Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: öffentliche gewalt, verfassungsbeschwerde, anspruch auf rechtliches gehör, freiheit der person, beschwerdeschrift, subjektives recht, grundrecht, mehrheit, erfüllung, rüge

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
21/95
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 103 Abs 1 GG, § 133 BGB,
Art 62 Verf BE vom 01.09.1950,
§ 49 Abs 1 VGHG BE, § 50
VGHG BE
VerfGH Berlin: Mangels Behauptung der Verletzung eines
Landesgrundrechts unzulässige Verfassungsbeschwerde -
abweichende Meinung
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin einer Dachgeschoß-Mietwohnung. Im
Ausgangsverfahren stritten sie als Vermieterin dieser Wohnung und die Mieterin als
Klägerin um die vertragsgemäße Erfüllung des Mietvertrags hinsichtlich der
Beheizbarkeit der Wohnung. Die Mieterin begehrte die Verurteilung der
Beschwerdeführerin, die Mietsache dergestalt in einen zum vertragsgemäßen Gebrauch
geeigneten Zustand zu versetzen, daß eine Beheizbarkeit in den Wohnräumen von
21°C, in der Küche und im Schlafzimmer von 18°C, im Bad von 23°C und in der Diele
von 15°C gewährleistet sei.
Durch Urteil vom 16. Juni 1994 hat das Amtsgericht Charlottenburg die Klage im
wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, in § 5 des Mietvertrags sei eine von den
DIN-Werten abweichende Vereinbarung über die Heizpflicht dahingehend getroffen
worden, daß eine Temperatur von mindestens 18°C in der Zeit von 8 00 Uhr bis 21.00
Uhr als vertragsgemäße Erfüllung gelte. Nachdem das Mietverhältnis während des von
der Klägerin angestrengten Berufungsverfahrens beendet worden war, hat das
Landgericht im Urteil vom 25. November 1994 unter Zurückweisung der Berufung im
übrigen festgestellt, daß der Rechtsstreit in der Hauptsache
erledigt sei, soweit die Klägerin gefordert habe, die Mieträume dergestalt in einen zum
vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu versetzen, daß zu den
mietvertraglich vereinbarten Zeiten eine Beheizbarkeit der Räume bei Temperaturen in
den Wohnräumen von 20°C, in der Küche von 18°C, im Schlafzimmer von 17°C und im
Bad von 23°C gewährleistet sei. Neun Zehntel der Kosten des Verfahrens hat das
Landgericht der Beschwerdeführerin
mit der Begründung auferlegt, die Klägerin habe bis zur Beendigung des
Mietverhältnisses einen Anspruch gegen die Beschwerdeführerin gehabt, daß diese in
den durch den Mietvertrag gemieteten Wohnräumen in den vereinbarten Zeiträumen
eine Temperatur von 20°C gewährleiste. Daß die Beschwerdeführerin diesen Anspruch
nicht erfüllt habe, stehe aufgrund des substantiierten Vortrags der Mieterin und aufgrund
des Gutachtens des Sachverständigen vom 13. Dezember 1993 fest.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer
Rechte aus Art. 103 Abs. 1 GG. Sie macht geltend, das Landgericht habe eine
Überraschungsentscheidung gefällt. Es habe die anerkannten Regeln eines fairen
Prozeßverfahrens, die Beweislastregeln und vor allem ihren - der Beschwerdeführerin -
Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Sie genügt nicht den Anforderungen des § 49
Abs. 1 VerfGHG.
Gemäß § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann "mit der Behauptung, durch die öffentliche
Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen
Rechte" verletzt zu sein, Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof erheben,
soweit nicht Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben ist oder
wird. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde zum
Verfassungsgerichtshof ist daher, daß - alles andere vernachlässigt - der
Beschwerdeführer geltend macht, - erstens - durch eine der öffentlichen Gewalt des
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Beschwerdeführer geltend macht, - erstens - durch eine der öffentlichen Gewalt des
Landes Berlin und nicht etwa derjenigen des Bundes zuzurechnende Maßnahme (vgl. in
diesem Zusammenhang z. B. Beschluß vom 16. Dezember 1993 - VerfGH 86/93 -) in -
zweitens - einem gerade durch die Verfassung von Berlin und nicht etwa durch das
Grundgesetz oder die Verfassung eines anderen Bundeslandes (auch) zu seinen
Gunsten verbürgten Rechts verletzt zu sein (vgl. u.a. Beschluß vom 3. September 1992 -
VerfGH 34/92 -).
An einer Behauptung der letzteren Art fehlt es im vorliegenden Fall. Insoweit ist die
Entscheidung mit fünf zu vier Stimmen ergangen.
Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde ist unter dem hier behandelten
Blickwinkel abhängig davon, daß der Beschwerdeführer vorträgt, durch die "Berliner
öffentliche Gewalt" in einem sozusagen "Berliner Recht" verletzt zu sein; er muß rügen
die von ihm mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Maßnahme der "Berliner
öffentlichen Gewalt" beruhe auf der Verletzung gerade eines "Berliner Rechts". § 49 Abs.
1 VerfGHG verlangt von dem Beschwerdeführer - mit anderen Worten - die Angabe
desjenigen, dem die verletzende Maßnahme zuzurechnen ist ("Berliner öffentliche
Gewalt"), und er verlangt überdies die Angabe des Prüfungsmaßstabs, der der Annahme
des Beschwerdeführers zugrundeliegt, die von ihm beanstandete Maßnahme verletze
ein subjektives Recht, und an dem nunmehr die Richtigkeit dieser Annahme gemessen
werden soll, d. h. die Angabe des Maßstabs, auf dessen Grundlage der
Beschwerdeführer die von ihm beanstandete Maßnahme beurteilt wissen möchte.
In den Fällen, in denen der Beschwerdeführer nicht rügt, durch eine Maßnahme der
"Berliner öffentlichen Gewalt" werde ein subjektives "Berliner Recht" verletzt, ist sein
Vorbringen sowohl mit Blick auf die "Berliner öffentliche Gewalt" als auch mit Blick auf die
Behauptung der Verletzung eines "Berliner Rechts", d. h. des begehrten
Prüfungsmaßstabs, auszulegen. In diesem Rahmen ist hinsichtlich des
Prüfungsmaßstabs bei einer aus Berlin stammenden, an den Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin gerichteten Verfassungsbeschwerde jedenfalls dann grundsätzlich
davon auszugehen, daß die Überprüfung einer Maßnahme nach Maßgabe eines "Berliner
Rechts" gewünscht ist, wenn die Verletzung von Grundrechten in Rede steht, die
inhaltsgleich vom Grundgesetz und von der Verfassung von Berlin verbürgt werden (vgl.
in diesem Zusammenhang Beschluß vom 21. Juni 1995 - VerfGH 73/94 - JR 1995, 497;
im Ergebnis ähnlich auch Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidungen vom 26.
Januar 1990 - Vf. 30 - VI - 89 - VerfGH 43, 12/15). Jedoch ist diese Vermutung widerlegt,
wenn der Vortrag des Beschwerdeführers ausdrücklich einzig auf die Verletzung einer
Bestimmung des Grundgesetzes abstellt. Bei der somit von Fall zu Fall erforderlichen
Auslegung ist berücksichtigungsfähig nur das Vorbringen, das innerhalb der jeweils für
die Verfassungsbeschwerde nach Maßgabe des § 51 VerfGHG einschlägigen Frist beim
Verfassungsgerichtshof eingegangen ist: Eine Verfassungsbeschwerde kann gemäß § 51
VerfGHG nur innerhalb bestimmter Fristen "erhoben" werden. Zur Erhebung gehören die
von § 49 Abs. 1 VerfGHG verlangte Behauptung und die von § 50 VerfGHG geforderte
Begründung; beides muß also innerhalb der Frist vorliegen. Die Behauptung, durch die
"Berliner öffentliche Gewalt" in einem "Berliner Recht" verletzt zu sein, zählt ebenso wie
die Begründung zu den Mindesterfordernissen einer Verfassungsbeschwerde und kann
daher nur innerhalb der für die Erhebung der Verfassungsbeschwerde gegebenen Frist
nachgeholt werden (vgl. in diesem Zusammenhang zum Bundesrecht schon BVerfG,
Beschluß vom 12. April 1956 - 1 BvR 461/55 - BVerfGE 5, 1). Zu dieser Frage ist die
Entscheidung mit sieben zu zwei Stimmen ergangen.
Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin in dem - ihrer Beschwerdebegründung
vorangestellten sozusagen - "Tenor" ihrer Beschwerdeschrift hervorgehoben: "Gerügt
wird eine Verletzung der Rechte der Beschwerdeführerin aus Art. 103 Abs. 1 GG"
(Beschwerdeschrift S. 2). Am Schluß ihrer Beschwerdeschrift macht die
Beschwerdeführerin ihr Begehren hinsichtlich des anzuwendenden Prüfungsmaßstabs
nochmals deutlich: "Das angefochtene Urteil beruht auf dem Verstoß gegen Art. 103
Abs. 1 GG" und deshalb ist "die Beschwerde ... begründet" (Beschwerdeschrift S. 103).
Selbst im Rahmen ihrer Begründung stellt die Beschwerdeführerin ausschließlich auf das
Grundgesetz ab: "Art. 103 Abs. 1 GG gibt den Prozeßbeteiligten ein Recht darauf, sich zu
dem der gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlaß der
Entscheidung zu äußern" (Beschwerdeschrift S. 6). Ihre Begründung gleichsam
zusammenfassend führt die Beschwerdeführerin aus, das Landgericht habe die von ihr
beanstandete Feststellung "in dem angefochtenen Urteil nur unter Verletzung der
Rechte der Beschwerdeführerin aus Art. 103 Abs. 1 GG" treffen können
(Beschwerdeschrift S. 13.)
Vor diesem Hintergrund ist schon fraglich, ob nicht anzunehmen ist, das Vorbringen der
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Vor diesem Hintergrund ist schon fraglich, ob nicht anzunehmen ist, das Vorbringen der
Beschwerdeführerin sei wegen seiner Eindeutigkeit nicht auslegungsfähig, die
Beschwerdeführerin habe im Sinne des § 49 Abs. 1 VerfGHG nicht die Verletzung eines
"Berliner Rechts", sondern ausschließlich die Verletzung eines Bundesgrundrechts
behauptet. Doch mag das auf sich beruhen. Zwar wird das Grundrecht auf rechtliches
Gehör auch in der für die Beurteilung des vorliegenden Falles noch maßgebenden
Fassung der Verfassung von Berlin vom 1. September 1950 (VoBl. S. 433), zuletzt
geändert durch Gesetz vom 8. Juni 1995 (GVBl. S. 339), gewährleistet; es ist mit dem in
Art. 103 Abs. 1 GG verbürgten Grundrecht inhaltsgleich (vgl. Beschluß vom 15. Juni 1993
- VerfGH 18/92 - JR 1993, 519). Jedoch ist der von einem Rechtsanwalt eingereichten
Beschwerdeschrift nicht ein einziger Hinweis zu entnehmen, der auf die Behauptung der
Verletzung gerade eines "Berliner Rechts" schließen lassen könnte. Es wird an keiner
Stelle in der Beschwerdeschrift die Berliner Verfassung auch nur erwähnt; es läßt sich
nicht der geringste Anhaltspunkt dafür finden, daß die Beschwerdeführerin die Berliner
Verfassung in irgendeiner Weise in ihre Erwägungen einbezogen haben könnte.
Angesichts dessen fehlt es hier an jeglichen Umständen, die die Annahme stützen
könnten, die Beschwerdeführerin habe - wie es § 49 Abs. 1 VerfGHG für die Zulässigkeit
einer Verfassungsbeschwerde voraussetzt - behauptet, gerade oder zumindest auch in
einem "von der Verfassung von Berlin" enthaltenen Recht verletzt zu sein.
Im übrigen - und darauf sei ergänzend hingewiesen - hätte die Verfassungsbeschwerde
auch in der Sache keinen Erfolg haben können. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die
Ausführungen des Landgerichts und seine aus den Akten ersichtliche
Verfahrensgestaltung mehr oder weniger zu überzeugen vermögen. Denn der
Verfassungsgerichtshof ist in seiner Prüfungsbefugnis begrenzt auf verfassungsrechtlich
relevante Rechtsverstöße; die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung
auf den Einzelfall sind grundsätzlich der Nachprüfung durch den Verfassungsgerichtshof
entzogen. Rechtsfehler, die auf einer grundsätzlich unrichtigen und deshalb
verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Anschauung von der Bedeutung des
Grundrechts auf rechtliches Gehör, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs
beruhen (s. hierzu etwa Beschluß vom 17. Februar 1993 - VerfGH 3/93 -), sind nicht
ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 33 f. VerfGHG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
Abweichende Meinung
Wir halten die Verfassungsbeschwerde für zulässig. Nach unserer Auffassung ist dem
Vorbringen der Beschwerdeführerin mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, daß
sie mit der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs die Verletzung eines zu ihren
Gunsten in der Verfassung von Berlin verbürgten Rechts geltend macht.
Zutreffend meint zwar auch die Mehrheit der Verfassungsrichter, hinsichtlich des
Prüfungsmaßstabs sei bei einer aus Berlin stammenden, an den Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin gerichteten Verfassungsbeschwerde jedenfalls dann grundsätzlich
davon auszugehen, daß die Überprüfung einer Maßnahme nach Maßgabe eines
“Berliner Rechts" gewünscht sei, wenn die Verletzung von Grundrechten in Rede stehe,
die inhaltsgleich vom Grundgesetz und von der Verfassung von Berlin verbürgt werden.
Zu Unrecht hält die Mehrheit jedoch diese „Vermutung" für “widerlegt, wenn der Vortrag
des Beschwerdeführers ausdrücklich einzig auf die Verletzung einer Bestimmung des
Grundgesetzes abstellt." Abgesehen davon, daß die Beschwerdeführerin im vorliegenden
Fall mehrfach ausdrücklich von ihrem “Recht auf rechtliches Gehör" spricht, ist gerade
wegen der Identität des geschützten Rechts - hier des Rechts auf rechtliches Gehör in
Artikel 103 Abs. 1 GG einerseits und Artikel 62 VvB a.F. andererseits (vgl. Beschluß vom
15. Juni 1993 - VerfGH 18.92 - JR 1993, 519) - der Vorwurf der Angabe eines falschen
Prüfungsmaßstabes nicht haltbar.
Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner grundlegenden - ersten - Entscheidung
betreffend seine Befugnis, zu überprüfen, ob die Gerichte des Landes Berlin bei der
Anwendung von Bundesrecht die Grundrechte der Verfassung von Berlin beachtet haben
(Beschluß vom 23. Dezember 1992 - VerfGH 38.92 - NJW 1993, 513 [514, r. Sp.], s. Zt.
bezüglich des Grundrechts der Freiheit der Person), ausgeführt: „Die landesrechtliche
Norm bildet dabei den (einzigen) Maßstab für die Beurteilung durch den
Verfassungsgerichtshof, doch hat er die Vereinbarkeit der gerichtlichen Entscheidungen
auch mit Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 GG als Vorfrage zu prüfen (vgl. von Olshausen,
Landesverfassungsbeschwerde und Bundesrecht, 1980, S. 241; s. auch Zuck, Das Recht
der Verfassungsbeschwerde, 2. Auflage, 1988, Rdnr. 229, sowie Schmitt Glaeser/Horn in
BayVBl. 1992, 673, 685). Die Annahme eines Verstoßes gegen Artikel 2 Abs. 2 Satz 2
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BayVBl. 1992, 673, 685). Die Annahme eines Verstoßes gegen Artikel 2 Abs. 2 Satz 2
GG würde die Annahme eines Verstoßes auch gegen Artikel 9 Abs. 1 VvB implizieren, da
hier nach dem materiellen Gehalt ein und dasselbe Grundrecht vorliegt (vgl. BVerfGE 22,
267, 271)." In der damit in Bezug genommenen Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts heißt es wörtlich - übrigens gerade zum Grundrecht auf
rechtliches Gehör -: „Die Grundrechtsvorschriften des Grundgesetzes und die gemäß
Artikel 142 GG in Kraft gebliebenen Bestimmungen der Landesverfassungen schützen je
nur ein und dasselbe Grundrecht ... Man muß nämlich unterscheiden zwischen dem
materiellen Gehalt eines Grundrechts und der Möglichkeit seiner mehrfachen Garantie
...".
Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist
anzunehmen, daß die Angabe des Grundgesetzartikels nur eine verkürzte Darstellung
des begehrten Prüfungsvorgangs bedeutet. Das liegt um so näher, als der
Verfassungsgerichtshof ohnehin zunächst die Vereinbarkeit der gerichtlichen
Entscheidung mit der Norm des Grundgesetzes - hier Artikel 103 Abs. 1 GG - als
“Vorfrage" zu prüfen hat und bei der Bejahung dieser Frage ein Verstoß gegen Artikel 62
VvB a.F. „impliziert" wäre (vgl. VerfGH 38.92, a.a.O.), ein weiterer - selbständiger -
Prüfungsvorgang also nicht hinzukäme. Die eng am Wortlaut des
Beschwerdevorbringens haftende Auslegung seitens der Mehrheit der
Verfassungsrichter widerspricht demgegenüber dem für Willenserklärungen jeder Art
einschließlich Prozeßhandlungen geltenden Grundsatz des § 133 BGB, wonach „bei der
Auslegung einer Willenserklärung ... der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem
buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften" ist.
Das Zitieren nur der Bestimmung des Grundgesetzes kann deshalb nach unserer
Auffassung nicht dazu führen, die - auch von der Mehrheit geteilte - Vermutung zu
entkräften, daß eine an den Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin gerichtete
Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung eines Berliner Gerichts bei einem
inhaltsgleich vom Grundgesetz und von der Verfassung von Berlin verbürgten
Grundrecht die Rüge des betreffenden “Berliner Rechts" bedeutet (vgl. in diesem
Zusammenhang auch die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs vom
17. Juni 1994 - Vs 92-VI-93 - Umdruck S. 9).
Der hier - von der Minderheit der Verfassungsrichter - vertretenen Auslegung des
Beschwerdevorbringens steht nicht etwa entgegen, daß es an einer Angabe des Artikel
62 VvB a.F. fehlt. Auch die Mehrheit der Verfassungsrichter stützt die Entscheidung nicht
auf eine Verletzung des in § 50 VerfGHG enthaltenen „Bezeichnungsgebots": Für dessen
Erfüllung genügt es - ebenso wie für § 92 BVerfGG -, wenn ein Beschwerdeführer den
Inhalt des vermeintlich verletzten Grundrechts umschreibt (BVerfGE 79, 174 [201]) oder
der von ihm vorgetragene Sachverhalt nur als auf ein bestimmtes Grundrecht zielend
verstanden werden kann; eine ausdrückliche Benennung des als verletzt gerügten
Grundrechtsartikels ist nicht erforderlich (vgl. BVerfGE 85, 214, 217; 47, 182, 187; s.
auch VerfGH Berlin, Beschluß vom 19. Oktober 1995 - VerfGH 23.95 -, Das
Grundeigentum 1995, S. 1772 [1773 linke Spalte]). Wenn jedoch im Rahmen des
Bezeichnungsgebots" des § 50 VerfGHG, mit dem an das in § 49 Abs. 1 VerfGHG
geforderte Behaupten einer Grundrechtsverletzung angeknüpft wird, die Bezugnahme
auf die maßgebliche Bestimmung der Verfassung von Berlin entbehrlich ist, kann
dieselbe Unterlassung denknotwendig keinen Verstoß im Rahmen von § 49 Abs. 1
VerfGHG bedeuten. Da nach Auffassung der dissentierenden Richter die erwähnte
Vermutung, daß die Überprüfung nach Maßgabe der Verfassung von Berlin begehrt wird,
nicht durch die mehrfache Angabe des materiell einschlägigen Grundgesetzartikels
widerlegt wird, bedarf es auch keiner Bestätigung der Vermutung durch eine - von der
Mehrheit der Verfassungsrichter in der Beschwerdeschrift vermißte - Erwähnung der
Verfassung von Berlin.
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