Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: fraktion, verfassungsbeschwerde, verfassungsgeber, kandidat, chancengleichheit, vorschlagsrecht, wahlvorschlag, hauptsache, ernennung, nominierung

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
54/92
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 6 Abs 1 Verf BE, Art 87a
Abs 2 S 4 Verf BE, Art 87a Abs
2 S 5 Verf BE, § 49 Abs 2 S 1
VGHG BE, § 49 Abs 2 S 2 VGHG
BE
VerfGH Berlin: Wegen fehlender Rechtswegerschöpfung
unzulässige Verfassungsbeschwerde der PDS-Fraktion gegen
die Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters des
Bezirks Hohenschönhausen bei den Wahlen 1992 -
Nominierungsrecht für stellvertretenden Bürgermeister
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin ist eine der Fraktionen in der Bezirksverordnetenversammlung
(BVV) Hohenschönhausen von Berlin.
Nach den am 24. Mai 1992 durchgeführten Wahlen zu den
Bezirksverordnetenversammlungen in Berlin entfielen in der BVV Hohenschönhausen
auf die Beschwerdeführerin 18, die SPD-Fraktion 13, die CDU-Fraktion 6, die Fraktion
Bündnis 90 5 und die Fraktion der Republikaner 3 Sitze. Unter Anwendung des
d'Hondtschen Höchstzahlverfahrens erhielten die Beschwerdeführerin für die Wahl der
Mitglieder des Bezirksamtes das Vorschlagsrecht für 3, die SPD-Fraktion das
Vorschlagsrecht für 2 sowie die CDU-Fraktion und die Fraktion Bündnis 90 das
Vorschlagsrecht für je 1 Bezirksamtsmitglied. Dementsprechend wurden die insgesamt
7 Bezirksamtsmitglieder durch die BVV gewählt.
Für die Wahl des Bezirksbürgermeisters bildete sich nach Maßgabe des Art. 87a Abs. 5
der Verfassung von Berlin (VvB) eine aus den Fraktionen der SPD, CDU und des Bündnis
90 bestehende "Zählgemeinschaft", die einen gemeinsamen Kandidaten nominierte.
Dieser wurde später von der BVV zum Bezirksbürgermeister gewählt.
Die Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters wurde auf die Tagesordnung für
die Sitzung der BVV am 9.September1992 gesetzt. Nunmehr entstand Streit darüber,
welcher Fraktion für diese Wahl ein Nominierungsrecht zusteht. Die Beschwerdeführerin
als nach Sitzen stärkste Fraktion in der BVV beanspruchte für sich das alleinige
Nominierungsrecht. Nachdem für sie erkennbar geworden war, dass die Vorsteherin der
BVV ihrem Begehren nicht entsprechen werde, beantragte sie mit Schriftsatz vom 8.
September 1992 einstweiligen Rechtsschutz. Dieser Antrag wurde vom
Verwaltungsgericht Berlin mit Beschluss vom 9. September 1992 - VG 1 A 305/92 - als
unbegründet zurückgewiesen. Am gleichen Tage wurde das von der SPD-Fraktion
vorgeschlagene Bezirksamtsmitglied von der BVV zum stellvertretenden
Bezirksbürgermeister gewählt.
Die von der Beschwerdeführerin am 14. September 1992 gegen den Beschluss des
Verwaltungsgerichts eingelegte Beschwerde mit dem Begehren, die Ungültigkeit der
Wahl sowie die Verpflichtung der BVV festzustellen, die Wahl des stellvertretenden
Bezirksbürgermeisters auf der Grundlage eines von ihr vorzulegenden Vorschlags
durchzuführen, hat das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss vom 30. Oktober 1992 -
OVG 8 S 282/92 - zurückgewiesen.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die
Beschlüsse des Oberverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichts sowie -
letztendlich - gegen die von der BVV Hohenschönhausen durchgeführte Wahl des
stellvertretenden Bezirksbürgermeisters. Sie rügt eine Verletzung ihres Grundrechts auf
Chancengleichheit, das ihrer Ansicht nach als Anwendungsfall des allgemeinen
Gleichheitssatzes durch Art. 6 Abs. 1 VvB verbürgt ist. Sie meint, ihre
Verfassungsbeschwerde sei zulässig, und trägt zu deren Begründung im Wesentlichen
vor:
Aus § 34 Abs. 1 des Bezirksverwaltungsgesetzes (BezVerwG) ergebe sich in Verbindung
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Aus § 34 Abs. 1 des Bezirksverwaltungsgesetzes (BezVerwG) ergebe sich in Verbindung
mit § 35 Abs. 2 BezVerwG, dass im Regelfall die stärkste Fraktion das Recht zur
Nominierung des Bezirksbürgermeisters und die zweitstärkste Fraktion das Recht zur
Nominierung seines Stellvertreters habe. Dieser Grundsatz werde hinsichtlich des
stellvertretenden Bezirksbürgermeisters durch die Neuregelung des Art. 87a Abs. 2 Satz
5 VvB nicht durchbrochen, weil sie sich ausschließlich auf die Wahl des
Bezirksbürgermeisters beziehe. Da jedoch nach dieser Vorschrift ein gemeinsamer
Wahlvorschlag mehrerer Fraktionen wie ein Vorschlag einer Fraktion zu werten sei, die
Zählgemeinschaft in der BVV Hohenschönhausen mithin als stärkste Fraktion zu
verstehen sei, sei sie - die Beschwerdeführerin - insoweit als zweitstärkste Fraktion mit
der Folge zu behandeln, dass ihr das Nominierungsrecht für den stellvertretenden
Bezirksbürgermeister zustehe.
Im vorliegenden Fall habe sich die SPD-Fraktion im Rahmen der Zählgemeinschaft an
dem gemeinsamen Wahlvorschlag für den Bezirksbürgermeister beteiligt. Wenn dieser
Fraktion auch noch ein Nominierungsrecht für den stellvertretenden
Bezirksbürgermeister eingeräumt werde, trete eine vom Verfassungsgeber nicht
gewollte Politisierung des Bezirksamtes ein. Überdies führe eine solche Verfahrensweise
dazu, dass die SPD-Fraktion bei der Vergabe des Nominierungsrechts ohne
rechtfertigenden Grund doppelt bevorzugt werde und gleichzeitig ihre - der
Beschwerdeführerin - rechtlichen Ansprüche beschnitten würden.
Die Durchführung der Wahl am 9. September 1992 sei mithin rechtswidrig gewesen und
die erfolgte Wahl des Kandidaten der SPD- Fraktion zum stellvertretenden
Bezirksbürgermeister sei unwirksam; seine anschließende Ernennung sei aus diesem
Grunde nichtig. Die gekennzeichnete Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit
sei durch die gerichtlichen Entscheidungen nicht beseitigt, sondern verfestigt worden.
Deshalb müsse unter Aufhebung dieser Entscheidungen die Unwirksamkeit der Wahl des
stellvertretenden Bezirksbürgermeisters durch die BVV Hohenschönhausen am 9.
September 1992 festgestellt werden.
Die BVV Hohenschönhausen, der gewählte stellvertretende Bezirksbürgermeister, die
Fraktion der SPD in der BVV Hohenschönhausen und die Senatsverwaltung für Inneres
haben gemäß § 53 VerfGHG Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
Il.
Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Beschwerdeführerin muss ihre
Anträge auf Feststellung der Unwirksamkeit der Wahl und der Ernennung des
stellvertretenden Bezirksbürgermeisters vom 9. September 1992 sowie auf
Verpflichtung der BVV, ihr das Nominierungsrecht für die Wahl des stellvertretenden
Bezirksbürgermeisters einzuräumen, zunächst im Verfahren der Hauptsache im
Verwaltungsrechtsweg verfolgen. Solange sie dies nicht getan hat, muss ihre
Verfassungsbeschwerde an § 49 Abs. 2 Satz l VerfGH scheitern.
Die Beschwerdeführerin kann auch nicht gemäß § 49 Abs. 2 Satz 2 VerfGHG geltend
machen, ihr entstehe durch die Verweisung auf den Rechtsweg ein schwerer und
unabwendbarer Nachteil oder ihre Verfassungsbeschwerde sei von allgemeiner
Bedeutung.
Da gemäß Art. 58 VvB nur ein gleichzeitig oder zuvor gewählter und ernannter Stadtrat
zum stellvertretenden Bezirksbürgermeister gewählt werden kann und diesem Amt in
der Regel keine eigenen rechtlichen oder politischen Kompetenzen zufallen, ist es der
Beschwerdeführerin zuzumuten, den gegenwärtigen Zustand bis zu einer Entscheidung
in der Hauptsache durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit hinzunehmen. Die Sache ist
auch ersichtlich nicht von allgemeiner Bedeutung, zumal Art. 87 a VvB nur für die
gegenwärtige Legislaturperiode der Bezirksverordnetenversammlung gilt.
Aus den dargelegten Gründen fehlt der Beschwerdeführerin auch das
Rechtsschutzbedürfnis dafür, die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
ergangenen Entscheidungen des Verwaltungs- und des Oberverwaltungsgerichts mit der
Verfassungsbeschwerde anzugreifen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 33f. VerfGHG.
Die Entscheidung ist unanfechtbar.
Abweichende Meinung
Die Verfassungsbeschwerde ist - soweit sie sich gegen die durchgeführte Wahl des
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Die Verfassungsbeschwerde ist - soweit sie sich gegen die durchgeführte Wahl des
stellvertretenden Bezirksbürgermeisters richtet - meiner Auffassung nach nicht mangels
Erschöpfung des Rechtswegs unzulässig. Im vorliegenden Fall ist der Tatbestand der
"allgemeinen Bedeutung" i.S. des § 49 Abs. 2 Satz 2 VerfGHG erfüllt; das wird durch die
Mehrzahl der zur Frage des Nominierungsrechts für die Wahl des stellvertretenden
Bezirksbürgermeisters angestrengten verwaltungsgerichtlichen Verfahren belegt. Im
übrigen wird das Gebot der vorrangigen Erschöpfung des Rechtswegs durch den
Gesichtspunkt der Zumutbarkeit beschränkt und ist der Beschwerdeführerin aus den im
Urteil vom 19. Oktober 1992 (VerfGH 24/92*) im einzelnen dargelegten Gründen eine
Durchführung des verwaltungsgerichtlichen Hauptsacheverfahrens nicht zumutbar. Doch
mag das letztlich auf sich beruhen. Darauf kommt es für die Entscheidung in dieser
Sache nicht ausschlaggebend an. Denn die Verfassungsbeschwerde kann im Ergebnis
jedenfalls deshalb keinen Erfolg haben, weil sie unbegründet ist. Durch die am 9.
September 1992 erfolgte Wahl des von der SPD-Fraktion in der
Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Hohenschönhausen vorgeschlagenen
Kandidaten zum stellvertretenden Bezirksbürgermeister wird entgegen der Ansicht der
Beschwerdeführerin kein ihr von der Verfassung von Berlin verbürgtes Recht verletzt.
Die Beschwerdeführerin geht bei ihrer Argumentation davon aus, ihr stehe ein alleiniger
Anspruch auf das Vorschlagsrecht für die Wahl des stellvertretenden
Bezirksbürgermeisters in der BVV Hohenschönhausen zu, weil sie - erstens - zwar
zahlenmäßig die stärkste Fraktion sei, mit Blick auf die von Art. 87 a Abs. 2 Satz 5 VvB
für die Wahl des Bezirksbürgermeisters zugelassene und von den Fraktionen der SPD,
CDU und Bündnis 90 gebildete sogenannte Zählgemeinschaft jedoch als lediglich
zweitstärkste Fraktion zu behandeln sei und - zweitens - jeweils der zweitstärksten
Fraktion in der BVV das alleinige Nominierungsrecht für die Wahl des stellvertretenden
Bezirksbürgermeisters zustehe. Diese Auffassung findet im geltenden
Landesverfassungsrecht keine Stütze.
Richtig ist, dass die Verfassung von Berlin in Art. 87 a Abs. 2 VvB Regelungen für die aus
der Wahl im Jahre 1992 hervorgegangenen Bezirksverordnetenversammlungen sowie die
von ihr vorzunehmenden Wahlen trifft. Richtig ist ferner, dass gemäß Art. 87 a Abs. 2
Satz 4 VvB das Bezirksamt aufgrund der Wahlvorschläge der Fraktionen entsprechend
ihrem Stärkeverhältnis in der BVV gebildet werden soll und dass nach Art. 87 a Abs. 2
Satz 5 VvB gemeinsame Wahlvorschläge von mehreren Fraktionen bei der Wahl des
Bezirksbürgermeisters wie Wahlvorschläge einer Fraktion angesehen werden. Während
die Verfassung mithin Regelungen für die Wahl des Bezirksamts und des
Bezirksbürgermeisters enthält, fehlt es an einer entsprechenden Bestimmung für die
Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters. Der Verfassungsgeber hat zwar in
Art. 58 Abs. 2 VvB die Wahl eines stellvertretenden Bezirksbürgermeisters angeordnet,
er hat aber darauf verzichtet, Vorgaben für die Durchführung dieser Wahl zu machen.
Das drängt die Annahme auf, er habe die Beantwortung von Fragen im Zusammenhang
mit der Durchführung der Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters Regelungen
niedrigen Ranges überlassen, d. h. Regelungen, denen selbst kein Verfassungsrang
zukommt und die deshalb nicht als Maßstab für eine Überprüfung durch den
Verfassungsgerichtshof in Betracht kommen.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin lässt sich etwas anderes nicht aus Art. 87
a Abs. 2 Satz 5 VvB herleiten. Diese Bestimmung bezieht sich ihrem eindeutigen
Wortlaut nach ausschließlich auf die Wahl des Bezirksbürgermeisters. Sie ist schon
deshalb ungeeignet, etwas herzugeben für die Beurteilung, ob einer bestimmten
Fraktion allein oder neben anderen ein Nominierungsrecht für die Wahl des
stellvertretenden Bezirksbürgermeisters zusteht. Fehl geht deshalb auch die Auffassung
der Beschwerdeführerin, eine für die Wahl des Bezirksbürgermeisters gebildete
Zählgemeinschaft müsse sich von Verfassungs wegen auch im Zusammenhang mit der
Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters als Zählgemeinschaft und als solche
mit der Folge wie eine Fraktion behandeln lassen, dass sie - die Beschwerdeführerin -
ungeachtet ihrer wahren zahlenmäßigen Stärke bei der Wahl des stellvertretenden
Bezirksbürgermeisters als zweitstärkste Fraktion zu werten sei.
Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner abschließenden Entscheidung, ob - wie die
Beschwerdeführerin offenbar meint - das Berliner Landesrecht eine Regel des Inhalts
begründet, dass der zahlenmäßig stärksten Fraktion in der BVV das alleinige
Nominierungsrecht für den Bezirksbürgermeister und der zweitstärksten Fraktion das
alleinige Nominierungsrecht für den stellvertretenden Bezirksbürgermeister zusteht.
Jedenfalls hinsichtlich der aus den Wahlen 1992 hervorgegangenen
Bezirksverordnetenversammlungen dürfte diese Frage zu verneinen sein. Einzuräumen
in, dass auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts
eine derartige Verfahrensweise der bis zu den Bezirksverordnetenwahlen 1992 geübten
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eine derartige Verfahrensweise der bis zu den Bezirksverordnetenwahlen 1992 geübten
Praxis entsprach. Auch ist zuzugestehen, dass Praxis gute Gründe für sich hat und
überdies durch den in § 35 Abs. 2 BezVerwG sowie - für die aus den Wahlen im Jahre
1992 hervorgegangenen Bezirksverordnetenversammlungen - in Art. 87 a Abs. 2 Satz 4
VvB zum Ausdruck gebrachten Gedanken einer Berücksichtigung der Fraktionen nach
ihrem Stärkeverhältnis gedeckt ist. Die seinerzeitige, bis zum Inkrafttreten des Art. 87 a
Abs. 2 Satz 5 VvB zur Ergänzung der einschlägigen Vorschriften des
Bezirksverwaltungsgesetzes bestimmte Übung mag deshalb gewohnheitsrechtliche
Bindungen ausgelöst haben, die ihrer Natur nach nicht von verfassungs-, aber immerhin
von einfachrechtlicher Qualität gewesen sein mögen. Mit der Regelung des Art. 87 a Abs.
2 Satz 5 VvB jedoch hat sich der Verfassungsgeber mit Blick auf das Nominierungsrecht
für die Wahl des Bezirksbürgermeisters ausdrücklich für eine von einer Regel des
vorbezeichneten Inhalts abweichende Lösung entschieden. Denn dadurch hat er den
Weg eröffnet, dass u. a. auch ein Kandidat der zweitstärksten Fraktion in der BVV als
Kandidat gleichzeitig der Zählgemeinschaft zum Bezirksbürgermeister gewählt werden
kann. Angesichts dessen liegt der Schluss nahe, der Verfassungsgeber habe damit eine
entsprechende landesrechtliche Regel zugleich auch für die Wahl des stellvertretenden
Bezirksbürgermeisters aufgehoben. Denn es sind keine Gesichtspunkte erkennbar, die
es erlauben könnten anzunehmen, der Verfassungsgeber habe etwa in einem Fall der
gekennzeichneten Art der zweitstärksten Fraktion zusätzlich ein alleiniges
Nominierungsrecht für die Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters belassen
oder gar einräumen wollen.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie sei in ihrem verfassungsrechtlich
gewährleisteten Recht auf Chancengleichheit dadurch verletzt worden, dass die
Vorsteherin der BVV außer ihren Kandidaten auch einen Kandidaten der SPD-Fraktion für
die Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters am 9. September 1992
zugelassen, ihr also insoweit ein alleiniges Nominierungsrecht versagt habe, rechtfertigt
keine andere Betrachtungsweise. Zwar trifft es zu, dass die Verfassung von Berlin das
Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit verbürgt und dieses Recht auch
zugunsten der Fraktion in der BVV wirken kann (vgl. Urteil vom 19. Oktober 1992 -
VerfGH 24/92*). Doch ist eine Verletzung dieses Grundrechts hier nicht gegeben.
Die vom Verfassungsgeber in Art. 87 a Abs. 2 Satz 5 VvB getroffene Entscheidung kann
- wie bereits gesagt - dazu führen, dass als Kandidat der Zählgemeinschaft ein
Bezirksamtsmitglied zum Bezirksbürgermeister gewählt wird, das nicht der stärksten,
sondern der zweit- oder gar der drittstärksten Fraktion in der BVV angehört. Das mindert
indes von Rechts wegen nicht die Chancen eines Bezirksamtsmitglieds, als Kandidat der
stärksten oder einer anderen Fraktion zum stellvertretenden Bezirksbürgermeister
gewählt zu werden. Der Verfassungsgeber hat davon abgesehen, die Wahl des
stellvertretenden Bezirksbürgermeisters zu reglementieren, er hat diese Wahl in dem
Sinne "freigegeben ", dass nicht nur jede im Bezirksamt durch ein Mitglied vertretene
Fraktion die Möglichkeit hat, einen Kandidaten für die Wahl des stellvertretenden
Bezirksbürgermeister vorzuschlagen, sondern der jeweils vorgeschlagene Kandidat
jedenfalls vom rechtlichen Ansatz her die gleichen Chancen hat, gewählt zu werden.
Wenn tatsächlich nur der Kandidat gewählt wird, der eine Mehrheit der Stimmen in der
BVV auf sich vereinigt, ist das licht die Folge einer gleichheitswidrigen Behandlung der
Fraktionen, sondern ergibt sich aus den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen in der BVV.
Durch seine "Freigabe" der Wahl des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters - ebenso
wie im übrigen durch die Regelung des Art. 87a Abs. 2 Satz 5 VvB -mag der
Verfassungsgeber einen Schritt in Richtung auf ein sogenanntes politisches Bezirksamt
getan haben. Doch wird dadurch und in der Folge durch die Zulassung mehrerer
rechtlich gleichberechtigter Wahlvorschläge der verfassungsrechtlich verbürgte
Grundsatz der Chancengleichheit nicht berührt.
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