Urteil des VerfGH Berlin vom 21.03.2002

VerfGH Berlin: fristlose kündigung, anspruch auf rechtliches gehör, treu und glauben, verfassungsbeschwerde, eigenes verschulden, ordentliche kündigung, mietzins, wohnung, vermieter, räumung

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
63/02, 63 A/02
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 15 Abs 1 Verf BE, § 49
VGHG BE, § 242 BGB, § 554
BGB vom 14.07.1964, § 554a
BGB vom 14.07.1964
(VerfGH Berlin: Verletzung rechtlichen Gehörs durch
fachgerichtliche Außerachtlassung besonderer Umstände bei
fristloser Kündigung nach BGB § 554a wegen ausgesetzter
Mietzahlungen durch Sozialamt)
Tenor
1. Das Teilurteil des Landgerichts Berlin vom 21. März 2002 - 67 S 347/01 - verletzt das
Grundrecht der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör (Art. 15 Abs. VvB). Es wird
aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen.
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3. …
4. …
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen ein
Teilurteil des Landgerichts, durch das ihre Berufung gegen ein amtsgerichtliches
Räumungsurteil zurückgewiesen wurde.
Im Jahr 1983 mietete die Beschwerdeführerin von der ... Wohnungsverwaltung als
Rechtsvorgängerin der Beteiligten zu 2 eine Zwei-Zimmer-Wohnung in einem
Mehrfamilienhaus. Die monatliche Nettokaltmiete betrug ab Januar 1998 310,46 DM. Der
Betriebskostenvorschuss war mit Wirkung vom 1. April 1996 von 137,58 DM um 40,31
DM auf 177,89 DM erhöht worden; die Beschwerdeführerin teilte der Beteiligten zu 2 mit
Schreiben vom 27. Dezember 1997 mit, dass sie den Erhöhungsbetrag ab Januar 1998
einbehalten werde, da die vorliegenden Betriebskostenabrechnungen bis auf eine
Ausnahme stets ein Guthaben ausgewiesen hätten. Ab Dezember 1998 erfolgten
Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten an dem Gebäude und in der Wohnung
der Beschwerdeführerin. Ab Januar 1999 minderte diese die Miete - zunächst wegen der
Arbeiten, ab November 1999 auch unter Geltendmachung von Mängeln nach
Durchführung der Modernisierung und Instandsetzung um Beträge zwischen 20 und 50
% der monatlichen Nettokaltmieten, teilweise auch des Betriebskostenvorschusses. In
den Monaten April und Mai 1999 nutzte die Beschwerdeführerin, die die Miete für diesen
Zeitraum um 100 % minderte, ein teilmöbliertes Ausweichquartier in einem Mieterhotel",
dessen Kosten - mit Ausnahme von Warmwasser und Strom - die Beteiligte zu 2 trug. Ab
November 1999 erhob diese nach Herstellung der Heizungsanlage einen monatlichen
Heizkostenvorschuss von 105,80 DM: Mit Schreiben vom 28. Oktober 1999 erklärte sie
gegenüber der Beschwerdeführerin eine Erhöhung der Nettokaltmiete wegen
durchgeführter Modernisierungsmaßnahmen um monatlich 136,53 DM auf 446,99 DM
und forderte ab dem 1. Dezember 1999 eine neue Gesamtmiete von 730,68 DM
einschließlich Betriebs- und Heizkostenvorschuss; die Beschwerdeführerin erachtet die
Mieterhöhung als unwirksam.
Mit Schreiben vom 27. März 2000 sprach die Beteiligte zu 2 gegenüber der
Beschwerdeführerin unter Angabe eines Mietrückstands von 4.286,58 DM die fristlose,
hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs aus.
Nachdem das Sozialamt im Februar 2000 1.140,27 DM - u. a. zur Deckung der Miete für
den Monat März - an die Beteiligte zu 2 gezahlt hatte, erfolgten in den Monaten April bis
Juni Mietzahlungen weder durch das Amt noch durch die Beschwerdeführerin. Die
Beschwerdeführerin teilte der Beteiligten zu 2 mit Schreiben vom 29. Juli 2000 u. a. mit,
erst durch ein am 19. Juli 2000 bei ihren Rechtsanwälten eingegangenes Schreiben vom
20. Juni 2000 erfahren zu haben, dass das Sozialamt ab April die Mietzahlungen
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20. Juni 2000 erfahren zu haben, dass das Sozialamt ab April die Mietzahlungen
eingestellt und sie selbst zur Mietzahlung für diesen Zeitraum aufgefordert habe;
allerdings habe das Amt nicht mitgeteilt, wie man die Miete bezahlen solle, wenn man
monatlich nur 632,01 DM Sozialhilfe und weder Mietzuschuss noch Wohngeld erhalte.
Die Rechtsanwälte hätten Widerspruch gegen diese Mitteilung erhoben, zudem habe
man nochmals ausdrücklich eine Aufstellung bereits getätigter Zahlungen verlangt, um
Überzahlungen festzustellen; insofern könnten erst nach Klärung dieser Angelegenheit
die Mieten für April bis Juni 2000 überwiesen werden.
Mit der der Beschwerdeführerin am 22. August 2000 zugestellten, unter Bezugnahme
auf die Kündigung vom 27. März 2000 erhobenen Räumungsklage vom 26. Juli 2000
kündigte die Beteiligte zu 2 mit der Begründung, die Beschwerdeführerin habe nach
Ausspruch der fristlosen Kündigung keine Zahlungen geleistet, das Mietverhältnis wegen
Zahlungsverzugs vorsorglich erneut fristlos, hilfsweise fristgerecht. Die
Beschwerdeführerin begehrte widerklagend die Zählung von 12.141 DM nebst Zinsen
wegen verschiedener Aufwendungs- und Schadensersatzforderungen gegen die
Beteiligte zu 2 im Zusammenhang mit dem Mietverhältnis. Das Amtsgericht Mitte
verurteilte die Beschwerdeführerin mit am 25. Juli 2001 verkündetem Urteil - 15 C 339/00
- zur Räumung der Wohnung; ferner verurteilte es auf die Widerklage der
Beschwerdeführerin die Beteiligte zu 2 zur Zahlung von 1.887,91 DM nebst Zinsen an
die Beschwerdeführerin und wies die Widerklage im Übrigen ab. Zur Begründung führte
es u. a. aus, die Beteiligte zu 2 sei wegen des Zahlungsverzuges der Beschwerdeführerin
für zwei aufeinanderfolgende Termine (April und Mai 1999) in voller Höhe gemäß § 554
Abs. 1 Nr. 1 BGB (a.F.) zur Kündigung des Mietverhältnisses berechtigt gewesen. Die
Beschwerdeführerin habe diese Rückstände entgegen ihrer Auffassung auch im Sinne
von § 285 BGB zumindest wegen Fahrlässigkeit zu vertreten. Grundsätzlich trage der
Mieter, der die Miete unberechtigt mindere, das Risiko der fristlosen Kündigung. Zwar
werde eine maßvolle Verkennung der Minderungsquote als nicht fahrlässig angesehen;
bei einer höchstens begründeten Minderung von 15 % der Nettokaltmiete im
vorgenannten Zeitraum fehle es hier bei einer Minderung um 100 % aber an einer
maßvollen Überschätzung. Die Kündigung sei auch nicht gemäß § 554 Abs. 1 Satz 3
BGB (a.F.) durch Aufrechnung mit Gegenforderungen der Beschwerdeführerin unwirksam
geworden; die von ihr mit Schriftsatz vom 21. September 2000 angedeutete
Aufrechnungslage greife nicht, da es an einer unverzüglichen konkreten
Aufrechnungserklärung fehle. Die Kündigung sei auch nicht gemäß § 554 Abs. 2 Nr. 2
BGB (a.F.) geheilt worden, da bis zum 22. September 2000 nicht sämtliche fälligen
Mietzins- und Nutzungsentschädigungsansprüche befriedigt worden seien.
Nachdem die Beschwerdeführerin und die Beteiligte zu 2 jeweils Berufung gegen das
Urteil des Amtsgerichts eingelegt hatten, wies das Landgericht die Berufung der
Beschwerdeführerin gegen den die Räumung betreffenden Ausspruch in diesem Urteil
durch Teilurteil vom 21. März 2002 zurück erklärte das Teilurteil für vorläufig vollstreckbar
und gewährte der Beschwerdeführerin eine Räumungsfrist bis zum 31. Juli 2002. Zur
Begründung führt es u. a. aus: Die Beteiligte zu 2 habe einen Anspruch auf Räumung der
Wohnung gegen die Beschwerdeführerin, der sich sowohl aus § 556 Abs. 1 BGB a. F. als
auch aus § 985 BGB ergebe. Das Mietverhältnis sei durch die mit Schriftsatz vom 26. Juli
2000 ausgesprochene fristlose Kündigung beendet. Die Beschwerdeführerin habe sich
zum Zeitpunkt der Abgabe und des Zugangs der Kündigungserklärung mit einem die
fristlose Kündigung rechtfertigenden Mietzins im Rückstand befunden.
Die Beschwerdeführerin sei im verfahrensgegenständlichen Zeitraum teilweise -
allerdings in einem geringeren Maße als von ihr geltend gemacht - berechtigt gewesen,
den Mietzins gemäß § 537 Abs. 1 Satz 1 BGB a. F. zu mindern. Aufgrund der
kostenlosen Versorgung mit Ersatzwohnraum unter Berücksichtigung der mit dem
Umzug in ein Hotel verbundenen Unannehmlichkeiten sowie der angezeigten baulichen
Mängel im Ersatzquartier dürfte eine Minderung von höchstens 50 % der Nettokaltmiete
berechtigt gewesen sein; ein Minderungsrecht um 100 % werde auch nicht durch die von
der Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin angeführten
Gerichtsentscheidungen belegt.
Zwar hätten die ausgebliebenen Zahlungen in den Monaten April und Mai 1999 nicht
dazu geführt, dass der rückständige Mietzins gemäß § 554 Abs. 1 Satz 1, Abs.2 Nr. 1
BGB a. F. den Betrag der Gesamtmiete für einen Monat überstiegen hätte. Jedoch habe
sich der rückständige Mietzins im Zeitraum zwischen 4. März 1999 und 26. Juli 2000 auf
einen Gesamtbetrag von 3.445,29 DM addiert, wobei der geschuldete
Modernisierungszuschlag entsprechend § 9 Abs. 2 MHG für die Frage nach dem
Entstehen eines kündigungsfähigen Rückstandes nach § 554 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB
a.F. nicht berücksichtigt werden dürfe. Indes verbleibe es auch nach Abzug des Betrags
von 975,20 DM (8 x 121,90 DM) bei einem rückständigen Mietzins in Höhe von 2.470,09
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von 975,20 DM (8 x 121,90 DM) bei einem rückständigen Mietzins in Höhe von 2.470,09
DM, der den kündigungsfähigen Rückstand von 1.432,10 DM (zwei Monatsmieten in
Höhe von 716,05 DM) deutlich übersteige.
Es sei nicht ersichtlich, dass sich die Beschwerdeführerin unverschuldet über den
Umfang ihrer Berechtigung zur Minderung des geschuldeten Mietzinses während der
Bauphase geirrt habe. Gegen einen unverschuldeten Irrtum spreche der Umstand, dass
ihr bekannt gewesen sei, dass nach Auffassung der Beteiligten zu 2 für die Dauer von
Sanierungsmaßnahmen in der streitgegenständlichen Wohnung eine Minderungsquote
von 50 % der Nettokaltmiete und für die Dauer von Sanierungsmaßnahmen „am und im
Haus" eine Minderungsquote von 10 % der Nettokaltmiete gerechtfertigt sein könnte. lm
Übrigen sei das Übersteigen des kündigungsfähigen Rückstandes vor allem darauf
zurückzuführen, dass die Zahlungen der Beschwerdeführerin in den Monaten April bis
Juni 2000 zunächst völlig ausgeblieben seien. Der Umstand, dass die
Beschwerdeführerin staatliche Hilfe zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts bezogen
habe, genüge für sich allein nicht, um eine unverschuldete Leistungsunfähigkeit zu
begründen. - Die Revision sei nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs.
2 Satz 1 ZPO nicht gegeben seien.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung „ihrer
Grundrechte", insbesondere des Rechts auf rechtliches Gehör. Es liege eine Verletzung
der richterlichen Hinweis- und Aufklärungspflicht vor. Nachdem das Amtsgericht das
Räumungsurteil im Wesentlichen damit begründet habe, dass die Mietminderung um
100 % in den Monaten April und Mai 1999 nicht berechtigt gewesen sei, sei es um so
überraschender, dass das Landgericht das Übersteigen des kündigungsfähigen
Rückstandes im Wesentlichen mit dem zunächst völligen Ausbleiben von Zahlungen für
die Monate April bis Juni 2000 begründe. Die Beschwerdeführerin habe in der mündlichen
Berufungsverhandlung den Einwand erhoben, dass das Sozialamt in jenen Monaten die
Miete nicht an den Vermieter überwiesen habe; zu weiteren tatsächlichen und
rechtlichen Ausführungen sei sie nicht mehr gekommen, da das Gericht ihre
Einwendungen mit der Bemerkung abgebrochen habe, man könne das dem Vermieter
nicht anlasten. Die Ausführungen im Urteil des Landgerichts zur Verschuldensfrage
seien willkürlich und widersprächen dem Rechtsentscheid des Kammergerichts vom 11.
Dezember 1997 - 8 RE-Miet 1354/96 -, dem zufolge ein Mieter seine Verpflichtung zur
pünktlichen Mietzahlung nicht im Sinne von § 554 a BGB verletze, wenn Mietzahlungen
allein aufgrund eines Verschuldens des Sozialamtes nicht fristgemäß bei dem Vermieter
eingingen. Das Landgericht sei hier von der verbreiteten Rechtsauffassung und dem
Rechtsentscheid des Kammergerichts abgewichen und habe darüber hinaus
anderslautende Argumente der Beschwerdeführerin nicht einmal angehört. Die
Beschwerdeführerin habe bereits beim Amtsgericht Beweise in Form des Schriftverkehrs
mit dem Sozialamt und der von ihr beauftragten Rechtsanwältin eingereicht. Sie habe
Hilfe zum Lebensunterhalt bezogen, in der auch die Miete unter Anrechnung des
Wohngeldes eingeschlossen gewesen sei. Von April 1998 bis Februar 2000 sei ihr die
gesamte Sozialhilfe ausgezahlt worden, von der sie die Miete stets pünktlich überwiesen
habe. Ab März 2000 habe sie nur noch Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Miete erhalten.
Sie habe ab März 2000 keine Möglichkeit mehr gehabt zu überprüfen, in welcher Höhe
Mietzahlungen von Seiten des Sozialamtes an den Vermieter erfolgt seien; das
Sozialamt sei diesbezüglich wiederholt um Auskunft gebeten worden. Es sei nicht das
Verschulden der Beschwerdeführerin gewesen, dass die Mieten nicht rechtzeitig bei der
Vermieterin eingegangen seien, sondern die Notlage der Beschwerdeführerin sei durch
die schleppende Arbeitsweise von Arbeits- und Sozialamt verursacht worden.
Möglicherweise liege auch eine Mitverantwortlichkeit des Vermieters vor, der weder auf
die Widerspruchsschreiben der Beschwerdeführerin reagiert noch ihr durch
Mahnschreiben von Zahlungsrückständen Kenntnis gegeben, sondern die fristlose
Kündigung ausgesprochen habe.
Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör liege auch in der Behandlung der
Mietminderungen, der Betriebskosten und der Mieterhöhung nach Modernisierung durch
das Landgericht.
Die Beteiligten zu 1 und 2 haben gemäß § 53 VerfG HG Gelegenheit zur Stellungnahme
erhalten.
II.
Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg, soweit die Beschwerdeführerin die Verletzung
des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art.15 Abs. 1 VvB)rügt.
Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit zulässig.
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Der Rechtsweg ist erschöpft (§ 49 Abs. 2 VerfGHG). Eine Beschwerde gegen die
Nichtzulassung der Revision war gemäß § 26 Nr. 8 EGZPO ausgeschlossen.
Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2 ist eine Erschöpfung des Rechtswegs
hinsichtlich der Gehörsrüge auch nicht deshalb zu verneinen, weil die
Beschwerdeführerin keine Gegenvorstellung erhoben hat. Der Verfassungsgerichtshof
hat die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde, mit der die Verletzung rechtlichen
Gehörs gerügt wird, in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht von der vorherigen
Erhebung einer dem Rechtsweg im Sinne von § 49 Abs. 1 VerfGHG nicht zuzuordnenden
Gegenvorstellung abhängig gemacht (Beschluss vom 31. Juli 1998 - VerfGH 39/97 -
LVerfGE 9, 29 <32>). Hiervon abzurücken besteht auch nach der Reform der
Zivilprozessordnung bisher kein Anlass, da ein Abhilfeverfahren bei einer
entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör lediglich für
nicht berufungsfähige Urteile vor dem Gericht des ersten Rechtszugs gesetzlich geregelt
wurde (vgl. § 321 a ZPO n. F.).
Auch aus dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität ergibt sich jedenfalls insoweit
keine Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde als die Beschwerdeführerin sich auf
einen Gehörsverstoß durch das die Instanz abschließende Urteil beruft; die hinsichtlich
der ausgebliebenen Zahlungen des Sozialamts für maßgeblich gehaltenen Umstände,
auf deren Nichtberücksichtigung die Rüge des Gehörsverstoßes gestützt wird, hatte sie -
wie unten näher dargelegt; im fachgerichtlichen Verfahren hinreichend vorgetragen.
Die Begründung der Verfassungsbeschwerde genügt hinsichtlich der Rüge, das
Landgericht habe durch die Behandlung der Frage der ausgebliebenen Zahlungen des
Sozialamtes das Grundrecht auf rechtliches Gehör verletzt, auch noch den gesetzlichen
Anforderungen. Gemäß § 50 VerfGHG sind in der Begründung der
Verfassungsbeschwerde das Recht, das verletzt sein soll, und die Handlung oder
Unterlassung des Organs oder der Behörde, durch die der Beschwerdeführer sich
verletzt fühlt, zu bezeichnen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs
setzt das Begründungserfordernis des § 50 VerfGHG für die Zulässigkeit einer
Verfassungsbeschwerde voraus, dass der Beschwerdeführer den Sachverhalt darstellt
und eine ursächliche Verknüpfung zwischen dem beanstandeten Verhalten der
öffentlichen Gewalt und der geltend gemachten Rechtsverletzung nachvollziehbar
darlegt. Dazu muss der Lebenssachverhalt, aus dem die vermeintliche Verletzung eines
subjektiven Rechts hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich wiedergegeben werden.
Der für die vorstehend genannte Gehörsrüge für maßgeblich gehaltene Sachverhalt
einschließlich der Verknüpfung zwischen dem beanstandeten Verhalten der öffentlichen
Gewalt und der geltend gemachten Rechtsverletzung lässt sich dem Vortrag der
Beschwerdeführerin mit noch hinreichender Deutlichkeit entnehmen.
Die Verfassungsbeschwerde ist insofern auch begründet.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör, der in Art. 15 Abs. 1 VVB in Übereinstimmung mit
Art. 103 GG gewährleistet wird, verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der
Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl.
Beschluss vom 16. November 1995 - VerfGH 48/94 - LVerfGE 3,113 <117> m.w.N., st.
Rspr.). Er gewährt zwar keinen Schutz dagegen, dass das Gericht Vorbringen der
Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise
unberücksichtigt lässt. Das Gericht muss sich in den Entscheidungsgründen auch nicht
mit jedem Einzelvorbringen auseinandersetzen; vielmehr ist grundsätzlich davon
auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der
Beteiligten auch zur Kenntnis genommen hat. Eine Verletzung dieses
Prozessgrundrechts ist jedoch dann feststellbar, wenn im Einzelfall besondere Umstände
deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen oder Rechtsausführungen eines
Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der
Entscheidung nicht erwogen worden sind; ein solcher Umstand ist gegeben, wenn das
Gericht zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, trotz
entsprechenden Parteivortrags in den Entscheidungsgründen nicht Stellung nimmt (vgl.
Beschlüsse vom 16. November 1995, a.a.O., S. 116 f., vom 22. Mai 1997 - VerfGH 34/97
- LVerfGE 6, 80 <82> und vom 24. August 2000 - VerfGH 73/99 - NZM 2001, 87, 88 m.
w. N.).
Ein derartiger Fall ist hier gegeben. Das Landgericht, dem zufolge das Übersteigen eines
kündigungsfähigen Rückstandes vor allem auf das zunächst vollständige Ausbleiben der
Zahlungen in den Monaten April bis Juni 2000 zurückzuführen ist, stellt
entscheidungstragend darauf ab, dass der Umstand, dass die Beschwerdeführerin
staatliche Hilfen zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts bezogen habe, "für sich allein"
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staatliche Hilfen zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts bezogen habe, "für sich allein"
nicht genüge, um eine unverschuldete Leistungsunfähigkeit zu begründen. Diese
apodiktische Begründung lässt nicht erkennen, dass das Gericht die von der
Beschwerdeführerin detailliert dargelegten besonderen Umstände des Einzelfalls bei der
Entscheidung erwogen hat. Das Landgericht ist auch ohne entsprechende ausdrückliche
Darlegungen erkennbar von der in der fachgerichtlichen Rechtsprechung und der
Literatur im Zusammenhang mit § 554 Abs. 1 BGB a. F. vorherrschenden
Rechtsauffassung ausgegangen, dass ein Mieter sich das Verschulden des Sozialamts
wie eigenes Verschulden anrechnen lassen müsse, weil das Sozialamt insofern sein
Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) sei (vgl. nur LG Karlsruhe, ZMR 1989, 421; LG
Mönchengladbach, ZMR 1993, 571; implizit auch vorgenannten Rechtsentscheid des
Kammergerichts vom 11. Dezember 1997 - 8 RE-Miet 1354/96 - NJW 1998, 2455
<2457>). Es hat - obwohl dies nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin nahe lag und
die entscheidungstragende Argumentation betraf - aber nicht erwogen, ob besondere
Umstände vorliegen; denen zufolge die Durchsetzung des auf den Mietrückstand
gestützten Räumungsanspruchs gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt (vgl.
hierzu LG Karlsruhe und LG Mönchengladbach, jeweils a.a.0.). Auf den diesbezüglichen
substantiierten Sachvortrag der Beschwerdeführerin ist das Gericht weder in
tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht eingegangen. Die Verfahrensbevollmächtigte
der Beschwerdeführerin hatte schon vor dem Amtsgericht mit Schriftsatz vom 7.
Dezember 2000 geltend gemacht, erst im Monat Juli 2000 vom Sozialamt erfahren zu
haben, dass dieses bereits seit April 2000 keine Miete mehr an die Beteiligte zu 2 zahle
und die Miete von ihr selbst zu zahlen sei. Sowohl das Sozialamt als auch die Beteiligte
zu 2 seien von der Beschwerdeführerin jeden Monat über die Höhe der nach ihrer
Auffassung zu zahlenden Miete informiert und gleichzeitig aufgefordert worden, den
Sachverhalt zu klären; beide hätten hierauf nicht reagiert: Aus den als Anlagen 12 und
13 zur Klageerwiderung (Schriftsatz vom 21. September 2000) in Kopie vorgelegten
entsprechenden Schreiben der Beschwerdeführerin für die Monate April bis Juni 2000 an
die Beteiligte zu 2 lässt sich entnehmen, dass die Beschwerdeführerin von einer
Fortsetzung der Mietzahlungen durch das Sozialamt für diesen Zeitraum ausgegangen
ist („...sehe ich weiterhin die Mietüberweisungen durch das Bezirksamt... unter Vorbehalt
an"). Ferner hat die Beschwerdeführerin ein Schreiben vom 29. Juli 2000 vorgelegt, in
welchem sie der Beteiligten zu 2 u. a. mitteilt, erst durch ein am 19. Juli 2000
eingegangenes Schreiben des Sozialamts den wahren Sachverhalt erfahren zu haben.
Dieses Vorbringen hat das Landgericht erkennbar bei seiner Entscheidung nicht erwogen
und gewürdigt. Damit ist das Gericht auf die im Hinblick auf die vorgetragenen
besonderen Umstände des Einzelfalls sich aufdrängenden entscheidungserheblichen
Fragen nicht eingegangen, ob und ggf. welche Anforderungen aus dem Grundsatz von
Treu und Glauben hinsichtlich der Rechtswirksamkeit fristloser Kündigungen gemäß §
554 Abs. 1 BGB a. F. im Zusammenhang mit ausbleibenden Zahlungen eines
Sozialamtes herzuleiten sind und ob sich auf der Grundlage des Vorbringens der
Beschwerdeführerin hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die mit der
Begründung, nach Ausspruch der (ersten) fristlosen Kündigung seien von der
Beschwerdeführerin keine Zahlungen geleistet worden, erklärte (erneute) fristlose
Kündigung durch die Beteiligte zu 2 treuwidrig ist. Dass das Gericht auf der Grundlage
seiner Auslegung und Anwendung einfachgesetzlicher Bestimmungen eine die
Würdigung der Umstände des Einfalls von vornherein ausschließende Rechtsauffassung
vertritt, lässt sich den Entscheidungsgründen des Urteils nicht entnehmen, da dort
lediglich darauf abgestellt wird, dass der Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt „für sich
allein" nicht genüge, um eine unverschuldete Leistungsunfähigkeit zu begründen.
Die angegriffene Entscheidung beruht auch auf dem festgestellten Verfassungsverstoß.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht bei einer Berücksichtigung
des Vortrags der Beschwerdeführerin zu einer für diese günstigeren Entscheidung
gelangt wäre.
Nach § 54 Abs. 3 VerfGHG ist das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache in
entsprechender Anwendung des § 95 Abs. 2 Halbsatz,2 BVerfGG an das Landgericht
zurückzuverweisen. Ob die Verfassungsbeschwerde auch im Hinblick auf die von der
Beschwerdeführerin erhobenen weiteren Rügen zulässig und begründet ist; bedarf im
Hinblick darauf keiner Entscheidung.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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