Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: subjektives recht, öffentliche gewalt, verfassungsbeschwerde, pfändung, wohnraum, wohnung, drucksache, existenzminimum, sozialstaatsprinzip, grundrecht

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
34/96
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 20 Abs 1 GG, Art 28 Abs 1 S
1 GG, § 850c Abs 1 ZPO, Art 6
Verf BE, Art 22 Abs 1 Verf BE
(VerfGH Berlin: Keine Verletzung des Rechts auf
Menschenwürde iSv Verf BE Art 6 durch unter
Pfändungsfreigrenze liegende Pfändung der Rentenansprüche
für Kindesunterhalt)
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer bezieht eine monatliche Rente von 1.866 DM. Nach seinen
Angaben beträgt seine monatliche Miete zur Zeit 1.300 DM. Als Vater eines
minderjährigen Kindes ist er zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts von 592 DM
verpflichtet. Nachdem die Kindesmutter mit Blick auf diesen Unterhalt einen Pfändungs-
und Überweisungsbeschluß erwirkt hatte, pfändete sie die Rentenansprüche des
Beschwerdeführers.
Den Antrag des Beschwerdeführers, die Pfändung einzustellen und den monatlichen
Freibetrag auf mindestens 1.800 DM festzusetzen, hat das Amtsgericht Schöneberg
durch Beschluß vom 8. Dezember 1995 zurückgewiesen. Durch Beschluß vom 5. Februar
1996 hat das Landgericht Berlin die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen
richtet sich die vorliegende Verfassungsbeschwerde.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die angegriffenen Entscheidungen verletzten ihn
in seinem durch Art. 28 Abs. 1 der Verfassung von Berlin (VvB) verbürgten Recht auf
angemessenen Wohnraum und in seinem durch Art. 22 Abs. 1 VvB garantierten Recht
auf soziale Sicherung. Durch die fortschreitende Pfändung könne er sich seine Wohnung
nicht mehr leisten; Wohngeld oder Zuschüsse seitens des Sozialamts erhalte er nicht.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.
Gemäß § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann Verfassungsbeschwerde mit der
Behauptung erheben, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin, in einem seiner in
der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte verletzt zu sein. Damit setzt die
Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde u.a. voraus, daß der Beschwerdeführer die
Verletzung eines (auch) zu seinen Gunsten von der Verfassung von Berlin begründeten,
subjektiven Rechts geltend macht. Daran fehlt es hier.
Es kann dahinstehen, ob Art. 28 Abs. 1 VvB überhaupt ein mit der
Verfassungsbeschwerde rügefähiges subjektives Recht begründet und in welchem
Verhältnis diese Vorschrift zu dem bundesrechtlich geordneten bürgerlichen Recht
betreffend die Herausgabe von Wohnraum und zu den bundesrechtlichen Regelungen
des Wohngeld- u. Wohngeldsondergesetzes steht. Denn jedenfalls könnte Art. 28 Abs. 1
VvB subjektivrechtlich - also über seine Qualität als Programmsatz hinaus - allenfalls vor
Obdachlosigkeit schützen (vgl. in diesem Zusammenhang Beschluß vom 17. März 1994
- VerfGH 139/93 -). Jedoch begründet er weder ein allgemeines Behaltensrecht für eine
bestimmte bezogene Wohnung noch - jenseits der Obdachlosigkeit - einen sonstigen
Anspruch eines einzelnen Bürgers. Das Recht auf Wohnraum in Art. 28 Abs. 1 VvB wirkt
mithin grundsätzlich nicht unmittelbar anspruchsbegründend, sondern verpflichtet das
Abgeordnetenhaus und den Senat von Berlin, das im Rahmen staatlicher Einflußnahme
und unter Berücksichtigung anderer staatlicher Aufgaben und Pflichten Mögliche zu tun,
für Schaffung und Erhaltung von Wohnraum zu sorgen (vgl. Beschluß vom 27. März 1996
- VerfGH 8/96 und 8 A/96 -).
Unter dem Blickwinkel eines subjektiven Rechts gilt im Ergebnis nichts anderes für Art.
22 Abs. 1 VvB. Er begründet ebensowenig wie sein "Rechtsvorgänger", nämlich Art. 14
der Verfassung von Berlin vom 1. September 1950 (vgl. dazu Schwan in: Pfennig/
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der Verfassung von Berlin vom 1. September 1950 (vgl. dazu Schwan in: Pfennig/
Neumann, Verfassung von Berlin, Kommentar, 2. Aufl., Art. 14 Rn. 2), ein subjektives
Recht einzelner Bürger auf bestimmte staatliche Leistungen. Der
Verfassungsgesetzgeber hat es - entsprechend der Empfehlung der Enquete-
Kommission "Verfassungs- und Parlamentsreform- in ihrem Schlußbericht vom 18. Mai
1994 (Abgeordnetenhaus-Drucksache 12/4376, S. 29 f. und 43) - bewußt abgelehnt,
einen Anspruch auf eine soziale Grundsicherung in die Verfassung aufzunehmen. Er hat
sich vielmehr insoweit für die Aufnahme lediglich eines Staatsziels entschieden (vgl.
auch Stellungnahme des Senats von Berlin vom 23. Januar 1995 in Abgeordnetenhaus-
Drucksache 12/5224 S. 4). Dieses Staatsziel entfaltet ebenso wie das in Art. 20 Abs. l
und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG verankerte Sozialstaatsprinzip seine Wirkung namentlich
bei der Anwendung und Auslegung subjektiver öffentlicher Rechte (vgl. in diesem
Zusammenhang u.a. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 1954 - BVerwG
V C 78/54 - BVerwGE 1, 159 <161 f.> und Beschluß des Bundesverfassungsgerichts
vom 12. Dezember 1973 - 1 BvL 19/72 - BVerfGE 36, 237 <249>).
Der Beschwerdeführer könnte seine Verfassungsbeschwerde im übrigen - und darauf sei
ergänzend hingewiesen - nicht mit Erfolg auf eine Verletzung des Rechts auf Achtung der
Würde des Menschen aus Art. 6 VvB stützen.
Aus diesem Grundrecht folgt zwar ein Anspruch auf eigenverantwortliche
Lebensgestaltung und damit ein Recht auf Belassung eines Existenzminimums ebenso
wie ein Anspruch auf menschenwürdige Unterkunft. Ein Anspruch auf Innehabung einer
bestimmten Wohnung läßt sich aus Art. 6 VvB indes nicht entnehmen. Auch der
Anspruch auf Belassung eines Existenzminimums ist im Falle des Beschwerdeführers
nicht verletzt. Von den Rentenbezügen des Beschwerdeführers von 1.866 DM verbleiben
ihm nach der Pfändung aufgrund der Unterhaltsansprüche der Tochter von 592 DM
monatlich 1.274 DM zum Lebensunterhalt. Dieser Betrag liegt höher als der
Pfändungsfreibetrag von 1.209 DM monatlich bei der Pfändung von Arbeitseinkommen
(§ 850 c Abs. 1 ZPO). Daß mit diesem verbleibenden Betrag etwa aufgrund besonderer
persönlicher Umstände das Existenzminimum unterschritten würde, ist nicht ersichtlich.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 33 f. VerfGHG.
Dieser Beschluß ist unanfechtbar.
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