Urteil des VerfGH Berlin vom 14.03.2017

VerfGH Berlin: anspruch auf rechtliches gehör, sri lanka, verfassungsbeschwerde, bundesamt, aufschiebende wirkung, öffentliche gewalt, die post, besondere gefahr, ordentliches rechtsmittel

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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
40/99
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 15 Abs 1 Verf BE, Art 15
Abs 4 Verf BE, § 51 Abs 1 S 1
VGHG BE, § 51 Abs 1 S 2 VGHG
BE, § 36 Abs 4 AsylVfG
VerfGH Berlin: Verletzung des rechtlichen Gehörs und des
Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz durch Ablehnung
vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Abschiebungsandrohung
im Asylfolgeverfahren - unzureichende fachgerichtliche
Würdigung des Vorbringens eines Asylbewerbers zur
veränderten Sachlage in seinem Heimatland
Tenor
1. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. März 1999 - VG 32 X 48/99 -
verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 15 Abs. 1 in Verbindung
mit Abs. 4 der Verfassung von Berlin. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das
Verwaltungsgericht Berlin zurückverwiesen.
2. ...
3. ...
Gründe
I.
Die am 1. Februar 1968 geborene Beschwerdeführerin ist srilankische Staatsangehörige
mit tamilischer Volkszugehörigkeit. Sie reiste im Dezember 1993 nach Deutschland ein
und meldete sich hier als Asylbewerberin.
Zur Begründung ihres Asylantrags trug sie vor, sie habe auf Veranlassung der LTTE
(Liberation Tigers of Tamil Eelam) drei Jahre lang Registrierungs- und Lebensmittelkarten
zugunsten von LTTE-Mitgliedern verteilt. Nach einer Bombendrohung habe sie im
Oktober 1993 ihren Wohnort verlassen. Auf dem Weg nach Colombo sei sie für drei bis
vier Tage von der Armee festgehalten worden; diese sei darüber informiert gewesen,
dass sie Karten an die LTTE weitergegeben und für diese Organisation gearbeitet habe.
Auch in Colombo, wohin sie nach Hinweis auf ihren dort lebenden kranken Vater habe
weiterreisen dürfen, habe sie zweimal jeweils einen Tag im Gewahrsam der Polizei
verbringen müssen, die sie der Mitarbeit für die LTTE beschuldigt habe. Nach der letzten
Freilassung in Colombo habe sie sich entschieden, das Land zu verlassen. Eine Rückkehr
nach Sri Lanka schließe sie aus, da sie eine Verhaftung durch die LTTE befürchte. Der
Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 19. September1994 bestandskräftig abgelehnt. Ein im November 1995
von der Beschwerdeführerin gestellter Asylfolgeantrag blieb auch nach Klage vor dem
Verwaltungsgericht ohne Erfolg.
Im Oktober 1998 stellte die Beschwerdeführerin erneut einen Asylfolgeantrag, den sie im
wesentlichen damit begründete, dass sie bei einer Rückkehr aufgrund ihres persönlichen
Engagements in der "Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen" im
August 1998 aus politischen Gründen gefährdet sei. Darüber hinaus bestehe aufgrund
neuer Erkenntnisse, u.a. der Stellungnahme des UNHCR von Juli 1998, die beachtliche
Wahrscheinlichkeit, dass sie bei der Rückkehr längerfristig festgenommen und durch
Unterschieben eines falschen Geständnisses unter LTTE-Verdacht geraten werde. Als
Tamilin sei sie einer Gruppenverfolgung ausgesetzt und habe keine inländische
Fluchtalternative.
Mit Bescheid vom 12. Februar 1999 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens
ab. Zugleich drohte es der Beschwerdeführerin die Abschiebung an für den Fall, dass sie
die Bundesrepublik Deutschland nicht innerhalb einer Woche verlassen habe. Die
Beschwerdeführerin habe weder aufgrund ihrer Teilnahme an einer
Diskussionsveranstaltung bzw. politischen Demonstration der "Karawane für die Rechte
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Diskussionsveranstaltung bzw. politischen Demonstration der "Karawane für die Rechte
der Flüchtlinge und MigrantInnen" mit politisch motivierten Verfolgungsmaßnahmen bei
ihrer Rückkehr nach Sri Lanka zu rechnen, noch könne sie sich darauf berufen, allein
wegen ihrer tamilischen Volkszugehörigkeit politischer Verfolgung durch die srilankischen
Behörden ausgesetzt zu sein. Die bekannt gewordenen Razzien und Kontrollen größeren
Umfangs, speziell im Großraum Colombo, dienten nicht der Bekämpfung der Tamilen als
solche, sondern richteten sich gegen den Bürgerkriegsgegner LTTE.
Die Beschwerdeführerin hat gegen den Bescheid sowohl Klage erhoben als auch im
Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens beantragt, die aufschiebende
Wirkung ihrer Klage gegen die im Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung
anzuordnen. Zur Begründung ihres vorläufigen Rechtsschutzbegehrens bezog sich die
Beschwerdeführerin auf ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren und machte geltend,
aufgrund der geänderten Situation in ihrem Heimatland bestehe eine beachtliche
Wahrscheinlichkeit, dass sie schon bei ihrer Ankunft am Flughafen festgenommen und
längerfristig in Haft gehalten werde. Über diese allgemeine Gefahrenlage hinaus, bei
Inhaftierung einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt zu sein, sei sie
insbesondere deshalb gefährdet, weil anzunehmen sei, dass den Sicherheitsbehörden
ihre frühere Tätigkeit für die LTTE bekannt sei. Unter Hinweis auf ein Gutachten von W. ...
vom 8. Dezember 1998 verwies die Beschwerdeführerin zudem darauf, dass sie bei einer
Rückkehr nach Colombo existentiell gefährdet sei und ihrer Abschiebung daher ein
Abschiebungshindernis entgegenstehe. Tamilen, die aus Europa zurückkehrten, sei es
weder möglich Arbeit noch Unterkunft zu finden, eine staatliche Unterstützung für
zurückkehrende Tamilen bestehe nicht. Vielmehr sei für aus Europa zurückkehrende
Tamilen eine besondere Gefahr der Inhaftierung gegeben, da sie automatisch in den
Verdacht gerieten, Sympathisant oder Unterstützer der LTTE zu sein.
Mit Beschluss vom 25. März 1999 wies das Verwaltungsgericht den Antrag der
Beschwerdeführerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage zurück, da
das Bundesamt mit dem angegriffenen Bescheid zu Recht das Vorliegen von
Abschiebungshindernissen verneint und die Abschiebungsandrohung ohne Zweifel
rechtmäßig erlassen habe. Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Bescheides verwies das
Gericht zur Vermeidung von Wiederholungen auf die bisher ergangenen, die
Beschwerdeführerin betreffenden Entscheidungen und ihre Gründe sowie auf zwei dem
Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin bekannte Entscheidungen der
Kammer vom 22. Februar 1999. Über die Klage ist derzeit noch nicht entschieden.
Mit ihrer am 27. Mai 1999 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die
Beschwerdeführerin, der Beschluss des Verwaltungsgerichts verletze sie in ihren Rechten
aus Art. 15 Abs. 1 und 4, Art. 6, 8, 10 und 12 der Verfassung von Berlin. Das
Verwaltungsgericht habe seiner Entscheidung, soweit es in den Gründen auf die früher
ergangenen Bescheide sowie das den vorhergehenden Asylantrag der
Beschwerdeführerin betreffende Urteil vom 29. November 1996 Bezug genommen habe,
lediglich veraltetes Tatsachenmaterial zugrundegelegt. Auf die von der
Beschwerdeführerin vorgelegten Berichte, insbesondere den UNHCR-Bericht von Juli
1998 und die im Asylfolgeverfahren eingereichten Interviews mit srilankischen
Rechtsanwälten und dem Human Rights Commissioner, sei das Gericht unter Verletzung
ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör in keiner Weise eingegangen, obwohl sich
aufgrund des neuen Quellenmaterials nahezu aufdränge, dass sich die Situation im
Süden Sri Lankas geändert habe und speziell Europarückkehrer in besonderem Maße
gefährdet seien. Unabhängig von einem möglicherweise sicheren Aufenthalt von Tamilen
im Norden oder Osten des Landes bestehe eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer
asylerheblichen Behandlung schon bei und nach der Ankunft in Colombo allein aufgrund
der in den meisten Fällen erfolgenden Abschiebung mit Passersatzpapieren. Der
Beschluss enthalte insofern keinerlei Ausführungen, ob die aktuellen Berichte und
Stellungnahmen nicht von der Einschätzung im Urteil vom 29. November 1996
abwichen. Weder sei das neu vorliegende Material verwertet noch die geänderte
Situation in Sri Lanka genauer erforscht worden; in diesem Zusammenhang hätte
insbesondere auch Anlass bestanden, den Gutachter W. ... zur Erläuterung des von ihm
vorgelegten Gutachtens zu vernehmen. Damit sei die persönliche Situation der
Beschwerdeführerin, die aufgrund der veränderten Lage in einer neuen Rahmensituation
erscheine, unter Verstoß gegen den Grundsatz eines fairen Verfahrens nicht
berücksichtigt worden.
Der angegriffene Beschluss verstoße zudem gegen Art. 6 und 8 VvB, da die
Beschwerdeführerin nach ihrer Abschiebung in Gefahr sei, in ihrer Würde und
körperlichen Unversehrtheit durch Folter verletzt zu werden. Außerdem erscheine bei
einer Abschiebung wegen der besonderen Situation der Beschwerdeführerin ein späteres
Zusammenleben mit ihrem Ehemann und der im Jahre 1994 geborenen Tochter nicht
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Zusammenleben mit ihrem Ehemann und der im Jahre 1994 geborenen Tochter nicht
möglich; aufgrund der ständigen Gefahr einer Festnahme der Beschwerdeführerin
bestehe die beachtliche Gefahr einer Trennung von Mutter und Kind. Das verletze Art. 12
VvB.
Gemäß § 53 Abs. 1 und 2 VerfGHG ist der Senatsverwaltung für Justiz und der
Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens sowie dem Landeseinwohneramt Berlin
Gelegenheit gegeben worden, sich zu der Verfassungsbeschwerde zu äußern.
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
a) Nach § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann mit der Behauptung, durch die öffentliche
Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen
Rechte verletzt zu sein, die Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof
erheben. Soweit - wie hier - Gegenstand der Verfassungsbeschwerde eine auf
Bundesrecht beruhende Entscheidung eines Berliner Gerichts ist, besteht die
Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs, in den Grenzen der Art. 141, 31 GG
hinsichtlich solcher Grundrechte der Verfassung von Berlin, die mit vom Grundgesetz
verbürgten Grundrechten übereinstimmen (st. Rspr; u.a. Beschluss vom 6. Oktober 1998
- VerfGH 32/98 - NJW 1999, 47).
b) Der Rechtsweg im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG ist jedenfalls insoweit
erschöpft, als es um die Androhung der Abschiebung und die Ablehnung vorläufigen
Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht geht. Da die Beschwerdeführerin eine
Verletzung von Grundrechten gerade durch die Entscheidung im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren - insbesondere eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches
Gehör - rügt, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht ausgeräumt werden
könnte, reicht es aus, dass der Rechtsweg im Eilverfahren erschöpft ist (vgl. dazu
Beschluss vom 17. Dezember 1997 - VerfGH 82, 82 A/97 - LVerfGE 7, 60 < 64 >
m.w.N.). Dies ist vorliegend wegen des Ausschlusses der Beschwerde nach § 80 AsylVfG
der Fall.
c) Die Verfassungsbeschwerde genügt auch den Anforderungen des § 51 Abs. 1 Satz 1
und 2 VerfGHG. Danach ist die Verfassungsbeschwerde binnen zweier Monate zu
erheben. Die Frist beginnt mit der Zustellung oder formlosen Mitteilung der in
vollständiger Form abgefassten Entscheidung, wenn diese - was vorliegend der Fall ist -
nach den maßgebenden verfahrensrechtlichen Vorschriften von Amts wegen
vorzunehmen ist. Die Beschwerdeführerin hat in ihrer irrtümlich auf den 12. Mai 1999,
korrigiert in 26. Mai 1999, datierten Beschwerdeschrift zwar zunächst angegeben, der
ausweislich der Akte des Ausgangsverfahrens formlos übersandte Beschluss des
Verwaltungsgerichts sei ihr am 26. März 1999 zugegangen. Demnach wäre die erst am
Donnerstag, den 27. Mai 1999 beim Verfassungsgerichtshof eingegangene
Verfassungsbeschwerde verfristet und unzulässig. Dass der angefochtene Beschluss des
Verwaltungsgerichts dem Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin
tatsächlich bereits am 26. März 1999 zugegangen ist, lässt sich jedoch nicht mit der zur
Überzeugung des Verfassungsgerichtshofs erforderlichen Sicherheit feststellen.
Ein Zustellungsnachweis ist angesichts der nur formlosen Übersendung des
unanfechtbaren Beschlusses in den Akten des Verwaltungsgerichts nicht vorhanden.
Ausweislich des vom Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin auf Nachfrage
übersandten Originals der Beschlussausfertigung ist das Eingangsdatum lediglich
handschriftlich auf den 26. März 1999 korrigiert worden, der Posteingangsstempel selbst
weist eher auf den 27. März 1999 hin. Soweit der Verfahrensbevollmächtigte der
Beschwerdeführerin dazu vorgetragen hat, dies lege eine nachträglich falsche Korrektur
nahe, da es angesichts der Organisation seines Büros völlig unwahrscheinlich sei, dass
ein Eingangsstempel auf ein späteres als das tatsächliche Eingangsdatum eingestellt
sei, verständlich sei insofern allein ein Stempelabdruck vom Vortag, erscheint zwar
zweifelhaft, ob diese Ausführungen im Hinblick auf die Tatsache, dass es sich bei dem
27./28. März 1999 um ein Wochenende handelt, zu überzeugen vermögen. Auch der
Umstand, dass der Beschluss vom 25. März 1999 ausweislich der Expeditionsverfügung
des Verwaltungsgerichts bereits am selben Tag ausgefertigt und abgesandt worden ist
und dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nach seiner an das
Landeseinwohneramt gerichteten Mitteilung vom 26. März 1999 bereits an diesem Tag
vorgelegen hat, könnte die Annahme eines Eingangs bereits am 26. März 1999 nahe
legen. lm Ergebnis vermögen diese Erwägungen jedoch einen späteren Zugang des
Beschlusses auch mit Blick auf die Möglichkeit unterschiedlicher Postlaufzeiten nicht mit
Sicherheit auszuschließen. Bei dieser Sachlage müssen verbleibende Unsicherheiten
über den tatsächlichen Zeitpunkt des Zugangs einer formlos übermittelten gerichtlichen
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über den tatsächlichen Zeitpunkt des Zugangs einer formlos übermittelten gerichtlichen
Entscheidung angesichts der Bedeutung der Ausschlussfrist des § 51 Abs. 1 Satz 1
VerfGHG zu Lasten des Gericht gehen. Denn dieses hat es auch bei unanfechtbaren
Entscheidungen, bei denen ein ordentliches Rechtsmittel innerhalb der
Fachgerichtsbarkeit ausgeschlossen ist, in der Hand, etwaige Zweifel über den Zugang
einer Entscheidung, auf die es bei der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde
ankommen kann, durch eine mit einem Zustellungsnachweis verbundene Zustellung
auszuräumen.
Dies schließt es zwar nicht aus, unanfechtbare Entscheidungen der Fachgerichte, die
keine Rechtsmittelfristen in Gang setzen, formlos den Verfahrensbeteiligten zu
übersenden, in einem sich anschließenden Verfassungsbeschwerdeverfahren
auftretende Zweifel über den Zugang oder den Zugangszeitpunkt müssen in derartigen
Fällen jedoch nach den allgemeinen Beweislastregeln zu Lasten des die Mitteilung
veranlassenden Gerichts gehen. Bei einer formlosen Übermittlung gerichtlicher
Entscheidungen - hier: eines gerichtlichen Beschlusses im vorläufigen
Rechtsschutzverfahren - besteht weder eine Vermutung für den Zugang noch für den
Zugangszeitpunkt, in beiden Fällen ist vielmehr das Gericht, wenn insoweit nicht
auszuräumende Zweifel auftreten, in vollem Umfang beweispflichtig (vgl. BVerfGE 36, 85
< 88 f. >; BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1979 - 7 C 76/78 - NJW 1980, 1810 zum
Beweis des Zugangs eines formlos übersandten Schriftstücks).
Eine Beweiserleichterung, wie sie etwa in Form einer Zugangsfiktion in § 41 Abs. 2 VwVfG
für die Bekanntgabe schriftlicher Verwaltungsakte oder in § 4 VwZG für die Zustellung
durch die Post mittels eingeschriebenen Briefes vorgesehen ist, kommt insofern, selbst
wenn sich dies vorliegend zugunsten der Beschwerdeführerin auswirken würde, nicht in
Betracht. Die genannten Vorschriften beinhalten Sonderregelungen, die nur für ihren
jeweiligen Anwendungsbereich gelten und einer analogen Anwendung, da sie nicht als
Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens angesehen werden können, nicht
zugänglich sind (vgl. Kopp, VwVfG, 6. Aufl. 1996, § 41 Rdnr. 79; Obermayer, VwVfG, 3.
Aufl. 1999, § 41 Rdnr.3). Abgesehen davon widerspräche eine derartige Zugangsfiktion,
die zur Folge hätte, dass grundsätzlich selbst bei einem nachweisbar früheren Zugang
allein auf den gesetzlich fingierten Bekanntgabe- bzw. Zustellungszeitpunkt abzustellen
wäre (allgem. Meinung; vgl. Kopp, a.a.0., § 41 Rdnr. 41 m.w.N.), der Regelung in § 51
Abs. 1 VerfGHG. Denn die für die Verfassungsbeschwerde geltende Fristenregelung stellt
erkennbar auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme der verkündeten, zugestellten oder
formlos mitgeteilten (vollständigen) Entscheidung ab; ein davon abweichender fingierter
Fristbeginn wäre damit nicht vereinbar. Da sich auch die bei förmlicher Zustellung mit
Empfangsbekenntnis (vgl. § 5 Abs. 2 VwZG) geltenden Beweislastregeln nicht auf den
vorliegenden Fall, bei dem der Zugang der gerichtlichen Entscheidung allein durch den
Posteingangsstempel des Rechtsanwalts bekundet wird, übertragen lassen, kann die
Verfassungsbeschwerde nicht als verfristet angesehen werden. Es kann daher
offenbleiben, ob die von der Beschwerdeführerin innerhalb der Frist des § 51 A s. 1 Satz
1 VerfGHG beim Verwaltungsgericht eingelegte Gegenvorstellung, die die
Beschwerdeführerin maßgeblich auf eine Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 12 VvB
gestützt hat, geeignet wäre, die Zweimonatsfrist zu unterbrechen (vgl. Beschluss vom
31. Juli 1998 - VerfGH 39/97 - NJW 1999, 275 zur substantiierten Rüge einer Verletzung
des rechtlichen Gehörs im Rahmen des Gegenvorstellungsverfahrens).
d) Die Begründung der Verfassungsbeschwerde genügt im übrigen auch den
Anforderungen der §§ 49, 50 VerfGHG.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet. Der Beschluss des
Verwaltungsgerichts verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf Gewährung
rechtlichen Gehörs aus Art. 15 Abs. 1 VvB. Das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung
des begehrten vorläufigen Rechtsschutzes auf eine den verfassungsrechtlichen
Anforderungen nicht genügende Grundlage gestützt; insofern ist zugleich der Anspruch
der Beschwerdeführerin auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 15 Abs. 4 VvB) verletzt.
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör, der in Art. 15 Abs. 1 VvB in Übereinstimmung mit
Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet wird, verpflichtet das mit einem Verfahren befasste
Gericht dazu, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und
in Erwägung zu ziehen (vgl. Beschluss vom 16. November 1995 - VerfGH 48/94 - LVerfGE
3, 113 <116> m.w.N.; st.Rspr.). Dies gilt nicht nur, wenn es um die abschließende
rechtliche Beurteilung eines Sachverhalts im Klageverfahren geht, sondern grundsätzlich
auch für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. zum GG: BVerfG, Beschluss
vom 3. November 1983 - 2 BvR 348/83 - NJW 1984, 719). Diesem kommt insbesondere
im Bereich des Asylrechts wegen der einschneidenden Folgen, die der Entzug des
vorläufigen Bleiberechts für den Asylbewerber haben kann, besondere Bedeutung zu.
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vorläufigen Bleiberechts für den Asylbewerber haben kann, besondere Bedeutung zu.
Art.15 Abs. 1 VvB begründet jedoch keinen Anspruch darauf, dass das Gericht sich in
den schriftlichen Entscheidungsgründen mit jedem Einzelvorbringen auseinandersetzt.
Eine Verletzung dieses Prozessgrundrechts lässt sich nur dann feststellen, wenn
besondere Umstände im Einzelfall deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen oder
Rechtsausführungen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis
genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden sind; ein solcher
Umstand ist insbesondere dann gegeben, wenn das Gericht zu einer Frage, die für das
Verfahren von zentraler Bedeutung ist, trotz entsprechenden Parteivortrags nicht
Stellung nimmt (vgl. Beschluss vom 16. November 1995, a.a.O., S. 117).
Gegenstand des vorläufigen Rechtsschutzbegehrens der Beschwerdeführerin war der
von ihr gestellte Asylfolgeantrag, bezüglich dessen das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 12. Februar 1999 die Durchführung eines
weiteren Asylverfahrens abgelehnt, eine Ausreisefrist von einer Woche gesetzt und eine
entsprechende Abschiebungsandrohung erlassen hat. Soweit das Bundesamt danach
die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in Verbindung mit § 51 Abs. 1 bis 3
VwVfG im Falle der Beschwerdeführerin verneint hat, war vorläufiger Rechtsschutz nach §
71 Abs. 4 AsylVfG, wie das Verwaltungsgericht zu Recht erkannt hat, in entsprechender
Anwendung des § 36 Abs. 4 AsylVfG zu gewähren. Nach Satz 1 dieser Vorschrift darf die
Aussetzung der Abschiebung nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Prüfungsgegenstand im
fachgerichtlichen Eilverfahren ist danach die aufenthaltsbeendende Maßnahme,
beschränkt auf die Frage ihrer sofortigen Vollziehbarkeit (vgl. zu Art. 16 a Abs. 4 GG:
BVerfGE 94,166 <192 >). Im Falle eines Asylfolgeantrags stützt sich die sofortige
Beendigung des Aufenthalts eines Asylbewerbers jedoch gerade auf die Sachablehnung
wegen Unzulässigkeit des Folgeantrags. Anknüpfungspunkt der fachgerichtlichen
Prüfung im Eilverfahren muss mithin - entsprechend der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zum Prüfungsgegenstand bei Ablehnung eines Asylantrags
als offensichtlich unbegründet (BVerfGE, a.a.0.) - die Frage sein, ob das Bundesamt den
Folgeantrag zu Recht als unbeachtlich angesehen hat (vgl. Marx, Kommentar zum
Asylverfahrensgesetz, 4. Aufl. 1999, § 71 Rdnr.155 m.w.N.).Auch wenn deshalb der
Ablehnungsbescheid nicht selbst zum Verfahrensgegenstand des Eilverfahrens wird,
muss im Rahmen eines Folgeantragsverfahrens doch mit der erforderlichen
Richtigkeitsgewissheit festgestellt werden, dass entweder die Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen oder aber - im Falle des "Durchentscheidens" - dass
ein Asylanspruch eindeutig nicht besteht. Nur wenn hieran keine "ernstlichen Zweifel" im
Sinne von § 36 Abs. 4 AsylVfG bestehen, kann der gerichtliche Eilrechtsschutz versagt
werden (BVerfG, Beschluss vom 5. Oktober 1994 - 2 BvR 2333/93 - InfAuslR 1995, 19,
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b) Diesen Anforderungen wird der angefochtene Beschluss nicht gerecht. Das
Verwaltungsgericht hat in den Gründen seiner Entscheidung den Begriff der "ernstlichen
Zweifel" ausdrücklich nur insoweit aufgegriffen, als es ausführt, das Bundesamt habe mit
dem angegriffenen Bescheid zu Recht festgestellt, dass im Falle der Beschwerdeführerin
keine Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG vorlägen. Die mit einer Ausreisefrist
"von einem Monat" - nach dem Bescheid richtig: einer Woche - versehene
Abschiebungsandrohung sei ohne Zweifel rechtmäßig erlassen worden. Damit hat das
Verwaltungsgericht unter Verletzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf
rechtliches Gehör verkannt, dass sich der Prüfungsmaßstab im gerichtlichen Eilverfahren
- wie dargelegt - nicht allein auf die Abschiebungsandrohung und die Frage, ob insoweit
Abschiebungshindernisse vorliegen, beschränkt. Zu der für das Verfahren
entscheidenden Frage, ob das Bundesamt zu Recht die Voraussetzungen. des § 51 Abs.
1 bis 3 VwVfG verneint hat, bzw. ob, bei einer Entscheidung in der Sache, ein
Asylanspruch der Beschwerdeführerin eindeutig nicht besteht, hat das
Verwaltungsgericht, obwohl der Vortrag der Beschwerdeführerin im Eilverfahren sich
nicht allein auf das Vorliegen von Abschiebungshindernissen, sondern - unter
Bezugnahme auf die von ihr im Asylfolgeverfahren vorgelegten neuen Berichte und
Auskünfte - ausdrücklich auch auf eine für die Beachtlichkeit des Folgeantrags
maßgebliche veränderte Sachlage im Herkunftsland bezog, nicht Stellung genommen.
Soweit das Verwaltungsgericht "hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Bescheides" zur Vermeidung von Wiederholungen auf die bisher ergangenen Bescheide,
das das vorangegangene Asylfolgeverfahren der Beschwerdeführerin betreffende Urteil
vom 29 .November 1996 sowie zwei Entscheidungen der Kammer vom 22. Februar 1999
Bezug genommen hat, hat es das Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht in einer dem
Anspruch auf rechtliches Gehör genügenden Weise gewürdigt. Zwar bleiben im
fachgerichtlichen Eilverfahren nach § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG Tatsachen und
Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, soweit sie nicht
gerichtsbekannt oder offenkundig sind, unberücksichtigt. Die Beschwerdeführerin hat
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gerichtsbekannt oder offenkundig sind, unberücksichtigt. Die Beschwerdeführerin hat
sich jedoch im Verfahren vor dem Bundesamt zur Begründung einer geänderten
Sachlage ausdrücklich auf eine neue Auskunftslage - gestützt auf die von ihr
eingereichten Interviews und insbesondere den UNHCR-Bericht von Juli 1998 - bezogen.
Die von ihr eingereichten Unterlagen, die dem Verwaltungsgericht bei seiner
Entscheidung vorlagen, sind weder Gegenstand der vorangegangenen
Gerichtsentscheidung gewesen noch hat sich das Bundesamt in seinem Bescheid vom
12. Februar 1999, in dem maßgeblich allem auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes
vom 6. April 1998 verwiesen wird, insoweit mit dem Vortrag der Beschwerdeführerin
auseinandergesetzt. Auf die gerade im Asylfolgeverfahren wesentliche Frage, ob sich
aus den von der Beschwerdeführerin eingereichten Erkenntnissen eine Veränderung der
Sachlage ergibt (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), ist das Verwaltungsgericht mithin nicht
eingegangen. Daran ändert auch der Verweis auf zwei gerichtliche Entscheidungen von
Februar 1999 nichts. Denn abgesehen von der Tatsache, dass das diesen
Entscheidungen zugrunde liegende Tatsachenmaterial nicht in das vorliegende
Verfahren eingeführt worden ist, ist auch diesen, vornehmlich das Vorliegen von
Abschiebungshindernissen behandelnden Entscheidungen eine Auseinandersetzung
insbesondere mit dem von der Beschwerdeführerin vorgelegten UNHCR-Bericht von Juli
1998 nicht zu entnehmen. Der angefochtene Beschluss lässt damit nicht erkennen, dass
das Vorbringen der Beschwerdeführerin in einer den Anforderungen des Art. 15 Abs. 1
VvB genügenden Weise zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung erwogen
worden ist. Dies verletzt im Hinblick auf den oben dargelegten Prüfungsmaßstab im
fachgerichtlichen Eilverfahren zugleich den Anspruch der Beschwerdeführerin auf
wirkungsvollen - auch vorläufigen - Rechtsschutz (Art. 15 Abs. 4 VvB).
c) Gemäß § 53 Abs. 3 VerfGHG ist die Entscheidung des Verwaltungsgerichts hiernach
aufzuheben und die Sache in entsprechender Anwendung des § 95 Abs. 2 Halbsatz 2
BVerfGG an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Denn die Auswertung neuer in das
Verfahren eingeführter Erkenntnisquellen ist zunächst Aufgabe der zuständigen
Fachgerichte; dass eine erneute verfassungsgemäße Rechtsanwendung mit Sicherheit
wieder zum Nachteil der Beschwerdeführerin ausfallen müsste, lässt sich angesichts der
Komplexität der zugrundeliegenden Materie jedenfalls nicht feststellen. Auf die weiteren
von der Beschwerdeführerin erhobenen Rügen musste insoweit nicht mehr eingegangen
werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33,34 VerfGHG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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