Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: unparteilichkeit, interessenkollision, verfassungsbeschwerde, unbefangenheit, unabhängigkeit, ethos, sammlung, quelle, link, vertretung

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
110/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 16 Abs 1 Nr 1 VGHG BE, § 17
VGHG BE
Leitsatz
Allein die Ehe mit einem im Ausgangsverfahren mitentscheidenden Richter begründet nicht
die Besorgnis der Befangenheit eines Mitgliedes des Verfassungsgerichtshofs
Tenor
Richter K. ist von der Mitwirkung im vorliegenden Verfahren nicht ausgeschlossen.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde unter anderem
gegen einen Beschluss des 6. Senats des Kammergerichts. Er macht zur Begründung
im Wesentlichen geltend, das Kammergericht habe bei seiner Entscheidung das
Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 33 der Verfassung von Berlin - VvB -,
grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten
bestimmen zu können, gänzlich außer Acht gelassen und gegen Art. 10 und 22 VvB
verstoßen.
Richter K. hat mit Schreiben vom 4. Oktober 2007 unter Hinweis auf § 17 Abs. 3 des
Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof – VerfGHG – mitgeteilt, dass er mit der
Vorsitzenden Richterin am Kammergericht, die an der angefochtenen
Kollegialentscheidung des Kammergerichts mitgewirkt hat, verheiratet ist.
Der Beschwerdeführer hat Richter K. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur
Begründung macht er geltend, sein Vertrauen in die Unvoreingenommenheit des
Richters sei nachhaltig gestört, da die gebotene Neutralität und Distanz ihm gegenüber
durch die bestehende Ehe nicht mehr vorhanden sein dürfte. Es sei nicht
auszuschließen, dass die Eheleute sich privat über gewisse Fälle – so auch den
streitgegenständlichen Fall – austauschten. Da die Ehefrau des Richters bereits eine
ablehnende Entscheidung getroffen habe, sei zu befürchten, dass Richter K. über die
Sache nicht mehr unparteiisch entscheiden könne.
Richter K. hat in seiner dienstlichen Äußerung zum Befangenheitsgesuch auf seine
Anzeige vom 4. Oktober 2007 Bezug genommen.
II.
Die Erklärung des Richters K. gibt unabhängig vom Befangenheitsgesuch des
Beschwerdeführers Anlass, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der Richter an dem
vorliegenden Verfahren weiter mitwirken kann. Hierfür ist nicht Voraussetzung, dass sich
der Richter selbst für befangen hält (Beschluss vom 27. Mai 2008 – VerfGH 65/08, 65
A/08 –; zur gleichlautenden Regelung in § 19 Abs. 3 BVerfGG: BVerfGE 98, 134 <137>;
102, 192 <194>; 108, 122 <126>).
1. Richter K. ist nicht von der Ausübung seines Richteramtes nach § 16 VerfGHG
ausgeschlossen.
Der allenfalls in Betracht kommende Ausschlussgrund des § 16 Abs. 1 Nr. 1 VerfGHG
(„an der Sache beteiligt oder mit einem Beteiligten verheiratet ist“) setzt voraus, dass
der Richter selbst oder seine Ehefrau „Beteiligte“ des Verfassungsbeschwerdeverfahrens
oder des Ausgangsverfahrens sind bzw. gewesen sind. Der Richter K. und seine Ehefrau
sind weder an dem Verfassungsbeschwerdeverfahren noch waren sie am
Ausgangsverfahren vor dem Landgericht Berlin und dem Kammergericht in diesem
Sinne Verfahrensbeteiligte.
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2. Richter K. ist auch nicht wegen Besorgnis der Befangenheit nach § 17 VerfGHG an der
weiteren Mitwirkung und Mitentscheidung über die Verfassungsbeschwerde gehindert.
Die in § 17 VerfGHG geregelte Ablehnung von Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofs
wegen Besorgnis der Befangenheit setzt voraus, dass ein Grund vorliegt, der geeignet
ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (Beschluss vom
1. April 2008 – VerfGH 183/07, 183 A/07 –). Es kommt dabei nicht darauf an, ob der
Richter tatsächlich „parteilich“ oder „befangen“ ist oder ob er sich selbst für befangen
hält. Entscheidend ist ausschließlich, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger
Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu
zweifeln (Beschluss vom 17. April 2007 – VerfGH 207/06, 207 A/06 –; für das
Bundesrecht: BVerfGE 73, 330 <335>).
Ein derartiger Befangenheitsgrund im Sinne von § 17 Abs. 1 VerfGHG, der geeignet ist,
Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters K. zu rechtfertigen, lässt sich weder
allein daraus ableiten, dass er mit einer Richterin verheiratet ist, die an der mit der
Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidung des Kammergerichts als
Senatsvorsitzende mitgewirkt hat, noch ergibt er sich aus dem Vortrag des
Beschwerdeführers. Die durch die Ehe vermittelte Verbundenheit zum Ehegatten kann
nur dann als Grund für eine Befangenheit eines Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs
herangezogen werden, wenn aufgrund besonderer weiterer Umstände ein Misstrauen
gegen die Unparteilichkeit des Verfassungsrichters begründet erscheint, insbesondere
wenn im Einzelfall eine konkrete Interessenkollision erkennbar wird. Das ist hier weder
nachvollziehbar vorgebracht noch ersichtlich.
Die Beurteilung, wann eine Interessenkollision im Sinne des § 17 VerfGHG vorliegt, muss
von der gesetzlichen Wertung ausgehen, die der Gesetzgeber den
Befangenheitsgründen zugrunde gelegt hat. Enge Beziehungen zu einem
Verfahrensbeteiligten wie das Bestehen einer Ehe mit dem Richter führen - wie bereits
dargelegt - nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 VerfGHG zum Ausschluss von der Ausübung des
Richteramts kraft Gesetzes. Dagegen sieht das Gesetz keinen Ausschlussgrund - und
jedenfalls ausdrücklich auch keinen Befangenheitsgrund - dann vor, wenn ein Mitglied
des Verfassungsgerichtshofs zwar nicht mit einem Verfahrensbeteiligten, aber mit einer
Richterin nahe verwandt oder verheiratet ist, die an einer angegriffenen fachgerichtlichen
Entscheidung im Ausgangsverfahren mitgewirkt hat. Da das Gesetz keine ausdrückliche
Regelung hierfür enthält, muss stets im Einzelfall geprüft werden, ob aus der Sicht einer
objektiv und vernünftig urteilenden Partei die Besorgnis besteht, der zur Entscheidung
berufene Richter des Verfassungsgerichtshofs stehe der Sache nicht
unvoreingenommen und unparteiisch gegenüber. Allein das Bestehen einer Ehe
zwischen einem Richter, der im Ausgangsverfahren mitentschieden hat, und einem
Mitglied des Verfassungsgerichtshofs, das in einem hierauf bezogenen
verfassungsgerichtlichen Verfahren zur Entscheidung berufen ist, reicht hierfür nicht aus.
Sonst würde das Bestehen jeder Ehe zwischen solchen Richtern (wie im Übrigen auch
sonst zwischen Richtern im Instanzenzug nach den entsprechenden Bestimmungen wie
§§ 41, 42 ZPO) auf dem Umweg über einen unwiderleglichen Befangenheitsgrund nach §
17 Abs. 1 VerfGHG faktisch stets die Mitwirkung des Verfassungsrichters ausschließen.
Im Ergebnis wäre der gesetzliche Richter wie bei einem Ausschlusstatbestand nach § 16
VerfGHG beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 2003, NJW 2004, 164 und 17.
März 2008, NJW 2008, 1672). Das kann im Übrigen auch angesichts der im
verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Vertretung eines Mitglieds des
Verfassungsgerichtshofs nicht Sinn der gesetzlichen Regelung in §§ 16, 17 VerfGHG sein.
Eine über die Ehe hinausreichende konkrete Interessenkollision, die Anlass zu Zweifeln
an der Unbefangenheit des Richters K. geben könnte, ist weder vorgetragen noch
ersichtlich. Soweit der Beschwerdeführer im Schreiben vom 20. Mai 2009 ausführt, es sei
nicht auszuschließen, dass sich die Eheleute „privat über gewisse Fälle - so auch über
den hier streitgegenständlichen Fall - austauschen“, rechtfertigt dies nicht die Besorgnis
der Befangenheit. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass der Richter von sich aus
die Ehe mit der Vorsitzenden Richterin am Kammergericht als einzige Tatsache zur
Überprüfung nach § 17 Abs. 3 VerfGHG angezeigt hat. Auch die allenfalls noch denkbare,
aber nicht einmal vom Beschwerdeführer geäußerte Befürchtung, ein Mitglied des
Verfassungsgerichtshofs könnte sich in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren davon
beeinflussen lassen, dass über die Verfassungsmäßigkeit einer richterlichen
Entscheidung zu urteilen ist, an der seine Ehefrau mitgewirkt hat, genügt nicht.
Angesichts der selbstverständlichen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit, die Berufsbild
und Ethos des Richters prägen, ist davon auszugehen, dass sich ein Mitglied des
Verfassungsgerichts nicht von verfahrensfremden Überlegungen leiten lässt. Auch ist
mit der verfassungsgerichtlichen Aufhebung einer fachgerichtlichen Entscheidung kein
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mit der verfassungsgerichtlichen Aufhebung einer fachgerichtlichen Entscheidung kein
fachliches oder persönliches „Unwerturteil“ verbunden.
Richter K. hat an dieser Entscheidung nicht mitgewirkt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Diese Entscheidung ist mit 4 : 4 Stimmen ergangen.
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