Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: politische partei, volksabstimmung, chancengleichheit, fusion, verfassung, vertreter, politik, hauptsache, sammlung, quelle

1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
14/96, 14 A/96
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 21 Abs 1 S 1 GG, § 37 Abs 1
VGHG BE
VerfGH Berlin: Keine Verletzung des Rechts auf
Chancengleichheit der Partei "Bürgerbund" durch werbende
Öffentlichkeitsarbeit des Berliner Senats für die Fusion der
Länder Berlin und Brandenburg
Gründe
I.
Der Antragsteller ist eine politische Partei, die eine Fusion der Bundesländer Berlin und
Brandenburg ablehnt. Bereits im Jahre 1995 ist der Antragsteller gegen die
Öffentlichkeitsarbeit des Senats von Berlin im Zusammenhang mit der geplanten
Ländervereinigung im Wege des Organstreits und des vorläufigen Rechtsschutzes
vorgegangen. Der Verfassungsgerichtshof hat die Organklage durch Beschluß vom 21.
September 1995 (VerfGH 12/95) als unzulässig zurückgewiesen.
Mit der am 16. Februar 1996 beim Verfassungsgerichtshof eingegangenen Organklage
wendet sich der Antragsteller erneut gegen die aus seiner Sicht nicht neutrale Haltung
des Antragsgegners in den letzten drei Monaten vor der für den 5. Mai 1996
vorgesehenen Volksabstimmung über die Neugliederung. Er rügt eine Verletzung des
Grundsatzes der Chancengleichheit, der auch im Vorfeld einer Volksabstimmung zum
Tragen komme. Das vorliegende Verfahren stelle keine Wiederholung der Anträge aus
dem Verfahren VerfGH 12/95 dar. Während sich jene Anträge gegen bestimmte
Maßnahmen im langfristigen Vorfeld der Volksabstimmung gerichtet hätten, gehe es
hier darum, daß der Antragsgegner inzwischen öffentlich bekenne, keine neutrale
Position einzunehmen, sondern in der heißen Phase des Abstimmungskampfes "bewußt
parteiisch" eine Kampagne zugunsten der Befürwortung der Fusion zu führen.
Der Antragsteller beantragt festzustellen,
der Senat von Berlin verstößt dadurch gegen Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 S. 2 GG und den
Grundsatz der Chancengleichheit bei Wahlen (Art. 21 Abs. 1, Art. 38 Abs. 1 GG) i.V.m.
Art. 1 Abs. 3 VvB, daß er
1. sich in den letzten drei Monaten vor der Volksabstimmung am 5. Mai 1996 gemäß Art.
3 Abs. 1 des Staatsvertrages zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg über die
Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes (Neugliederungsvertragsgesetz GVBl. 1995,
S. 490) nicht neutral im Abstimmungswahlkampf verhält,
2. im Abstimmungswahlkampf zur Volksabstimmung am 5. Mai 1996 gemäß Art. 3 Abs.
1 des Staatsvertrages zwischen den Ländern Berlin und Brandenburg über die Bildung
eines gemeinsamen Bundeslandes (Neugliederungsvertragsgesetz GVBl. 1995, S. 490)
vorsätzlich und willentlich den Willensbildungsprozeß vom ihm hin zu den
Abstimmungsberechtigten betreibt anstatt von den Abstimmungsberechtigten über die
Parteien hin zu den Staatsorganen betreiben läßt,
3. bei seiner Öffentlichkeitsarbeit
- nicht das Informationsmaterial des Antragstellers im Rahmen des Haushaltstitels für
den Abstimmungswahlkampf vervielfältigt, auslegt und verteilt
- im Rahmen von Veranstaltungen keine Vertreter des Antragstellers hinzuzieht.
Hilfsweise beantragt der Antragsteller festzustellen,
der Antragsgegner verstößt gegen das von der Verfassung gebotene
Sachlichkeitsgebot, indem er Werbeanzeigen mit folgendem Text schaltet:
12
13
14
15
16
17
18
19
20
"Ein Land spart Geld"
"Ein Land Berlin-Brandenburg spart Steuern,
denn wir müssen nicht mehr zwei Regierungen, zwei Parlamente und zwei Verwaltungen
bezahlen. Ein gemeinsames Land rechnet sich. Ein Land spart unser Geld."
Der Antragsgegner ist dem Begehren des Antragstellers entgegengetreten; er hält die
gestellten Anträge für unzulässig und bittet um ihre Zurückweisung.
II.
Die Entscheidung könnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da der
Verfassungsgerichtshof einstimmig auf sie verzichtet hat (§ 24 Abs. 1 VerfGHG).
Die Anträge sind unzulässig.
Zweifel an der Zulässigkeit insbesondere des Antrags zu 1) ergeben sich bereits mit
Rücksicht auf den Beschluß vom 21. September 1995, in dem der
Verfassungsgerichtshof entschieden hat, der Antragsteller sei hinsichtlich werbender
Eingriffe des Antragsgegners in den Meinungsbildungsprozeß vor der Volksabstimmung
im Organstreitverfahren nicht antragsbefugt. Denn eine rechtskräftige Entscheidung
bildet-- wie der Antragsgegner im einzelnen dargelegt hat - ein Prozeßhindernis für ein
neues Verfahren zwischen den gleichen Beteiligten über denselben Streitgegenstand.
Da auch Prozeßurteile der materiellen Rechtskraft fähig sind, nämlich insofern, als über
die zur Unzulässigkeit führende Prozeßfrage entschieden worden ist, könnte der Antrag
zu 1) unzulässig sein, weil er inhaltlich von dem im Verfahren VerfGH 12/95 anhängig
gewesenen Antrag zu 2) miterfaßt war. Doch mag dies auf sich beruhen. Denn jedenfalls
ist der Antragsteller bezüglich der Anträge zu 1) und 2) wiederum nicht antragsbefugt.
Der Antragsteller kann nicht im Sinne des § 37-Abs. 1 VerfGHG geltend machen, durch
ein nicht neutrales Verhalten des Antragsgegners im Vorfeld der Volksabstimmung in
durch die Verfassung von Berlin verbürgten Rechten verletzt zu sein. Der Grundsatz der
Chancengleichheit der Parteien im politischen Wettbewerb, der als Ausfluß des Art. 21
Abs. 1 GG auch Bestandteil der Landesverfassung ist, wird durch das Eintreten des
Antragsgegners für die Ländervereinigung von vornherein nicht berührt. Auf die
Gewährleistung der Chancengleichheit kann sich eine politische Partei nur berufen,
soweit sie in direkter Konkurrenz mit anderen politischen Parteien steht. Bei der
Vorbereitung der Volksabstimmung ist das indessen - anders als beispielsweise im
Wahlkampf oder im Zusammenhang mit dem Bemühen um Spenden - nicht der Fall. Zu
einer im Hinblick auf die Chancengleichheit bedeutsamen Konkurrenzsituation kommt es
entgegen der Ansicht des Antragstellers auch nicht dadurch, daß einzelne Parteien sich
positiv zu der zur Abstimmung gestellten Sachfrage äußern, während andere Parteien
einen gegenteiligen Standpunkt einnehmen. Die Situation vor einer Volksabstimmung ist
gerade dadurch gekennzeichnet, daß die verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen
bemüht sind, die Öffentlichkeit von den Vorteilen und Nachteilen der einen oder der
anderen Lösung zu überzeugen. Das Eintreten von Staatsorganen für eine bestimmte
sachliche Lösung kann daher grundsätzlich nicht als Maßnahme mit Bezug auf die
Wettbewerbssituation zwischen einzelnen Parteien angesehen werden. Wie der
Verfassungsgerichtshof bereits im Beschluß vom 21. September 1995 ausgeführt hat,
wäre eine andere Betrachtung nur dann gerechtfertigt, wenn bei der Öffentlichkeitsarbeit
eine Partei gezielt herausgegriffen, insbesondere in der Öffentlichkeit diffamiert würde.
Dafür, daß eine solche Konstellation hier gegeben sein könnte, liegen nach wie vor keine
Anhaltspunkte vor. Die Befürchtung des Antragstellers, eine Partei werde mit dem
"Stigma einer unfähigen, schlecht durchdachten Politik" versehen, indem die von ihr
eingenommene Position in "unsachlicher Weise fertiggemacht" werde, entbehrt schon
nach seinem eigenen Vorbringen jeglicher tatsächlicher Grundlage. Zum einen ist nicht
dargetan, daß der Antragsgegner bei der Auseinandersetzung mit den Gegenpositionen
die Grenzen der Sachlichkeit überschritten hat. Zum anderen ist zu berücksichtigen, daß
der Antragsteller keineswegs die einzige Gruppe ist, die sich als Gegnerin der Fusion
versteht. Insofern hat die die Ländervereinigung propagierende Haltung des
Antragsgegners keine direkte Auswirkung gerade auf die Rechtsstellung des
Antragstellers als politische Partei. Verfassungsmäßige Rechte des Antragstellers
werden mithin durch die Öffentlichkeitsarbeit von vornherein nicht berührt.
Auch der Antrag zu 3) ist mangels Antragsbefugnis unzulässig. Daß der Antragsgegner
das Informationsmaterial des Antragstellers im Rahmen des Haushaltstitels für den
Abstimmungswahlkampf nicht vervielfältigt, auslegt oder verteilt und im Rahmen von
Veranstaltungen dessen Vertreter nicht heranzieht, könnte im Hinblick auf die
21
22
23
24
Veranstaltungen dessen Vertreter nicht heranzieht, könnte im Hinblick auf die
Chancengleichheit allenfalls dann verfassungsrechtlich relevant sein, wenn andere
politische Parteien insoweit bevorzugt würden. Dafür ist indessen nichts vorgetragen.
Abgesehen davon läßt sich dem Vorbringen des Antragstellers nicht entnehmen, daß er
mit seinem in Rede stehenden Anliegen an den Antragsgegner herangetreten ist und
der Antragsgegner dieses Begehren abschlägig beschieden hat. Vor diesem Hintergrund
könnte es zudem an einem Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag zu 3) fehlen.
Mit Blick auf den Hilfsantrag mangelt es dem Antragsteller aus den zuvor behandelten
Gründen ebenfalls an der für die Zulässigkeit einer Organklage erforderlichen
Antragsbefugnis; auch er kann deshalb keinen Erfolg haben.
Mit der Entscheidung über die Hauptsache erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlaß
einer einstweiligen Anordnung.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33 f. VerfGHG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum