Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: wissenschaft und forschung, universität, zahnmedizin, wissenschaftsfreiheit, hochschule, faktisches monopol, anhörung, staat, fakultät, verwaltung

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
44/96
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 5 Abs 3 GG, Art 70 Abs 1
GG, Art 72 GG, Art 75 Abs 1 Nr
1a GG, Art 75 Abs 3 GG
Diese Entscheidung hat
Gesetzeskraft.
VerfGH Berlin: Verletzung der Wissenschaftsfreiheit durch
Aufhebung eines Studienganges an der FU Berlin und der
Humboldt-Universität durch mangelhafte Anhörung der
Hochschulen
Tenor
1. Art. II § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Art. II § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Beseitigung des
strukturellen Ungleichgewichts des Haushalts (Haushaltsstrukturgesetz 1996 - HStrG
96) vom 15. April 1996 (GVBl. S. 126) sind mit Art. 21 Satz 1 der Verfassung von Berlin
unvereinbar und nichtig.
2. ...
3. ...
Gründe
I.
Die 63 Antragsteller machen als Mitglieder des Abgeordnetenhauses von Berlin im
Verfahren der abstrakten Normenkontrolle geltend, Art. II § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Art. II § 2
Abs. 2 des Gesetzes zur Beseitigung des strukturellen Ungleichgewichts des Haushalts
(Haushaltsstrukturgesetz 1996 - HStrG 96) vom 15. April 1996 (GVBl. S. 126) verstießen
gegen die Verfassung von Berlin (VvB) vom 23. November 1995 (GVBl. S. 779) und
seien deshalb für nichtig zu erklären. Die beiden Vorschriften des
Haushaltsstrukturgesetzes 1996 haben folgenden Wortlaut:
"Art. II
Unmittelbar haushaltswirksame gesetzliche Regelungen
§ 1
...
§ 2 Abbau von Mehrfachangeboten an Hochschulen
(1) Für die Freie Universität gilt:
1. Im Fachbereich Humanmedizin wird der Studiengang "Zahnmedizin" aufgehoben.
Vom Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes an findet, abweichend von den
Vorschriften des Neuordnungsgesetzes Zahnmedizin vom 22. Dezember 1993 (GVBl. S.
657), die Ausbildung im Fach Zahnmedizin nur an der Medizinischen Fakultät Charite der
Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Aufnahmekapazität von 80 Studienanfängern
im Jahr statt.
2. ...
(2) An der Humboldt-Universität zu Berlin wird an der Mathematisch-
Naturwissenschaftlichen Fakultät I der Studiengang "Pharmazie" aufgehoben."
Das Haushaltsstrukturgesetz dient, wie seine Präambel ausweist, der
Haushaltskonsolidierung, insbesondere der Reduzierung des sich bis zum Jahre 1999
abzeichnenden Finanzierungsdefizits. Es stellt in seinem Art. I Grundsätze und Vorgaben
für haushaltspolitische Maßnahmen auf und trifft in Art. II unmittelbar haushaltswirksame
Regelungen. Soweit sie die Hochschulen des Landes Berlin betreffen, sehen sie u. a.
einen Abbau von Mehrfachangeboten an den Hochschulen vor, darunter die Aufhebung
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einen Abbau von Mehrfachangeboten an den Hochschulen vor, darunter die Aufhebung
der Studiengänge Zahnmedizin und Pharmazie. Der Gesetzentwurf des
Haushaltsstrukturgesetzes 1996 vom 8. März 1996 (Drs. AbgH 13/201) verweist zur
Begründung der Aufhebung von Studiengängen vor allem auf die Koalitionsvereinbarung,
die einen Abbau von Mehrfachangeboten an den Universitäten vorsehe, sowie darauf,
daß die Studiengänge Zahnmedizin und Pharmazie sowohl an der Freien Universität wie
an der Humboldt-Universität angeboten würden, also Doppelangebote seien, und auf die
mit der Aufhebung dieser Studiengänge zu erwartende Senkung des konsumtiven und
investiven Aufwands an den Universitäten, die mittelfristig für die Freie Universität mit
34,84 Mio. DM und für die Humboldt-Universität mit 28,5 Mio. DM veranschlagt wird.
Nach der ersten Lesung am 14. März 1996 wurde der Gesetzentwurf an den
Hauptausschuß (federführend) sowie mitberatend u.a. an den Ausschuß für
Wissenschaft und Forschung überwiesen. Dieser Ausschuß führte am 18. März 1996 eine
Anhörung zu den Auswirkungen des Haushaltsstrukturgesetzes auf die Bereiche
Wissenschaft und Forschung durch und hörte dabei u.a. den Präsidenten der Freien
Universität und die damalige Präsidentin der Humboldt-Universität an. Aus dem
Wortprotokoll dieser Ausschußsitzung ergibt sich, daß die Anhörung etwa vier Stunden
gedauert hat, daß außerdem noch drei weitere Präsidenten von Hochschulen sowie die
Vertreter der Landeskonferenz der Direktoren und Präsidenten der Berliner
Hochschulen, der Landeskonferenz der Frauenbeauftragten an Berliner Hochschulen,
der Landesarbeitsgemeinschaft Akademischer Mittelbau, der Landes-Asten-Konferenz
und der Gewerkschaft ÖTV angehört wurden. Allen stand eine Redezeit von jeweils 10
Minuten zur Verfügung; außerdem wurden Fragen der Abgeordneten beantwortet. Weiter
ergibt das Wortprotokoll, daß der Präsident der Freien Universität und die Präsidentin der
Humboldt-Universität zu Beginn ihrer Ausführungen erklärten, daß das Verfahren der
Anhörung nicht dem Gebot der Mitwirkung der Universitäten an weitreichenden
strukturellen Maßnahmen genüge. In der der Anhörung folgenden Sitzung vom 25. März
1996 beschloß der Wissenschaftsausschuß einstimmig bei Stimmenthaltung der
Vertreter der Regierungsfraktionen, dem Abgeordnetenhaus die Annahme des
Gesetzentwurfs mit verschiedenen Änderungen zu empfehlen, darunter die Streichung
der vorgesehenen Aufhebung der Studiengänge Zahnmedizin und Pharmazie. Der
Hauptausschuß empfahl dem Abgeordnetenhaus die Annahme des Gesetzentwurfs,
ohne aber die Vorschläge des Wissenschaftsausschusses im einzelnen zu beraten. In
der zweiten Lesung des Haushaltsstrukturgesetzes, die am 28. März 1996 verbunden
mit der zweiten Lesung des Nachtragshaushaltsgesetzes 1995/96 stattfand und bei der
zahlreiche Änderungsanträge zu beiden Gesetzen vorlagen, wurde u.a. die
Verfassungsmäßigkeit von Art. II § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Art. II § 2 Abs. 2 HStrG 96
diskutiert, nicht jedoch die Aufhebung der Studiengänge Pharmazie und Zahnmedizin im
einzelnen. Das Abgeordnetenhaus nahm das Haushaltsstrukturgesetz mit
verschiedenen, für das vorliegende Verfahren nicht bedeutsamen Änderungen und unter
Aufrechterhaltung der Aufhebung der Studiengänge Zahnmedizin und Pharmazie an.
Die Antragsteller sehen ebenso wie die betroffenen Universitäten, die
Verfassungsbeschwerde erhoben haben (VerfGH 47/96, 54/96, 63/96), in der Aufhebung
der Studiengänge einen unzulässigen Eingriff in die den Hochschulen durch Art. 21 Satz
1 VvB gewährleistete Freiheit von Forschung und Lehre sowie eine Verletzung des
verfassungsmäßig verbürgten Rechts der Studierenden und Studienbewerber, ihre
Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die nach diesen verfassungsrechtlichen Verbürgungen
gebotene Ermittlung der Auswirkungen der Aufhebung der beiden Studiengänge auf die
Belange der Universitäten, Studierenden und Studienbewerber und die Abwägung der
angestrebten Einsparung von Haushaltsmitteln mit diesen Belangen habe vor der
Verabschiedung des Haushaltsstrukturgesetzes 1996 durch das Abgeordnetenhaus
nicht in dem sachlich erforderlichen Umfang stattgefunden. Schon die
Gesetzesbegründung zeige, daß die Auswirkungen der Aufhebung er beiden
Studiengänge auf Forschung und Lehre, auf Studierende und Studienbewerber nicht
ermittelt und nicht abwägend bedacht worden seien. Auch im Gesetzgebungsverfahren
sei dies, wie die Antragsteller unter Hinweis auf die Art und Weise der Anhörung vor dem
Wissenschaftsausschuß, die Beratung des Hauptausschusses und die zweite Lesung des
Gesetzes im Abgeordnetenhaus im einzelnen vortragen, nicht geschehen.
Die Antragsteller beantragen,
Art. II § 2 Abs. 1 Nr. 1 sowie Art. II § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Beseitigung des
strukturellen Ungleichgewichts des Haushalts (Haushaltsstrukturgesetz 1996 - HStrG
96) vom 15. April 1996 (GVB. S. 126) für nichtig zu erklären.
Abgeordnetenhaus und Senat haben gemäß § 44 VerfGHG Gelegenheit gehabt, sich zu
äußern. Sie haben hiervon Gebrauch gemacht. Die Senatsverwaltung für Wissenschaft,
Forschung und Kultur, die sich für den Senat geäußert hat, ist insbesondere der
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Forschung und Kultur, die sich für den Senat geäußert hat, ist insbesondere der
Auffassung, eine ausreichende Abwägung der widerstreitenden Interessen habe
stattgefunden. Auch hätten die betroffenen Hochschulen ausreichend Zeit gehabt, in
ihren Gremien Alternativvorschläge vorzubereiten und zu beschließen. Erste Erwägungen
hinsichtlich einer Aufhebung von Studiengängen seien bereits im Januar 1996 anläßlich
der Koalitionsverhandlungen angestellt worden, aufgrund deren der damalige Senator
seine Verwaltung aufgefordert habe, "Details über die erörterte Einstellung von
Studiengängen" zu erstellen. Dies sei geschehen und als Beratungsgrundlage in die
weiteren Koalitionsverhandlungen eingeführt worden. Dabei sei den Beteiligten klar
gewesen, daß eine Beteiligung der betroffenen Hochschulen erforderlich sein würde.
Deshalb sei in der Koalitionsvereinbarung ausdrücklich festgehalten worden, "daß die
Hochschulen im Gesetzgebungsverfahren Gelegenheit haben würden Alternativen zum
Abbau der namentlich genannten Studiengänge vorzulegen". Auch habe der damalige
Senator bereits am 18. Januar 1996 die Präsidenten der betroffenen Hochschulen in
einem Gespräch auf die zu erwartende Entwicklung hingewiesen. Mit Schreiben vom 13.
Februar 1996 sei den Hochschulen mitgeteilt worden, auf welches Vorgehen sich die
Koalitionsfraktionen für die Erarbeitung neuer Haushaltsstrukturen verständigt hätten.
In diesem Schreiben heiße es wörtlich: "Nach der Koalitionsvereinbarung haben Sie
Gelegenheit, im Gesetzgebungsverfahren zum Haushaltsstrukturgesetz alternativ
abzubauende Studiengänge zu benennen, die an Ihrer Hochschule allerdings der oben
genannten Einsparungssumme entsprechen müssen. Ich darf Sie bitten, bezüglich der
vorgeschlagenen Maßnahmen das Ihnen erforderlich Erscheinende zu veranlassen".
Nachdem sich die Übernahme der Vorgaben der Koalitionsvereinbarung in den Entwurf
des Haushaltsstrukturgesetzes 1996 in den Einzelheiten abgezeichnet habe, habe die
Wissenschaftsverwaltung Mitte März sehr detaillierte Abwägungsvermerke erstellt,
darunter einen umfassenden Vermerk vom 18. März 1996 über die Schließung des
Studienganges Zahnmedizin. Diese Vermerke seien während der parlamentarischen
Beratung des Haushaltsstrukturgesetzes der CDU-Fraktion übergeben worden, die die
Verteilung dieser Unterlagen im Wissenschafts- und Hauptausschuß habe vornehmen
sollen. Hierzu erklärten die in der mündlichen Verhandlung anwesenden Vertreter der
Fraktionen Bündnis 90/Grüne und PDS, daß ihre Fraktionen die Vermerke nicht erhalten
hätten. Die Präsidenten von Freier Universität und Humboldt-Universität erklärten, von
diesen Vermerken inhaltlich erst im Laufe der Verfassungsbeschwerdeverfahren
Kenntnis bekommen zu haben.
Der Verfassungsgerichtshof hat über den Normenkontrollantrag und die
Verfassungsbeschwerden der Humboldt-Universität, der Freien Universität und der
Technischen Universität gemeinsam mündlich verhandelt.
II.
Der nach Art. 84 Abs. 2 Nr. 2 VvB, §§ 14 Nr. 4, 43 Nr. 1 VerfGHG zulässige
Normenkontrollantrag ist begründet. Art. II § 2 Abs. 1 Nr. 1 sowie Art. II § 2 Abs. 2 HStrG
96 verletzen Art. 21 Satz 1 VvB und sind nichtig.
1. Das Abgeordnetenhaus besitzt entgegen der insbesondere von der Humboldt-
Universität und der Freien Universität in den Verfassungsbeschwerdeverfahren und in
der gemeinsamen mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung die
Gesetzgebungskompetenz für den Erlaß der angegriffenen Regelungen. Diese haben die
Aufhebung des Studienganges Zahnmedizin im Fachbereich Humanmedizin der Freien
Universität und des Studienganges Pharmazie an der Mathematisch-
Naturwissenschaftlichen Fakultät I der Humboldt-Universität zum Gegenstand. Der
Gesetzgeber des Landes Berlin durfte diese Materie aufgrund der ihm von Art. 70 Abs. 1
GG überantworteten Gesetzgebungsbefugnis regeln. Zwar hat der Bund nach Art. 75
Abs. 1 Nr. 1 a GG das Recht, unter den Voraussetzungen des Art. 72 GG
Rahmenvorschriften für die Gesetzgebung der Länder über die allgemeinen Grundsätze
des Hochschulwesens zu erlassen. Das Hochschulrahmengesetz in der Fassung der
Bekanntmachung vom 9. April 1987 (BGBl. I S. 1170), zuletzt geändert durch Gesetz
vom 20. Mai 1994 (BGBl. I S. 1078) - HRG -, mit dem der Bund von diesem Recht
Gebrauch gemacht hat, enthält jedoch keine Vorschriften, angesichts derer der Erlaß der
hier zur Normenkontrolle gestellten Berliner Vorschriften sich als kompetenzwidrig
erwiese. Vielmehr ist insoweit das grundsätzlich aus Art. 70 Abs. 1 GG folgende Recht
des Landes Berlin zur Gesetzgebung unberührt geblieben.
Das Hochschulrahmengesetz enthält Vorschriften über die Schaffung bzw. Einrichtung
von Studiengängen einerseits (§ 4 Abs. 2 Nr. 1, § 10 Abs. 6 HRG) und über die
Kompetenz des Landes, die Aufgaben der einzelnen Hochschulen zu bestimmen,
andererseits (§ 2 Abs. 9 HRG), sowie über das Zusammenwirken von Land und
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andererseits (§ 2 Abs. 9 HRG), sowie über das Zusammenwirken von Land und
Hochschule u.a. für die Ordnung des Studiums und der Hochschulprüfungen sowie die
Errichtung, Änderung und Aufhebung von Fachbereichen, Studienbereichen,
wissenschaftlichen Einrichtungen, Betriebseinheiten und gemeinsamen Kommissionen (§
60 Nr. 1 und 2 HRG). Die letztgenannten Vorschriften sehen für ihren
Anwendungsbereich ein Verfahren der Kooperation von Staat und Hochschule vor, dem
im Zuge der hier in Rede stehenden, unmittelbar durch Gesetz bewirkten
Umgestaltungen nicht entsprochen worden ist. Kompetenzielle Bedenken bestehen
indes gegen diesen "Zugriff" des Landesgesetzgebers nicht.
Die erwähnten rahmengesetzlichen Vorgaben des Bundes regeln die Kooperation
zwischen der staatlichen Verwaltung und den Hochschulen und ziehen hierfür dem
Landesgesetzgeber einen Rahmen für die Inanspruchnahme des ihm gemäß Art. 70
Abs. 1 GG überantworteten Gesetzgebungsrechts. Sie schließen aber nicht allgemein
aus, daß der Gesetzgeber des Landes eine nach dem Kooperationsmodell des
Bundesrechts grundsätzlich im kondominialen Verhältnis zwischen Verwaltung und
Hochschulen im Wege einer gemeinschaftlich zu treffenden Sachentscheidung zu
bewältigende Materie unmittelbar selbst regelt. Das ergibt sich aus folgenden
Erwägungen:
Die durch Bundesrecht für bestimmte Kooperationsfelder vorgesehene Überlagerung
der grundsätzlichen Trennung von akademischen und staatlichen Angelegenheiten
durch ein Zusammenwirken von Hochschulen und Verwaltung sucht dem besonderen
grundrechtlichen Status der Hochschulen Rechnung zu tragen, wie ihn Art. 5 Abs. 3 GG
bundesverfassungsrechtlich garantiert. Ebensowenig wie dies der Annahme eines
Letztentscheidungsrechts - im Rahmen eines grundsätzlich kooperativen
Entscheidungsprozesses - entweder für den Staat zur Durchsetzung seiner
hochschulstrukturpolitischen Vorstellungen (vgl. dazu BVerwG, NVwZ-RR 1990, 79; unter
Erwähnung gerade auch der Aufhebung von Studiengängen Hailbronner, Kommentar
zum HRG, Stand: August 1996, § 60 Rdnr. 5 a) oder andererseits auch der Hochschulen
(vgl. BayVGH, DVBl. 1989, 105, 110; s. in diesem Zusammenhang auch Thieme, WissR
1989, 1, 5 f.) schlechterdings entgegenstehen muß, ergibt sich hieraus eine absolute
Sperre für den Zugriff des (Landes-) Gesetzgebers. Als - nicht abschließende -
Ausformungen der Garantie der Freiheit von Forschung und Lehre geben mithin (auch)
die Regelungen des § 60 Nr. 1 und 2 HRG dem Landesgesetzgeber gleichsam für den
"Normalfall", für das "alltägliche Zusammenwirken" eine Vorgabe bzw. erfordern
entsprechendes Landesrecht (vgl. Art. 75 Abs. 3 GG), ohne damit indes
"rahmenrechtlich" auszuschließen, daß der Landesgesetzgeber im Einzelfall
strukturpolitische Entscheidungen selbst trifft. Vorliegend hat der Berliner
Landesgesetzgeber die einschlägigen, dem Gebot § 60 HRG entsprechenden
Regelungen des Berliner Hochschulgesetzes über die Einrichtung und Aufhebung von
Studiengängen - § 61 Abs. 1 Nr. 3 BerlHG und § 22 Abs. 3 BerlHG - und damit die
grundsätzliche Zuständigkeit des akademischen Senats, der jedoch der Zustimmung
der Senatsverwaltung bedarf, unverändert gelassen und lediglich punktuelle
Entscheidungen über die Aufhebung zweier Studiengänge getroffen. Insoweit gibt nicht
das Hochschulrahmengesetz, sondern allein das materielle Verfassungsrecht den
Maßstab für das Ausmaß einer gebotenen Mitwirkung das Hochschulbereichs an
staatlichen Einrichtungen (vgl. in diesem Sinne auch Hailbronner, aaO, § 60 Rdnr. 39).
Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, welche Konsequenzen sich ergeben,
wenn der Verfassungsgerichtshof im Rahmen einer ihm zur Prüfung auf die Vereinbarkeit
mit der Verfassung von Berlin gestellten Vorschrift des Berliner Landesrechts zu dem
Ergebnis kommt, diese Vorschrift sei von der Gesetzgebungsbefugnis des Landes Berlin
nicht umfaßt (vgl. dazu einerseits VerfGH NW, NVwZ 1993, 57, 59, andererseits
BayVerfGH, BayVerfGHE 45, 33, 41 f.; wie hier offengeblieben in SächsVerfGH, LKV 1996,
273, 275).
2. Der Berliner Landesgesetzgeber hat im Rahmen seiner Beratungen die durch die
Aufhebung der Studiengänge Zahnmedizin und Pharmazie betroffenen Universitäten
nicht in einer den Anforderungen des Art. 21 Satz 1 VvB genügenden Weise angehört
und damit die Auswirkungen seiner Entscheidung auf Wissenschaft, Forschung und Lehre
nicht in gebotenem Umfang ermittelt und abgewogen.
a) Art. 21 Satz 1 VvB gewährleistet ebenso wie Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG die Freiheit von
Wissenschaft, Forschung und Lehre. Dies begründet neben einem individuellen
Freiheitsrecht für jeden, der in diesem Bereich tätig ist (BVerfGE 35, 79 <112>), ein
Recht der Hochschulen auf Selbstverwaltung in dem auf Wissenschaft, Forschung und
Lehre unmittelbar bezogenen Bereich (vgl. zu Art. 5 Abs. 3 GG BVerfGE 85, 360 <384>;
siehe auch BVerfGE 35, 79 <116>) und enthält zugleich eine das Verhältnis der
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siehe auch BVerfGE 35, 79 <116>) und enthält zugleich eine das Verhältnis der
Wissenschaft zum Staat regelnde wertentscheidende Grundsatznorm (vgl. BVerfGE 35,
79 <114>). Diese Wertentscheidung hat zum einen zur Folge, daß der Staat zur Pflege
der freien Wissenschaft und ihrer Vermittlung an die nachfolgende Generation
personelle, finanzielle und organisatorische Mittel bereitstellen muß. Ohne eine
geeignete Organisation und ohne entsprechende finanzielle Mittel, über die im
wesentlichen nur noch der Staat verfügt, kann in weiten Bereichen keine unabhängige
Forschung und wissenschaftliche Lehre mehr betrieben werden. Dies gilt
uneingeschränkt für den Bereich der Zahnmedizin, es gilt, soweit es die
wissenschaftliche Lehre betrifft, uneingeschränkt auch für den Bereich der Pharmazie.
Der Staat besitzt hinsichtlich dieses Wissenschaftsbetriebs weitgehend ein faktisches
Monopol; eine Ausübung der Wissenschaftsfreiheit ist hier notwendig mit einer Teilhabe
an staatlichen Leistungen verbunden (vgl. BVerfGE 35, 79 <115>). Zum anderen hat
der Staat durch geeignete organisatorische Maßnahmen dafür zu sorgen, daß das
Grundrecht der freien wissenschaftlichen Betätigung soweit unangetastet bleibt, wie das
unter Berücksichtigung der anderen legitimen Aufgaben der Wissenschaftseinrichtungen
und der Grundrechte der verschiedenen Beteiligten möglich ist. Diese
Grundsatzentscheidung verstärkt die Geltungskraft der Wissenschaftsfreiheit in Richtung
auf eine Teilhabeberechtigung. Soweit ein Wissenschaftler der Korporation einer
Hochschule angehört, muß sichergestellt sein, daß er bei der Beratung wesentlicher
Fragen seines Fachgebiets in geeigneter Form zu Gehör kommt; in diesem Rahmen
stehen dem einzelnen Hochschullehrer durch das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit
gewährleistete Mitwirkungsrechte in der akademischen Selbstverwaltung zu (vgl. zu Art.
5 Abs. 3 GG: BVerfGE 35, 79 <128 f. und 131 ff.>; 43, 242 <267>; 47, 327 <387>; 51,
369 <379>). Auch öffentliche Einrichtungen, die den Zwecken der Wissenschaftsfreiheit
dienen und denen deshalb dieses Grundrecht unmittelbar zugeordnet ist - die
Hochschulen, ihre Fakultäten und Fachbereiche - können insoweit Grundrechtsschutz in
Anspruch nehmen (vgl. zu Art. 5 Abs. 3 GG: BVerfGE 85, 360 <384>; 93, 85 <93>).
b) Diese Teilhaberechte werden durch Art. II § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 HStrG 96 mit der
Aufhebung des Studienganges "Zahnmedizin" im Fachbereich Humanmedizin der Freien
Universität Berlin und der Aufhebung des Studienganges "Pharmazie" in der
Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät I der Humboldt-Universität zu Berlin
berührt. Aus der Gewährleistung der Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre
durch Art. 21 Satz 1 VvB ergibt sich weder die Annahme eines Letztentscheidungsrechts
der Hochschulen hinsichtlich der hier in Frage stehenden Einrichtung und Aufhebung von
Studiengängen noch die Annahme, daß ein Einvernehmen mit der Hochschule
herzustellen ist (vgl. in diesem Zusammenhang BVerfGE 67, 202 <207 f.>; BayVGH,
BayVBl. 1976, 272 und BayVBl. 1978, 576). Jedoch bestehen zwischen
Forschungsmöglichkeiten, Lehrangebot und Lehrinhalten einerseits sowie vorhandenen
Studiengängen andererseits enge sachliche Zusammenhänge, angesichts derer die
Wissenschaftsfreiheit sowohl in ihrer Ausprägung als objektiv rechtliche
Wertentscheidung als auch in Form der Teilhabe der einzelnen in den betroffenen
Bereichen tätigen Hochschullehrer, der veränderten Fachbereiche und der Hochschulen
insgesamt betroffen ist. In diesem Zusammenhang ist erneut darauf zu verweisen, daß
gerade die Wissenschaftsrelevanz von Maßnahmen der hier in Rede stehenden Art den
Rahmengesetzgeber zu dem in § 60 HRG ausgesprochenen Gebot eines
Zusammenwirkens von Land und Hochschule bei Eingriffen der staatlichen
Hochschulverwaltung veranlaßt hat, das sich im Ergebnis als Ausfluß eines aus der
Wissenschaftsfreiheit herzuleitenden Rechts der Hochschule auf Teilhabe in Form einer
Mitwirkung an wissenschaftsrelevanten Organisationsentscheidungen darstellt. Das
Teilhaberecht aus Art. 21 Satz 1 VvB gilt auch bei staatlichen Organisationsmaßnahmen
wissenschaftsrelevanter Art durch den Landesgesetzgeber.
c) Allerdings verstoßen die hier vom Gesetzgeber getroffenen Regelungen über die
Einstellung der Studiengänge und die damit einhergehende Veränderung eines
Fachbereichs bzw. einer Fakultät nicht schon um ihrer selbst Willen gegen die
Wissenschaftsfreiheit. Die Teilhaberechte des einzelnen Wissenschaftlers bzw. der
Hochschule als solcher stehen von vornherein unter dem Vorbehalt des Möglichen im
Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen
kann. Die insoweit erforderliche Beurteilung hat in erster Linie der Gesetzgeber in
Eigenverantwortung vorzunehmen. Gerade im Bereich staatlicher Teilhabegewährung
würde es dem Gebot sozialer Gerechtigkeit zuwiderlaufen, die nur begrenzt verfügbaren
öffentlichen Mittel unter Vernachlässigung anderer wichtiger Gemeinschaftsbelange
bevorzugt einem bestimmten Teil der Bevölkerung zugute kommen zu lassen (vgl. in
diesem Zusammenhang zu Art. 12 Abs. 1 GG: BVerfGE 33, 303 <333 ff.>). Angesichts
dessen ist der Gesetzgeber grundsätzlich berechtigt, von ihm geschaffene Möglichkeiten
wissenschaftlicher Betätigung einzuschränken, insbesondere mit Rücksicht auf
bestehende Sparzwänge, und die Hochschulen in die Bemühungen des Landes zur
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bestehende Sparzwänge, und die Hochschulen in die Bemühungen des Landes zur
Haushaltskonsolidierung einzubeziehen (vgl. ebenso im Hinblick auf die Reduzierung von
Ausbildungskapazitäten u. a. OVG Berlin, Beschluß vom 13. März 1996 - OVG 7 NC
147/95 - Abdruck S. 14). Unter Beachtung der landesverfassungsrechtlichen
Gewährleistung des Art. 21 Satz 1 VvB und innerhalb der bundesrechtlichen Vorgaben
obliegt es dem Abgeordnetenhaus als dem Berliner Landesgesetzgeber, die
Organisation der Hochschulen nach seinem Ermessen zu ordnen und sie den
gegebenen Anforderungen und Begrenzungen, auch finanzieller Art, anzupassen.
Erforderlich ist mit Blick auf Art. 21 Satz 1 VvB jedoch stets, daß die Belange von
Wissenschaft, Forschung und Lehre angemessen sorgfältig ermittelt und gewichtet und
daß die vom Staat beabsichtigten Maßnahmen mit ihnen abgewogen werden.
Vorliegend ist die dem Gesetzgeber obliegende Abwägung zwischen den Interessen der
beiden betroffenen Universitäten einschließlich ihrer Untergliederungen und der in den
veränderten Bereichen tätigen Wissenschaftler einerseits und den Belangen der
Allgemeinheit andererseits nicht in der durch Art. 21 Satz 1 VvB gebotenen Weise
vorgenommen worden. Denn es fehlt an einer den Anforderungen der
Wissenschaftsfreiheit genügenden Ermittlung der durch die gesetzlichen Regelungen
betroffenen Wissenschaftsbelange. Angesichts der Konkretheit der gesetzgeberischen
Regelungen, die nach Art eines Maßnahmegesetzes zwei bestimmte Studiengänge
betreffen, reicht eine abstrakte Berücksichtigung der Wissenschaftsfreiheit im Rahmen
der zu treffenden Abwägung von vornherein nicht aus. Vielmehr verlangt der spezifische
Charakter der Wissenschaftsfreiheit mit Rücksicht auf das wissenschaftliche
Selbstbestimmungsrecht eine Einbeziehung der Träger des betreffenden Grundrechts
dahingehend, daß diesen die Möglichkeit eröffnet wird, ihre Belange in einer der Sache
nach angemessenen Weise vorzubringen. Nur so kann der Komplexität des mit der
Wissenschaftsfreiheit geschützten Bereichs angemessen Rechnung getragen und eine -
unzulässige - Staatliche Einflußnahme auf Wissenschaftsinhalte vermieden werden.
Diesem Gebot, die berührten Wissenschaftsbelange authentisch und nicht lediglich
durch "stellvertretende" eigene Überlegungen oder mit Hilfe von Stellungnahmen aus
der zuständigen Senatsverwaltung zu ermitteln, ist nicht genügt worden. Der
vorliegende Fall nötigt nicht zu einer allgemeinen Klärung der Frage, welche Form der
Einbeziehung der Hochschulen im einzelnen angemessen gewesen wäre: Die gebotene
Intensität der Anhörung läßt sich nicht generell festlegen, sondern ist abhängig von den
jeweiligen Umständen des Einzelfalles, u.a. von der Zielrichtung der Maßnahme.
Jedenfalls, wenn wie hier ein Studiengang unmittelbar durch Gesetz aufgehoben werden
soll und damit die Beteiligung der Hochschule nach Maßgabe des Berliner
Hochschulgesetzes entfällt, muß eine angemessene Mitwirkung der Hochschule im
Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens erfolgen. Den betroffenen Hochschulen war es
nicht möglich, sich nach fundierter Vorbereitung unter Mitwirkung der zuständigen
Hochschulorgane zu den geplanten Maßnahmen sachgerecht zu äußern und ihre
Auffassung zur Geltung zu bringen. Zwar wurden der Präsident der Freien Universität
und die Präsidentin der Humboldt-Universität am 18. März 1996 vom Ausschuß für
Wissenschaft und Forschung zu der Drucksache 13/201 und den darin enthaltenen
Vorschlägen, die Studiengänge Zahnmedizin und Pharmazie aufzuheben, angehört. Der
betreffende Gesetzentwurf war jedoch gerade zehn Tage zuvor beschlossen worden;
seine Überweisung an den Ausschuß für Wissenschaft und Forschung sogar erst am 14.
März 1996 (vgl. Plenarprotokoll 13/5, S. 254). Unter diesen Umständen kann von einer
sachangemessenen Einbeziehung der durch die Wissenschaftsfreiheit geschützten
Belange nicht ausgegangen werden. Dabei ist es unerheblich, ob man von einer mit dem
Erscheinen der Drucksache beginnenden Vorbereitungszeit der universitären Bereiche
ausgeht oder auf die förmliche Einladung zur Ausschußsitzung abstellt: Auch im
erstgenannten Fall genügt der verbliebene Zeitraum nicht für eine Befassung der nach
dem Berliner Hochschulgesetz für Fragen der Fachbereichsorganisation und der
angebotenen Studiengänge zuständigen Gremien. Der Präsident der Freien Universität
und die Präsidentin der Humboldt-Universität haben denn auch in jener Ausschußsitzung
gerügt, es würden Studiengänge eingestellt, ohne daß vorher ein gesetzliches Verfahren
zur Mitwirkung bestimmt sei. Entgegen der Annahme der Senatsverwaltung für
Wissenschaft, Forschung und Kultur kann den Universitäten nicht vorgehalten werden,
daß sie nicht bereits die Koalitionsvereinbarung von Januar 1996 und die mündlichen
oder schriftlichen Hinweise des Senators auf die Absichten der Koalition zum Anlaß für
Beratungen in den zuständigen Hochschulgremien genommen haben. Denn hierbei
handelte es sich lediglich um rechtlich unverbindliche politische Absichtserklärungen.
d) Die Erheblichkeit der unzureichenden Anhörung der Hochschulen wäre allenfalls zu
verneinen, wenn feststünde, daß ihr Vorbringen schlechterdings keinen Einflug auf die
Willensbildung des Abgeordnetenhauses hätte haben können. Davon kann indes nicht
ausgegangen werden. Die Hochschulen haben auf eine Reibe von Gesichtspunkten
hingewiesen, die sie nicht haben in das Gesetzgebungsverfahren einbringen können.
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Dieser Teil der Entscheidung ist mit sechs zu drei Stimmen ergangen.
3. Nach alledem bedarf es keiner Entscheidung, ob die zur Normenkontrolle gestellten
Bestimmungen auch gegen weitere Vorschriften der Verfassung von Berlin verstoßen.
4. Die Nichtigkeit von Art. II § 2 Abs. 1 Nr. 1 sowie Art. II 2 Abs. 2 HStrG 96 hat keine
Auswirkungen auf die übrigen Bestimmungen des Gesetzes. Allerdings ist Art. II § 2 Abs.
5 HStrG 96 gegenstandslos, soweit er sich auf die Studiengänge Zahnmedizin und
Pharmazie bezieht.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieses Urteil ist unanfechtbar.
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