Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: wiedereinsetzung in den vorigen stand, die post, rechtliches gehör, briefkasten, versicherung, verfassungsbeschwerde, zustellung, eigenes verschulden, einspruch, beschädigung

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
113/01, 113 A/01
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 15 Abs 1 Verf BE, Art 15
Abs 4 Verf BE, § 410 Abs 1
StPO, § 44ff StPO, § 44 StPO
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Damit erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I. Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen in einem
Strafverfahren ergangene Beschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten und des Landgerichts
Berlin.
Durch Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 17. April 2001 - 343 Cs 208/01 -
wurde gegen den Beschwerdeführer wegen Beleidigung und Nötigung eine
Gesamtgeldstrafe von 35 Tagessätzen sowie ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats
festgesetzt. Ausweislich der Angabe auf der Postzustellungsurkunde wurde dieser
Strafbefehl dem Beschwerdeführer am 10. Mai 2001 durch Niederlegung zugestellt und
eine Benachrichtigung über die vorzunehmende Niederlegung - wie bei gewöhnlichen
Briefen üblich - in den Hausbriefkasten eingelegt.
Mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 9. Juli 2001 ließ der
Beschwerdeführer Einspruch gegen den Strafbefehl einlegen und gleichzeitig
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen. Der Strafbefehl, von dem der
Beschwerdeführer erst am 2. Juli 2001 erfahren habe, sei nicht ordnungsgemäß
zugestellt worden. In einer der Einspruchsschrift beigefügten eidesstattlichen
Versicherung vom 6. Juli 2001 gab der Beschwerdeführer an, den Strafbefehl gemeinsam
mit einem Anschreiben der Staatsanwaltschaft vom 19. Juni 2001 erstmals am 2. Juli
2001 erhalten zu haben; erst hierdurch sei ihm bekannt geworden, dass ein Strafbefehl
gegen ihn ergangen sei. Er habe auch in den letzten Monaten keine Mitteilung über die
Niederlegung eines Schriftstücks auf der Post erhalten. Er hätte bei Erhalt des
Strafbefehls rechtzeitig Einspruch eingelegt, zumal er polizeilich ausgesagt und den
Tatvorwurf zurückgewiesen habe. Nach den Äußerungen des vernehmenden
Polizeibeamten sei er davon ausgegangen, dass das Verfahren eingestellt worden sei. Er
könne sich lediglich vorstellen, dass ein Niederlegungshinweis aus dem Briefkasten
abhanden gekommen sei. Er bewohne gemeinsam mit seiner Freundin und seinen -
allerdings seit April 2001 in der Türkei aufhältlichen - Eltern eine Wohnung innerhalb einer
Wohnanlage des sozialen Wohnungsbaus. Bereits in der Vergangenheit sei es mehrfach
dazu gekommen, dass ihre Post abhanden gekommen sei, weil der Briefkasten
mehrfach aufgebrochen worden und derzeit für Dritte frei zugänglich sei. In einer
weiteren eidesstattlichen Versicherung vom 6. Juli 2001 gab die Freundin des
Beschwerdeführers an, derzeit mit dem Beschwerdeführer in dessen Wohnung zu
wohnen und sich nicht erinnern zu können, eine Zustellung eines amtlichen
Schriftstückes entgegen genommen zu haben; bereits in der Vergangenheit sei es
mehrfach dazu gekommen, dass Post abhanden gekommen sei, weil der Briefkasten
mehrfach aufgebrochen worden und derzeit für Dritte frei zugänglich sei. Die Originale
des Schriftsatzes vom 9. Juli 2001 und der vorgenannten Erklärungen gingen gemäß
Eingangsstempel am 10. Juli 2001 beim Amtsgericht ein, nachdem der
Verfahrensbevollmächtigte sie gemäß dem von ihm vorgelegten Sendebericht bereits
am 9. Juli 2001 per Telefax, das nicht zur Strafakte gelangt ist, hatte übermitteln lassen.
Durch Beschluss vom 23. Juli 2001 verwarf das Amtsgericht Tiergarten den Einspruch
gegen den Strafbefehl unter gleichzeitiger Verwerfung des Antrags auf Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand als unzulässig. Zur Begründung gab es an, der Einspruch sei wegen
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in den vorigen Stand als unzulässig. Zur Begründung gab es an, der Einspruch sei wegen
Verspätung unzulässig. Auch der Antrag auf Wiedereinsetzung sei unzulässig, da er erst
am 10. Juli 2001 und damit nicht innerhalb einer Woche nach Wegfall des Hindernisses
eingegangen sei. Der Antrag sei darüber hinaus aber auch unbegründet, da der
Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht habe, ohne Verschulden an der Einhaltung
der Einspruchsfrist gehindert gewesen zu sein. Sein durch eigene eidesstattliche
Versicherung belegter Vortrag, die Mitteilung über die Niederlegung nicht erhalten zu
haben, sei nicht ausreichend. Dies gelte ebenso für die durch eidesstattliche
Versicherung seiner Freundin belegte Behauptung, die Post sei mehrfach abhanden
gekommen, weil der Briefkasten mehrfach aufgebrochen worden und für Dritte derzeit
frei zugänglich sei. Denn es werde nicht vorgetragen, dass der Briefkasten am Tag der
Niederlegung aufgebrochen worden sei. Soweit der Briefkasten aufgrund von
vorangegangenen Aufbrüchen derzeit frei zugänglich sei und aufgrund dessen Post
abhanden komme, sei die Unkenntnis von der Zustellung nicht unverschuldet, wenn der
Beschwerdeführer den Briefkasten nach dem Einbruch nicht wieder gegen fremde
Eingriffe absichere.
Mit seiner sofortigen Beschwerde gegen diesen Beschluss legte der Beschwerdeführer
eine unter seinem Namen maschinenschriftlich aufgesetzte, von fünf weiteren Personen
- u.a. seiner Freundin - unterzeichnete und neben einem Namen den handschriftlichen
Vermerk „Hauswart“ aufweisende Erklärung vom 28. Juli 2001 vor. In dieser wurde
angegeben, dass es in letzter Zeit öfter vorgekommen sei, dass viele Briefkästen des
Wohnhauses in unregelmäßigen Abständen von unbekannten Personen demoliert bzw.
manipuliert worden seien, so dass die Post für unbefugte dritte Personen frei zugänglich
gewesen sei. Teilweise seien auch Namensschilder auf den Briefkästen unbemerkt
vertauscht oder sogar ganz entfernt worden, so dass der Postbote einige Briefe in
falsche Briefkästen eingeworfen habe. Bei der Vielzahl solcher Tatbestände sei die
Hausverwaltung dermaßen überlastet, dass eine schnelle Behebung nahezu unmöglich
sei. Meistens habe man dann schon einen Schaden erlitten, indem wichtige
Schriftstücke bereits abhanden gekommen oder in einem anderen Briefkasten gelandet
seien. Die meisten Hausbewohner seien bereits mehrmals mit ähnlichen Problemen
konfrontiert worden und könnten diese Aussagen bestätigen.
Das Landgericht Berlin verwarf die sofortige Beschwerde durch Beschluss vom 20.
August 2001 mit der Begründung, das Amtsgericht habe den Antrag auf
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Dabei
könne dahinstehen, ob der Wiedereinsetzungsantrag - was zweifelhaft erscheine -
tatsächlich innerhalb der Wochenfrist nach Wegfall des Hindernisses gestellt worden sei.
Dahinstehen könne auch die vom Amtsgericht vermisste Glaubhaftmachung, nachdem
eine Erklärung weiterer Hausbewohner im Beschwerdeverfahren nachgereicht worden
sei; allerdings sei darauf hinzuweisen, dass auch die Glaubhaftmachung zu den
Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Wiedereinsetzungsantrags gehöre. Der Antrag sei
jedenfalls deshalb unzulässig, weil der Vortrag eines Sachverhalts fehle, der ein der
Wiedereinsetzung entgegenstehendes Verschulden ausschließe. Dabei müsse derjenige,
der behaupte, eine Benachrichtigung der Post nicht vorgefunden zu haben, Einzelheiten
darlegen und glaubhaft machen, die auf Grund der konkreten Umstände ein
Abhandenkommen der Benachrichtigungskarte möglich erscheinen ließen. Allein die
bloße Behauptung des Beschwerdeführers, die Benachrichtigungskarte nicht erhalten zu
haben, könne die Beweiskraft der öffentlichen Urkunde nicht erschüttern. Auch die
eidesstattliche Versicherung der Freundin, sich an die Entgegennahme eines amtlichen
Schriftstücks nicht erinnern zu können, habe keine Bedeutung, da der Strafbefehl hier
niedergelegt worden sei. Der weitere Vortrag, die Benachrichtigungskarte sei
möglicherweise wegen „demolierter“ bzw. „manipulierter" Hausbriefkästen nicht
zugegangen, vermöge gleichfalls die Beweiskraft der Urkunde nicht zu entkräften. Nicht
ausreichend sei in diesem Zusammenhang der Vortrag, der Beschwerdeführer wohne im
sozialen Wohnungsbau. Es reiche auch nicht aus, dass in der Vergangenheit Briefkästen
demoliert, aufgebrochen und manipuliert worden seien. Falls tatsächlich zum
Zustellungszeitpunkt der Briefkasten aufgebrochen und für Dritte frei zugänglich
gewesen sein sollte, so sei dies vorzutragen und durch geeignete Beweismittel –
Mängelanzeige an die Hausverwaltung, eidesstattliche Versicherung des Hausmeisters
etc. - glaubhaft zu machen gewesen. Hieran fehle es. Nicht auszuschließen sei deshalb,
dass der Beschwerdeführer durch eigenes Verschulden von der Benachrichtigung keine
Kenntnis erlangt habe, zumal er selbst einräume, dass sein Briefkasten derzeit nicht zu
verschließen und damit auch Dritten zugänglich sei.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner
Rechte auf rechtliches Gehör (Art. 15 Abs. 1 VvB) und wirkungsvollen Rechtsschutz (Art.
15 Abs. 4 VvB). Das Amtsgericht habe zu Unrecht angenommen, der
Wiedereinsetzungsantrag sei verspätet und deshalb unzulässig. Beide Gerichte hätten
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Wiedereinsetzungsantrag sei verspätet und deshalb unzulässig. Beide Gerichte hätten
die Darlegungsanforderungen für den Antrag auf Wiedereinsetzung entgegen den
verfassungsrechtlichen Vorgaben überspannt. Es entspreche
bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung, dass die Indizwirkung einer
Ersatzzustellung durch plausible und schlüssige Darstellung entkräftet werden könne.
Dies gelte gerade und erst recht im Strafbefehlsverfahren, zumal der Beschwerdeführer
sich bereits im Ermittlungsverfahren dem Tatvorwurf gestellt und unter Angabe von
Zeugen dargelegt habe, dass der Vorwurf substanziiert bestritten werden könne. Das in
der eidesstattlichen Versicherung dargelegte Verhalten im Ermittlungsverfahren, auf
dessen Grundlage eine Hinnahme des Strafbefehls sinnwidrig erscheine, sei im Rahmen
der „Glaubwürdigkeitsprüfung" seiner Wiedereinsetzungsgründe zu berücksichtigen
gewesen; dies sei ausweislich beider Entscheidungen nicht geschehen. Zudem hätten
beide Gerichte nicht hinreichend gewürdigt, dass die Einlassung des Beschwerdeführers,
keinen Zustellnachweis bzw. Hinweis über die Zustellung erhalten zu haben, durch die
eidesstattliche Versicherung der in der gemeinsamen Wohnung lebenden Freundin
bestätigt worden sei. Ob der Briefkasten am Tag der Niederlegung aufgebrochen worden
sei, könne der Beschwerdeführer gar nicht eidesstattlich versichern, weil er nicht wisse,
wann die Niederlegung erfolgt sei. Dem Wiedereinsetzungsantrag hätte unter
Berücksichtigung der Bestätigung mehrerer Mieter über in unregelmäßigen Abständen
auftretende Beschädigungen bzw. Manipulationen der Briefkastenanlage stattgegeben
werden müssen; es dürfe als gerichtsbekannt anzusehen sein, dass gerade im Bereich
des sozialen Wohnungsbaus zahlreiche Delikte Jugendlicher - auch im Zusammenhang
mit der Beschädigung bzw. Manipulation von Briefkästen - zu verzeichnen seien.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts habe der Beschwerdeführer nicht lediglich
behauptet, den Benachrichtigungszettel nicht erhalten zu haben. Das Gericht habe
weder die Darlegungen in seiner eidesstattlichen Versicherung zum Abhandenkommen
von Post noch die Erklärung der Hausbewohner gewürdigt; da ersichtlich sei, dass auch
der Hauswart die Erklärung unterzeichnet habe, sei glaubhaft gemacht, dass die
Hausverwaltung die immer wiederkehrende Beschädigung der Hausbriefkästen nicht
zeitnah beseitigen könne, so dass auch dem Beschwerdeführer mangelnde
Vorkehrungen nicht zum Vorwurf gemacht werden könnten.
Der Senatsverwaltung für Justiz, dem Präsidenten des Landgerichts Berlin und dem
Präsidenten des Amtsgerichts Tiergarten ist Gelegenheit zur Äußerung zu der
Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
gegeben worden.
II. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Sie ist zwar zulässig. Soweit - wie hier - Gegenstand der Verfassungsbeschwerde auf
Bundesrecht beruhende Entscheidungen Berliner Gerichte sind, besteht die
Prüfungskompetenz des Verfassungsgerichtshofs in den Grenzen der Art. 142, 31 GG
nur hinsichtlich solcher Grundrechte aus der Verfassung von Berlin, die mit vom
Grundgesetz verbürgten Grundrechten übereinstimmen (st. Rspr.; u.a. Beschluss vom 2.
Dezember 1993 - VerfGH 89/93 – LVerfGE 1, 169 <179>; Beschluss vom 6. Oktober
1998 - VerfGH 32/98 - NJ W 1999, 47). Diese Voraussetzung ist hinsichtlich der von dem
Beschwerdeführer als verletzt gerügten Art. 15 Abs. 1 VvB (vgl. Art. 103 Abs. 1 GG) und
Art. 15 Abs. 4 VvB (vgl. Art. 19 Abs. 4 GG) erfüllt. Die Begründung der
Verfassungsbeschwerde genügt auch den aus §§ 49 Abs. 1, 50 VerfGHG herzuleitenden
Darlegungserfordernissen.
Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Die mit ihr angegriffenen
Beschlüsse, verletzen nicht die verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantien des
Beschwerdeführers aus Art. 15 Abs. 1 und 4 VvB.
lm Strafbefehlsverfahren ist der Anspruch des Angeklagten auf ersten Zugang zu
Gericht und auf rechtliches Gehör durch die Möglichkeit des Einspruchs (§ 410 Abs.1
StPO) gewährleistet. Bei unverschuldeter Versäumung der Einspruchsfrist hängt die
Verwirklichung dieses Rechts davon ab, dass dem Verurteilten Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gemäß §§ 44 ff. StPO gewährt wird. Das Recht der Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand dient mithin unmittelbar der Verwirklichung verfassungsrechtlich
verbürgter Rechtsschutzgarantien. Deshalb dürfen in diesem Zusammenhang bei der
Anwendung und Auslegung der für die Wiedereinsetzung maßgeblichen
prozessrechtlichen Vorschriften die Anforderungen daran nicht überspannt werden, was
der Betroffene veranlasst haben und vorbringen muss, um nach einer Fristversäumnis
die Wiedereinsetzung zu erhalten. Diesen vom Bundesverfassungsgericht zu Art. 19 Abs.
4 und Art. 103 Abs. 1 GG entwickelten Grundsätzen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15.
April 1980 - 2 BvR 461/79 - BVerfGE 54, 80 <83 f.> und vom 14. Februar 1995 - 2 BvR
1950/94 - NJW 1995, 2545) hat sich der Verfassungsgerichtshof für die
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1950/94 - NJW 1995, 2545) hat sich der Verfassungsgerichtshof für die
Grundrechtsgewährleistungen des Art. 15 Abs. 1 und 4 VvB angeschlossen (Beschluss
vom 6. Mai 1998 - VerfGH 37/96 - JR 1999, 188).
Die Gerichte haben bei der Anwendung der maßgeblichen prozessrechtlichen
Vorschriften die für eine Wiedereinsetzung nach Versäumung der für die Einlegung eines
Einspruchs gegen einen Strafbefehl zu stellenden Anforderungen nicht in einer die
Rechte des Beschwerdeführers aus Art. 15 Abs. 1 VvB verletzenden Weise überspannt.
Nach § 44 StPO ist im Falle der Versäumung einer Frist Wiedereinsetzung zu gewähren,
sofern die Säumnis unverschuldet ist. Die Schuldlosigkeit der Fristversäumnis muss
durch vorzutragende Tatsachen begründet und die Richtigkeit dieser Tatsachen dem
Gericht mit Rücksicht auf die Bedeutung der verfahrensrechtlichen Grundrechte zwar
nicht voll bewiesen, wohl aber glaubhaft, d.h. wahrscheinlich gemacht werden (§ 45 Abs.
2 Satz 1 StPO). Ein Betroffener, der eine Zustellnachricht nicht erhalten haben will, muss
dabei in der Regel Einzelheiten vortragen und glaubhaft machen, aus denen sich
ergeben kann, dass aufgrund der konkreten Umstände ein Abhandenkommen des
Benachrichtigungszettels als möglich erscheint (so BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober
1997 - 2 BvR 1007/97 - NStZ-RR 1998, 74 <75>). Etwas anderes folgt auch nicht aus
dem vom Beschwerdeführer herangezogenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
vom 3. Juni 1991 - 2 BvR 311/89 - (NJW 1992, 224), da in ihm keine abweichenden
verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Darlegung und Glaubhaftmachung von
Wiedereinsetzungsgründen aufgestellt worden sind. Dieser Beschluss betrifft im Übrigen
nicht Fragen der Wiedereinsetzung, sondern der Indizwirkung der Ersatzzustellung dafür,
dass ein Zustellungsempfänger unter der Zustellanschrift tatsächlich wohnt; hierauf
bezieht sich die Auffassung, die Indizwirkung der Ersatzzustellung und ihrer Beurkundung
könne nur durch eine plausible, schlüssige Darstellung entkräftet werden.
Ein Verstoß der angegriffenen Entscheidungen gegen die vorgenannten
verfassungsrechtlichen Anforderungen läßt sich nicht feststellen. Dabei kommt es auf
die Frage der fristgemäßen Einreichung des Wiedereinsetzungsantrags nicht an, da
beide Gerichte ihre Entscheidungen selbständig tragend und ohne Verletzung von
Rechten des Beschwerdeführers auf die unzureichende Darlegung der
Wiedereinsetzungsgründe stützen. Indem es konkreten, glaubhaft zu machenden
Vortrag zu der Frage vermisst, ob der Briefkasten zur Zeit der Zustellung aufgebrochen
gewesen ist und dem Zugriff unbefugter Dritter offengestanden hat, überspannt das
Landgericht dabei das Darlegungserfordernis jedenfalls im Ergebnis nicht in einer Art. 15
Abs. 1 VvB zuwiderlaufenden Weise. Die Ausführungen des Beschwerdeführers genügten
ersichtlich nicht der ohne Verfassungsverstoß an eine Begründung eines
Wiedereinsetzungsantrages gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 StPO zu stellenden Anforderung,
den Sachverhalt so genau vorzutragen, dass das Gericht die Frage des Verschuldens
hinreichend zuverlässig beurteilen kann.
Es ist nichts dafür dargetan oder ersichtlich, dass die Darlegung von auf den Zeitraum
der Zustellung bezogenen Einzelheiten oder jedenfalls eine gewisse Konkretisierung
seiner Angaben in zeitlicher Hinsicht für den Beschwerdeführer unmöglich oder
unzumutbar gewesen sein könnte. Darauf, dass er nicht wisse, wann die Niederlegung
erfolgt sei, kann der Beschwerdeführer sich nicht mit Erfolg berufen. Bereits aus der mit
dem Datum der Rechtskraft (26. Mai 2001) versehenen, nach seinen Angaben am 2. Juli
2001 erhaltenen Kopie des Strafbefehls (Anlage 1 zur Verfassungsbeschwerde) ließ sich
in Verbindung mit der ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung der Zeitraum der
Zustellung auf den 10. oder 11. Mai 2001 - wegen des Himmelfahrtstages (24. Mai 2001)
endete die Zwei-Wochen-Frist jeweils am 25. Mai 2001 - eingrenzen. Im Übrigen hat eine
Rechtspflegerin der Staatsanwaltschaft unter dem 17. Juli 2001 - also noch vor Erlass
des Beschlusses des Amtsgerichts - vermerkt, dass das Datum der Zustellung des
Strafbefehls dem Verfahrensbevollmächtigten des Beschwerdeführers telefonisch
benannt worden sei (BI. 43 R der Strafakte). Schließlich war dem Beschwerdeführer der
genaue Zeitpunkt der Ersatzzustellung in dem Beschluss des Amtsgerichts nochmals
mitgeteilt worden. Auch durfte der seit dem Zustellversuch verstrichene Zeitraum als
nicht so groß erachtet werden, dass von vornherein keine zeitlich konkretisierten
Angaben zum Zustand des vom Beschwerdeführer genutzten Briefkastens - sei es
aufgrund der eigenen Erinnerung, Kenntnis Dritter, Schadensmeldung an die
Hausverwaltung oder Schadensfeststellung des Hauswarts - mehr möglich gewesen
wären. Vor diesem Hintergrund überspannt jedenfalls die Erwartung einer - weder
gegenüber dem Amtsgericht noch im Beschwerdeverfahren unterbreiteten - gewissen
Konkretisierung und Präzisierung der Angaben zum Zustand des Briefkastens die
Darlegungsanforderungen nicht, zumal sämtliche Ausführungen und die in das
Verfahren eingeführten Erklärungen in zeitlicher Hinsicht sehr vage geblieben sind. Dies
gilt auch für die mit der sofortigen Beschwerde vorgelegte, von mehreren
Hausbewohnern unterschriebene Erklärung vom 28. Juli 2001, deren Inhalt das
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Hausbewohnern unterschriebene Erklärung vom 28. Juli 2001, deren Inhalt das
Landgericht ausweislich der Begründung seines Beschlusses zur Kenntnis genommen,
aber zur Darlegung mangelnden Verschuldens des Beschwerdeführers auch in der
Zusammenschau mit den eidesstattlichen Versicherungen nicht hat ausreichen lassen.
Hierin ist kein Verfassungsverstoß zu erblicken; gerade wegen der erheblichen Folgen
eines Postverlustes erscheint es nicht fernliegend, dass ein Betroffener - zumindest
ungefähre - Angaben über Zeiträume der erkennbaren Beschädigung seines
Briefkastens machen kann, die über den Vortrag hinausreichen, der Briefkasten sei in
der „Vergangenheit" mehrfach aufgebrochen worden und „derzeit" für Dritte frei
zugänglich. Anhaltspunkte dafür, dass er selbst Opfer von „Manipulationen" an seinem
Briefkasten geworden sein könnte, hat der Beschwerdeführer im Übrigen nicht einmal
vorgetragen.
Soweit der Beschwerdeführer rügt, ihn könne kein Schuldvorwurf im Hinblick auf
unterlassene Vorkehrungen zur Sicherung des Briefkastens treffen, da durch die
Unterschrift des Hausmeisters unter der Erklärung vom 28. Juli 2001 glaubhaft gemacht
sei, dass die Hausverwaltung die immer wiederkehrenden Beschädigungen der
Hausbriefkästen nicht habe zeitnah beseitigen können, ist eine Überspannung der
Anforderungen an eine Wiedereinsetzung nicht ersichtlich. Denn unbeschadet der Frage
der Aussagekraft und hinreichenden Substanziiertheit der Erklärung hat das Landgericht
auf den Gesichtspunkt mangelnder Vorkehrungen des Beschwerdeführers gegen einen
Postverlust jedenfalls nicht tragend abgestellt, sondern sich im Kern darauf gestützt,
dass der Beschwerdeführer eine Beschädigung des Briefkastens zum Zeitpunkt der
Zustellung nicht dargetan und glaubhaft gemacht habe.
Ein Verfassungsverstoß liegt auch nicht darin, dass die Gerichte auf den Vortrag in der
eidesstattlichen Versicherung des Beschwerdeführers nicht ausdrücklich eingegangen
sind, dieser habe die Tatvorwürfe gegenüber der Polizei unter Angaben von Zeugen
substanziiert bestritten, ihm sei durch den vernehmenden Polizeibeamten mitgeteilt
worden, dass die Sache wohl eingestellt werde, und er sei von einer
Verfahrenseinstellung ausgegangen, da er nach seiner Vernehmung keine weiteren
Schriftstücke bezüglich des Tatvorwurfs erhalten habe. Dafür, dass die Gerichte diesen
Inhalt der eidesstattlichen Versicherung nicht zur Kenntnis genommen haben könnten,
bestehen keine Anhaltspunkte. Eine entscheidende Bedeutung musste diesem Vortrag
im Hinblick auf die nicht hinreichend substanziierten Angaben zum Zustand des
Briefkastens aber nicht beigemessen werden, da er nichts über ein etwaiges
Abhandenkommen des Benachrichtigungszettels besagt und deshalb ein Verschulden
des Beschwerdeführers im Umgang mit einem in den Briefkasten eingeworfenen
Benachrichtigungszettel nicht ausschließt. Zwar mag es nach dem Verhalten des
Beschwerdeführers sinnwidrig erscheinen, dass dieser gegen einen ihm bekannt
gewordenen Strafbefehl keinen Einspruch erhebt. Der Strafbefehl ist ihm aufgrund der
Ersatzzustellung aber - unstreitig - gerade nicht zur Kenntnis gelangt.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers lässt sich nach alledem auch keine die
Schwelle eines Verstoßes gegen das Grundrecht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art.
15 Abs. 4 VvB) überschreitende (vgl. Beschluss vom 6. Mai 1998 - VerfGH 19/97 - LKV
1998, 313) grob fehlerhafte, offenkundig unrichtige Rechtsanwendung der Vorschriften
über die Wiedereinsetzung feststellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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