Urteil des VerfGH Berlin vom 13.03.2017
VerfGH Berlin: wiedereinsetzung in den vorigen stand, einspruch, volksbegehren, verein, vertrauensperson, vollmacht, politik, transparenz, unterzeichnung, verfassung
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Gericht:
Verfassungsgerichtshof
des Landes Berlin
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
90/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 20 Abs 1 VGHG BE, § 20 Abs
4 VGHG BE, § 55 VGHG BE, §
16 Abs 1 VAbstG BE, § 16 Abs
2 VAbstG BE
Unzulässiger Einspruch im Verfahren nach § 55 VerfGHG
Tenor
Der Einspruch wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.
Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Einspruchsführer zu 1 bis 5 wenden sich als Vertrauenspersonen eines
Volksbegehrens, vertreten durch den Verein Volksgesetzgebung e.V., gegen die
Feststellung der teilweisen Unzulässigkeit ihres Volksbegehrens.
Der Verein Volksgesetzgebung e.V. beantragte am 29. April 2009 die Durchführung des
Volksbegehrens „Für das Weltkulturerbe Tempelhof und mehr Transparenz in der Politik“
unter Benennung der Einspruchsführer als Vertrauenspersonen.
Der Senat von Berlin stellte mit Beschluss vom 9. Juni 2009 fest, die formalen
Anforderungen an ein Volksbegehren seien erfüllt, auch materiell sei das Begehren
überwiegend zulässig. Unzulässig sei das Volksbegehren, soweit es den Erhalt des
Flughafens Tempelhof betreffe, da bereits im Jahr 2008 ein Volksentscheid zu diesem
Thema durchgeführt worden sei und ihm daher das Wiederholungsverbot des Art. 62
Abs. 1 Satz 3 der Verfassung von Berlin (VvB) entgegenstehe. Darüber hinaus fehle dem
Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz für das Luftverkehrsrecht. Die auf mehr
Transparenz in der Politik zielenden Regelungen des Gesetzentwurfs seien zum Teil nicht
mit der Gewährleistung des Datenschutzes in Art. 33 VvB vereinbar, überschritten die
Kompetenz des Landesgesetzgebers oder entsprächen nicht dem Bestimmtheitsgebot.
Die teilweise Unzulässigkeit des Volksbegehrens führe nicht dazu, dass das gesamte
Volksbegehren als unzulässig angesehen werden müsse.
Von dieser in der Vorlage an das Abgeordnetenhaus von Berlin vom 16. Juni 2009 im
Einzelnen begründeten Entscheidung setzte der Senat die Vertrauenspersonen jeweils
mit Schreiben vom 29. Juni 2009 unter Beifügung der genannten Vorlage in Kenntnis.
Unter dem 29. Juli 2009 erteilten die fünf Vertrauenspersonen jeweils gesondert den mit
den Vertrauenspersonen zu 1 und 4 personengleichen „gesetzlichen Vertretern der
Volksgesetzgebung e. V.“ „Prozess- und Vertretungsvollmacht“ „in dem
Verwaltungsstreit mit der Senatsverwaltung für Inneres und Sport“.
Der Verein Volksgesetzgebung e. V. erhob am 31. Juli 2009 „als Trägerin des
Volksbegehrens mit Namen und Vollmacht der Vertrauensleute“ beim
Verfassungsgerichtshof „Klage“ gegen die in der Vorlage des Senats getroffenen
Feststellungen. Die Senatsvorlage sei den Vertrauensleuten am 1. Juli 2009 zur Kenntnis
mit einer Rechtsmittelbelehrung zugegangen. Danach könne beim
Verfassungsgerichtshof innerhalb eines Monats ein Einspruch gegen die Entscheidung
des Senats erhoben werden. Der Einspruch werde mit der Klage fristgerecht eingelegt.
In seiner Entscheidung solle der Verfassungsgerichtshof feststellen, ob die
beanstandeten Textteile im Abstimmungstext zum angestrebten Volksentscheid gegen
eine Bestimmung der Verfassung von Berlin verstießen. Gleichzeitig werde beantragt,
das Land Berlin zu verpflichten, den Abstimmungstext „Weltkulturerbe Flughafen
Tempelhof und mehr Transparenz in der Politik“ in seinen zulässigen Teilen für ein
Volksbegehren zuzulassen.
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Der Senat hält den Einspruch für unzulässig, da er nur von zwei Vertrauenspersonen
unterzeichnet sei und die anderen Vertrauenspersonen innerhalb der Einspruchsfrist
keine wirksame Erklärung abgegeben hätten.
Nach § 41 Abs. 1 Abstimmungsgesetz - AbstG - könne der Einspruch von den
Vertrauenspersonen erhoben werden. Das seien gemäß § 16 Abs. 1 AbstG fünf von der
Trägerin eines Volksbegehrens zu Vertretern des Volksbegehrens bestimmte Personen.
Nach § 16 Abs. 1 Satz 3 AbstG seien Erklärungen der Vertrauenspersonen nur
verbindlich, wenn sie von mindestens drei Vertrauenspersonen abgegeben werden. Dies
gelte auch für den Einspruch beim Verfassungsgerichtshof nach § 41 Abs. 1 AbstG.
Andere Vertrauenspersonen seien nach § 20 Abs. 1 des Gesetzes über den
Verfassungsgerichtshof - VerfGHG - i. V. m. § 55 Abs. 1 VerfGHG gegenüber dem
Verfassungsgerichtshof nicht zur Vertretung befugt. Auch eine etwaige Zulassung der
Vertrauenspersonen zu 1 und 4 als Beistände der übrigen Vertrauenspersonen nach §
20 Abs. 4 VerfGHG ändere nichts an der Unzulässigkeit des Einspruchs. Die Bestellung
eines Beistands diene nur der Unterstützung des Beteiligten, beinhalte jedoch keine
Vertretungsbefugnis.
In Erwiderung auf die Stellungnahme des Senats machen die Vertrauenspersonen zu 1
und 4 unter dem Briefkopf des Vereins Volksgesetzgebung mit Schriftsatz vom 1.
November 2009 geltend, auf eine anwaltliche Vertretung komme es wegen § 20 Abs. 4
VerfGHG „im schriftlichen Vorverfahren“ ihrer „Klage“ nicht an. „Die Beklagte“ habe im
Übrigen in der Rechtsmittelbelehrung ihres Bescheides auf § 20 Abs. 1 VerfGHG nicht
hingewiesen. Historisch gesehen dürfte die Senatsforderung unzulässig sein. Sollte der
Verfassungsgerichtshof eine anwaltliche Vertretung für erforderlich halten, werde dem
umgehend nachgekommen, für diesen Fall aber Prozesskostenhilfe beantragt. Der
Verein verfüge über keine finanziellen Mittel, um den Rechtsstreit mit einem
Rechtsanwalt zu führen. Auch würden mit dem Volksbegehren öffentliche Aufgaben
wahrgenommen und müsse eine Diskriminierung nicht hingenommen werden.
II.
Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung, da der Verfassungsgerichtshof
einstimmig auf sie verzichtet (§ 24 Abs. 1 VerfGHG).
Das Verfahren richtet sich nach § 55 VerfGHG i. V. m. § 41 des Gesetzes über
Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid (Abstimmungsgesetz - AbstG) vom
11. Juni 1997 (GVBl. S. 304), geändert durch Gesetz vom 20. Februar 2008 (GVBl. S. 22).
Aus dem Inhalt der eingereichten „Klageschrift“ ergibt sich zwar, dass die Unterzeichner
gemäß § 41 Abs. 1 AbstG Einspruch gegen die Entscheidung des Senats über die
teilweise Unzulässigkeit des Volksbegehrens erheben wollten. Der im Namen des
Vereins Volksgesetzgebung e. V. eingelegte Einspruch ist aber unzulässig. Das folgt
jedenfalls daraus, dass die Einspruchsschrift nicht von mindestens drei
Vertrauenspersonen des Volksbegehrens unterschrieben war (1.). Innerhalb der
Einspruchsfrist des § 41 Abs. 2 AbstG, die am 1. August 2009 ablief, wurde ein Einspruch
auch sonst nicht wirksam erhoben (2.).
1. Der Einspruch kann nach § 55 Abs. 1 VerfGHG i. V. m. § 41 Abs. 1 AbstG nur von den
Vertrauenspersonen oder einem Viertel der Mitglieder des Abgeordnetenhauses
erhoben werden. Die Vertrauenspersonen sind gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AbstG
fünf von der Trägerin des Volksbegehrens zu Vertretern des Volksbegehrens bestimmte
und namentlich mit Wohnsitz benannte (natürliche) Personen (vgl. Abghs-Drs. 13/709, S.
7). Erklärungen der Vertrauenspersonen sind nach § 16 Abs. 1 Satz 3 AbstG nur
verbindlich, wenn sie von mindestens drei Vertrauenspersonen abgegeben werden. Dies
gilt namentlich auch für die Erklärung über die Erhebung eines Einspruchs nach § 41 Abs.
1 AbstG.
Ob die Unterzeichnung der Einspruchsschrift durch den ersten und zweiten Vorsitzenden
des Vereins „Volksgesetzgebung e. V.“, den Einspruchsführern zu 1 und 4, so
angesehen werden kann, dass diese beiden Personen damit (auch) in ihrer Eigenschaft
als Vertrauenspersonen des Volksbegehrens gehandelt haben, kann offen bleiben.
Zweifel daran könnten bestehen, weil sie beide jeweils ausdrücklich „als
Vertrauensperson“ den „gesetzlichen Vertretern des Volksgesetzgebung e. V.“ unter
dem 29. Juli 2009 Prozessvollmacht erteilt hatten und sie deshalb möglicherweise
gerade keine verbindliche Erklärung in ihrer Eigenschaft als Vertrauenspersonen
abgeben wollten.
Auch wenn die Unterzeichnung der Einspruchsschrift den Einspruchsführern zu 1 und 4
als Vertrauenspersonen zugeordnet wird, fehlt für eine wirksame Einspruchserhebung
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als Vertrauenspersonen zugeordnet wird, fehlt für eine wirksame Einspruchserhebung
nach § 16 Abs. 1 Satz 3 AbstG die Unterschrift mindestens einer weiteren (dritten)
Vertrauensperson. Bei der Erhebung des Einspruchs konnten sich die übrigen
Vertrauenspersonen nämlich nicht durch die von ihnen unter dem 29. Juli 2009
bevollmächtigten ersten und zweiten Vorsitzenden des Vereins „Volksgesetzgebung e.
V.“, die Einspruchsführer zu 1 und 4, vertreten lassen.
Auch im Verfahren über einen Einspruch nach § 41 AbstG findet gemäß § 55 VerfGHG
die - weder durch besondere Regelungen im Abstimmungsgesetz noch im Gesetz über
den Verfassungsgerichtshof verdrängte - allgemeine Verfahrensvorschrift des § 20
VerfGHG Anwendung. Danach besteht auch im Einspruchsverfahren kein Anwaltszwang.
Wollen die Vertrauenspersonen das Verfahren nicht persönlich führen, können sie sich
jedoch nach § 20 Abs. 1 VerfGHG regelmäßig nur durch einen bei einem deutschen
Gericht zugelassenen Rechtsanwalt oder durch einen Lehrer des Rechts an einer
deutschen Hochschule vertreten lassen (vgl. Beschluss vom 23. Mai 2006 - VerfGH
37/04 - juris, Rn. 40, auch unter www.gerichtsentscheidun-gen.berlin-brandenburg.de).
Die Postulationsfähigkeit der Vertrauenspersonen besteht danach nur für die Vornahme
von Prozesshandlungen im eigenen Namen, erstreckt sich aber nicht auf die Vertretung
weiterer Vertrauenspersonen. Es kann daher auch in diesem Zusammenhang offen
bleiben, ob die den „gesetzlichen Vertretern der Volksgesetzgebung e. V.“ erteilte
Vollmacht im Sinne einer Bevollmächtigung der Einspruchsführer zu 1 und 4 als
Vertrauensleute auszulegen ist.
Ob bei der Abgabe anderer Erklärungen nach dem Abstimmungsgesetz eine Vertretung
der Vertrauenspersonen durch Dritte oder eine gegenseitige Vertretung der
Vertrauenspersonen zulässig ist oder ob Sinn und Zweck des § 16 Abs. 1 Satz 3 AbstG
dem entgegenstehen, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung.
2. Der Einspruch kann auch nicht aus anderen Erwägungen als zulässig angesehen
werden, etwa im Hinblick auf eine an sich denkbare Zulassung der Einspruchsführer zu 1
und 4 als Beistand der übrigen Vertrauenspersonen nach § 20 Abs. 4 VerfGHG. Weder
liegen die Voraussetzungen für eine derartige Zulassung vor, noch ist sie innerhalb der
Einspruchsfrist beantragt worden.
Der Verfassungsgerichtshof kann nach § 20 Abs. 4 VerfGHG auch eine andere Person
(als einen Rechtsanwalt oder einen Lehrer des Rechts an einer deutschen Hochschule)
als Beistand eines Beteiligten zulassen. Im Rahmen des Zulassungsermessens ist zu
berücksichtigen, ob eine sachliche Förderung des Verfahrens und eine Konzentration auf
die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu erwarten ist und ob
außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine Abweichung vom Grundsatz des § 20
Abs. 1 VerfGHG erforderlich machen (Beschluss vom 23. Mai 2006 - VerfGH 37/04 -, a. a.
O.; st. Rspr.). Derartige Gründe sind vorliegend weder vorgetragen noch sonst
ersichtlich.
Im Übrigen hätte die nachträgliche Zulassung als Beistand eine fristgebundene
Prozesshandlung des Beistandes allenfalls dann fristgerecht bewirken können, wenn
zumindest der Zulassungsantrag innerhalb der Frist gestellt worden wäre (vgl. für das
Bundesrecht: BVerfGE 37, 361 <362>; zum hessischen Landesrecht: HessStGH,
Beschluss vom 11. November 2009 - P. St. 2252 -, juris). Der einen Tag vor Ablauf der
Einspruchsfrist beim Verfassungsgerichtshof eingegangenen Einspruchsschrift lässt sich
indes ein Antrag auf Zulassung der Einspruchsführer und Vertrauenspersonen zu 1 und
4 als Beistände der übrigen Vertrauenspersonen weder ausdrücklich noch konkludent
entnehmen. Die Einspruchsführer zu 1 und 4 sind vielmehr ausdrücklich im Namen des
Vereins Volksgesetzgebung e. V. in Ausübung der diesem erteilten Vollmacht als
Prozessvertreter aufgetreten. Für eine Umdeutung ihrer Erklärung in einen Antrag auf
Zulassung der Einspruchsführer zu 1 und 4 als Beistand besteht kein Anknüpfungspunkt
(vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 37, 361 <363>). Ob mit Schriftsatz vom 1. November
2009 ein solcher Antrag gestellt wurde, erscheint fraglich, kann jedoch in Anbetracht des
Fristablaufs offen bleiben.
Die Nachholung des Einspruchs nach Ablauf der Einspruchsfrist am 1. August 2009
durch mindestens eine weitere (dritte) Vertrauensperson ist nicht möglich. Bei der
Einspruchsfrist des § 41 Abs. 2 AbstG handelt es sich um eine Ausschlussfrist. Eine
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand findet - abgesehen davon, dass ein
Wiedereinsetzungsgrund hier nicht ersichtlich ist - nicht statt.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf den §§ 33 und 34 VerfGHG.
Mit dieser Entscheidung ist das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof
23 Mit dieser Entscheidung ist das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof
abgeschlossen.
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