Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: strafverfahren, verfassungsbeschwerde, bewährung, wahrscheinlichkeit, öffentliche gewalt, genetischer fingerabdruck, unterbringung, straftat, aussetzung, vollstreckung

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
112/02
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 33 Verf BE, § 81g StPO, § 2
DNA-IfG
Leitsatz
Art 33 VvB verlangt bei der Anordnung einer Maßnahme nach § 2 DNA-IFG i. V. m. § 81 g
StPO eine sorgfältig begründete Negativprognose. Wegen des nach dem Gesetzeszweck
unterschiedlichen Prognosemaßstabs besteht für das entscheidende Gericht jedoch keine
Bindung an die im Zusammenhang mit einer Strafaussetzung zur Bewährung getroffene
positive Sozialprognose.
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
1. Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen eine
richterliche Anordnung der Entnahme von Körperzellen und deren molekulargenetische
Untersuchung zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren („genetischer
Fingerabdruck“).
Gegen den 1942 geborenen Beschwerdeführer wurde erstmals durch Urteil des
Jugendschöffengerichts Tiergarten in Berlin vom 30. April 1990 – (401) 8 Ju Js 113/89 Ls
(87/89) – wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in Tateinheit mit homosexuellen
Handlungen eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafe wurde nach Ablauf der
Bewährungszeit erlassen. Außerdem verurteilte das Landgericht Berlin den
Beschwerdeführer durch Urteil vom 10. Oktober 1995 – (513) 10 Ju Js 519/95 KLs (35/95)
– wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in einundzwanzig Fällen, davon in achtzehn
Fällen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und ordnete seine
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Beiden Verurteilungen lag
zugrunde, daß der Beschwerdeführer im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit
an mehreren Jungen, deren Vertrauen er erworben hatte, sexuelle Handlungen
vorgenommen hatte bzw. von den Jungen solche Manipulationen an sich hatte
vornehmen lassen.
Auf Grund der zweiten Verurteilung befand sich der Beschwerdeführer in der Zeit vom
28. Dezember 1995 bis zum 15. Juni 2001 im Krankenhaus des Maßregelvollzuges des
Landes Berlin. Durch Beschluß vom 31. Mai 2001 – 542 StVK 17/00 – setzte das
Landgericht Berlin – Strafvollstreckungskammer – die weitere Vollstreckung der
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ab dem 15. Juni 2001 zur
Bewährung aus, weil zu erwarten sei, daß der Beschwerdeführer außerhalb des
Maßregelvollzuges keine rechtswidrigen Taten mehr begehen werde und eine
Aussetzung auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit
verantwortet werden könne. Hierbei führte es, sich stützend auf ein forensisch-
sexualmedizinisches Gutachten von Prof. Dr. B. vom 30. Mai 2000, aus, daß bei dem
Beschwerdeführer eine homopädophile Hauptströmung vorliege, die nicht veränderbar
sei. Es bestehe kein Anlaß zu der Vermutung, daß sich diesbezüglich noch Änderungen,
insbesondere Intensitätssteigerungen, ergeben könnten. Es sei vielmehr zu vermuten,
daß sich der Beschwerdeführer wieder auf das Niveau der nur fantasierten sexuellen
Kontakte zu Jungen zurückziehen könne. Zwar sei die – nicht quantifizierbare – Gefahr
des Aufbaues einer erneuten intensiven Beziehung zu einem Jungen nicht wirklich
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des Aufbaues einer erneuten intensiven Beziehung zu einem Jungen nicht wirklich
auszuschließen; in einer solchen Situation komme es entscheidend darauf an, daß der
Beschwerdeführer die projektiven Mechanismen durchschauen und sich an seine
höchste Priorität, den Jungen nicht schaden zu wollen, erinnern könne. Die
Wahrscheinlichkeit, daß ihm letzteres gelinge, könne durch eine intensive
einzeltherapeutische Nachbetreuung erhöht werden. Die Strafvollstreckungskammer
führte anschließend aus, es könne die kritische Probe in die Freiheit nun gewagt werden.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Berlin ordnete das Amtsgericht Tiergarten durch
Beschluß vom 9. April 2002 gemäß § 2 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz (DNA-IFG)
i.V.m. §§ 81 f, 81 g StPO zum einen die Entnahme von Körperzellen des
Beschwerdeführers in Form einer Speichelprobe – Mundhöhlenabstrich –, bei Weigerung
eine Blutentnahme, sowie zum anderen deren molekulargenetische Untersuchung zur
Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters mit dem Ziel an, die Eigenschaften in die
DNA-Analysedatei einzustellen. Zur Begründung verwies das Amtsgericht auf die
Verurteilung durch das Landgericht vom 10. Oktober 1995. Allein aufgrund der Art der
Tat und der Persönlichkeit des Beschwerdeführers bestehe Grund zu der Annahme, daß
gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung
zu führen seien. Zudem liege die DNA-Identifizierung auch im Interesse des
Beschwerdeführers. Sie ermögliche es, Personen bereits in der Ermittlungsphase nach
einer entsprechenden Straftat zu einem frühen Zeitpunkt als Verdächtige
auszuschließen. Daß bei dem Beschwerdeführer die angeordnete Maßnahme
kriminalistisch sinnvoll erscheine, sei im Hinblick auf statistische Erhebungen
offensichtlich, wonach Sexualtäter als Neigungstäter in über 50 % der Fälle erneut
straffällig würden, davon in über 20 % der Fälle im einschlägigen Deliktsbereich.
Seine hiergegen eingelegte Beschwerde begründete der Beschwerdeführer
dahingehend, daß sich seine Einordnung in eine „Verbrecherkartei“ nicht mit der
Achtung der Menschenwürde vertreten lasse. Es widerspreche seinem
Gerechtigkeitsempfinden, wenn er wegen acht bis zehn Jahre zurückliegender
einvernehmlicher Beziehungstaten und nach einer erfolgreichen Therapie bei strafloser
Führung in eine „Verbrecherkartei“ aufgenommen werden solle. Eine solche soziale
Stigmatisierung verletze nicht nur seine Persönlichkeit in seinem Selbstwertgefühl, es
spreche auch dem Resozialisierungsgedanken und -gebot – einem Ausfluß des
Menschenwürdeprinzips – Hohn. Zudem sei es nicht richtig, daß alle ihm zur Last
gelegten Tathandlungen, die zu einer Verurteilung geführt hätten, auch real
stattgefunden hätten. Es sei doch schon maßlos übertrieben worden und er wisse nicht,
ob er einem solchen „Kuhhandel“ zugestimmt hätte, wenn eine DNA-Verbrecherkartei
absehbar gewesen wäre. Er sei natürlich kein Unschuldslamm und wisse aufgrund seiner
Therapieerfahrung heute, daß sein damals vermeintlich richtiges Handeln im Umgang
mit den Kindern durchaus auch von Fehlverhalten belegt gewesen sei. Und natürlich
mache er sich auch Selbstvorwürfe, daß er sich von den Jungen in deren sexuellen
Neugierde und entsprechenden Wünschen habe vereinnahmen lassen. Er habe sich
seine emotional-sexuelle Orientierung nicht ausgesucht, aber er müsse damit leben. Er
sei kein Verbrecher, der Kinder sexuell ausbeute oder ihnen Verletzungen zufüge.
Mit Beschluß vom 12. Juni 2002 verwarf das Landgericht Berlin die Beschwerde als
unbegründet. Die Voraussetzungen des § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81 g Abs. 1 StPO für die
Entnahme und Untersuchung der Körperzellen zum Zweck der Feststellung des DNA-
Identifizierungsmusters lägen vor. Dabei führte das Landgericht im Hinblick auf die
Verurteilung durch das Jugendschöffengericht vom 30. April 1990 als auch die
Verurteilung durch das Landgericht vom 10. Oktober 1995 aus, daß der
Beschwerdeführer wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung verurteilt worden sei. Die
Eintragung der Verurteilungen im Bundeszentralregister sei noch nicht getilgt. Auf Grund
der Tatausführungen und der Persönlichkeit des Beschwerdeführers sei zudem zu
befürchten, daß gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von
erheblicher Bedeutung zu führen sein würden. Die negative Prognose sei nicht allein
deshalb ausgeschlossen, weil die Strafvollstreckungskammer die weitere Vollstreckung
der Unterbringung zu Bewährung ausgesetzt habe. Nach dem Gesetzeszweck seien bei
den Entscheidungen der Strafaussetzung zur Bewährung und der Anordnung der
Maßnahmen bei § 81 g StPO unterschiedliche Prognosemaßstäbe anzuwenden. Der
Beschwerdeführer leide an einer homopädophilen Hauptströmung, die auch durch den
Maßregelvollzug nicht habe therapiert werden können. Sie begründe die Gefahr, daß es
in Zukunft erneut zu Übergriffen des Beschwerdeführers gegenüber Kindern kommen
könnte. Zudem ergebe sich auch aus seiner Beschwerdebegründung, daß weiterhin eine
Tendenz bestehe, sich als Opfer darzustellen und die Taten zu bagatellisieren, was
gegen eine vollständige Unrechtseinsicht, die eine wesentliche Voraussetzung für
zukünftig straffreies Leben sei, spreche. Eine vom Beschwerdeführer befürchtete
„soziale Stigmatisierung“ finde nicht statt, da die DNA-Identifizierungsmuster
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„soziale Stigmatisierung“ finde nicht statt, da die DNA-Identifizierungsmuster
ausschließlich zum Zweck der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren oder der
Gefahrenabwehr verwendet würden und das Genmaterial nach der Feststellung des
DNA-Identifizierungsmusters vernichtet werde (§ 81 g StPO, § 3 DNA-IFG).
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die
richterliche Anordnung der Feststellung und Speicherung des DNA-
Identifizierungsmusters. Es gebe keine zwingende Notwendigkeit für eine DNA-Erfassung
und die damit einhergehende Grundrechtseinschränkung. Er sehe sich in seiner Würde
verletzt. In seiner weiteren Begründung setzt er sich mit der Entscheidung des
Landgerichts auseinander und führt aus, daß diese Auslegungsfehler und insbesondere
willkürliche Erwägungen enthalte, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von
der Bedeutung des Rechts auf Menschenwürde bzw. vom Umfang seines
Schutzbereiches beruhten. Die vom Landgericht erstellte negative Prognose würdige
nicht die zu seinen Gunsten vorausgegangenen positiven Bewertungen. Insbesondere
stehe die negative Prognose im vollen Gegensatz zu der Bewertung der
Strafvollstreckungskammer. Das Landgericht berufe sich für die eigene erstellte
Negativprognose auf das Gutachten von Prof. Dr. B., wonach sexuelle Übergriffe auch
nach der Therapie nicht ausgeschlossen werden könnten, unterdrücke hierbei aber auch
die Tatsache, daß dann mögliche sexuelle Übergriffe tatphänomenologisch die Intensität
bisheriger Handlungen nicht überschreiten und gewaltlos auf dem Boden einer
Vertrauensbeziehung zu dem Jungen durchgeführt würden. Er sei so wie er sei. Wenn
schon die vorgegebene Natürlichkeit seiner Person aus sich selbst heraus als eine
Gefahr begründend gesehen werde, dann verletze dies seine menschliche Würde. Denn
ihm sei keine Wahl gegeben, anders zu sein. Auch sollte einem Menschen doch soviel
Freiheit eingeräumt sein, daß er sich auch – und sei es nur seinem subjektiven
Empfinden nach – als Opfer fühlen dürfe. Es gebe für ihn aber keinen Grund, die
Vergehen zu bagatellisieren, nur sollte man auch nicht dramatisieren. Wenn es
zutreffend wäre, daß es ihm an Unrechtseinsicht mangelte, gäbe es auch
nachvollziehbare Gründe. Darüber hinaus sei nach seiner Verurteilung nichts vorgefallen,
was einer Befürchtung des Landgerichts Rechnung tragen würde. Er sei sich der
Strafbarkeit seiner früheren Verhaltensweise bewußt geworden und wolle sich nicht
selber wieder in Gefahr bringen. Ob er zukünftig jeder Versuchung widerstehen werde,
die hoffentlich nicht auf ihn zukomme, werde sich aber sicherlich nicht versprechen
lassen. Dennoch gebe es keinen nachvollziehbaren Hinweis oder Beleg dafür, daß selbst
bei einer zu vermutenden Annahme der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten ein
Aufklärungsansatz durch einen Spurenvergleich mittels eines DNA-
Identifizierungsmusters geboten erscheine, da sog. Verdeckungsstraftaten mit absoluter
Sicherheit nicht zu erwarten seien. Daher stehe der Grundrechtseingriff außer Verhältnis.
Es verletze seine Würde zutiefst, wenn er in einen Topf geworfen werde mit Mördern,
Vergewaltigern und anderen Gewalttätern.
II.
Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Nach § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche
Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen
Rechte verletzt zu sein, Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erheben.
Soweit – wie hier – Gegenstand der Verfassungsbeschwerde auf Bundesrecht beruhende
Entscheidungen Berliner Gerichte sind, besteht die Prüfungsbefugnis des
Verfassungsgerichtshofs in den Grenzen der Art. 142, 31 GG hinsichtlich solcher
Grundrechte aus der Verfassung von Berlin, die mit vom Grundgesetz verbürgten
Grundrechten übereinstimmen (st. Rspr.; u. a. Beschluß vom 2. Dezember 1993 –
VerfGH 89/93 – LVerfGE 1, 169 <179 ff.>; Beschluß vom 6. Oktober 1998 – VerfGH
32/98 – NJW 1999, 47). Nach § 50 VerfGHG sind in der Begründung der
Verfassungsbeschwerde das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder
Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich
verletzt fühlt, zu bezeichnen.
Diesen Zulässigkeitsanforderungen wird die Verfassungsbeschwerde gerecht.
Unschädlich ist, daß der Beschwerdeführer keine Norm der Verfassung von Berlin
ausdrücklich zitiert, sondern allein Art. 1 GG benennt. Zwar reicht es nach der ständigen
Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nicht aus, wenn die
Verfassungsbeschwerde nur Vorschriften des Grundgesetzes bezeichnet. Jedoch genügt
der Beschwerdeführer seiner Begründungspflicht, wenn durch seine inhaltlichen
Darlegungen hinreichend deutlich wird, daß er sich in einem in der Verfassung von Berlin
verbürgten Recht verletzt fühlt. Dies ist hier der Fall. Der Beschwerdeführer hat im
einzelnen ausgeführt, aus welchen Gründen er durch eine DNA-Erfassung in seiner
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einzelnen ausgeführt, aus welchen Gründen er durch eine DNA-Erfassung in seiner
Würde verletzt werde. Er rügt mit seiner Verfassungsbeschwerde zudem nicht nur, durch
eine hoheitliche Maßnahme zum Objekt staatlichen Handelns gemacht worden zu sein.
Darüber hinaus hebt er ausdrücklich hervor, daß für eine DNA-Erfassung, durch die er
sich „in einen Topf geworfen“ mit Mördern, Vergewaltigern und anderen
Gewaltverbrechern sieht, kein Anlaß gegeben sei. Zudem reicht der Beschwerdeführer
zusammen mit der Verfassungsbeschwerde seine Beschwerde gegen den Beschluß des
Amtsgerichts Tiergarten vom 9. April 2002 ein, in der er die Verletzung seiner
Persönlichkeit mit der durch die Aufnahme in eine „Verbrecherkartei“ einhergehenden
sozialen Stigmatisierung begründet.
Insgesamt rügt der Beschwerdeführer damit inhaltlich nicht nur die in Art. 6 VvB
verbürgte Menschenwürde, sondern der Sache nach eine Verletzung des in der
Verfassung von Berlin in Art. 33 VvB geschützten Rechts des Einzelnen, grundsätzlich
selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen.
Art. 33 VvB entspricht dem im Grundgesetz gewährleisteten Recht auf informationelle
Selbstbestimmung (Beschluß vom 17. Dezember 1997 – VerfGH 2/96 – LVerfGE 7, 26
<31> zu Art. 21 b VvB a.F.), das aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet
wird, da die freie Entfaltung der Persönlichkeit den Schutz des Einzelnen gegen
unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen
Daten voraussetzt (BVerfGE 65, 1 <43>).
2. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung ist durch die angegriffenen Beschlüsse des Amtsgerichts Tiergarten
und des Landgerichts Berlin nicht verletzt. Auch sonstige Verletzungen von Rechten des
Beschwerdeführers aus der Verfassung von Berlin sind nicht ersichtlich.
Art. 33 VvB gewährleistet die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende
Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher
Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Es gewährt seinen Trägern
Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der
auf sie bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten. (vgl. zum
Bundesrecht: BVerfGE 103, 21 <32 f.>). Die Feststellung, Speicherung und (künftige)
Verwendung des DNA-Identifizierungsmusters greift in das durch Art. 33 VvB verbürgte
Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist indes nicht vorbehaltlos
gewährleistet. Es kann vielmehr zum Schutz überwiegender Allgemeininteressen durch
Gesetz beschränkt werden (Art. 33 Sätze 2 und 3 VvB). Dies ist durch § 2 DNA-IFG i.V.m.
§ 81 g StPO geschehen. Danach dürfen zum Zwecke der Identitätsfeststellung in
künftigen Strafverfahren u.a. demjenigen, der rechtskräftig verurteilt ist, wegen einer
noch nicht im Bundeszentralregister oder Erziehungsregister getilgten Straftat von
erheblicher Bedeutung, insbesondere eines Verbrechens, eines Vergehens gegen die
sexuelle Selbstbestimmung, einer gefährlichen Körperverletzung, eines Diebstahls in
besonders schwerem Fall oder einer Erpressung Körperzellen entnommen und zur
Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters molekulargenetisch untersucht werden,
wenn wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Betroffenen oder
sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, daß gegen ihn künftig erneut
Strafverfahren wegen einer der vorgenannten Straftaten zu führen sind.
Die Regelung des § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81 g StPO ist formell verfassungsgemäß, da sie
zum Zweck der Sicherung der Beweisführung in künftigen Strafverfahren vom
Bundesgesetzgeber auf Grund seiner konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit für
das gerichtliche Verfahren in Strafsachen gemäß § 74 Abs. 1 Nr. 1 GG erlassen wurde
(BVerfGE 103, 21 <30 f.>).
§ 2 DNA-IFG verstößt auch inhaltlich nicht gegen Verfassungsrecht. Der absolut
geschützte Kernbereich der Persönlichkeit, in den auch auf Grund eines Gesetzes nicht
eingegriffen werden dürfte, ist nicht betroffen. Durch die Feststellung des DNA-
Identifizierungsmusters anhand des Probenmaterials, des sog. nicht-codierenden Anteils
der DNA, das gemäß § 81 g Abs. 2 StPO anschließend zu vernichten ist, werden nämlich
Rückschlüsse auf persönlichkeitsrelevante Merkmale wie Erbanlagen,
Charaktereigenschaften oder Krankheiten des Betroffenen, also ein Persönlichkeitsprofil,
nicht ermöglicht (BVerfGE 103, 21 <31 f.>; BTDrucks 13/10791, S. 5). Dem
Schrankenvorbehalt für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
trägt die gesetzliche Regelung in § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81 g StPO ausreichend Rechnung.
Sie bezweckt die Erleichterung der Aufklärung künftiger Straftaten von erheblicher
Bedeutung und dient damit einer an rechtsstaatlichen Garantien ausgerichteten
Rechtspflege, der ein hoher Rang zukommt. Die gesetzliche Regelung genügt den
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Rechtspflege, der ein hoher Rang zukommt. Die gesetzliche Regelung genügt den
rechtsstaatlichen Erfordernissen der Normklarheit und der Justitiabilität. Die vorsorgliche
Beweisbeschaffung verstößt auch nicht gegen das Übermaßverbot. Das
Rehabilitationsinteresse des Betroffenen gegenüber der Gefahr sozialer Abstempelung
wird durch die Anknüpfung des § 2 Abs. 1 DNA-IFG an die Tilgungsfristen des
Bundeszentral- oder Erziehungsregisters hinreichend beachtet. Die in § 81 g Abs. 2 StPO
enthaltene strenge Zweckbindung und das Gebot der Vernichtung des gesamten
entnommenen Zellmaterials verhindert einen Mißbrauch (BVerfGE 103, 21 <35>).
Im vorliegenden Fall ist die Auslegung und Anwendung des § 2 Abs. 1 DNA-IFG i.V.m. §
81 g StPO im Ausgangsverfahren verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die
rechtliche Würdigung des konkreten Sachverhalts läßt weder Willkür noch eine
grundsätzlich unrichtige Anschauung von der Bedeutung und Reichweite des Art. 33 VvB
erkennen. Dem für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
geltenden verfassungsrechtlichen Erfordernis einer zureichenden Sachaufklärung und
tragfähigen Entscheidungsbegründung (vgl. BVerfGE 103, 21 <35 f.; 39>) wurde
hinreichend Rechnung getragen.
Die Fachgerichte haben zu Recht zugrunde gelegt, daß eine Straftat von erheblicher
Bedeutung als sog. Anlaßtat für die Maßnahme nach § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81 g StPO
vorliegt. Der Beschwerdeführer ist wegen Straftaten gegen die sexuelle
Selbstbestimmung verurteilt worden, die von § 81 g Abs. 1 StPO als Regelbeispielsfälle
genannt werden. Zwar entbindet das Vorliegen eines Regelbeispiels nicht von einer
einzelfallbezogenen Prüfung der Erheblichkeit der Straftat, wenn es etwa im Hinblick auf
verhängte milde Strafen Hinweise aus den zugrunde liegenden Strafverfahren gibt, daß
eine Ausnahme von der Regel in Betracht kommt (BVerfGE 103, 21 <38>; BVerfG,
Beschluß vom 15. März 2001 – 2 BvR 1841/00 u.a. – NJW 2001, 2320 <2321>).
Angesichts der Verurteilung des Beschwerdeführers vom 10. Oktober 1995 zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und der Anordnung seiner
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bestand jedoch für die
Fachgerichte keine Veranlassung zu einer diesbezüglichen näheren Erörterung.
Die Prognoseentscheidung, wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit
des Betroffenen oder sonstiger Erkenntnisse bestehe Grund zu der Annahme, daß
gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu
führen sind, setzt von Verfassungs wegen neben dem Erfordernis einer zureichenden
Sachaufklärung voraus, daß die für sie bedeutsamen Umstände nachvollziehbar
abgewogen werden. Hierfür reicht die bloße Bezugnahme auf den Gesetzeswortlaut
ebensowenig aus wie die alleinige Bezugnahme auf Kriminalstatistiken bzw. die
Tatsache, daß die Feststellung und Speicherung des DNA-Identifizierungsmusters
gegebenenfalls auch als Entlastungsbeweis wirken könnte (BVerfGE 103, 21 <36, 39>;
BVerfG a.a.O. NJW 2001, 2320 <2321>). Vielmehr ist eine auf den Einzelfall bezogene
Entscheidung, die auf schlüssigen, verwertbaren und in der Entscheidung
nachvollziehbar dokumentierten Tatsachen beruht und die richterliche Annahme der
Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten von erheblicher Bedeutung belegt, erforderlich.
Dabei wird keine erhöhte Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall gefordert. Die Prognose
der Gefahr der Wiederholung muß aber auf schlüssigen, verwertbaren und in der
Entscheidung nachvollziehbar dokumentierten Tatsachen beruhen und auf dieser
Grundlage die richterliche Annahme der Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten von
erheblicher Bedeutung belegen, für die das DNA-Identifizierungsmuster einen
Aufklärungsansatz durch einen (künftigen) Spurenvergleich bieten kann (BVerfGE 103,
21 <35 ff.>).
Es braucht nicht entschieden zu werden, ob die recht knappen Ausführungen des
Amtsgerichts Tiergarten dem Erfordernis einer einzelfallbezogenen Prüfung genügen.
Denn ein dem amtsgerichtlichen Beschluß anhaftender Mangel wäre insoweit jedenfalls
dadurch geheilt, daß das Landgericht die Beschwerde mit einer eingehenden
Begründung verworfen hat, die verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl.
BVerfG, Beschluß vom 2. August 1996 – 2 BvR 1511/96 – NJW 1996, 3071 <3072>).
Die Entscheidung des Landgerichts genügt bei seiner Negativprognose den dargelegten
verfassungsrechtlichen Anforderungen. Das Landgericht stellt nicht allein auf die
Verurteilungen des Beschwerdeführers ab, sondern setzt sich mit der Persönlichkeit des
Beschwerdeführers auseinander und legt nachvollziehbar dar, daß auch mehrere Jahre
nach der letzten Verurteilung und trotz Maßregelvollzuges und einhergehender
Therapierung Grund zu der Annahme besteht, daß gegen den Beschwerdeführer künftig
erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein
könnten.
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Das Landgericht war trotz des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 31. Mai
2001, die Vollstreckung der Unterbringung und der restlichen Freiheitsstrafe zur
Bewährung auszusetzen, verfassungsrechtlich nicht gehindert, die Voraussetzung für
eine Maßnahme nach § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81 g StPO anzunehmen. Allerdings ist im
Rahmen der Gefahrenprognose im Sinne des § 81 g Abs. 1 StPO erforderlich, daß eine
auf den konkreten Betroffenen bezogene offene Abwägung vorgenommen wird, in die
alle diejenigen Umstände einzustellen sind, die gleichermaßen bei einer Sozialprognose
für die Straf(rest) aussetzung zur Bewährung bestimmend sein können. Dies gilt etwa für
den Zeitablauf seit der früheren Tatbegehung, das Verhalten des Betroffenen in der
Bewährungszeit, seine Motivationslage bei der früheren Tatbegehung, seine
Lebensumstände und seine Persönlichkeit. Dabei darf jedoch nicht aus den Augen
verloren werden, daß für das über eine Maßnahme nach § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81 g StPO
entscheidende Gericht wegen des nach dem Gesetzeszweck unterschiedlichen
Prognosemaßstabes keine rechtliche Bindung an die von einem anderen Gericht zur
Frage der Straf(rest) aussetzung zur Bewährung getroffene Sozialprognose besteht. Die
Annahme einer Wiederholungsgefahr kann deshalb im Einzelfall auch dann gerechtfertigt
sein, wenn zuvor eine Straf(rest) aussetzung zur Bewährung erfolgt war (BVerfGE 103,
21 <36>). Das Gericht, das die Maßnahme nach § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81 StPO anordnet,
entscheidet auf Grund eines anderen Maßstabes und spricht eine andersartige
Rechtsfolge aus als das Gericht, das über die Straf(rest) aussetzung zu befinden hat.
Denn bei der Prüfung, ob eine Strafe bzw. ein Strafrest – hier die Vollstreckung der
Unterbringung und der restlichen Freiheitsstrafe gemäß § 67 d Abs. 2 Satz 1 StGB, § 67
Abs. 5 Satz 1 StGB, § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB – zur Bewährung ausgesetzt werden
kann, geht es um die Ahndung eines bereits begangenen Unrechts, während es sich bei
der DNA-Datenanalyse um eine vorbeugende Maßnahme handelt, die den Zweck hat,
die
Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren zu verbessern (vgl. LG Ingolstadt,
Beschluß vom 15. November 1999 – 2 Qs 210/99 – NJW 2000, 749 <750>; BTDrucks
13/10791, S. 4).
Die Entscheidung, daß die Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung und der
restlichen Freiheitsstrafe unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der
Allgemeinheit verantwortet werden könne (vgl. § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB), bedeutet
nicht, daß eine sichere Gewähr für künftig straffreies Leben besteht. Die Regelung des §
57 StGB enthält zudem keine Erwartungsklausel dahingehend, daß der Verurteilte keine
Straftaten mehr begehen werde (Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001, § 57 Rn. 10).
Für die Bewilligung von Bewährung genügt grundsätzlich, daß die Begehung weiterer
Straftaten nicht wahrscheinlich ist, d.h. daß die Wahrscheinlichkeit künftigen straffreien
Verhaltens größer ist als diejenige erneuter Strafbarkeit. Eine jeden Zweifel
ausschließende Gewißheit kann nicht verlangt werden, weil die Bewährungsvorschriften
anderenfalls entgegen ihrem kriminalpolitischen Zweck auf einen zu engen Bereich von
Fällen beschränkt würden.
Demgegenüber ist für eine DNA-Feststellung die auf gegenwärtige tatsächliche
Umstände gestützte Möglichkeit ausreichend, daß gegen den Verurteilten künftig erneut
Strafverfahren zu führen sind. Diese Bewertung kann auch wegen eines Risikos
gerechtfertigt sein, das bei der Bewilligung von Bewährung in Kauf genommen werden
kann. Schließlich kann eine falsche Prognose im Zusammenhang mit einer dem
Verurteilten günstigen Aussetzungsentscheidung notfalls korrigiert werden, während
unterbliebene Maßnahmen nach dem DNA-IFG praktisch kaum nachgeholt werden
können, so daß ein DNA-Identifizierungsmuster gegebenenfalls unabänderlich fehlt,
welches die Aufklärung einer schwerwiegenden Straftat eventuell möglich gemacht hätte
(vgl. LG Göttingen, Beschluß vom 14. Juli 1999 – 1 Qs 121/99 – NJW 2000, 751; OLG
Karlsruhe, Beschluß vom 27. März 2001 – 3 Ws 17/01 – StraFo 2001, 308 <309>;
Markwardt/Brodersen, NJW 2000, 692 <694>; Rackow, Das DNA-
Identitätsfeststellungsgesetz und seine Probleme, 2001, S. 156 ff., 159; jeweils unter
Heranziehung von BVerwGE 66, 192 [200 f.] zu § 81 b Alt. 2 StPO).
Vorliegend ist die Möglichkeit, daß der Beschwerdeführer in einem zukünftigen
Strafverfahren zu dem Kreis der Verdächtigen gehören wird, in verfassungsrechtlich
nicht zu beanstandender Weise vom Landgericht bejaht worden. Weil das Landgericht –
wie dargelegt – bei seiner Entscheidung nach § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81 g StPO einen
anderen Prognosemaßstab anzulegen hatte als die Strafvollstreckungskammer
hinsichtlich der Frage der Bewilligung von Bewährung, konnte es sich auf das Gutachten
von Prof. Dr. B. stützen, das auch der Bewährungsentscheidung zugrunde gelegen
hatte, und hieraus andere Schlüsse ziehen als die Strafvollstreckungskammer. Nach
dem Gutachten ist auf Grund der beim Beschwerdeführer diagnostizierten
homopädophilen Hauptströmung, die nicht – auch nicht durch Therapien – veränderbar
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homopädophilen Hauptströmung, die nicht – auch nicht durch Therapien – veränderbar
ist, die Gefahr des Aufbaues einer erneuten intensiven Beziehung zu einem Jungen nicht
wirklich auszuschließen. Hieraus durfte das Landgericht folgern, daß es in Zukunft zu
sexuellen Übergriffen des Beschwerdeführers gegenüber Kindern kommen könnte.
Daß die nach Beendigung des Maßregelvollzuges fortlaufende Einzeltherapierung des
Beschwerdeführers eine Wahrscheinlichkeit künftiger gegen ihn zu führender
Strafverfahren herabsetzen kann und die Wahrscheinlichkeit eines künftigen straffreien
Lebens des Beschwerdeführers höher ist als die Wahrscheinlichkeit neuer Straftaten,
steht der Negativprognose demgegenüber nicht entgegen. Maßgeblich ist allein auf
Grund des im Vergleich zur Bewilligung der Bewährung abweichenden
Prognosemaßstabs, daß die nicht therapierbare homopädophile Hauptströmung des
Beschwerdeführers weiterhin Grund zu der Annahme bietet, daß gegen den
Beschwerdeführer Strafverfahren wegen Sexualstraftaten zu führen sind. Auch der
Beschwerdeführer selbst vermag im übrigen ausweislich seiner Begründung der
Verfassungsbeschwerde künftige sexuelle Kontakte mit Jungen nicht mit völliger
Sicherheit auszuschließen.
Ferner steht der Negativprognose nicht entgegen, daß der Gutachter Prof. Dr. B.
Änderungen der Pädophilie, die sich in gewaltlosen sexuellen Handlungen gegenüber
Jungen äußerte, in Gestalt von Intensitätssteigerungen ausschloß. Denn die Anordnung
der Feststellung und Speicherung des DNA-Identifizierungsmusters hat nicht die Gefahr
der Begehung von Gewaltdelikten zur Voraussetzung. Vielmehr sind zu den Straftaten
von erheblicher Bedeutung auch Straftaten anderer Art – wie die der Verurteilung des
Beschwerdeführers von 1995 zugrunde liegenden gewaltlosen Sexualstraftaten – zu
zählen.
Die vom Beschwerdeführer beanstandete Beurteilung seiner Persönlichkeit durch das
Landgericht insoweit, als das Landgericht das Fehlen einer vollständigen
Unrechtseinsicht als wesentliche Voraussetzung für ein zukünftig straffreies Leben aus
einer Tendenz des Beschwerdeführers, sich als Opfer darzustellen und die Taten zu
bagatellisieren, folgert, unterliegt nicht der Überprüfung durch den
Verfassungsgerichtshof. Soweit Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde gerichtliche
Entscheidungen sind, besteht nämlich die Prüfungsbefugnis des
Verfassungsgerichtshofs nur in engen Grenzen. Die Gestaltung des Verfahrens, die
Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung des einfachen Rechts und
seine Anwendung auf den Einzelfall sind Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte
und der Nachprüfung durch den Verfassungsgerichtshof entzogen. Es ist nicht Aufgabe
des Verfassungsgerichtshofs, gerichtliche Entscheidungen - ähnlich wie eine
Rechtsmittelinstanz - in jeder Hinsicht auf ihre Übereinstimmung mit dem einfachen
Recht zu kontrollieren (Beschlüsse vom 30. Juni 1992 - VerfGH 9/92 - LVerfGE 1, 7 <8>
und vom 26. Oktober 2000 – VerfGH 54/00 –; st. Rspr). Nur bei Verletzung von
spezifischem Verfassungsrecht kann das Verfassungsgericht auf
Verfassungsbeschwerde hin eingreifen. Den Strafgerichten obliegt nicht nur die
Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des Strafprozeßrechts,
sondern auch die Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts sowie die
dazu notwendige Würdigung der Beweis- oder Ermittlungsergebnisse (BVerfG, Beschluß
vom 2. August 1996
– 2 BvR 1511/96 – NJW 1996, 3071 <3072>). Hierzu gehört auch die Würdigung der
Persönlichkeit des Betroffenen anhand der zugrunde liegenden Akten. Wenn das
Landgericht auch aus dem Verhalten des Beschwerdeführers im Beschwerdeverfahren
Rückschlüsse in bezug auf seine Persönlichkeit zieht, ist dies daher verfassungsrechtlich
nicht zu beanstanden.
Es läßt sich angesichts der zwei Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen Straftaten
gegen die sexuelle Selbstbestimmung außerdem nicht feststellen, daß der Eingriff in
sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung unverhältnismäßig ist. Insbesondere
kann der Beschwerdeführer nicht erfolgreich geltend machen, daß DNA-
Identifizierungsmuster auch deshalb nicht benötigt würden, weil die Begehung sog.
Verdeckungsstraftaten mit absoluter Sicherheit nicht zu erwarten sei. Eine aus dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgende systemimmanente Begrenzung für eine
Maßnahme nach § 2 DNA-IFG i.V.m. § 81 g StPO mangels Erforderlichkeit der Maßnahme
ergibt sich nur für solche Delikte, bei denen der Täter nicht deliktstypisch im
Zusammenhang mit einer künftigen Straftat „Identifizierungsmaterial“ am Tatort
hinterlassen wird. Hierzu gehören beispielsweise Aussage- und Beleidigungsdelikte
(BTDrucks 13/10791, S. 5). Bei Sexualstraftaten handelt es sich hingegen regelmäßig
um Taten, die Spuren entstehen lassen (vgl. BVerfGE 103, 21 <40>) und für deren
Aufklärung die DNA-Feststellung geeignet und erforderlich ist. Eine Prognose, bei
etwaigen künftigen gegen den Beschwerdeführer zu führenden Strafverfahren werde ein
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etwaigen künftigen gegen den Beschwerdeführer zu führenden Strafverfahren werde ein
Vergleich anhand des DNA-Identifizierungsmusters mit Sicherheit entbehrlich sein, läßt
sich von vornherein nicht stellen.
Der Gesichtspunkt der Resozialisierung steht schließlich einer Maßnahme nach § 2 DNA-
IFG i.V.m. § 81 g StPO nicht entgegen (Rackow, Das DNA-Identitätsfeststellungsgesetz
und seine Probleme, 2001, S. 151). Es handelt sich hierbei – wie dargelegt – um keine
der Strafahndung dienende, repressive Maßnahme. Auch ist bei objektiver Betrachtung
nicht ersichtlich, daß sich das Wissen des Beschwerdeführers um die Speicherung seines
DNA-Identifizierungsmusters negativ auf seine Bemühungen, in Zukunft trotz seiner
homopädophilen Neigungen ein straftatenfreies Leben zu führen, auswirken könnten.
Seine „soziale Stigmatisierung“ ist Folge der begangenen Straftaten und wird durch die
angeordneten Maßnahmen nach dem DNA-IFG nicht verstärkt, weil diese außer ihm
selbst nur Personen bekannt sind oder werden können, denen in vollem Umfang auch
die Informationen über seine Straftaten zur Verfügung stehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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