Rücknahme der Asylklage veränderte Umstände eingetreten
sind. Ein erneuter Antrag nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO durch den Beschwerdeführer
wäre gleichwohl offensichtlich aussichtslos, weil das Oberverwaltungsgericht seine
Entscheidung unabhängig von der Annahme einer Sperrwirkung des Asylverfahrens
zusätzlich und in erster Linie damit begründet hat, dass der Beschwerdeführer den
Ausweisungsgrund des § 54 Nr. 5a 4. Alt. AufenthG erfüllt und ihm deshalb auch im
Lichte des Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG der begehrte Aufenthaltstitel versagt bleiben
müsse. Für diesen maßgeblichen Grund ist die Rücknahme der Asylklage ohne
Bedeutung.
Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde mutet einem
Beschwerdeführer nicht zu, ersichtlich aussichtslose Rechtsbehelfe - wie hier, wenn
vorangegangene Entscheidungen das Ergebnis eines möglichen Rechtsbehelfs bereits
vorzeichnen - zu ergreifen (vgl. für das Bundesrecht: BVerfG, NJW 2005, 1105 <1106>;
BVerfGE 38, 105 <110>; vgl. auch BVerfGE 9, 3 <7 f.>).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat dem
Beschwerdeführer verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz unter Verletzung seines
Grundrechts auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art. 15 Abs. 4 VvB versagt.
a) Nach Art. 15 Abs. 4 Satz 1 VvB (gleich lautend Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) steht
demjenigen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, der
Rechtsweg offen. Diese Verfassungsbestimmung garantiert nicht nur die Möglichkeit, die
Gerichte anzurufen, sondern sie verbürgt auch die Effektivität des Rechtsschutzes
(Beschluss vom 17. Juni 1996 - VerfGH 40 A/96 - LVerfGE 4, 76 <78>). Soweit
Verwaltungsakte, die in die Rechte von Bürgern eingreifen, kraft Gesetzes oder auf
Grund besonderer behördlicher Anordnung sofort vollziehbar sind (vgl. § 80 Abs. 2
VwGO) und Rechtsbehelfe deshalb abweichend von § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine
aufschiebende Wirkung haben, kann umfassender und effektiver Rechtsschutz mit Hilfe
des vorläufigen Rechtsschutzes erlangt werden, indem das Gericht die aufschiebende
Wirkung von Rechtsbehelfen im Einzelfall anordnet bzw. wieder herstellt (§ 80 Abs. 5
VwGO). Vorläufiger Rechtsschutz ist dabei zu gewähren, wenn ohne ihn eine erhebliche
Verletzung der Rechte des Antragstellers droht, die durch die Entscheidung in der
Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl. BVerfGE 46, 166 <179> zur
einstweiligen Anordnung im Sozialgerichtsprozess). Allerdings gewährleistet Art. 15 Abs.
4 VvB die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen im Verwaltungsprozess nicht
schlechthin. Überwiegende öffentliche Belange können es rechtfertigen, den
Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um
unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig zu treffen.
Für die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes trotz anhängiger Rechtsbehelfe ist
jedoch ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über jenes Interesse
hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der Rechtsschutzanspruch des
Bürgers ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerer die
ihm auferlegte Belastung wiegt und je mehr die Maßnahme der Verwaltung vollendete
Tatsachen schafft (vgl. für das Bundesrecht: BVerfG, AuAS 1996, S. 62 <63>; NVwZ
2005, 1053 <1054>; BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 69, 220 <227>).
Bei der Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug und dem
privaten Interesse an der aufschiebenden Wirkung kommt den Erfolgsaussichten des
Rechtsbehelfs eine wichtige Bedeutung zu (vgl. BVerfG, NVwZ 1982, 241; AuAS 1996, 62
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Rechtsbehelfs eine wichtige Bedeutung zu (vgl. BVerfG, NVwZ 1982, 241; AuAS 1996, 62
ff). Die von den Fachgerichten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
vorzunehmende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ersetzt aber nicht die
dem Gericht obliegende Entscheidung, ob das Individualinteresse im Einzelfall Vorrang
vor dem Gemeinwohlinteresse genießt (vgl. BVerfG, NVwZ-RR 1999, 217 <218>; NVwZ
1996, 58 <60>). Eine konkrete Interessen- und Folgenabwägung ist jedenfalls bei - wie
hier - schwerwiegenden Grundrechtseingriffen zur Wahrung des Anspruchs auf effektiven
Rechtsschutz erforderlich, wenn sich die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Maßnahme
nicht ohne weiteres erschließt, d. h. nicht offensichtlich ist (BVerfGE 69, 220 <229>; AP
Nr. 12 zu Art. 19 GG; NJW 2003, 3618 <3619>; vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 15. Mai 2007 - 18 B 2067/06 -, nach JURIS).
Wenn - wie regelmäßig - das vorläufige Rechtsschutzverfahren dem Klageverfahren
vorangeht und eine (auch nur erstinstanzliche) Hauptsacheentscheidung noch nicht
vorliegt, müssen die Erfolgsaussichten des Widerspruchs oder der Klage, deren
aufschiebende Wirkung beantragt ist, vom Gericht des vorläufigen Rechtsschutzes
erstmals eigenständig vorausschauend beurteilt werden. Anders ist dies, wenn im
Zeitpunkt der Entscheidung über einen Eilantrag das Gericht im Klageverfahren bereits
entschieden hat. Das Gericht des vorläufigen Rechtsschutzes kann dann auf eine im
Hauptsacheverfahren erfolgte Prüfung der Rechtslage zurückgreifen. Der
Hauptsacheentscheidung kommt daher für das vorläufige Rechtsschutzverfahren, was
die Einschätzung der Erfolgsaussichten der Klage angeht, erhebliche Bedeutung zu. Dies
trägt den regelmäßig besseren Erkenntnismöglichkeiten und verstärkten
Einwirkungsmöglichkeiten der Beteiligten im Hauptsacheverfahren Rechnung, zumal
wenn die Entscheidung nach Beweiserhebung ergeht (vgl. VGH Baden-Württemberg,
BauR 1995, 828 f.). Die prozessuale Unsicherheit aufgrund einer nur summarischen
Prüfung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kann mit dem Erlass einer
Hauptsacheentscheidung - wenn auch vorläufig - weitgehend als beseitigt angesehen
werden (BVerwGE 96, 239 <243> - dort für den umgekehrten Fall einer erstinstanzlichen
Klageabweisung). Eine dem im Hauptsacheverfahren gefundenen (für den Kläger
positiven) Ergebnis widersprechende Eilentscheidung kann deshalb ohne Verstoß gegen
das Verfahrensgrundrecht des Art. 15 Abs. 4 VvB nur ausnahmsweise, etwa bei
schwerwiegenden und offensichtlichen Mängeln der Hauptsacheentscheidung (in diese
Richtung BVerwGE 96, 239 <245 f.>; VGH Baden-Württemberg, a. a. O.) oder sonst bei
gleichwertigen Erkenntnismöglichkeiten und vergleichbar genauer und intensiver Prüfung
wie im Hauptsacheverfahren verfassungsrechtlich tragfähig sein; denn es ist
grundsätzlich nicht Aufgabe des Eilverfahrens, den endgültigen Ausgang des
Hauptsacheverfahrens auf diese Weise vorwegzunehmen (vgl. BVerfG, NVwZ-RR 1999,
217 <218>).
Die dargelegten Maßstäbe gelten auch in ausländerrechtlichen Verfahren, in denen die
Beendigung eines Aufenthalts in Rede steht, und zwar grundsätzlich unabhängig davon,
ob der Sofortvollzug eines den Aufenthalt beendenden Verwaltungsaktes - wie hier
(Versagung der begehrten Aufenthaltserlaubnis sowie die Androhung der Abschiebung) -
einer gesetzlichen (vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) oder aber einer behördlichen Anordnung
(vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) entspringt (vgl. BVerfGE 69, 220 <229>; AuAS 1996, 62 ff.;
DVBl 1999, 163 <165>; NJW-RR 2001, 1268 <1269>; NJW 2004, 93 <94>).
b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung
nicht gerecht.
aa) Sie lässt - auch unter Berücksichtigung des von ihr in Bezug genommenen
Beschlusses vom 11. Januar 2007 - hinreichende, auf Tatsachen gestützte Erwägungen
des Inhalts vermissen, es bestehe in der Zeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der
Hauptsache ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse an der sofortigen
Durchsetzung der - hier allein aus der Versagung der beantragten Aufenthaltserlaubnis
abgeleiteten, kraft Gesetzes (§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) sofort vollziehbaren -
Ausreisepflicht des Beschwerdeführers, das über dessen erhebliche private,
insbesondere familiäre Interessen am - zumindest vorläufigen - Verbleib im
Bundesgebiet hinausgeht. Eine solche konkrete Interessen- und Folgenabwägung für die
Zeit bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache war nicht
schon deshalb entbehrlich, weil - wie vom Oberverwaltungsgericht in den Beschlüssen
vom 11. Januar und 28. Juni 2007 näher dargelegt - der Gesetzgeber durch die Regelung
des § 5 Abs. 4 Satz 1 AufenthG (i. V. m. § 54 Nr. 5a 4. Alt. AufenthG) den
Interessenkonflikt zwischen den Sicherheitsinteressen des Staates und den
grundrechtlich geschützten familiären Belangen des Betroffenen zugunsten der
Sicherheitsinteressen entschieden habe. Damit ist lediglich das allgemeine öffentliche
Interesse und das (gesetzgeberische) Motiv für den Erlass entsprechender
Verwaltungsakte beschrieben. Das in jedem Einzelfall konkret darzulegende besondere
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Verwaltungsakte beschrieben. Das in jedem Einzelfall konkret darzulegende besondere
Vollzugsinteresse lässt sich allein hiermit nicht begründen.
bb) Eine verfassungsrechtlich tragfähige Rechtfertigung für die Aufhebung der vom
Verwaltungsgericht nach § 80 Abs. 7 VwGO angeordneten Aussetzung der sofortigen
Vollziehung und die damit zulasten des Beschwerdeführers verbundene Verkürzung
effektiven Rechtsschutzes ist auch sonst nicht ersichtlich.
(1) Eine solche lässt sich nicht daraus herleiten, dass es sich vorliegend um eine
Entscheidung nach § 80 Abs. 7 VwGO handelt. Zwar mag im Falle des § 80 Abs. 7 Satz 2
VwGO - wie der Beteiligte zu 1. in seiner Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde
ausgeführt hat - eine erneute umfassende Interessenabwägung entbehrlich sein, wenn
bereits die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Änderungsantrag fehlen. Ersichtlich
haben jedoch sowohl das Verwaltungsgericht als auch das Oberverwaltungsgericht eine
Änderung des ursprünglichen Beschlusses vom 11. Januar 2007 auch gemäß § 80 Abs. 7
Satz 1 VwGO, also von Amts wegen, geprüft. Der Maßstab einer solchen Prüfung
entspricht dem einer erstmaligen Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO (vgl. BVerwGE
96, 239 <240>), d. h. die Einschränkungen des
§ 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO gelten insofern nicht. Das Oberverwaltungsgericht hätte
deshalb in dem angefochtenen Beschluss eine umfassende Prüfung und
Interessenabwägung - im oben dargestellten Sinn - vornehmen müssen. Daran fehlt es.
Anders als bei der Prüfung eines Anspruchs auf Änderung der Aussetzungsentscheidung
nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO ist für die Entscheidung nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO
schon nach einfachem Recht eine Präklusion für verspätetes Vorbringen (von im
ursprünglichen Verfahren schuldhaft nicht geltend gemachten Umständen) nicht
vorgesehen. Das Oberverwaltungsgericht hätte deshalb bei der Überprüfung der
verwaltungsgerichtlichen Aussetzungsentscheidung nach § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO nicht
unbeachtet lassen dürfen, dass sich der Kläger und Beschwerdeführer in der mündlichen
Verhandlung zur Hauptsache vor dem Verwaltungsgericht - anders als in der mündlichen
Verhandlung im Eilverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht am 11. Januar 2007 -
erstmals selbst zu dem "Pharao-Vergleich" eingelassen und eine Kenntnis von dessen
"Chiffre"- Bedeutung als Mordaufruf in Abrede gestellt hat. Dies gilt umso mehr, als das
Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang selbst auf Seite 5 des angegriffenen
Beschlusses von "entlastenden Umständen" bezüglich des Vorwurfs eines öffentlichen
Gewaltaufrufs spricht.
(2) Außerdem durfte das Oberverwaltungsgericht die erforderliche Abwägung des
öffentlichen Vollzugsinteresses mit den privaten Belangen des Beschwerdeführers nicht
auf den von ihm offenbar für allein maßgeblich erachteten Gesichtspunkt fehlender
Erfolgsaussichten der Verpflichtungsklage auf Erteilung der beantragten
Aufenthaltserlaubnis zur Fortführung der ehelichen (und inzwischen auch familiären)
Lebensgemeinschaft reduzieren, zumal sich die Rechtmäßigkeit der angefochtenen
Ablehnung und Abschiebungsandrohung - jedenfalls nach dem gegenwärtigen
Erkenntnisstand - nicht ohne weiteres erschließt.
Ob und ggf. unter welchen Umständen die Prognose offensichtlicher Aussichtslosigkeit
von Rechtsmitteln gegen aufenthaltsbeendende Maßnahmen allein - ohne die
regelmäßig erforderliche Abwägung im Einzelfall unter Berücksichtigung etwaiger
Gefährdungen bis zum Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache - den Sofortvollzug
der Abschiebung des Ausländers rechtfertigen kann, bedarf aus Anlass des vorliegenden
Falles keiner weiteren Erörterung und Entscheidung. Weder hat das
Oberverwaltungsgericht die offensichtliche Rechtmäßigkeit der angefochtenen
Ablehnung einer weiteren Aufenthaltsgenehmigung und der Abschiebungsandrohung
ausdrücklich festgestellt noch hat es eine - wie der Verfassungsgerichtshof bereits in
seinem Beschluss zum Erlass der einstweiligen Anordnung vom 27. September 2007
(VerfGH 103 A/07) angeführt hat - aktuelle, vom Beschwerdeführer ausgehende
islamistische oder gar terroristische Bedrohung, die sich bereits während des
anhängigen Hauptsacheverfahrens verwirklichen könnte, angenommen oder auch nur
unterstellt.
So äußert sich das Oberverwaltungsgericht schon nicht ausdrücklich dazu, ob es ein
Unterliegen des Beschwerdeführers im Hauptsacheverfahren lediglich für wahrscheinlich
oder für offensichtlich hält. Für eine diesbezüglich klare Stellungnahme hätte aber schon
deshalb Anlass bestanden, weil der Beschwerdeführer im Hauptsacheverfahren erster
Instanz vor dem Verwaltungsgericht obsiegt hat, mithin die Annahme, dass die Klage
gleichwohl offensichtlich keine Erfolgsaussichten habe, angesichts dieser gegenteiligen
Kollegialentscheidung jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung des
Oberverwaltungsgerichts nicht naheliegend erschien. Sogar der Beteiligte zu 2. geht in
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Oberverwaltungsgerichts nicht naheliegend erschien. Sogar der Beteiligte zu 2. geht in
seiner Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde davon aus, dass in materieller
Hinsicht "noch alles offen" sei.
Dabei kann der Verfassungsgerichtshof für den vorliegenden Fall offen lassen, ob es
verfassungsrechtlich hinnehmbar ist, dass sich das Oberverwaltungsgericht aufgrund
seiner summarischen Prüfung im Eilverfahren über die für den Beschwerdeführer
günstige Beweiswürdigung im erstinstanzlichen Hauptsacheverfahren (zu Inhalt und
Bedeutungsgehalt des ihm in erster Linie vorgeworfenen "Pharao-Vergleichs")
hinwegsetzen durfte. Jedenfalls fehlt für eine tragfähige Prognose der Erfolgsaussichten
der Klage (im Hinblick auf den eine Aufenthaltserlaubnis ausschließenden
Ausweisungsgrund des öffentlichen Gewaltaufrufs nach § 54 Nr. 5a 4. Alt. i.V.m. § 5 Abs.
4 AufenthG) durch das Oberverwaltungsgericht die Auseinandersetzung mit den
Einlassungen des Beschwerdeführers zum "Pharao-Vergleich" vor dem
Verwaltungsgericht und zu dessen Schlussfolgerungen hinsichtlich des Kreises der
Zuhörer.
(3) Auch soweit das Oberverwaltungsgericht die Annahme fehlender Erfolgsaussichten
der Klage zusätzlich auf den Versagungsgrund des § 10 Abs. 1 AufenthG wegen
Vorliegens eines Ausweisungsgrundes gemäß § 54 Nr. 6 AufenthG gestützt hat, ist es
schon nicht - oder jedenfalls nicht erkennbar - von einer daraus folgenden
offensichtlichen Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis und Androhung
der Abschiebung ausgegangen. Auf dieser Grundlage hätte das Oberverwaltungsgericht
im Übrigen im Rahmen des Eilverfahrens ein überwiegendes Vollzugsinteresse allenfalls
dann annehmen dürfen, wenn es den Beschwerdeführer zuvor hierauf hingewiesen und
ihm damit die Möglichkeit zur Ausräumung des daraus abgeleiteten
Aufenthaltserlaubnis-Versagungsgrundes (durch Rücknahme seiner Asylklage wie
inzwischen geschehen) gegeben hätte. Aus der Sicht des Oberverwaltungsgerichts war
zum Zeitpunkt des Beschlusses eine verlässliche Prognose, ob dieses Hindernis in dem
für die Entscheidung der Hauptsache maßgeblichen Zeitpunkt der künftigen
Berufungsverhandlung noch vorhanden sein würde, nicht möglich.
Obwohl sich die summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Klage im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren naturgemäß am "Ist"-Zustand, also an der gegenwärtigen Sach-
und Rechtslage orientieren muss, dürfen jedoch, weil eine Prognoseeinschätzung über
den wahrscheinlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens getroffen werden soll, zur
Wahrung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz bereits absehbare oder
wahrscheinliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage nicht ausgeblendet werden (vgl.
etwa OVG Berlin, DÖV 1999, 169 zu einer baurechtlichen Nachbarklage; ferner
Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, Rn. 147 und 158 zu § 80). Die Möglichkeit, dass
das Hindernis des § 10 Abs. 1 AufenthG bis zur Berufungsentscheidung wegfallen
konnte, entweder durch rechtskräftiges Asylurteil oder durch Rücknahme der Asylklage,
war jedenfalls nahe liegend.
Das Oberverwaltungsgericht hat mit dem Unterlassen einer (erneuten und)
umfassenden Interessen- und Folgenabwägung im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO,
unter Berücksichtigung namentlich des grundrechtlichen Schutzes von Ehe und Familie
aus Art. 12 Abs. 1 VvB, das Recht des Beschwerdeführers auf wirkungsvollen
Rechtsschutz aus Art. 15 Abs. 4 VvB verletzt.
c) Der angegriffene Beschluss beruht auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Es ist
nicht auszuschließen, dass das Oberverwaltungsgericht bei Berücksichtigung der sich
aus Art. 15 Abs. 4 VvB ergebenden Vorgaben zu einer anderen, für den
Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangt wäre.
Da die Verfassungsbeschwerde aus den genannten Gründen Erfolg hat, kann offen
bleiben, ob auch die übrigen vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen zulässig und
begründet sind.
3. Nach § 54 Abs. 3 VerfGHG ist der angegriffene Beschluss des
Oberverwaltungsgerichts aufzuheben und die Sache in entsprechender Anwendung des
§ 95 Abs. 2 Halbs. 2 BVerfGG an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 33, 34 VerfGHG i. V. m. § 33 Abs. 1, § 37
Abs. 2 Satz 2 RVG.
Mit dieser Entscheidung ist das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof
abgeschlossen.
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