Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: parlament, regierung, teleologische auslegung, systematische auslegung, kontrolle, kommission, exekutive, prozessstandschaft, finanzen, unterlassen

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
217/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 50 Abs 1 HGrG, § 50 Abs 3 S
1 HGrG, § 10 StabG, § 14 S 1
StabG, § 9 Abs 1 S 1 StabG
VerfGH Berlin: Organstreitverfahren: Verletzung von Art 86 Abs
3 S 2 Verf BE durch Unterlassen der Vorlage der - ausnahmslos
jährlichen - Finanzplanung von Berlin für die Jahre 2004 bis 2008
an das Abgeordnetenhaus durch den Senat - Doppelhaushalt -
keine Verletzung von statusmäßigen Abgeordnetenrechten
Leitsatz
1. Art 86 Abs 3 Satz 2 VerfBE, wonach der Finanzplan dem Abgeordnetenhaus spätestens im
Zusammenhang mit dem Entwurf des Haushaltsgesetzes für das nächste Haushaltsjahr
vorzulegen ist, verpflichtet den Senat von Berlin, dem Abgeordnetenhaus von Berlin in jedem
Haushaltsjahr einen der Entwicklung angepassten und fortgeführten Finanzplan vorzulegen;
die Pflicht zur jährlichen Vorlage besteht auch dann, wenn es wegen eines für das laufende
und das nächste Haushaltsjahr aufgestellten und verabschiedeten Doppelhaushalts im
laufenden Haushaltsjahr nicht der Vorlage eines Entwurfs eines Haushaltsgesetzes für das
nächste Haushaltsjahr bedarf. Art 86 Abs 3 Satz 2 VerfBE begründet damit hinsichtlich der
bereits gemäß § 50 Abs 3 Satz 1 HGrG bestehenden bundesrechtlichen Pflicht des Senats
von Berlin zur jährlichen Vorlage eines Finanzplans eine verfassungsrechtliche Position des
Abgeordnetenhauses.
2. Weder der von Art 38 Abs 4 VerfBE gewährleistete repräsentative verfassungsrechtliche
Status des Abgeordneten noch Art 86 Abs 3 Satz 2 VerfBE verleihen dem einzelnen Mitglied
des Abgeordnetenhauses von Berlin das Recht, von dem Senat von Berlin in jedem
Haushaltsjahr die Vorlage eines der Entwicklung angepassten und fortgeführten Finanzplans
zu verlangen.
Tatbestand
I. Die Antragsteller rügen im Wesentlichen eine Verletzung von Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB;
danach ist der Finanzplan dem Abgeordnetenhaus spätestens im Zusammenhang mit
dem Entwurf eines Haushaltsgesetzes für das nächste Haushaltsjahr vorzulegen.
Der Antragsgegner legte dem Abgeordnetenhaus von Berlin unter dem 31. Juli 2003 den
Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans von Berlin für die
Haushaltsjahre 2004 und 2005 (Haushaltsgesetz 2004/2005 - HG 04/05) zur
Beschlussfassung vor (Abghs-Drs. 15/1800).
Unter dem 2. September 2003 legte er dem Abgeordnetenhaus ferner den Bericht über
die Finanzplanung von Berlin 2003 bis 2007 vor (Abghs-Drs. 15/1800).
Am 1. April 2004 beschloss das Abgeordnetenhaus das Haushaltsgesetz 2004/2005
(GVBl. 2004, S. 154). Das Gesetz trat mit Wirkung zum 1. Januar 2004 in Kraft.
Auf verschiedene Anfragen, u. a. eine des Antragstellers zu 4., antwortete die
Senatsverwaltung für Finanzen Ende Juli bzw. Ende August 2004 (Abghs-Drs. 15/11747,
S. 1 und 15/20389, S. 1), dass der Antragsgegner im Kalenderjahr 2004 keinen Haushalt
eingebracht und dementsprechend auch keine Finanzplanung vorgelegt habe. Die
nächste Finanzplanung werde er mit der Einbringung des Haushalts für das Jahr 2006
vorlegen.
Am 28. Oktober 2004 brachte die Antragstellerin zu 3. den dringlichen Antrag in das
Abgeordnetenhaus ein, das Abgeordnetenhaus wolle beschließen, den Antragsgegner
aufzufordern, bis zum 31. Dezember 2004 die mittelfristige Finanzplanung von Berlin für
die Jahre 2004 bis 2008 zu erstellen (Abghs-Drs. 15/3321, S. 1). Diesen Antrag lehnte
das Abgeordnetenhaus in seiner 60. Sitzung am 25. November 2004 (vgl.
Plenarprotokolle 15/60, S. 5069) ab.
In der selben Sitzung beschloss das Abgeordnetenhaus auf einen dringlichen Antrag der
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In der selben Sitzung beschloss das Abgeordnetenhaus auf einen dringlichen Antrag der
Fraktionen von SPD und PDS (Abghs-Drs. 15/3429, S. 1), den Antragsgegner
aufzufordern, auf der Ebene von Bund und Ländern eine Klärung der Rechtsfrage
herbeizuführen, ob im Rahmen eines Doppelhaushalts die jährliche Vorlage einer
mittelfristigen Finanzplanung erforderlich sei, und hierüber bis zum 1. März 2005 zu
berichten (vgl. Plenarprotokolle 15/60, S. 5069). Sofern eine solche Klärung mit dem
Bund und den anderen Ländern nicht einvernehmlich oder fristgemäß zu erreichen sei,
werde der Antragsgegner aufgefordert, ab dem Jahre 2006 dem Abgeordnetenhaus von
Berlin eine mittelfristige Finanzplanung jährlich vorzulegen (Plenarprotokoll 15/60, S.
5069). In der Aussprache, die der Abstimmung vorausging, erklärte der Senator für
Finanzen, dass die nächste Finanzplanung für Berlin erst mit dem nächsten Haushalt
vorgelegt werde (Plenarprotokoll 15/60, S. 5064).
Am 30. Dezember 2004 ist der Antrag auf Durchführung eines Organstreitverfahrens bei
dem Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin eingegangen.
In seiner Sitzung vom 13./14. April 2005 konnten sich die Mitglieder des Bund-
/Länderarbeitsausschusses "Haushaltsrecht und Haushaltssystematik" hinsichtlich der
Frage, ob im Rahmen eines Doppelhaushalts die jährliche Vorlage einer mittelfristigen
Finanzplanung erforderlich sei, nicht auf eine gemeinsame Rechtsauffassung
verständigen.
Die Antragsteller sind der Auffassung, ihr Antrag sei zulässig. Die Antragstellerinnen zu
1. bis 3. machten keine eigenen Rechte, sondern im Wege der Prozessstandschaft
Rechte des Abgeordnetenhauses geltend. Dass das Abgeordnetenhaus den auf
Fortschreibung und Vorlage des Finanzplans für die Jahre 2004 bis 2008 gerichteten
Antrag der Antragstellerin zu 3. mehrheitlich abgelehnt habe, stehe der
Geltendmachung des Rechts des Abgeordnetenhauses im Wege der Prozessstandschaft
nicht entgegen. Die Antragsbefugnis der Antragsteller zu 4. bis 6. sei ebenfalls gegeben.
Sie machten eigene Informationsrechte geltend, die sich unmittelbar aus Art. 38 Abs. 4
VvB ableiteten. Die verfassungsrechtlich gewährten und garantierten Statusrechte des
einzelnen Abgeordneten umfassten neben originären Informationsbeschaffungsrechten
auch akzessorische Informationssicherungsrechte, die den Abgeordneten den Zugang
zu Informationen zu sichern hätten, die ihnen aufgrund anderweitig normierter
verfassungsrechtlicher Bestimmungen zur Verfügung stehen sollten. Zu diesen
Bestimmungen zähle auch Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB. Lege der Senat von Berlin die
Finanzplanung nicht vor, so verletze er nicht nur Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB, sondern auch
die akzessorischen Informationssicherungsrechte des einzelnen Abgeordneten. Denn zu
den unabdingbaren Informationen, die der einzelne Abgeordnete benötige, um seine
kontrollierende und legitimierende Funktion in Bezug auf die Exekutive auszuüben,
gehöre die fünfjährige Finanzplanung. Werde ein Informationsrecht des einzelnen
Abgeordneten nicht anerkannt, könne sich der Senat von Berlin zusammen mit der
Mehrheit des Parlaments faktisch über verfassungsrechtliche Informationspflichten
hinwegsetzen und eine effektive Kontrolle seiner Tätigkeit damit verhindern oder
jedenfalls erschweren.
Die Anerkennung eines Informationsrechts des einzelnen Abgeordneten beeinträchtige
auch nicht die Rechte des Abgeordnetenhauses. Denn das aus der Vorlagepflicht des
Senats folgende Recht des Abgeordnetenhauses sei kein Recht, das - wie etwa das von
Art. 49 Abs. 1 VvB gewährleistete Zitierrecht des Abgeordnetenhauses - erst durch die
Mehrheitsentscheidung des Parlaments ausgeübt werden müsse. Vielmehr statuiere Art.
86 Abs. 3 Satz 2 VvB die verfassungsunmittelbare Pflicht des Senats zur Vorlage des
Finanzplans. Das mit dieser Pflicht korrespondierende Recht sei dem Abgeordnetenhaus
im Interesse aller seiner Mitglieder eingeräumt und stehe nicht unter dem Vorbehalt
seiner Geltendmachung durch einen mehrheitlich gefassten Beschluss des Plenums.
Daher werde auch keine Dispositionsbefugnis des Abgeordnetenhauses durch die
Ableitung akzessorischer Informationsrechte unterlaufen.
Die Antragsteller begründen den Antrag damit, dass aus Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB die
Pflicht des Senats von Berlin folge, den fünfjährigen Finanzplan auch dann jährlich
fortzuführen und dem Abgeordnetenhaus vorzulegen, wenn wegen eines zuvor
beschlossenen Doppelhaushalts für ein Haushaltsjahr kein gesonderter
Haushaltsgesetzentwurf für das nächste Haushaltsjahr eingebracht und verabschiedet
werden müsse.
Aus dem Wortlaut des Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB ergebe sich, dass keine strenge
Akzessorietät zwischen der Vorlage des Finanzplans und der Einbringung eines
Haushaltsgesetzentwurfs bestehe; die Verfassung fixiere in Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB nur
den letztmöglichen Zeitpunkt, zu dem der Finanzplan vorzulegen sei. Vielmehr ergebe
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den letztmöglichen Zeitpunkt, zu dem der Finanzplan vorzulegen sei. Vielmehr ergebe
der Wortlaut die Pflicht, den Finanzplan jährlich fortzuführen. Denn Art. 86 Abs. 3 Satz 2
VvB knüpfe den Zeitpunkt der Vorlage des Finanzplans nicht an die Einbringung des
nächsten Haushaltsgesetzes, sondern an das nächste Haushaltsjahr. Da aber gemäß §
12 Abs. 1 LHO Haushaltspläne für zwei Jahre auch nach Jahren getrennt aufgestellt
werden müssten und somit zwei von einander unterscheidbare Haushaltsjahre
umfassten, verlange Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB im Falle von Doppelhaushalten die
jährliche Fortschreibung und Vorlage des Finanzplans.
Die Pflicht, den Finanzplan auch bei Vorliegen eines Doppelhaushalts jährlich vorzulegen,
folge ferner aus dem Zusammenhang mit den bundesrechtlichen Vorschriften des
Haushaltsgrundsätzegesetzes und des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des
Wachstums der Wirtschaft bzw. der Entstehungsgeschichte des Art. 86 Abs. 3 Satz 2
VvB.
Der Berliner Verfassungsgeber habe mit Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB eine mit § 50 Abs. 3
Satz 1 HGrG identische Vorschrift geschaffen. Damit habe er klargestellt, dass die
normative Verankerung des Regelungsgehalts dieser Norm und der von ihr in Bezug
genommenen Bundesvorschriften seinem Willen entsprochen habe.
Der Senat von Berlin werde durch Bundesrecht verpflichtet, die mehrjährige
Finanzplanung jährlich fortzuführen. Denn nach § 9 Abs. 3 StabG sei der Finanzplan
jährlich der Entwicklung anzupassen und fortzuführen. Die Vorschrift gelte gemäß § 14
Satz 1 StabG auch für die Länder. Das zeitlich später geschaffene
Haushaltsgrundsätzegesetz enthalte keine Bestimmung, die von der Pflicht des § 9 Abs.
3 StabG entbinde. Vielmehr knüpfe § 50 HGrG an die Vorschriften der §§ 9 und 14 StabG
an. Aus dem Fehlen einer Inbezugnahme auf § 9 Abs. 3 StabG in § 50 HGrG folge nichts
anderes. Soweit § 50 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 HGrG auf § 9 Abs. 1 StabG bzw. § 9 Abs. 2
Satz 2 StabG verwiese, diene dies allein der Klarstellung. Keineswegs werde hierdurch
aber die Vorschrift des § 9 Abs. 3 StabG aufgehoben.
Es sei auch darauf hinzuweisen, dass der Finanzplan gemäß Art. 86 Abs. 3 Satz 1 VvB
der gesamten Haushaltswirtschaft zugrunde zu legen sei. Erfasst werde insofern nicht
nur die Festlegung des Haushaltsplans, sondern auch seine Ausführung. Eine isolierte
Finanzplanung ohne Haushaltsgesetz verliere also nicht ihre Bedeutung, wenn wegen
des Doppelhaushalts kein Haushaltsgesetz verabschiedet werde. Die Finanzplanung
fungiere vielmehr ständig als politischer Maßstab und Kontrollparameter für die
konjunkturgerechte Haushaltsführung und könne darüber hinaus besondere Bedeutung
erlangen, wenn Nachtragshaushalte erforderlich würden oder Sperrvermerke vom
Parlament gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 LHO aufzuheben seien.
Zu berücksichtigen sei ferner, dass nach dem Schlussbericht der Enquete-Kommission
"Verfassungs- und Parlamentsreform", auf deren Vorschlag die Vorschrift des Art. 86
Abs. 3 Satz 2 VvB zurückzuführen sei, der Finanzplan "von Jahr zu Jahr" fortzuschreiben
sei.
Auch eine teleologische Auslegung des Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB lasse auf die Pflicht des
Senats von Berlin schließen, den Finanzplan jährlich fortzuführen und dem
Abgeordnetenhaus vorzulegen. Die Finanzplanung habe eine politische Funktion, die in
der Festlegung der programmatischen Ziele der Regierung liege. Die
finanzwirtschaftliche Funktion liege in der Schätzung des zur Verwirklichung dieser Ziele
notwendigen Finanzbedarfs und des Ausgleichs zwischen Einnahmen und Ausgaben für
jedes Planungsjahr. Die gesamtwirtschaftliche Funktion der Finanzplanung liege in der
Abstimmung der voraussichtlichen Ausgaben und der zu ihrer Deckung notwendigen
Einnahmen mit den gesamtwirtschaftlichen Zielvorstellungen und Rahmenbedingungen.
Die Funktionen könnten nicht erfüllt werden, wenn die Finanzplanung unterbleibe oder
nicht regelmäßig den aktuellen Entwicklungen angepasst und entsprechend fortgeführt
werde. Vielmehr gewährleiste nur die jährlich wiederkehrende Planung, dass der
Planungszeitraum immer konstant bleibe und sich nicht mit zunehmender Lebensdauer
des Plans verringere. Die Finanzplanung sei somit gerade dadurch gekennzeichnet, dass
sie jährlich fortgeführt werde.
Die Pflicht, die Finanzplanung dem Parlament vorzulegen, diene Informations- und
Kontrollzwecken. Die Abgeordneten sollten sich ein Bild von den mittelfristigen, den
aktuellen Begebenheiten angepassten Planungen der Regierung machen können, um
einzelne politische Vorhaben ebenso beurteilen zu können wie die generelle Frage, ob
die von ihnen legitimierte Regierung noch ihr Vertrauen genieße oder nicht. Dies
verlange aber die jährliche Vorlage der Finanzplanung auch im Falle eines
Doppelhaushalts. Insbesondere könne gerade die Finanzplanung Rückschlüsse darauf
zulassen, ob der für das bevorstehende Haushaltsjahr beschlossene Haushaltsplan den
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zulassen, ob der für das bevorstehende Haushaltsjahr beschlossene Haushaltsplan den
tatsächlichen Erfordernissen genüge oder ob gegebenenfalls ein Nachtragshaushalt
notwendig werde.
Die jährliche Fortschreibung des Finanzplanes diene auch dazu, die Finanzplanungen des
Bundes und der Länder, so wie es § 51 HGrG aber auch Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 GG
vorsehe, zu koordinieren, um mit Hilfe einer abgestimmten Konjunkturpolitik das
gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht zu sichern. Ferner trage die ausnahmslose jährliche
Fortführung der Finanzplanungen dazu bei, die Verschuldung der öffentlichen Haushalte
in der Bundesrepublik Deutschland unterhalb der sog. Mastricht-Kriterien zu halten, was
seinen Ausdruck in § 51 a HGrG gefunden habe.
Zudem sei eine jährliche Fortschreibung des Finanzplans auch in den
Ausführungsvorschriften der Senatsverwaltung für Finanzen vorgesehen.
Die Antragsteller beantragen,
festzustellen, dass der Senat von Berlin gegen die Verfassung von Berlin verstoßen
habe, weil er es unterlassen habe, dem Abgeordnetenhaus im Jahre 2004 die
Finanzplanung von Berlin für die Jahre 2004 bis 2008 vorzulegen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hält den Antrag der Antragsteller zu 4. bis 6. bereits für unzulässig. Den
Antragstellern zu 4. bis 6. fehle die Antragsbefugnis. Der Verfassung von Berlin lasse
sich unter keinem denkbaren Gesichtspunkt entnehmen, dass dem einzelnen
Abgeordneten des Abgeordnetenhauses von Berlin das Recht eingeräumt werde, von
dem Senat von Berlin zu verlangen, jährlich eine fortgeführte Finanzplanung vorzulegen.
Der Finanzplan möge zwar für die Arbeit der Abgeordneten nützlich sein. Art. 86 Abs. 3
Satz 2 VvB vermittle jedoch nur dem Abgeordnetenhaus einen Anspruch. Die
Informationsrechte der Abgeordneten seien an anderer Stelle, insbesondere in Art. 45
VvB geregelt. Die Zuständigkeiten des Parlaments ließen sich nicht als Bündel
inhaltsgleicher Kompetenzen der Abgeordneten verstehen. Das Parlament sei nicht
lediglich die Summe seiner Mitglieder, sondern es sei selbst Organ und als solches
Inhaber originärer Kompetenzen. Der einzelne Abgeordnete habe ein Recht auf
Mitwirkung an der Arbeit des Parlaments. Dieses Recht begründe jedoch ein
unmittelbares Rechtsverhältnis nur zwischen dem einzelnen Abgeordneten und dem
Parlament, nicht aber zwischen den Abgeordneten und anderen Verfassungsorganen.
Dementsprechend habe das Bundesverfassungsgericht für die Thüringische
Landesverfassung einen Anspruch des einzelnen Abgeordneten auf Vorlage des
jährlichen Prüfberichts des Landesrechnungshofs verneint.
Die Antragsteller zu 4. bis 6. seien auch nicht unter dem Gesichtspunkt der
Prozessstandschaft antragsbefugt. Dies setze eine ausdrückliche gesetzliche Zulassung
voraus. Hieran fehle es jedoch. § 37 Abs. 1 VerfGHG ermächtige als Organteile nur die
nach der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses ständig vorhandenen
Gliederungen des Abgeordnetenhauses, wie zum Beispiel die Fraktionen. Im Gegensatz
zu diesen bildeten einzelne Abgeordnete jedoch keine solche "Gliederung" des
Abgeordnetenhauses.
Der Antrag sei auch nicht begründet. Aus Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB ergebe sich kein
Recht des Abgeordnetenhauses, von dem Senat von Berlin im Jahre 2004 die Vorlage
einer Finanzplanung für die Jahre 2004 bis 2008 zu verlangen. Die Auslegung des Art. 86
Abs. 3 Satz 2 VvB müsse das Wesen der Finanzplanung berücksichtigen. Aufgabe der
mehrjährigen Finanzplanung sei es, die ein- oder zweijährigen Staatshaushalte in eine
längerfristige Perspektive einzubinden, die erst die Möglichkeit zur Beeinflussung der
ebenfalls mehrjährigen Konjunkturzyklen eröffnen solle. Der längerfristige Finanzplan
verleihe dem kurzfristigen Haushaltsplan nach dem der Finanzverfassung zu Grunde
liegenden Konzept die Eignung zur Konjunktursteuerung. In deren Sinne sei
Finanzplanung akzessorisch zur Haushaltsplanung und Haushaltsaufstellung. Dem
entspreche auch die Staatspraxis.
Auch der Wortlaut von Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB bringe dies zum Ausdruck. Der
maßgebende Zeitpunkt für die Vorlage werde kalendarisch nicht bestimmt. Vielmehr sei
danach maßgebend der zeitliche Zusammenhang mit der Vorlage des Entwurfs des
Haushaltsgesetzes. Nach dem Wortlaut des Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB ergebe sich der
letzte zulässige Termin für die Vorlage der fünfjährigen Finanzplanung ausschließlich
daraus, wann der Entwurf des Haushaltsgesetzes für das nächste Haushaltsjahr
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daraus, wann der Entwurf des Haushaltsgesetzes für das nächste Haushaltsjahr
vorgelegt werde. Werde jährlich ein Haushaltsgesetz vorgelegt, müsse
dementsprechend auch jährlich ein Finanzplan vorgelegt werden. Werde der Weg des
Doppelhaushalts gewählt, folge aus dem Normtext, dass auch der Finanzplan nur alle
zwei Jahre vorgelegt werden müsse.
Dies bestätigten auch die systematische Auslegung und die Entstehungsgeschichte des
Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB. Die Norm stehe in unmittelbarem Zusammenhang mit den
Vorgaben der Verfassung für das Haushaltsgesetz und die Haushaltswirtschaft in Art. 86
Abs. 1, 2 und 3 Satz 1 VvB. Als der Haushaltswirtschaft dienendes Instrument sei der
Finanzplan notwendig in einen engen Zusammenhang mit dem Haushaltsgesetz
gestellt. Wollte die Berliner Verfassung den Senat von Berlin zu einer jährlichen Vorlage
auch bei Vorhandensein eines Doppelhaushalts verpflichten, so hätte sie ausdrücklich
eine Vorlagefrist bestimmt. Eine solche Fristsetzung wäre notwendig, träfe die Ansicht
der Antragsteller zu.
Auch aus dem systematischen und historischen Zusammenhang mit bundesrechtlichen
Regelungen lasse sich für die Auffassung der Antragsteller nichts herleiten. Zwar stimme
Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB mit § 50 Abs. 3 Satz 1 HGrG überein. Es sei jedoch verfehlt,
aus der Übernahme einzelner bundesrechtlicher Regelungen in die Verfassung von
Berlin auf den Willen der Berliner Verfassung zu schließen, einen ganzen
Regelungskomplex des Bundesrechts in Landesverfassungsrecht zu transformieren,
ohne dass im Wortlaut des Berliner Landesverfassungsrechts ein Anhaltspunkt dafür
bestünde. Das Berliner Verfassungsrecht wäre anderenfalls in seinem Umfang abhängig
von der sich wandelnden Bundesgesetzgebung. Eine solche Konstruktion verfehle die
Eigenart der verfassungsgebenden Gewalt des Landes Berlin ebenso wie die rechtliche
Unabhängigkeit seiner Verfassung.
Im Übrigen treffe es schon nicht zu, dass das Bundesrecht zur jährlichen Vorlage des
Finanzplans verpflichte. § 50 HGrG nehme Bezug auf § 9 Abs. 1 und 2 Satz 2 sowie § 14
StabG, nicht aber auf § 9 Abs. 3 StabG. Das Fortgelten des § 9 Abs. 3 StabG sei von der
späteren Vorschrift des § 50 HGrG somit offensichtlich nicht gewollt. Daher sei auch der
Verweis auf § 14 StabG in § 50 Abs. 1 HGrG aus systematischen Gründen zwingend
dahin auszulegen, dass § 14 StabG als generelle Verweisung für eine sinngemäße
Anwendung die Spezialregelung bezüglich § 9 StabG nicht verdrängen könne. Nur so
ergebe sich eine widerspruchsfreie Auslegung von § 50 HGrG einerseits und § 9 HGrG
andererseits, wonach den Ländern vorgegeben werde, dass sie ihren Haushaltsplan für
zwei Jahre, nach Jahren getrennt, aufstellen könnten. Die von § 14 StabG angeordnete
sinngemäße Geltung der dort genannten Vorschriften schlösse es im Übrigen aus, ohne
weitere textliche Hinweise eine bundesrechtliche Pflicht zur jährlichen Fortschreibung und
Vorlage des Finanzplanes auch bei der Aufstellung von Doppelhaushalten anzunehmen.
Dass die Bundesländer nicht schon kraft Bundesrechts verpflichtet seien, ihre
Finanzplanung auch bei Vorliegen eines Doppelhaushalts jährlich fortzuführen, belege
zudem die Staatspraxis; denn nur in den Ländern Bayern, Hamburg, Niedersachsen,
Nordrhein-Westfalen und Thüringen werde die Finanzplanung auch dann jährlich
aktualisiert, während die übrigen Bundesländer in diesem Fall entweder die
Finanzplanung insgesamt oder jedenfalls die Vorlage des fortgeführten Finanzplans an
das Parlament für entbehrlich hielten.
Schließlich könne die Finanzplanung ihren Zweck nur erreichen, wenn sie sich auf die
Haushaltsgesetzgebung beziehe. Denn sie solle der ein- oder zweijährigen
Haushaltsgesetzgebung eine längerfristige Perspektive geben und auf diesem Wege
Konjunkturzyklen gemäß den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts
beeinflussen. Eine Kontrolle der Haushaltswirtschaft des Senats von Berlin losgelöst von
der Beratung und Entscheidung über ein Haushaltsgesetz müsse auch ohne alle
Konsequenzen und damit im Ergebnis wirkungslos bleiben, so dass von einer Kontrolle
kaum gesprochen werden könne.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag hat in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang Erfolg.
1. Der Antrag der Antragsteller zu 4. bis 6. ist unzulässig. Den Antragstellern fehlt die
Antragsbefugnis. Gemäß § 37 Abs. 1 VerfGHG ist ein im Organstreitverfahren gestellter
Antrag nur zulässig, wenn der jeweilige Antragsteller geltend macht, dass er oder das
Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners
in seinen ihm durch die Verfassung von Berlin übertragenen Rechten und Pflichten
verletzt oder unmittelbar gefährdet ist. Diese Voraussetzung ist hier hinsichtlich der
Antragsteller zu 4. bis 6. nicht erfüllt. Aus ihrem Sachvortrag ergibt sich nicht, dass die
beanstandete Unterlassung des Antragsgegners gegen Rechte oder Pflichten verstoßen
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beanstandete Unterlassung des Antragsgegners gegen Rechte oder Pflichten verstoßen
haben könnte, die den Antragstellern zu 4. bis 6. durch die von ihnen bezeichneten
Bestimmungen der Verfassung von Berlin übertragen sind. Eigene Rechte, deren
Verletzung die Antragsteller zu 4. bis 6. hier geltend machen könnten, bestehen nicht.
a) Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB gibt lediglich dem Abgeordnetenhaus selbst einen Anspruch
auf Vorlage des Finanzplans, nicht aber dem einzelnen Abgeordneten. Das ergibt sich
aus dem Wortlaut und der Systematik der diesbezüglichen Verfassungsbestimmungen.
Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB benennt lediglich das Abgeordnetenhaus als Empfänger des
Finanzplans. Die Rechte der einzelnen Abgeordneten sind an anderer Stelle, etwa in Art.
45 VvB ausdrücklich geregelt. Auch lassen sich die Zuständigkeiten des Parlaments
nicht als ein Bündel inhaltsgleicher Kompetenzen der Abgeordneten verstehen. Das
Parlament ist nicht lediglich die Summe seiner Mitglieder; es ist selbst Organ und als
solches Inhaber originärer Kompetenzen. Nicht der einzelne Abgeordnete, sondern das
Parlament als Ganzes im Sinne der Gesamtheit seiner Mitglieder übt als
Verfassungsorgan die vom Volk ausgehende Staatsgewalt aus (vgl. BVerfGE 90, 286
<342 f.>; 92, 130 <135> m. w. N.). Das Parlament nimmt die ihm von der Verfassung
zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse allerdings nicht losgelöst von seinen Mitgliedern
wahr. Jeder Abgeordnete ist berufen, an der Arbeit des Parlaments, seinen
Verhandlungen und Entscheidungen, teilzunehmen. Dieses Recht auf Mitwirkung an der
Arbeit des Parlaments, das insbesondere auch die Behandlung des Haushaltsplans
umfasst, begründet - soweit nicht sein Fragerecht betroffen ist - jedoch ein
unmittelbares Rechtsverhältnis nur zwischen dem einzelnen Abgeordneten und dem
Parlament, nicht zwischen den Abgeordneten und anderen Verfassungsorganen (vgl.
BVerfGE 92, 130 <135> m. w. N.). Mag der Finanzplan für den einzelnen Abgeordneten
auch eine wichtige Informationsquelle und für seine Mitwirkung an den Beratungen des
Haushaltsplans nützlich sein, so hat er aus Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB gegenüber dem
Antragsgegner kein eigenes Recht auf seine Vorlage an das Abgeordnetenhaus.
b) Art. 38 Abs. 4 VvB ist ein originäres Recht des einzelnen Abgeordneten auf Vorlage
des Finanzplans an das Abgeordnetenhaus nicht zu entnehmen.
Dem einzelnen Abgeordneten steht auch kein "akzessorisches
Informationssicherungsrecht" wegen des durch Art. 38 Abs. 4 VvB gewährleisteten
repräsentativen verfassungsrechtlichen Status des Abgeordneten zu (vgl. Driehaus, in:
ders. [Hrsg.], Verfassung von Berlin, 2002, Art. 38 Rn. 15 m. w. N.; vgl. zum Bundesrecht
BVerfGE 80, 188 <217> m. w. N.). Denn dies - darauf hat auch der Antragsgegner zu
Recht hingewiesen - unterliefe die in Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB ihren Ausdruck findende
Absicht der Verfassung von Berlin, einen Anspruch auf Vorlage des Finanzplans, der die
Verpflichtung zur Planung und Erstellung des Finanzplans notwendigerweise umfasst, nur
dem Parlament als Ganzem im Sinne der Gesamtheit seiner Mitglieder einzuräumen.
Es ist auch nicht erkennbar, dass die Vorlage des Finanzplans unentbehrlich wäre, um
dem einzelnen Abgeordneten die Erfüllung seiner Aufgaben zu ermöglichen. Die
mehrjährige Finanzplanung mag als Orientierungs- und Entscheidungshilfe von einiger
Bedeutung auch für den einzelnen Abgeordneten sein. Dass der einzelne Abgeordnete
für eine statusgerechte Aufgabenwahrnehmung auf die Kenntnis des Finanzplans
angewiesen wäre, ist jedoch nicht ersichtlich. Denn eine ausdrückliche
verfassungsrechtliche Verpflichtung der Regierung zur Vorlage des Finanzplanes, die
auch als Recht des Parlaments ausgestaltet ist, wird allein durch die Verfassung von
Berlin begründet.
Das von den Antragstellern zu 4. bis 6. geltend gemachte Recht kann auch nicht unter
Hinweis auf das Frage- und Informationsrecht des Abgeordneten (Art. 45 VvB) begründet
werden. Dieses gehört zu dem traditionellen Kern der Abgeordnetenrechte und ist
darauf gerichtet, dem einzelnen Abgeordneten die für seine Tätigkeit erforderlichen
Informationen auf rasche und zuverlässige Weise zu verschaffen (vgl. für das
Bundesrecht: BVerfGE 57, 1 <5>; 70, 324 <355>; 92, 130 <136>; VerfGH NW, NVwZ
1994, 678 f.; Driehaus, a. a. O., Art. 38 Rn. 15; Korbmacher, in: Driehaus [Hrsg.], a. a. O.,
Art. 45 Rn. 2; Trute, in: v. Münch/Kunig [Hrsg.], Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 5. Aufl.
2001, Art. 38 Rn. 92). Das Frage- und Informationsrecht hat die Funktion, den sachlichen
Aufgaben des Abgeordneten zu dienen. Dieser ist aufgrund seines Mandats berufen,
eigenverantwortlich an den Aufgaben mitzuwirken, die dem Parlament obliegen. Das
setzt voraus, dass er über die Informationen verfügt, die für eine sachbezogene
Beteiligung am Entscheidungsprozess des Parlaments erforderlich sind. Sein
Informationsstand ist für ihn von entscheidender Bedeutung. Nur wenn er so umfassend
wie möglich unterrichtet ist, vermag er seine Mitwirkungsbefugnisse voll auszuschöpfen
(vgl. BVerfGE 44, 308 <320>; VerfGH NW, NVwZ 1994, 678 <679>).
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Über dieses Informationsrecht geht das Begehren der Antragsteller zu 4. bis 6. jedoch
weit hinaus. Denn sie verlangen von der Regierung nicht lediglich die Unterrichtung über
den dort bereits vorhandenen Kenntnis- und Wissensstand. Vielmehr wird eine - der
Unterrichtung vorausgehende - gestaltende Tätigkeit in Form einer mehrere
Haushaltsjahre umfassenden mittelfristigen Finanzplanung gefordert.
c) Die Antragsbefugnis der Antragsteller zu 4. bis 6. besteht auch nicht unter dem
Gesichtspunkt der Prozessstandschaft. Die Antragsteller zu 4. bis 6. haben insoweit
schon nicht dargelegt, dass sie das Recht aus Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB in
Prozessstandschaft für das Abgeordnetenhaus geltend machen wollen. Ob § 37 Abs. 1
VerfGHG dem einzelnen Abgeordneten eine entsprechende Befugnis überhaupt
einräumt, bedarf daher keiner Entscheidung.
2. Die Anträge der Antragstellerinnen zu 1. bis 3. haben dagegen Erfolg.
a) Sie sind zulässig. Als Fraktionen sind die Antragstellerinnen zu 1. bis 3. gemäß § 37
Abs. 1 VerfGHG befugt, im Wege der Prozessstandschaft die Verletzung von
verfassungsmäßigen Rechten des Abgeordnetenhauses durch den Senat von Berlin
geltend zu machen (vgl. Beschluss vom 8. April 1997 - VerfGH 78/96 - LVerfGE 6, 66
<76> m. w. N.; st. Rspr.). Insoweit ist es auch ohne Bedeutung, dass das
Abgeordnetenhaus den auf Fortführung und Vorlage des Finanzplans für die Jahre 2004
bis 2008 gerichteten Dringlichkeitsantrag der Antragstellerin zu 3. vom 28. Oktober 2004
abgelehnt hat. Eine Fraktion als Teil des Parlaments kann dessen Rechte auch dann in
einem Organstreitverfahren prozessual geltend machen, wenn das Parlament die
Maßnahme oder Unterlassung gebilligt hat (vgl. Beschluss vom 22. November 1993 -
VerfGH 18/93 - LVerfGE 1, 160 <167 f.>).
Der Antrag ist auch innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 37 Abs. 3 VerfGHG (vgl. zum
Bundesrecht näher BVerfGE 92, 80 <89>) gestellt worden, da die endgültige Weigerung
des Antragsgegners, dem Abgeordnetenhaus im Jahre 2004 einen Finanzplan für die
Jahre 2004 bis 2008 vorzulegen, für die Antragstellerinnen erst nach dem 30. Juni 2004
erkennbar geworden ist.
Den Antragstellern fehlt auch nicht das allgemeine Rechtsschutzinteresse. Dass die von
ihnen behauptete Verletzung ihrer Rechtsstellung in der Vergangenheit liegt und
abgeschlossen ist, gegenwärtig also keine unmittelbar beeinflussbaren Wirkungen mehr
zeitigt, macht die Anträge nicht unzulässig. Denn es besteht die Möglichkeit der
Wiederkehr einer vergleichbaren Situation. Es ist nicht auszuschließen, dass der
Antragsgegner auch zukünftig im Falle eines Doppelhaushalts von der jährlichen Vorlage
eines Finanzplans absehen wird. Dabei kann dahin stehen, ob eine Wiederholung
auszuschließen wäre, wenn es - entsprechend dem Beschluss des Abgeordnetenhauses
vom 25. November 2004 - zu einer einvernehmlichen Klärung der hier im Streit
stehenden Frage zwischen Bund und Ländern im Sinne der Antragsteller käme. Denn
nachdem sich schon die Mitglieder des Bund-/Länderausschusses "Haushaltsrecht und
Haushaltssystematik" nicht auf eine gemeinsame Rechtsauffassung verständigen
konnten, besteht gegenwärtig kein Anlass zu der Annahme, dass es zu einer
einvernehmlichen Einigung kommen wird. Da der Beschluss des Abgeordnetenhauses
vom 25. November 2004 als so genannter schlichter Parlamentsbeschluss zwar
politische Wirkungen haben mag, den Antragsgegner jedoch nicht rechtlich bindet (vgl.
Lemmer, in: Pfennig/Neumann [Hrsg.], Verfassung von Berlin, 3. Aufl. 2000, Art. 43 Rn. 2
m. w. N.), ist umgekehrt ein erneutes Unterlassen nicht deshalb auszuschließen, weil
eine Klärung nicht bzw. nicht fristgemäß erreicht worden ist.
b) Die Anträge sind auch begründet. Der Senat von Berlin hat gegen Art. 86 Abs. 3 Satz
2 VvB verstoßen, weil er es unterlassen hat, dem Abgeordnetenhaus im Jahre 2004 die
Finanzplanung von Berlin für die Jahre 2004 bis 2008 vorzulegen.
Gemäß Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB ist der Finanzplan dem Abgeordnetenhaus spätestens
im Zusammenhang mit dem Entwurf des Haushaltsgesetzes für das nächste
Haushaltsjahr vorzulegen.
Damit wird dem Senat von Berlin die ausnahmslose Pflicht auferlegt, dem
Abgeordnetenhaus von Berlin in jedem Haushaltsjahr einen der Entwicklung
angepassten und fortgeführten Finanzplan vorzulegen, der eine fünfjährige
Finanzplanung beinhaltet, d. h. eine Planung, die das laufende und die nächsten vier
Haushaltsjahre umfasst. Die Vorlagepflicht entfällt nicht, wenn ein Haushaltsgesetz - hier
das Haushaltsgesetz 2004/2005 vom 1. April 2004 - den Haushaltsplan für zwei
Haushaltsjahre, nach Jahren getrennt, festgestellt hat und es deshalb im ersten dieser
beiden Haushaltsjahre nicht der Vorlage des Entwurfs eines Haushaltsgesetzes für das
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beiden Haushaltsjahre nicht der Vorlage des Entwurfs eines Haushaltsgesetzes für das
nächste Haushaltsjahr bedarf. Demgemäß war der Antragsgegner verpflichtet, dem
Abgeordnetenhaus im Jahre 2004 die Finanzplanung von Berlin für die Jahre 2004 bis
2008 vorzulegen.
Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB wiederholt eine bereits nach Bundesrecht bestehende Pflicht
des Antragsgegners zur Vorlage eines Finanzplans und schafft damit eine eigenständige
subjektive Rechtsposition des Parlaments. Die jährliche Pflicht zur Vorlage knüpft an die
ebenfalls bereits nach Bundesrecht bestehende uneingeschränkte Pflicht des
Antragsgegners an, den Finanzplan jährlich der Entwicklung anzupassen und
fortzuführen.
Dieses Verständnis der ihrem Wortlaut nach auslegungsfähigen und -bedürftigen Norm
ergibt sich vornehmlich aus ihrem systematischen Zusammenhang mit den die
Finanzplanung betreffenden bundesrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Förderung
der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 8. Juni 1967 (BGBl. I S. 582),
zuletzt geändert durch die Achte Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 25.
November 2003 (BGBl. I S. 2304) - im Folgenden: Stabilitätsgesetz (StabG) - und des
Gesetzes über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder
(Haushaltsgrundsätzegesetz - HGrG) vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1273), zuletzt
geändert durch Gesetz vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I, S. 2848). Es ergibt sich aber
auch aus dem Regelungszusammenhang mit Vorschriften der Verfassung von Berlin
über das Finanzwesen, insbesondere der Regelung des Art. 86 Abs. 3 Satz 1 VvB,
wonach der Haushaltswirtschaft eine fünfjährige Finanzplanung zugrunde zu legen ist.
Nicht zuletzt sprechen hierfür Sinn und Zweck des Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB sowie die
Entstehungsgeschichte der Norm.
aa) Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB ist auslegungsbedürftig und auslegungsfähig.
(1) Der Wortlaut der Norm ist offen für die hier vertretene Auslegung. Art. 86 Abs. 3 Satz
2 VvB regelt ausdrücklich weder, wer den Finanzplan vorzulegen hat, noch dass der
Finanzplan jährlich vorzulegen ist. Er lässt auch offen, wie im Falle eines Doppelhaushalts
zu verfahren ist.
Eine entsprechende Aussage ist dem Wortlaut der Norm schon deswegen nicht zu
entnehmen, weil für einen Doppelhaushalt gemäß § 12 Abs. 1 LHO kennzeichnend ist,
dass er für zwei Haushaltsjahre, nach Jahren getrennt, aufgestellt wird und ihm
dementsprechend der Entwurf eines Haushaltsgesetzes für die nächsten beiden Jahre
vorauszugehen hat. Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB stellt ausdrücklich jedoch nur auf "das
nächste Haushaltsjahr", nicht aber daneben auch - "für den Fall eines Doppelhaushalts" -
auf "die nächsten Haushaltsjahre" ab.
Das Bedürfnis nach einer Auslegung der Vorschrift wird noch einmal verstärkt, weil der
Verweis auf den Entwurf des Haushaltsgesetzes für das "nächste Haushaltsjahr"
mittelbar Bezug nimmt auf das "laufende Haushaltsjahr". Deswegen und weil der Begriff
des Haushaltsjahres nur in der Einzahl verwendet wird, kommt in dem Wortlaut eine
Jährlichkeit von Haushaltsgesetzgebung und Vorlage des Finanzplans zum Ausdruck, die
im Falle eines Doppelhaushalts im Grundsatz in Frage gestellt ist.
Eindeutig zu entnehmen ist Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB die Aussage, dass dem
Abgeordnetenhaus ein Finanzplan vorzulegen ist. Aus dem Wortlaut der Vorschrift kann
jedoch nicht geschlossen werden, dass der "Entwurf des Haushaltsgesetzes für das
nächste Haushaltsjahr" eine Bedingung für die Entstehung der Pflicht zur Vorlage des
Finanzplans ist. Ihr Wortlaut legt lediglich nahe, dass die Regelung mit der Vorlagepflicht
eine Frist verbindet, innerhalb derer die Vorlage eines Finanzplans zu erfolgen hat.
Denn nach allgemeinem Verständnis handelt es sich bei einer Bedingung um ein
zukünftiges ungewisses Ereignis (vgl. z. B. die Legaldefinition in § 36 Abs. Abs. 2 Nr. 2
VwVfG; vgl. auch BGH, NJW 2004, 284). Ungewissheit darüber, ob der Entwurf eines
Haushaltsgesetzes für das nächste Haushaltsjahr erfolgen wird, ist dem Wortlaut des
Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB jedoch nicht zu entnehmen, was anderenfalls etwa durch die
Worte "falls" oder "sofern" zum Ausdruck gebracht worden wäre. Der Wortlaut lässt
keinen Zweifel daran erkennen, dass es zukünftig zu einem Entwurf des
Haushaltsgesetzes für das nächste Haushaltsjahr kommen wird. Offen lässt die Norm
lediglich den genauen Zeitpunkt des Entwurfs. Dies aber ist kennzeichnend für eine
Befristung, die sich nach allgemeiner Ansicht von der Bedingung dadurch unterscheidet,
dass bei ihr auf ein gewisses, allerdings zeitlich noch unbestimmtes Ereignis abgestellt
wird (vgl. BGH, a. a. O.; Heinrichs, in: Palandt, BGB, 64. Aufl. 2005, § 163 Rn. 1 m. w. N.).
Das nach dem Wortlaut der Norm als gewiss vorausgesetzte Ereignis wird im Falle eines
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Das nach dem Wortlaut der Norm als gewiss vorausgesetzte Ereignis wird im Falle eines
Doppelhaushalts in dessen erstem Jahr aber naturgemäß ausbleiben. Hierdurch wird
noch einmal die Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit des Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB
unterstrichen. Denn so wie der Wortlaut der Norm schon an anderer Stelle von der
Jährlichkeit von Haushaltsgesetzgebung und Finanzplan auszugehen scheint, so zeigt
auch dies, dass die Vorschrift nicht auf den Fall einer Haushaltsgesetzgebung
zugeschnitten ist, die einen längeren Zeitabschnitt umfasst.
(2) Auch systematische Überlegungen verdeutlichen die Auslegungsbedürftigkeit des
Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB. Denn sie belegen, dass die Norm von den
haushaltsrechtlichen Grundsätzen der Jährlichkeit und Vorherigkeit geprägt und deshalb
nicht auf den Fall eines zwei Haushaltsjahre umfassenden Doppelhaushalts
zugeschnitten ist.
Nach Art. 109 Abs. 1 GG sind Bund und Länder in ihrer Haushaltswirtschaft selbstständig
und voneinander unabhängig. Bund und Länder haben bei ihrer Haushaltswirtschaft den
Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen (Art. 109
Abs. 2 GG). Nach Art. 109 Abs. 3 GG können durch Bundesgesetz, das der Zustimmung
des Bundesrates bedarf, für Bund und Länder gemeinsam geltende Grundsätze für das
Haushaltsrecht, für eine konjunkturgerechte Haushaltswirtschaft und für eine
mehrjährige Finanzplanung aufgestellt werden.
Von dieser Ermächtigung hat der Bund durch die §§ 9 bis 11, 14 StabG sowie durch das
Haushaltsgrundsätzegesetz Gebrauch gemacht. Bund und Länder sind verpflichtet, ihr
Haushaltsrecht nach diesen Grundsätzen zu regeln (vgl. § 1 Satz 1 HGrG). Bund und
Länder dürfen bei ihrer Gesetzgebung nicht vom Haushaltsgrundsätzegesetz abweichen.
Weicht eine landesrechtliche Regelung dennoch ab, hat das Bundesrecht Vorrang (vgl.
Piduch, Bundeshaushaltsrecht, 2. Auflage, Stand: August 2003, Art. 109 Rn. 35).
Nach § 4 Satz 1 HGrG ist Rechnungsjahr (Haushaltsjahr) das Kalenderjahr. Gemäß § 8
Abs. 1 HGrG ist für jedes Haushaltsjahr ein Haushaltsplan aufzustellen. Das
Haushaltsgrundsätzegesetz gibt damit den Grundsatz der Jährlichkeit vor, wonach der
Haushaltsplan für ein Jahr veranschlagt wird (vgl. Korbmacher, in: Driehaus [Hrsg.], a. a.
O., Art. 85 Rn. 9; Pfennig, in: Pfennig/Neumann [Hrsg.], a. a. O., Art. 85 Rn. 11 m. w. N.).
Allerdings kann nach § 9 Abs. 1 HGrG der Haushaltsplan für zwei Haushaltsjahre, nach
Jahren getrennt, aufgestellt werden. Da es auch dann bei der Trennung nach Jahren
bleibt, wird das Jährlichkeitsprinzip hierdurch nicht aufgehoben, sondern lediglich
modifiziert (vgl. Pfennig, a. a. O., Art. 85 Rn. 12 m. w. N.).
Der Grundsatz der Jährlichkeit findet in der Verfassung von Berlin seine Entsprechung in
Art. 85 Abs. 1 Satz 1 VvB. Danach müssen alle Einnahmen und Ausgaben für jedes
Rechnungsjahr in dem Haushaltsplan veranschlagt werden; er wird durch ein Gesetz
festgestellt (Haushaltsgesetz). Durch Gesetz können eine Veranschlagung und
Feststellung für einen längeren Zeitabschnitt und in besonderen Ausnahmefällen ein
Nachweis von Einnahmen und Ausgaben außerhalb des Haushaltsplans zugelassen
werden (Art. 85 Abs. 1 Satz 2 VvB). Satz 2 der Vorschrift i. V. m. § 9 Abs. 1 HGrG
eröffnet die Möglichkeit, durch Gesetz eine Aufstellung des Haushaltsplans für zwei
Haushaltsjahre, nach Jahren getrennt, zuzulassen.
Die Verfassung von Berlin beinhaltet ferner den Haushaltsgrundsatz der Vorherigkeit,
wonach der Haushaltsplan vor Beginn des Haushaltsjahres festgestellt sein muss und
dementsprechend der Entwurf des Haushaltsgesetzes dem Abgeordnetenhaus bereits
vor Beginn des neuen Rechnungsjahres vorzulegen ist. Dieser Grundsatz ist zwar in Art.
85 VvB nicht ausdrücklich geregelt, lässt sich aber dem Notausgabenrecht des Senats
nach Art. 89 Abs. 1 Satz 1 VvB entnehmen, wonach die unbedingt notwendigen
Ausgaben geleistet werden können, wenn der Haushaltsplan zu Beginn des neuen
Rechnungsjahres noch nicht festgestellt ist (vgl. Korbmacher, a. a. O., Art. 85 Rn. 9;
Pfennig, a. a. O., Art. 85 Rn. 8). Art. 89 VvB setzt der vorläufigen Haushaltsführung des
Senats im haushaltslosen Zustand enge Grenzen. Mit dieser Begrenzung korrespondiert
die verfassungsrechtliche Verpflichtung aller beteiligten Verfassungsorgane, daran
mitzuwirken, dass der Haushaltsplan regelmäßig vor Ablauf des vorherigen
Rechnungsjahres verabschiedet werden kann (vgl. zum Bundesrecht BVerfGE 45, 1
<33>).
Vor diesem Hintergrund drängt sich der Schluss auf, dass sich auch der Wortlaut des
Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB an den von der Verfassung vorgegebenen Verpflichtungen der
beteiligten Verfassungsorgane orientiert, den Haushaltsplan für ein Jahr zu
veranschlagen und ihn jeweils noch vor Ablauf des "laufenden" Haushaltsjahres zu
verabschieden. Ist Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB seinem Wortlaut nach somit kein
unmittelbarer Bezug zum Fall eines Doppelhaushalts zu entnehmen, so mag deshalb -
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unmittelbarer Bezug zum Fall eines Doppelhaushalts zu entnehmen, so mag deshalb -
dies ist dem Antragsgegner zuzugeben - im Grundsatz auch die Annahme denkbar sein,
eine Modifizierung des Grundsatzes der Jährlichkeit könne zugleich die Vorlagepflicht
nach Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB erfassen. Anders als Art. 85 Abs. 1 Satz 2 VvB, der für
das Haushaltsgesetz die Möglichkeit einer Modifikation des Jährlichkeitsprinzips durch
einfaches Gesetz ausdrücklich vorsieht, eröffnet Art. 86 Abs. 3 VvB eine solche
Möglichkeit hinsichtlich des Finanzplans allerdings nicht. Schon dies weist darauf hin,
dass der Finanzplan auch bei Vorliegen eines Doppelhaushalts jährlich vorzulegen ist
und die Vorlage vor Ablauf des laufenden Haushaltsjahres zu erfolgen hat.
bb) Der enge systematische Zusammenhang des Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB mit den §§
9, 10, 14 StabG und § 50 HGrG sowie Art. 86 Abs. 3 Satz 1 VvB zwingt jedoch zu der
Auslegung, dass eine jährliche Vorlagepflicht besteht. Denn aus diesem
Regelungszusammenhang ergibt sich, dass der "Finanzplan" im Sinne von Art. 86 Abs. 3
Satz 2 VvB ein Finanzplan im Sinne von § 9 (i. V. m. § 14 Satz 1) StabG, § 50 HGrG ist.
Dies aber ist ein das laufende Haushaltsjahr und die nächsten vier Haushaltsjahre
umfassender Plan, der von der Regierung ohne Ausnahme jährlich der Entwicklung
anzupassen und fortzuführen und deshalb in jedem Haushaltsjahr neu zu beschließen
ist.
Denn der Regelungsgehalt von Art. 86 Abs. 3 Satz 1 und 2 VvB stimmt überein mit dem
von § 50 Abs. 1 HGrG, § 9 Abs. 1 (i. V. m. § 14 Satz 1) StabG bzw. § 50 Abs. 3 Satz 1
HGrG. Nach § 9 Abs. 3 i. V. m. § 14 Satz 1 StabG besteht die uneingeschränkte Pflicht
des Antragsgegners, den Finanzplan jährlich der Entwicklung anzupassen und
fortzuführen. Diese ausnahmslose Pflicht findet ihren Ausdruck auch in § 9 Abs. 1 StabG,
§ 50 Abs. 1 HGrG bzw. in Art. 86 Abs. 3 Satz 1 VvB. Damit aber drängt sich der Schluss
auf, dass Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB die uneingeschränkte Pflicht des Antragsgegners zur
jährlichen Anpassung und Fortführung des Finanzplans um die ebenso ausnahmslose
verfassungsrechtliche Pflicht erweitert, dem Abgeordnetenhaus in jedem Haushaltsjahr
einen der jährlichen Entwicklung angepassten und fortgeführten Finanzplan vorzulegen.
§ 9 Abs. 1 Satz 1 StabG bestimmt, dass der Haushaltswirtschaft des Bundes eine
fünfjährige Finanzplanung zugrunde zu legen ist. In ihr sind Umfang und
Zusammensetzung der voraussichtlichen Ausgaben und die Deckungsmöglichkeiten in
ihren Wechselbeziehungen zu der mutmaßlichen Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen
Leistungsvermögens darzustellen, gegebenenfalls durch Alternativrechnungen (§ 9 Abs.
1 Satz 2 StabG). Der Finanzplan ist gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 StabG vom
Bundesministerium der Finanzen aufzustellen und zu begründen. Er wird gemäß § 9 Abs.
2 Satz 2 StabG von der Bundesregierung beschlossen und Bundestag und Bundesrat
vorgelegt. Nach § 9 Abs. 3 StabG ist der Finanzplan jährlich der Entwicklung anzupassen
und fortzuführen. Diese Vorschriften gelten gemäß § 14 Satz 1 StabG sinngemäß für die
Haushaltswirtschaft der Länder. Die Regelung der Zuständigkeiten bleibt den Ländern
überlassen (§ 14 Satz 2 StabG).
Nach § 50 Abs. 1 HGrG, der gemäß § 49 HGrG unmittelbar für den Bund und die Länder
gilt, legen Bund und Länder ihrer Haushaltswirtschaft je für sich eine fünfjährige
Finanzplanung zugrunde. Das erste Planungsjahr der Finanzplanung ist das laufende
Haushaltsjahr (§ 50 Abs. 2 HGrG). Gemäß § 50 Abs. 3 HGrG ist der Finanzplan den
gesetzgebenden Körperschaften spätestens im Zusammenhang mit dem Entwurf des
Haushaltsgesetzes für das nächste Haushaltsjahr vorzulegen. Im Finanzplan sind die
vorgesehenen Investitionsschwerpunkte zu erläutern und zu begründen (§ 50 Abs. 4
HGrG). § 50 HGrG verweist hinsichtlich der Finanzplanung und des Finanzplanes jeweils
auf die Vorschrift des § 9 StabG.
In dem von der Regierung zu beschließenden Finanzplan (§ 9 Abs. 2 Satz 2 StabG) ist
demnach die fünfjährige Finanzplanung niederzulegen (vgl. hierzu auch Piduch, a. a. O.,
Finanzplanung Rn. 1). Dabei ergibt sich aus § 50 Abs. 2 HGrG, dass eine Finanzplanung
nur dann "fünfjährig" im Sinne von § 9 Abs. 1 StabG, § 50 Abs. 1 HGrG ist, wenn sie das
laufende Haushaltsjahr und die folgenden vier Haushaltsjahre umfasst.
Der Regelungsgehalt von Art. 86 Abs. 3 Satz 1 und 2 VvB ist derselbe wie der von § 50
Abs. 1 HGrG, § 9 Abs. 1 (i. V. m. § 14 Satz 1) StabG bzw. § 50 Abs. 3 Satz 1 HGrG (vgl.
Korbmacher, a. a. O., Art. 86 Rn. 4; Pfennig, a. a. O., Art. 86 Rn. 7). Dies folgt schon aus
dem nahezu identischen Wortlaut der Regelungen: Art. 86 Abs. 3 Satz 1 VvB stimmt mit
§ 9 Abs. 1 (i. V. m. § 14 Satz 1) StabG und § 50 Abs. 1 HGrG wörtlich überein. Art. 86
Abs. 3 Satz 1 VvB entspricht § 50 Abs. 3 Satz 1 HGrG. Die genannten bundesrechtlichen
Bestimmungen gelten in den Ländern unmittelbar. Auch wegen des Vorrangs des
Bundesrechts verbietet sich daher die Annahme, der Regelungsgehalt der Berliner
Verfassungsbestimmungen könnte hinsichtlich der Pflichten der Regierung von dem der
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Verfassungsbestimmungen könnte hinsichtlich der Pflichten der Regierung von dem der
bundesrechtlichen Regelungen abweichen. Daher ist es ohne Belang, dass Art. 86 Abs. 3
Satz 2 VvB, anders als § 50 Abs. 3 Satz 1 HGrG, die Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 2
StabG nicht ausdrücklich in Bezug nimmt. Auch Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB meint den
Finanzplan im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 2 StabG. Dieser aber ist von der Regierung
ohne Ausnahme jährlich neu zu beschließen.
Die Regierung trifft gemäß § 9 Abs. 3 (i. V. m. § 14 Satz 1) StabG die Pflicht, den
Finanzplan jährlich der Entwicklung anzupassen und fortzuführen. Diese Verpflichtung
besteht auch für den Fall, dass der Haushaltsplan gemäß § 9 Abs. 1 HGrG für zwei
Haushaltsjahre, nach Jahren getrennt, festgestellt wird (vgl. Piduch, a. a. O.,
Finanzplanung Rn. 2, 15; s. auch Bur, in: Heuer, Kommentar zum Haushaltsrecht, Stand:
Dezember 2004, § 50 HGrG Rn. 4). Für die Auffassung des Antragsgegners, dass § 9
Abs. 3 StabG durch die zeitlich später erfolgten Regelungen des
Haushaltsgrundsätzegesetzes verdrängt worden sei, lassen sich keine Anhaltspunkte
erkennen. Auch die einschlägige Literatur stellt die Geltung der Regelung nicht in Frage
(vgl. z. B. Bur, a. a. O., § 50 HGrG Rn. 5; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner
Grundgesetz, Bd. 3, 4. Aufl. 2001, Art. 109 Abs. 3 Rn. 137; Kisker, in: Isensee/P. Kirchhof
[Hrsg.], Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, 1990, § 89 Rn. 80; Rodi, in: Bonner
Kommentar zum Grundgesetz, Stand: Dezember 2004, Art. 109 Rn. 402 ).
Gegen die Annahme, bereits nach § 9 Abs. 3 StabG treffe den Antragsgegner die Pflicht,
den Finanzplan jährlich der Entwicklung anzupassen und fortzuführen, lässt sich nicht
anführen, dass die Regelung gemäß § 14 Satz 1 StabG für die Länder lediglich
"sinngemäß" gilt. Schon die in § 14 Satz 2 StabG eingeräumte Befugnis der Länder, die
Zuständigkeiten eigenverantwortlich zu regeln, belegt, dass die "sinngemäße"
Anwendung der in § 14 Satz 1 StabG aufgeführten Vorschriften allein dem Umstand
geschuldet ist, dass sich jene Regelungen nur an Organe des Bundes richten.
Die bundesrechtlichen Regelungen des Stabilitätsgesetzes und des jüngeren
Haushaltsgrundsätzegesetzes - und damit mittelbar auch Art. 86 Abs. 3 Satz 1 und 2
VvB - sind aufeinander abgestimmt und sollen einander im Wesentlichen ergänzen, nicht
aber verdrängen. So benennt beispielsweise § 50 Abs. 3 HGrG (bzw. Art. 86 Abs. 3 VvB)
nicht den Adressaten der Verpflichtung zu einer fünfjährigen Finanzplanung und der
Pflicht, den "gesetzgebenden Körperschaften" (bzw. dem Abgeordnetenhaus) den
Finanzplan vorzulegen. Dies ist entbehrlich, da sich dies bereits aus § 9 Abs. 2 (i. V. m. §
14 Satz 1) StabG ergibt. § 50 HGrG definiert nicht den Inhalt der Finanzplanung, da dies
bereits in § 9 Abs. 1 Satz 2 StabG geschehen ist. § 9 Abs. 1 Satz 2 StabG zählt
Alternativrechnungen zum möglichen Inhalt der Finanzplanung. § 50 Abs. 3 Satz 3 HGrG
knüpft hieran an und räumt den gesetzgebenden Körperschaften den Anspruch ein,
Alternativrechnungen zu verlangen. In einer ähnlichen Beziehung stehen die Regelungen
des § 50 Abs. 5 HGrG und des § 10 (i. V. m. § 14 Satz 1) StabG. Denn als Unterlagen für
die Finanzplanung stellen gemäß § 10 Abs. 1 StabG die Bundesministerien für ihren
Geschäftsbereich mehrjährige Investitionsprogramme auf und übersenden sie mit den
sonstigen Bedarfsschätzungen dem Bundesministerium der Finanzen zu dem von ihm
zu bestimmenden Zeitpunkt. Die Investitionsprogramme haben nach Dringlichkeit und
Jahresabschnitten gegliedert die in den nächsten Jahren durchzuführenden
Investitionsvorhaben zu erfassen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 StabG). Die Investitionsprogramme
sind jährlich der Entwicklung anzupassen und fortzuführen (§ 10 Abs. 3 StabG). Auf diese
Regelungen nimmt § 50 Abs. 5 HGrG ausdrücklich und inhaltlich uneingeschränkten
Bezug und bestimmt, dass den gesetzgebenden Körperschaften die auf der Grundlage
der Finanzplanung überarbeiteten mehrjährigen Investitionsprogramme (§ 10 des
Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft) vorzulegen
sind.
Auch das Verhältnis von § 9 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 (i. V. m. § 14 Satz 1) StabG und §
50 Abs. 3 Satz 1 HGrG bestätigt im Grundsatz das Prinzip der Ergänzung und ist weiterer
Anhalt dafür, dass die Regelungen des Haushaltsgrundsätzegesetzes nicht auf eine
Aufhebung von Regelungen des Stabilitätsgesetzes ausgerichtet sind. § 9 Abs. 2 Satz 2
Halbsatz 2 (i. V. m. § 14 Satz 1) StabG beinhaltet bereits die Verpflichtung der
Regierung, den von ihr beschlossenen Finanzplan den gesetzgebenden Körperschaften
vorzulegen. § 50 Abs. 3 Satz 1 HGrG greift diese Verpflichtung auf, wiederholt sie und
konkretisiert sie zugleich, indem er der Regierung eine Frist zur Vorlage setzt. § 50 Abs.
3 Satz 1 HGrG verdrängt damit nicht den Regelungsgehalt des § 9 Abs. 2 Satz 2
Halbsatz 2 (i. V. m. § 14 Satz 1) StabG.
Die ergänzende Funktion des Haushaltsgrundsätzegesetzes wird bestätigt durch die
Gesetzesmaterialien, nach denen § 50 HGrG (§ 2 des Gesetzentwurfs) die Vorschriften
des Stabilitätsgesetzes "in verfahrensrechtlicher Hinsicht ergänzen" soll (vgl. die
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des Stabilitätsgesetzes "in verfahrensrechtlicher Hinsicht ergänzen" soll (vgl. die
amtliche Begründung: BT-Drs. V/3040, Tz. 55, 139; vgl. auch Piduch, a. a. O.,
Finanzplanung Rn. 1). Zur Regelung des § 50 Abs. 3 Satz 1 HGrG (§ 2 Abs. 2 des
Gesetzentwurfs) führte die Begründung aus, sie "ergänze" § 9 Abs. 2 Satz 2 StabG. Auf
diese Weise werde "sichergestellt, dass die Finanzplanung auch dem Entwurf des
Haushaltsplanes zugrunde gelegt" werden könne (vgl. BT-Drs. V/3040, Tz. 141).
Die in § 50 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 HGrG enthaltenen Bezugnahmen auf § 9 Abs. 1 und
§ 14 StabG bzw. § 9 Abs. 2 Satz 2 StabG haben demnach lediglich die Aufgabe,
klarzustellen, dass die Regelungen des Stabilitätsgesetzes ergänzt werden sollen und an
deren materiellen Regelungsgehalt angeknüpft wird. So stellt der Verweis in § 50 Abs. 1
HGrG auf die Regelungen der §§ 9 Abs. 1 und 14 StabG klar, dass der Regelungsgehalt
beider Vorschriften übereinstimmt und § 50 diejenige Finanzplanung meint, deren
materieller Gehalt in § 9 Abs. 1 Satz 2 StabG beschrieben ist. Der Verweis des § 50 Abs.
3 Satz 1 HGrG verdeutlicht, dass die Regelung an § 9 Abs. 2 Satz 2 StabG (i. V. m. § 14
Satz 1 StabG) anknüpft und sich die Vorlagepflicht auf den von der Regierung
beschlossenen Finanzplan bezieht.
Dass § 9 Abs. 3 StabG nicht durch die Vorschriften des Haushaltsgrundsätzegesetzes
über die Finanzplanung aufgehoben oder modifiziert werden sollte, belegen im Übrigen
die Regelungen des § 50 Abs. 5 HGrG und des § 10 (i. V. m. § 14 Satz 1) StabG. § 50
Abs. 5 HGrG nimmt wie ausgeführt auf die Regelungen des § 10 StabG einschließlich des
§ 10 Abs. 3 StabG ausdrücklich und inhaltlich uneingeschränkten Bezug und bestimmt,
dass den gesetzgebenden Körperschaften die auf der Grundlage der Finanzplanung
überarbeiteten mehrjährigen Investitionsprogramme (§ 10 des Gesetzes zur Förderung
der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft) vorzulegen sind. Schon dies lässt
keinen Raum für die Annahme, die Pflicht zur jährlichen Anpassung der
Investitionsprogramme könnte durch § 50 HGrG verdrängt worden sein. Vielmehr
dokumentiert die Vorschrift, dass an dem jährlichen Gleichschritt von Finanzplanung und
Investitionsprogrammen festzuhalten ist, da die jährlich anzupassenden und
fortzuführenden Investitionsprogramme der Finanzplanung als Unterlagen dienen sollen
und die Investitionsprogramme ihrerseits "auf der Grundlage der Finanzplanung" - und
zwar der aktuellen jährlich fortgeschriebenen - zu überarbeiten sind.
Die aus § 9 Abs. 3 StabG folgende uneingeschränkte Pflicht des Antragsgegners zur
jährlichen Anpassung und Fortführung des Finanzplans findet ihren Niederschlag in § 9
Abs. 1 StabG, § 50 Abs. 1 HGrG bzw. Art. 86 Abs. 3 Satz 1 VvB, wonach der
Haushaltswirtschaft eine fünfjährige, also das laufende Haushaltsjahr und die folgenden
vier Haushaltsjahre umfassende Finanzplanung zugrunde zu legen ist.
§ 9 Abs. 1 StabG, § 50 Abs. 1 HGrG bzw. Art. 86 Abs. 3 Satz 1 VvB ist nicht zu
entnehmen, dass sich "Haushaltswirtschaft" auf das die Feststellung des Haushaltsplans
betreffende Gesetzgebungsverfahren beschränkte. Vielmehr umfasst die
Haushaltswirtschaft im Sinne der genannten Normen nach allgemeiner Ansicht die
Gesamtheit der auf die Ausgaben und Einnahmen eines Haushaltsträgers bezogenen
Vorgänge. Zur Haushaltswirtschaft zählen deshalb jedenfalls alle Entscheidungen und
Maßnahmen, die notwendiger Bestandteil des Haushaltskreislaufs in
verfahrensrechtlicher Hinsicht sind. Der Haushaltskreislauf, der auch in der Verfassung
von Berlin in den Art. 85 ff. seinen Ausdruck findet, reicht von der Aufstellung des
Haushaltsplans durch die Regierung über die Beschlussfassung durch das Parlament
einschließlich der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes, über den Vollzug des
Haushalts durch die Exekutive bis hin zur Kontrolle des Haushaltsvollzugs durch den
Rechnungshof und die Entlastung durch das Parlament (vgl. Bleckmann, Staatsrecht I,
1993, Rn. 1673; Heintzen, in: v. Münch/Kunig [Hrsg.], Grundgesetz, Bd. 3, 5. Aufl. 2003,
Art. 109 Rn. 5; Hillgruber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Bonner Grundgesetz, Bd. 3, 4.
Aufl. 2001, Art. 109 Abs. 1 Rn. 16 ff.; Heun, in: Dreier [Hrsg.], Grundgesetz, Bd. III, 2000,
Rn. 5; Mahrenholz, in: Grundgesetz, Alternativkommentar, Bd. 2, 2. Aufl. 1989, Art 109
Rn. 8; Maunz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Bd. VI, Art. 109 Rn. 3 [Stand 1979]; Piduch,
a. a. O., Art. 109 GG Rn. 5; Rodi, a. a. O., Art. 109 Rn. 80, 92; Schmidt-Bleibtreu/Klein,
Grundgesetz, 8. Aufl. 1995, Art. 109 Rn. 7; Siekmann, in: Sachs, GG, 3. Aufl. 2003, Art.
109 Rn. 4; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, § 45 IV
3 a).
Beschränkt sich die jährliche Haushaltswirtschaft aber nicht auf die Feststellung des
Haushaltsplanes, ist folglich auch nach § 9 Abs. 1 Satz 1 StabG, § 50 Abs. 1 HGrG, Art.
86 Abs. 3 Satz 1 VvB die Aufstellung einer fünfjährigen - jeweils fortzuschreibenden -
Finanzplanung erforderlich, wenn sich die Haushaltswirtschaft in einem Haushaltsjahr
nicht auf die Aufstellung des Haushaltsplans und die Verabschiedung des
Haushaltsgesetzes erstrecken sollte.
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Dieses Verständnis des Art. 86 Abs. 3 Satz 1 VvB und der inhaltsgleichen § 9 Abs. 1 Satz
1 StabG, § 50 Abs. 1 HGrG folgt ferner aus Sinn und Zweck der Finanzplanung. Diese
erschließen sich u. a. aus § 9 Abs. 1 Satz 2 StabG und § 50 Abs. 4 HGrG sowie aus § 50
Abs. 7 HGrG, wonach die Regierung rechtzeitig geeignete Maßnahmen treffen soll, um
eine geordnete Haushaltsentwicklung unter Berücksichtigung des voraussichtlichen
gesamtwirtschaftlichen Leistungsvermögens in den einzelnen Planungsjahren zu sichern.
Sinn und Zweck der fünfjährigen Finanzplanung sind es, die Haushaltswirtschaft, die von
dem kurzfristig angelegten System der jährlichen Haushaltsplanung dominiert wird, in
einen mittelfristigen Orientierungsrahmen einzuordnen, der einen Überblick über
längerfristige finanz- und wirtschaftspolitische Zielvorstellungen verschafft und eine die
größeren Problem- und Lösungszusammenhänge reflektierende Haushaltsperspektive
vermittelt. Die mehrjährige Finanzplanung soll dabei helfen, haushaltspolitische
Entscheidungen, insbesondere über größere haushaltswirtschaftliche Maßnahmen wie
umfangreiche Investitionsvorhaben, mit Rücksicht auf die daraus folgenden
Konsequenzen für das Haushaltsvolumen und den Haushaltsausgleich über einen
längeren Zeitraum zu treffen (vgl. Hillgruber, a. a. O., Art. 109 Abs. 3 Rn. 134; Rodi, a. a.
O., Art. 109 Rn. 389). Die mehrjährige Finanzplanung hat damit für finanzwirtschaftliche
Rationalität und geplante Kontinuität zu sorgen (vgl. BVerfGE 101, 158 <219>). Der
mittelfristigen Finanzplanung kommen ferner eine politische Programmfunktion
(Aufgabenplanung, Prioritätenfestlegung), eine vorausschauende finanzpolitische
Ordnungsfunktion (Haushaltsausgleich, dauernde Leistungsfähigkeit, Aufzeigen der
Grenzen der Finanzierbarkeit, frühzeitiges Aufzeigen finanzpolitischer
Gefahrensituationen), eine konjunktur- und wirtschaftspolitische Lenkungsfunktion
(gesamtwirtschaftliche Struktur-, Stabilitäts- und Wachstumsmaßnahmen) sowie eine
Informations- und Kontrollfunktion (Transparenz und Beeinflussbarkeit durch Parlament,
Regierung und Öffentlichkeit) zu (vgl. Katz, in: Feuchte [Hrsg.], Verfassung des Landes
Baden-Württemberg, 1987, Art. 79 Rn. 10; Kisker, a. a. O., § 89 Rn. 84; Korbmacher, a. a.
O., Art. 86 Rn. 3; Maunz, a. a. O., Art. 109 Rn. 47; Materialien zum Bericht zur Lage der
Nation 1972, BT-Drs. VI/3080, S. 46; Patzig, Haushaltsrecht des Bundes und der Länder,
Bd. I, 1981, Rn. 137 ff.; Piduch, a. a. O., Finanzplanung Rn. 4; Rodi, a. a. O., Art. 109 Rn.
389 ff.; Stern, a. a. O., § 45 IV 4 b).
Diese Funktionen vermag eine fünfjährige Finanzplanung auch in einem Haushaltsjahr zu
erfüllen, in welchem dem Parlament der Entwurf eines Haushaltsgesetzes für das
nächste Haushaltsjahr nicht vorgelegt werden muss. Insbesondere gilt dies hinsichtlich
des Vollzugs des Haushalts, d. h. dem Finanzieren der vorgesehenen Ausgaben und
dem Begründen der vorgesehenen Verpflichtungen durch die Exekutive (vgl. Kisker, a. a.
O., § 89 Rn. 52). Die Exekutive hat dabei zwar die Grenzen zu respektieren, die ihr durch
die Bestimmungen des Haushaltsplans gezogen sind. Ebenso hat sie gesetzliche
Vorgaben zu beachten, die beispielsweise aus Art. 109 Abs. 2 GG und dessen
Konkretisierungen in einer Vorschrift wie § 1 StabG folgen.
Die Exekutive ist jedoch nicht verpflichtet, den Haushalt durch Ausgaben und
Verpflichtungsübernahmen umzusetzen. Vielmehr entscheidet sie im Rahmen der
geltenden Gesetze nach eigenem Ermessen (vgl. Kisker, a. a. O., § 89 Rn. 52). Es liegt
auf der Hand, dass ihr dabei eine jährlich fortgeführte, aktuelle Finanzplanung die
notwendige Orientierung bieten kann, um ihr Handeln - insbesondere soweit es um den
Haushaltsausgleich oder konjunktur- und wirtschaftslenkende Maßnahmen geht - auf
eine mittelfristige Perspektive auszurichten. Dies belegt nicht zuletzt § 6 Abs. 2 StabG,
der gemäß § 14 Satz 1 StabG auch für die Länder gilt. Danach kann die Regierung
bestimmen, dass bei einer die Ziele des § 1 StabG (Stabilität des Preisniveaus, hoher
Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht bei stetigem und
angemessenem Wirtschaftswachstum) gefährdenden Abschwächung der allgemeinen
Wirtschaftstätigkeit zusätzliche Ausgaben geleistet werden können (§ 6 Abs. 2 Satz 1
StabG). Dabei dürfen die zusätzlichen Mittel nur für im Finanzplan (§ 9 i. V. m. § 10
StabG) vorgesehene Zwecke oder als Finanzhilfe für besonders bedeutsame
Investitionen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) zur Abwehr einer Störung
des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts verwendet werden (§ 6 Abs. 2 Satz 2 StabG).
Die Bedeutung der fünfjährigen - jährlich fortzuschreibenden - Finanzplanung für das
Handeln der Regierung bringt auch § 50 Abs. 7 HGrG zum Ausdruck, der es ausdrücklich
an die Vorgaben der Finanzplanung bindet. Schließlich kann eine jährlich fortgeführte
fünfjährige Finanzplanung auch bei Haushaltsüberschreitungen, die nach Art. 88 Abs. 2
VvB nur mit Zustimmung des Senats im Falle eines unvorhergesehenen und
unabweisbaren Bedürfnisses vorgenommen werden, der Regierung Orientierung geben.
Aber auch Parlament und Öffentlichkeit können ihr Verhalten und die Kontrolle der
Regierung im laufenden Haushaltsjahr an einer fünfjährigen jeweils jährlich
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Regierung im laufenden Haushaltsjahr an einer fünfjährigen jeweils jährlich
fortgeschriebenen Finanzplanung unabhängig davon orientieren, ob es der Feststellung
eines Haushaltsplanes für das nächste Haushaltsjahr bedarf.
Dies gilt hinsichtlich des Parlaments um so mehr, als im Falle eines Doppelhaushalts
nicht unterstellt werden kann, das Parlament werde wegen des bereits für das nächste
Haushaltsjahr festgestellten Haushalts im laufenden Haushaltsjahr nicht mit
haushaltswirtschaftlichen Fragen befasst werden. Hiergegen ist schon Art. 88 Abs. 2 VvB
anzuführen, wonach für Haushaltsüberschreitungen gemäß Art. 88 Abs. 1 VvB die
nachträgliche Genehmigung des Abgeordnetenhauses einzuholen ist. Ebenso denkbar
ist es, dass im laufenden Haushaltsjahr Nachträge zum Haushaltsgesetz (§ 33 LHO)
eingebracht werden oder das Abgeordnetenhaus über die Aufhebung eines im
Doppelhaushalt enthaltenen qualifizierten Sperrvermerks im Sinne von § 22 Satz 3 LHO
zu entscheiden hat.
Die ausnahmslose jährliche Anpassung des Finanzplans an die Entwicklung und seine
jährliche Fortführung machen nach alledem gerade das Wesen der Finanzplanung aus.
Dieses wird geprägt durch den mehrjährigen Zeitraum, für den die Planung gelten soll.
Erfahrungsgemäß ist schon der ein- oder zweijährige Haushaltsplan mit zahlreichen
Risiken behaftet, die sowohl in den Annahmen über die finanz- und gesamtwirtschaftliche
Entwicklung und damit in der Ungenauigkeit der Schätzung der einzelnen Einnahmen
und Ausgaben als auch in unvorhergesehen eintretenden Ereignissen liegen, die sich
einer Einflussnahme durch die Regierung oder das Parlament entziehen. Um so mehr
muss dies für die mittelfristige Prognose der "voraussichtlichen Ausgaben" oder der
"mutmaßlichen Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Leistungsvermögens" gelten.
Schon kleine Veränderungen der Prognosegrundlage, wozu bereits ein Abweichen des
festgestellten Haushaltsplanes von der ihm zugrundeliegenden Finanzplanung zählen
kann, können hier erhebliche Auswirkungen auf die Verlässlichkeit der auf fünf Jahre
angelegten Prognose selbst haben (vgl. Patzig, a. a. O., Rn. 160; Piduch, a. a. O.,
Finanzplanung Rn. 19; Kisker, a. a. O., § 89 Rn. 80). Andererseits soll der Finanzplan aber
Regierung und Parlament eine verlässliche Orientierungshilfe sein, die es ermöglicht, auf
unerwartete Entwicklungen auch kurzfristig reagieren zu können. Dies belegt § 6 Abs. 2
StabG ebenso wie § 50 Abs. 6 und 7 HGrG. Seine Funktionen kann der Finanzplan daher
nur erfüllen, wenn er in verhältnismäßig kurzen Zeitabständen der Entwicklung
angepasst und fortgeführt wird. Deshalb widerspricht es dem Wesen der Finanzplanung,
sie in größeren zeitlichen Abständen als einem Jahr der Entwicklung anzupassen.
Vor diesem Hintergrund lassen die Bezugnahme des § 50 Abs. 3 Satz 1 HGrG auf § 9
Abs. 2 Satz 2 StabG und der Regelungszusammenhang mit § 50 Abs. 1 HGrG, § 9 Abs. 1
Satz 1 StabG nur den Schluss zu, dass der jährlichen Pflicht der Regierung nach § 9 Abs.
3 (i. V. m. § 14 Satz 1) StabG, den Finanzplan anzupassen und fortzuführen, die Pflicht
entspricht, dem Parlament jährlich einen der Entwicklung angepassten und fortgeführten
Finanzplan vorzulegen. Dafür spricht schließlich auch noch einmal das Verhältnis von §
50 Abs. 5 HGrG und § 10 StabG. Denn die uneingeschränkte Bezugnahme des § 50 Abs.
5 HGrG auf § 10 StabG lässt keinen Zweifel daran, dass die jährlich der Entwicklung
angepassten und fortgeführten Investitionsprogramme (§ 10 Abs. 3 StabG) den
gesetzgebenden Körperschaften ebenfalls jährlich vorzulegen sind. Dass für den nach §
9 Abs. 3 StabG jährlich der Entwicklung
anzupassenden und fortzuführenden Finanzplan im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 2 StabG
etwa anderes gelten könnte, ist angesichts der im Gesetz angelegten Beziehung
zwischen Investitionsprogrammen und Finanzplanung nicht erkennbar.
Da ihr Regelungsgehalt mit dem des § 50 Abs. 3 Satz 1 HGrG übereinstimmt, gilt
dasselbe für Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB.
cc) Die uneingeschränkte Pflicht des Antragsgegners, dem Abgeordnetenhaus den
Finanzplan jährlich vorzulegen, entspricht - wie sich aus den vorangegangenen
Überlegungen ergibt - auch Sinn und Zweck des Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB. Denn dieser
beschränkt sich nicht darauf, dem Abgeordnetenhaus bei den Beratungen über den
Entwurf des Haushaltsgesetzes eine Grundlage zu bieten, mag dies auch ein
wesentlicher Zweck der Vorlagepflicht sein. Vielmehr soll der Finanzplan dem Parlament
immer dann als Orientierungshilfe dienen, wenn es sich mit haushaltswirtschaftlichen
Fragen zu beschäftigen hat. Dies ist aber, wie dargestellt, nicht nur im Zusammenhang
mit dem Entwurf des Haushaltsgesetzes für das nächste Haushaltsjahr der Fall. Nicht
zuletzt spricht auch die Informations- und Kontrollfunktion des Finanzplans dafür, dass
die Pflicht zur jährlichen Fortführung des Finanzplans nicht von der Vorlagepflicht gelöst
sein kann. Dabei bedarf keiner näheren Darlegung und ist beispielsweise durch die
Rechenschaftspflicht nach Art. 94 VvB hinreichend belegt, dass das Parlament die
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Rechenschaftspflicht nach Art. 94 VvB hinreichend belegt, dass das Parlament die
Exekutive bereits im laufenden Haushaltsjahr beim Vollzug des Haushaltsgesetzes zu
kontrollieren hat; hierbei vermag ein Finanzplan - selbst wenn er erst gegen Ende des
Haushaltsjahres vorgelegt werden sollte - durchaus eine Orientierungshilfe zu geben.
Wichtiger noch dürfte die Vorlagepflicht aber für die Qualitätssicherung der jährlichen
Finanzplanung sein. Denn indem die Regierung dazu gezwungen ist, den jährlichen
Finanzplan dem Parlament vorzulegen und ihn damit der parlamentarischen Kontrolle
und Auseinandersetzung aber auch der öffentlichen Kritik auszusetzen, wird sie
womöglich in verstärktem Maße dazu angehalten, ein der "finanzwirtschaftlichen
Rationalität" (BVerfGE 101, 158 <219>) verpflichtetes, konsequentes mittelfristiges
Konzept ihrer Politik auszuarbeiten (vgl. zum Bundesrecht: Materialien zum Bericht zur
Lage der Nation 1972, BT-Drs. VI/3080, S. 46; Schmidt-Bleibtreu/Klein, a. a. O., Art. 109
Rn. 11).
dd) Schließlich wird die hier vertretene Auslegung durch die Gesetzesmaterialien
bestätigt. Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB ist durch die Verfassung vom 23. November 1995 in
das Verfassungsrecht des Landes Berlin aufgenommen worden. Er geht zurück auf einen
Vorschlag der Enquete-Kommission "Verfassungs- und Parlamentsreform". Im 2. Bericht
(Schlussbericht) der Kommission vom 18. Mai 1994 (Abghs-Drs. 12/4376 S. 25) heißt es:
"Die Entscheidung der Kommission für eine zwischen 58 und 62 Monate dauernde
Legislaturperiode des Abgeordnetenhauses von Berlin und die Vorteile von
längerfristigen Entscheidungen zum Etat, die mit dem Doppelhaushalt 1995/1996
erstmalig wahrgenommen werden, haben zu dem Votum für eine fünfjährige
Finanzplanung geführt.
Grundsätzlich ergibt sich die Verpflichtung, die Haushaltswirtschaft über mehrere Jahre
zu planen und diesen Plan dem Abgeordnetenhaus vorzulegen, bereits aus dem
Haushaltsgrundsätzegesetz des Bundes. Die Kommission war dennoch der Auffassung,
dass dieses wichtige finanzpolitische Steuerungsinstrument in die Landesverfassung
aufgenommen werden sollte, damit das Parlament eine verfassungsrechtliche Position
geltend machen kann, falls die Planung zu spät oder gar nicht vorgelegt wird...
Die Kommission stellt in der Beratung klar, dass es sich dann um einen von Jahr zu Jahr
fortzuschreibenden Fünfjahresplan handeln wird".
Dies bestätigt nicht nur, dass Art. 86 Abs. 3 Satz 2 VvB die bundesrechtliche
Verpflichtung zur Vorlage gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 HGrG wiederholt und damit dem
Parlament eine verfassungsrechtliche Position für den Fall verleiht, dass die Planung zu
spät oder gar nicht vorgelegt wird. Vielmehr ergibt sich, dass auch der Verfassungsgeber
von einem sich "von Jahr zu Jahr fortschreibenden Fünfjahresplan" ausgegangen ist. Er
tat dies ausdrücklich in Ansehung des Umstandes, dass bei Inkrafttreten des Art. 83
Abs. 3 VvB "mit dem Doppelhaushalt 1995/96 erstmalig die Vorteile von längerfristigen
Entscheidungen zum Etat wahrgenommen" werden konnten. Hieraus aber folgt, dass
der Verfassungsgeber auch für die Jahre eines Doppelhaushalts ganz selbstverständlich
von der Pflicht des Antragsgegners ausgegangen ist, den Finanzplan jährlich der
Entwicklung anzupassen, fortzuführen und dem Abgeordnetenhaus vorzulegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieses Urteil ist unanfechtbar.
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